Tag 18 | Auf dem Sverigeleden

Wann immer wir in Schweden von Süd nach Nord und von Nord nach Süd unterwegs gewesen sind, haben wir den Sverigeleden gekreuzt.

Darum hüpfte vorhin mein Herzchen gar fernwehkrank bis fast zum Hals, als  ich gesehen habe, dass Irgendlink und Ray bereits auf dem Sverigeleden unterwegs ist, diesem Scharnier, dieser Spur, die sich durch ganz Schweden schlängelt.

Und dass Irgendlink Menschen glücklich macht, wisst ihr vielleicht schon?

Die heutige Ungefähr-Route findet ihr hier → klicken. Oder noch besser, ihr seht sie hier:

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Tagesstrecke von Tag 18

Und das ist die Tweeternte des Tages:

Im Diebesgutlaster der Seele #AnsKap

Über der Frau hängt ein Schild an der Wand, auf dem auf deutsch, englisch und schwedisch erklärt wird, dass dies kein Schlafraum ist, sondern ein Essraum für Fahrgäste. Auch darf man hier auf Deck sechs der ‚Huckleberry Finn‘ keine selbst mitgebrachten Speisen und Getränke verzehren. Die Frau schmatzt beim Schlafen auf ihrer Isomatte. Einmal dreht sie sich und murmelt, es ist kalt hier. Ich schaue durchs Fenster über den Bug der Fähre und versuche Schweden mit den Augen herbeizuzerren. Nur Ostsee da vorne und silber stechend glänzende Sonne, ab und an ein Segelboot, Fischkutter oder Ähnliches.

Zu aufgekratzt zum Schlafen. Ich wandele von Deck zu Deck. Twittere das 20MB WLAN Guthaben leer, das im Ticketpreis enthalten ist.

Drei kleine, braungebrannte Kerle quirlen durch alle Gänge des Schiffes, machen auch nicht Halt vor den Türen zum Crewbereich.

Paranoia. Die wollen bestimmt stehlen. Unten im LKW-Deck steht das Radel unabgesperrt an die Bordwand gelehnt. Packtaschen, Zelt Schlagsack offen zugänglich. Gut 1500 € an Wert. Die Reise wäre in Trelleborg vorbei, wenn sie das alles abmontieren würden und im imaginären Diebesgutslaster meiner Seele verstauten.

Korruption, schießt es mir in den Sinn. Menschen, die die Grenzen anderer Menschen nicht wahrnehmen. Sei es absichtlich, um davon zu profitieren, um etwa auf der Autobahn schneller voranzukommen, oder aus Unbedachtsamkeit, wie meine schnarchende Nachbarin im Schiffsrestaurant.

Korruption bringt man ja eher mit Fußballfunktionären und Politikern in Zusammenhang. Dann, wenn es um Millionen geht, nicht mit dem ganz normalen Temposünder oder dem Schiffspassagier.

Der erweiterte Korruptionsbegriff nach Irgendlink ist ein gesellschaftlichesDing. Vielleicht ein Wesenszug des Menschen an sich.

So gerne wären wir doch alle liebe, soziale Wesen, wenn sich nicht ständig unsere Wollens-Sphären überschneiden würden und wir tagtäglich unsere selbst gemachten Grenzen oder die der Anderen oder unsere gemeinsamen Grenzen, seien sie noch so bedeutungslos, überschreiten würden.

Ist wirklich jeder Wildzeltplatz, den ich bezelte ein Akt der Korruption? Oder ist das Verbot ansich korrupt? Eine Beschrankung der Welt von Mächtigen gegen weniger Mächtige?

Trelleborg endlich. Das Radel steht unberührt im Bauch der Fähre. Um halb drei ein Parforce-Ritt durch die Stadt: Touristinfo, schwedische Sim-Karte, Geldautomat, raus aus der Stadt. Genau in dieser Reihenfolge. Irgendlink le Nerd.

Die knapp vierzig Kilometer nach Malmö werden zu fünfzig durch geschicktes Umherirren. Ich lerne das Land. Lerne das Radwegesystem. Lerne auch schwedisch. Hei zum Beispiel sagt man sowohl zur Begrüßung, als auch zum Abschied.

Gegen zwanzig Uhr treffe ich meinen Freund Ray an der Bahnstation Hylie. Er wird ein bis zwei Wochen mitradeln. Kennengelernt hatten wir uns 2012 auf einer norwegischen Fähre, beide unterwegs auf der North Sea Cycle Route .

Vielleicht kann ich ihn überreden, zu zeichnen. Immerhin ist er ein echter, studierter Künstler.

Spät checken wir auf dem riesigen Zeltplatz Malmö ein. Er ist nah bei der Øresundbrücke, gell, so heißt die?

220 Kronen pro Person. Schmerzhaft teuer, so dass ich mich dabei ertappe, im korrupten Innern meines Hirns, statt zwei Zelten nur eins anzumelden.

Golden schimmert die zig Kilometer lange Brücke im Sonnenuntergang.

Tag 17 | Die Tagesstrecke und so

Die heutige Strecke gibts in zwei Häppchen:

1.)
Pervers früh ist Irgendlink ungefrühstückt vom Nachtlager nach Rostock geradelt und hat Huck-die-Fähre erwischt. Nach Trelleborg für 48 €.
Link 1: hier → klicken.

2.)
Von dort dann nach Malmö, wo er Ray getroffen hat. Die Jungs haben sich nun auf dem Campingplatz dortselbst, die Brücke im Rücken, installiert.
Link 2: hier → klicken.

Mehr gibts heute und immer direkt hier: Twitterlink.
Denn Twitter ist besser als sein Ruf!

Die drei 31. Junis – oder Höllenritt nach Rostock #AnsKap

Irgendwann reift die Erkenntnis, dass der Juni nur 30 Tage hat. Wann war das? Gestern? Vorgestern?Zweihundert Kilometer bis Rostock, sagt mir jemand auf Twitter. Das sind drei Reisekünstler-Tagesetappen, wenn das Wetter stimmt.

In der Gegend westlich von Berlin ereilt mich diese Erkenntnis mit dem nicht vorhandenen 31. Juni.

Das Jerichower Land um Havel und Elbe ist eigentlich viel zu schön, um es links liegen zu lassen. Hätte ich bloß nicht die Verabredung in Malmö mit meinem Freund Ray, der sich als Expeditionsmaler in die Reise einklinken wird.

20 Uhr, Bahnhof Malmö, am ersten Juli. Das ist mein 31. Juni.

Es gibt ’ne Schaltsekunde, tröstet man mich auf Twitter. Aber erstens ist das ein 24 mal 3600ster Teil meines 31. Juni und zweitens wird die – glaube ich – abgezogen vom Monat.

Über die B 107 verlasse ich das Jerichower Land. Schnurgerade führt diese, zum Glück nur schwach befahrene Bundesstraße durch Havelberg nach Pritzwalk. Die ersten neun Kilometer sogar auf einem schönen Radweg durch brandenburgischen Kiefernwald. Ich liebe diesen Duft.

Es geht hart ran. Die prognostizierte Hitze bleibt zum Glück aus. Ein Seewind umspielt den Reisekünstler. Ich beschränke mich an diesem Tag und an dem beiden darauf folgenden 31. Junis vor allem aufs Radfahren. Die Kunst und das Schreiben stehen hintan.

Opportunitätskosten. Das Wort aus BWLer-Zeiten kommt mit in den Sinn. Einen Blogartikel zu schreiben kostet mindestens zwanzig Kilometer. Geschenkt kriegst du nichts. Alles ist konvertierbar in dieser Welt. Zwar geht Denken und Radfahren ganz gut zusammen. Nicht aber Schreiben und Radeln. Auch das Veredeln der Fotos auf dem iPhone zu Kunstwerken braucht seinen Raum. Kurzum: bei so einer digitalen Expedition jonglierst du immer mit diesen Kräften des Körpers und des Geistes. Im Idealfall stellt sich ein guter Flow ein. Vorankommen und Stillstehen pendeln sich gut ein.

Längst hinter Pritzwalk – ich steuere auf den Treptowsee zu, den mir ein Autoschrauber als Nachtplatz empfohlen hat – stoppt ein liegengebliebener ukrainischer Kleinlasterfahrer meine Hatz. Ich ertelefoniere ihm einen Keilriemen für seinen Sprinter. Und zwar total chaotisch. Die Suchfunktion im Handy bringt mich an die Rezeption eines Golfhotels – seltsam – wo mir die nette Rezeptionistin einen Mercedeshändler in Parchim ergoogelt, dem ich das Problem schildere. Ich hoffe, er konnte dem Havarierten helfen. Eine halbe Stunde dauert das Telefonieren. Einen halben Blogartikel lang. Dennoch: kam genau richtig, dieser kleine Zwangsstopp.

Nach hundertzwanzig Tageskilometern treffe ich entspannt am Treptowsee Sven und Margret, die ich zehn Jahre nicht gesehen habe.

Als wäre keine Zeit vergangen sitzen wir am Strand und ein Feuerchen lodert.

Die Muskeln brennen. Seebad tut not. Eigentlich könnte man hier bleiben. Für immer.

Tag zwei des Höllenritts. Gestern, der 31. Juni. Gut möglich, den Rostocker Überseehafen zu erreichen bis abends. Über die Landstraße sind es vielleicht hundert Kilometer.

Da ich nicht weiß, wann die letzte Fähre fährt und zudem mit fünfzig Kilometern auf der B 107 mein Landstraßenbudget aufgebraucht ist, wurstele ich mich ab Dobbertin östlich nach Krakow rüber zum Radweg Berlin-Kopenhagen. Das entschleunigt mich. Nichts ist kreativitätsschädigender, als Hektik. Und Wollen. Vorankommenwollen.

Fünfundzwanzig Kilometer Luftlinie vom Überseehafen Rostock entfernt schlage ich mein Zelt auf einer Privatwiese auf. Hart erkämpfter Lagerplatz. Die Gegend an der Warnow quillt über von Getreidefeldern. So dass mir nur übrig bleibt, das Zelt direkt am Weg aufzubauen, oder auf dem Sportplatz. Bei einem Landwirt und einem Kleingärtner, die ich frage, blitze ich ab.

Finde schließlich doch noch einen Platz.

4:15 Uhr raus. Schon wieder ein verdammter 31. Juni. Ungefrühstückt zum Hafen. Eine gute Entscheidung. Gegen 7 Uhr kaufe ich das Ticket für die ‚Huckleberry Finn‘, die um 8 Uhr ablegt nach Trelleborg.

Nun sitze ich hier, vorne in der Lounge, Blick nach Schweden. Wasser bis zum Horizont. Steuerbords dänische Inseln. Auf dem Boden zwei Meter neben mir schnarcht eine Frau. Gemurmel. Ein Fernseher dudelt auf schwedisch. Das Wetter ist schön. Ich bin müde und wach zugleich.

Und freue mich auf Schweden.

Und dass dieser verflixte 31. Juni endlich aufhört.