Warum alle immer alles wollen und sich immer nie kümmern

Das alte Fotolabor leer geräumt. Neben drei Fahrrädern, zwei Wäschekörben und einer Musikbox, finden sich sieben Vergrößerer darin, sowie eine Reprokamera. Ich hatte das Labor vor fünfzehn Jahren zusammen mit meinem Freund QQlka eingerichtet. Ein großzügiges Wohnfotolabor mit Ruhesessel, in die Wand eingelassenen Lautsprecherboxen, Präsentationswand. Ab 2001 ist es der „Verkomm(n)ung“ preis gegeben. Ich habe eine Familie, die keine Leerfläche kennt. Das erklärt, wieso auf den Vergrößererplatten überall Nippes liegt. Osternester, Vasen, Buddhafigürchen, Blechdosen, Trockenblumen. Unbeabsichtigt habe ich das wohl schrillste Fotolabor aller Zeiten heran gezüchtet. Ich Doktor Frankenstein der Reprotechnik, ich. Nach drei Stunden harter Arbeit kristallisiert sich eine Arbeitsatmosphäre. Dunkelkammerlichter. Chemieschalen. Die Lüftung säußelt. Das Thermomenter zeigt konstant 18 Grad. Dass sich in den Jahren sieben Vergrößerer angesiedelt haben, macht mich schmunzeln. Als ob sie sich im Dunkeln vermehrt hätten.
Nun steht Putzen an. Staub und Spinnweben raus. Dann kann ich an einem neuen Experiment schuften. Obwohl ich seit 2005 nur noch digital arbeite, kommt hin und wieder eine „analoge“ Idee. Journalist K., dem ich diese Idee anvertraute, schaute mich wie aufgestachelt an. Das Verfahren sei womöglich revolutionär. Bloß kein Wort im Netz!
Die gute alte Urheberproblematik. Die Daumenschrauben der Alltagskreativität. Die Wurst-vom-Teller in einer angst-zu-kurzkomm Welt. Wer kennt das nicht? Manchmal frage ich mich, wieviel Wissen alltäglich verloren geht, nur weil die Ideenhaber es, aus der Unmöglichkeit, es zu vermarkten, weder entwickeln, noch es preis geben. Konstatiere das ewige Gesellschaftsproblem, dass immer alle denken, alle wollen immer alles umsonst und alle anderen kümmern sich immer nie. Der Markt herrscht.

3 Antworten auf „Warum alle immer alles wollen und sich immer nie kümmern“

  1. Diese Arbeit kann ich mir gut vorstellen, weil ich selbst einige Stunden in dem Labor verbracht habe. Ich denke auch von Zeit zu Zeit daran, mehr experimentell in meinem jetzigen Labor zu arbeiten. Aber da erinnere ich mich, dass noch ein Film auf Bearbeitung wartet.

  2. hach, wie gut ich mir das alles vorstellen kann. obwohl ich noch nie im besagten raum war. für einen der vorhof zur hölle, für messies das pure paradies … :-)

    grinsen muss ich über das ß in säuseln ähm säußeln … da haben wir doch neulich drüber gefachsimpelt.

    die essenz deines artikels, der besitz von ideen inkl. copyright (und das geld, das wir uns daraus versprechen – denn darum geht es ja primär) geht mir einmal mehr unter die haut.

    was für seltsame wesen wir menschen sind in unserer ewigen angst vor dem mangel und verlust (ich inklusive).

    danke für diesen spannenden text!

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