Wie München hat ein Auto?

Dada-Tag. Der Sommer kocht die Hirne weich. Am Radelring München kommen mir Erinnerungen an früher, als wir mit dem Wohnwagen in Urlaub fuhren. Bayern und Österreich, aber auch Dänemark, Spanien oder Italien. Erinnerung an Hamburg: Gehwege voller Hundescheiße. Das hat sich zum Glück geändert.

Erinnerung an München: vor der Stadt stoppten wir auf einem Rastplatz und ein hagerer Mann stieg zu uns ins Auto. Die Mama setzte sich nach hinten. Der Mann lotste uns mitten durch die Stadt. Ich erinnere mich, dass es einen inneren Ring gab und einen mittleren. Heute gibt es noch die Ringautobahn und der Lotsenservice musste vielleicht dicht machen? Kein Bedarf mehr im Zeitalter des Navis. Dreißig Jahre Entwicklung der Menschheit liegen zwischen Hundescheiße auf Hamburgs Gehwegen und dem Bau von Münchens Ringautobahn und der Entwicklung der GPS-Technik. Wir sind auf einem guten Weg. Der Münchner Radelring ist ein weiteres Merkmal, in welch kurzer Zeit der Mensch gute Dinge entwerfen und umsetzen kann. Mit der GPS-App messe ich gestern die Luftlinie bis zum anderen Ende der Stadt. Aubing ist mein Standort. Überlege, ob ich dem Radelring folgen soll, aber nach kurzem Drauflosradeln steht ein Hinweisschild Marienplatz, was ja wohl das Zentrum der bayrischen Landeshauptstadt ist. Nur noch neunzehn Kilometer. Gegen Mittag wird die Hitze unerträglich. Ich nutze jede Gelegenheit, mein T-Shirt und das Kopftuch zu nässen. Nach zehn Minuten ist alles wieder trocken. So frage ich in einem sonntagsoffenen Autohaus nach Wasser, tauche die Kleider in kalte Bäche, Ententeiche, einmal zweige ich sogar ein bisschen vom Trinkwasservorrat ab.

Theoretisch muss man zum Marienplatz fast immer geradeaus fahren. Die Beschilderung ist leider lückenhaft und so verirre ich mich einmal, zweimal, beim dritten Mal ist es nur noch zweikommasieben Kilometer bis zum Marienplatz, aber ich bin schon fast an der Isar habe das Zentrum verfehlt und bin schon auf dem Weg nach draußen. Auf einem Friedhof schreibe ich ein paar Blogartikel. Ein schwerhöriger Mann setzt sich neben mich und starrt auf ein Grab. Wir reden nur das Nötigste. Wieviel Grad? Achtunddreißig. Puh. Ich schreibe, er starrt und ich frage mich, ob ich das vielleicht bin, in dreißig Jahren. Alle sind gegangen, es gibt nur noch Dinge, Menschen, Ereignisse, vergangene Momente, die beweint werden müssen und mit Daumen und Zeigefinger macht man innerlich ein Zeichen, so knapp, so viel noch und schon bald ruhest auch du.

Innenstadtverzicht. Die Isar lockt. Von der Brücke hat man einen exorbitanten Blick auf das vielleicht längste Strandbad Deutschlands. Kilometerweit folge ich dem Isarradweg und die Schar der Sonntagsbadenden nimmt und nimmt nicht ab. Sonnenschirme, Cremegeruch, hie und da ein Lagerfeuer. Vor mir fährt ein Junge mit einem Fahrradanhänger und schaufelt mir den Weg frei. Menschen mit Isomatten, Bodybuilder mit SOLCHEN Schultern, Hänflinge, die sich an Seilen, die an Bäume gebunden sind, über den pfützenähnlichen Fluss schwingen. Kleine Tarzane an einem ganz normalen Sonntag. Über den Münchner Wasserweg, so heißt einer der Radwege nach Süden, verlasse ich die Isar Richtung Rosenheim, zwanzig dreißig Kilometer weit an Ober- und Unterhaching vorbei. Längst drohen Gewitter. Schon dunkelt es und ich muss langsam einen Platz finden. Er sollte auch einen gewissen Blitzschutz bieten, wobei ich nicht wählerisch bin. Ein Faraday’scher Käfig wäre gut. Ein Autowrack direkt neben dem Zelt, in das man flüchten kann, wenn es allzu arg wird. Beim Modellflugplatz war mein Faraday’scher Käfig ein etwa vier Meter langer Tisch aus Stahl.

Gewitterbübchenrechnung. Ich weiß, dass es hanebüchen ist, zu denken, man wäre bei Gewitter unter einem stählernen Tisch vor Blitzen geschützt. Aber die infantile Selbstlüge beruhigt. Neben der Ulrichskapelle, die auf einer Waldlichtung neben einer Pferdekoppel steht, beschließe ich zu lagern. Das Kirchlein ist zwar zu, aber es hat zwei überdachte Eingänge, in die genau ein Mensch reinpassen könnte. Aus dem Trinkbottich der Pferde nehme ich Wasser, um mich notdürftig zu waschen. Meine Eltern rufen besorgt an. In den Nachrichten haben sie von schlimmen Unwettern gehört. Irgendwo seien tennisballgroße Hagelkörner runter gerasselt und in München habe die Hitze die Straßenbahnschienen verbogen. Hum. Nix mitgekriegt. Kaum lege ich auf, legt das Unwetter los, zaust die Bäume. Äste krachen herab. Als Regen und Sturm nachlassen, baue ich das Zelt auf der windabgewandten Seite der Kirche auf. Die Nacht bleibt ruhig und am heutigen Tag bin ich schon um halb sechs wach.

Der Radweg führt weiter durch dichten Fichtenwald. Schilder mit der Aufschrift Via Julia deuten auf eine alte Römerstraße hin. Später treffe ich zwei Radler, die von Augsburg unterwegs sind nach Salzburg und sie erzählen mir, dass eben diese Via Julia der Fernweg ist, der von Augsburg nach Salzburg führt. So beschließe ich, die Augen offen zu halten, und dieser beschilderten Route zu folgen. Nun sitze ich am Mangfall, einem etwa zwanzig Meter breiten Fluss, der bei Rosenheim in den Inn mündet. Ab Traunstein beginnen die Berge, erzählen mir die beiden Augsburger.

4 Antworten auf „Wie München hat ein Auto?“

  1. lieber jürgen
    wer solchen temperaturen trotzt, widersteht offensichtlich auch blitz und donner … dich hält wahrlich nichts auf :–)
    weiterhin gute reise und keinen platten, walter

    1. Gewitter ist das Einzige, was mir beim Radeln Angst macht. Und Hunde. Und LKW und brutale Mädchenbanden in den Vororten Londons. Ganz besonders schlimm wäre ein Platten bei Gewitter in den Vororten Londons ..,
      Nun ists schön kühl geworden. Gut für die Hügelgegend um den Chiemsee

  2. Wie schön, dass uns die Homebase gestern Abend noch beruhigen konnte, denn die Bilder, die man da im Fernseher sah, die sahen wirklich erschreckend aus!
    Dann wünsche ich dir heute eine ruhige, sturmfreie Nacht und sende liebe Grüße,
    auch an SoSo,
    Andrea

    1. Das ist eben die selektive Natur der Berichterstattung. Natürlich hat es hier bei meinem Blitzschutzschuppen auch ganz schön gewindet. Der Starkregen blieb aber aus, zum Glück.

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