Liveschreiben # 2 – wie man einen Eintrag, den man nicht geschrieben hat, nachträglich in das live geschriebene Buch integriert.

Das geht leider nicht.

Ich habe es versucht mit einem Beitrag über das Crask Inn in Schottland. Über die Orkneyinseln, Shetlands, Norwegen, Schweden, Dänemark, Niederlande, Deutschland und Belgien schleppe ich eine Idee mit, wie ich das Ding doch noch elegant in das Buch integrieren könnte. Mache ich‘s am Wetter fest? In den Niederlanden hatte ich bei Sturm ähnliche Bedingungen wie im Crask Inn. Das wäre vielleicht ein Anknüpfpunkt? Mache ich es an der Geographie fest? Bei der Rücküberquerung des Breitengrads, auf dem das Crask Inn liegt, hätte ich eine gerade, von Menschen gemachte Linie, die als hanebüchener Rettungsanker dienen könnte, über die Ereignisse dort zu berichten.

In den Tiefen des elektronischen Notizbuches schlummern einige Ansätze, eine Geschichte nachträglich zu integrieren. Keiner war mir gut genug. Und am Ende, nun in der Champagne, am fünftletzten Tourtag, komme ich zu der Erkenntnis: lass es einfach sein.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)

7 Antworten auf „Liveschreiben # 2 – wie man einen Eintrag, den man nicht geschrieben hat, nachträglich in das live geschriebene Buch integriert.“

  1. Lieber Irgendlink,
    ich bin da ganz anderer Meinung als du, sorry, aber im Nachhinein etwas in einen spontanen Reisebericht einzufügen, gibt Dimension, macht es spannender. Melville war in seinem „Moby Dick“ ein Meister des Einfügens von angelesenen Infos und nachher Eingebauten. Freilich ist das kein spontaner Reisebericht, sondern ein fiktiver. Aber nehmen wir Sebalds „Die Ringe des Saturn“, dieser hochausgezeichnete Reisebericht besteht zum großen Teil aus Einfügungen, die im Nachhinein gebracht wurden. Nur wenn das Spontane ein Dogma für dich wäre, müsstest du dich dessen enthalten. Die post-moderne Literatur – eigentlich seit Joyce – kombiniert ja gerade unterschiedliche Perspektiven, Zeit- und Reflexionsebenen. Das macht für mich diese Texte interessant wie z.B. bei den Klassikern der modernen Reiseliteratur wie Bruce Chatwin. Thomas Mann sagte im „Doktor Faustus“, wenn ich mich recht erinnere, die Spannung macht die Ästhetik der Moderne aus. Das scheinbar Nichtpassende macht einen Text erst interessant.
    Well, ich möchte dich nur – aus eigener Erfahrung – dazu anstiften, Textidee, die dich ja irgendwie bewegen, nicht wegfallen zu lassen. Wie gesagt, sonst wird der Text eindimensional und langweilt den Rezipienten.

    Liebe Grüße von der hochsommerlichen Küste der Nordsee
    Klausbernd und seine beiden ausgeflogenen Buchfeen Siri & Selma

    1. Lieber Klausbernd, das ist ein prima Tipp. Ich bin zwar so dogmatisch (iDogmatisch), dass ich am direkt von der Straße geschriebenen Text nichts verändern werde – es sei denn, ich liefere die Textteile live in den noch zu schreibenden Teil des Buchs, der noch erlebt werden wird. Nur noch vier Tage dauert die Reise und ich hab noch ein paar wenige Ideen abzuarbeiten. Die zwei drei Elemente, die ich ausgelassen habe bisher, hatten mit Menschen zu tun. Mit persönlichen Begegnungen. In Cley ist es mir schon aufgefallen, dass es sehr schwer ist, eine Begegnung on the fly zu schreiben. Das war im Crask Inn, wo mich 14 Schotten adoptiert hatten so ähnlich. Es geht im Menscheln eben drunter und drüber. Auch Brian und Familie in Stavanger, Tone, Jostein und Jon Olaf in Fredrikstad waren so intensiv, dass es geradezu schäbig wäre, darüber zu schreiben, während man noch erlebt.Nun gegen Ende der Reise spüre ich schon intensiv den Sog der Zeit. Die Hektik, das Gemetzel, die Torschlusspanik. In der Tat ist die Reise, wie von Beginn an vermutet, eine lebendig gewordene Analogie ans Leben. Von der „Geburt“ in Zweibrücken bis zum „Tod“ in Ein paar Tagen ebendort durchlaufe ich auf reisende Art die Prozesse des Lebens. Vom Aufkeimen und Wachsen und Lernen über das Durchhalten und Weitermachen bis zum Niedergang.
      Das live geschriebene Buch, das nun vorliegt, soll so stehen bleiben. Es ist bestimmt nicht das letzte Experiment dieser Art. Ich habe prächtige Ideen im Gepäck.
      Die Texte werde ich mir natürlich vorknöpfen und sie neu zusammenfügen, ausbauen und anreichern, sicher auch mit den fehlenden Elementen. Das ist dann aber nicht mehr Liveschreiben.
      Ganz lieben Herzensgruß ins kleine Dorf am schönen Meer. Natürlich auch an die Buchfeen.
      Jürgen

  2. Lieber Jürgen,

    ich bin echt gespannt! Klar, ich muss immer aufpassen, wenn ich dich kommentiere, dass ich nicht zu viel von mir in dich projiziere. Ich habe zwei ausführliche Reisetagebücher geschrieben, aber völlig anders, nämlich erst per Hand, dann im Computer bearbeitend übertragen und danach so häufig bearbeitet, dass der Text sich ziemlich vom spontanen Ausgangstext wegverändert hatte. Well, das ist eben die konventionelle Form. Anyway, ich bin auf deinen Text gespannt.
    Jetzt geht`s ab in den Garten, dir ein angenehmes Heimradeln und ganz liebe Grüße
    Klausbernd und seine beiden Buchfeen Siri & Selma

    1. Lieber Klausbernd. Vielleicht bin ich dazu gar nicht in der Lage? Ein bisschen gehe ich ka den spontanen Kerouacschen Weg. Das war damals sicher eine Verkaufsmasche. Hat aber funktioniert. Mir schwebt ein bisschen Textpflege vor. Bzw. etwas Neues aus dem Material machen. Ich habe auf der Reise ziemlich was gelernt über die Abläufe beim Buchschreiben. Glaube dennoch, ganz am Anfang zu stehn. Das wird ein langer Weg. Aber mit langen Wegen kenne ich mich nun aus. :-)

  3. Es gibt die und die und solche und andere Bücher. Wo finden sich feste Regeln? Du hast genügend Erzählgeländer, an denen Du Dich langhangeln-radeln kannst…und prächtige Ideen im Gepäck- wow.
    Die Abläufe beim Buchschreiben ….Vielleicht wirkst Du demnächst als Dozent für kreatives Reisebuchschreiben? Oder so….
    Wo bliebe da die Kunscht?
    Gruß von Sonja

    1. Sonja, ich glaube, es handelt sich um eine Form von Wachstum im eigenen Kopf, was hier in dem Blog mit mir stattfindet. Ich spüre, wie sich meine Art zu denken und die Dinge anzugehen verändert. Dem Ursprung der Ideen ansich auf der Spur? Vorgestern hatte ich mal den Gedanken, dass ich mich in meiner Art zu denken so sehr verändert habe, dass am Ende doch noch echte Bücher bei rauskommen. SoSos Buchrezension kommt mir in den Sinn. Jenes unveröffentlichte Buch, in dem es um die Zusammenhänge zwischen den neuronalen Verknüpfungen im Hirn geht und dem, was wir tun. Wenn wir immer nur das selbe machen, stellt sich das Hirn darauf ein und bietet schnelle Lösungen für die immer wieder zu erledigenden Aufgaben. es verlernt vielleicht zu lernen. Ich habs beim Fotografieren besonders gemerkt: richtig sehen lernen ist eine harte Aufgabe. Und nicht dabei einschlafen und weiter sehen lernen noch viel härter. Ich könnte für immer schöne Straßenbilder machen, weil mein Blick trainiert ist. Aber es gibt ja noch so viel Unsichtbares. Wenn ich diesertage an den lothringer Kreuzen vorbei radele, erinnere ich mich schmunzelnd an die Zeit, in denen ich die Dinger zu hauf fotografiert habe. Mit dem Schreiben ist es so ähnlich wie mit dem sehen und fotografieren.

  4. Und übrigens, ein tolles Beispiel für kindlich naives Reisewanderschreiben ist das Buch „Die Moselreise“ von Ortheil- das hat er nämlich als 11-jähriger geschrieben und nun sanft von der Erwachsenenseite her redigiert und drucken lassen….

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