Liveschreiben # 11 – Stinkfüße in den Kinderschuhen der Liveblogliteratur

Das Finale der Reise hat begonnen. Das wird mir in Emden, als ich aus dem Zug steige, klar. Nach zehntägiger Unterbrechung und leider Gottes, einer Zeitrechnung, wie lange ich von wo nach wo ungefähr brauche unter Berücksichtigung verschiedener Alternativen, bin ich wieder mitten im Europenner-Alltagsleben.

Das Kennzeichen für die Endphase der Reise ist wohl die Zeitnot. Ich mag es nicht, auf einen festen Termin zuzusteuern. Das nimmt mir die Ruhe. Das lenkt mich von der Gegenwart ab. Aber nun ist der Fall eingetreten. Ich hatte überlegt, abzukürzen und am Rhein zurück nach Zweibrücken zu radeln, oder nur bis Boulogne zu radeln und mich dort in den Zug zu setzen, oder mich von Freund Kollege T. per Auto abholen zu lassen. Auch die Alternative, mit dem Mietwagen nach dem zehntägigen Urlaubsintermezzo direkt nach Zweibrücken zu fahren, kam in Betracht.

Aber nun sitze ich an namenlosem Deich in Holland. Ein zehnstündiger Dauerregen geht zu Ende. Es ist an der Zeit, über die Zukunft des Liveschreibens nachzudenken. Was habe ich auf dieser Reise alles gelernt, wie gut habe ich meine Sache vorangebracht? Was hat gefehlt, was kann ich besser machen? Vieles, was ich zur Zeit alltäglich tue, geschieht aus dem Bauch heraus. Die Kunstmaschine funktioniert ohne den großen Mechaniker, der sie sich ausgedacht hat und der sie wartet und steuert.

Im Nachhinein wird mir klar, dass es sich bei dem, was ich tue, um etwas Lebendiges handelt. Um ein stetig wachsendes System, das sich selbst, das ich, das diejenigen, die sich kommunikativ daran beteiligen, stetig verbessern. War die allererste Livereise nach Andorra sowohl technisch, als auch schreiberisch und fotografisch noch recht roh, so wurde mit Jakobsweg 2.0 schon ein kleiner Meilenstein gelegt.

Alles, was ich tue, hängt auf seltsame Weise zusammen und ich kann es nicht in seiner ganzen Dimension begreifen, wohl weil ich selbst Teil des Ganzen bin?
Manchmal habe ich Zweifel, ob das, was ich tue, Sinn macht. Anerkennung in der Kunstwelt und in der Literaturwelt ist bisher vehement ausgeblieben. Wie war das mit der Kunst: Kunst ist erst dann Kunst, wenn sie als Kunst rezipiert wird. Und wenn sie im Museum steht. Und wenn sie von echten Sachverständigen rezipiert wird. Und wenn sie gekauft wird. Und wenn ihr Wert ständig steigt. Und wenn sie …

Mein Gefühl sagt mir, dass ich mich um solche Dinge gar nicht kümmern darf. Das ist nicht meine Aufgabe. Ich verplempere nur Zeit, wenn ich versuche, anerkannt zu werden. Der Wille zur Anerkennung verleitet die Menschen zu den verrücktesten Sachen, macht sie sich verbiegen, hindert den natürlichen Fluss der Kreativität, der im Idealfall ungebremst ruhig dahin treibt. Vielleicht sind deshalb so wenige Menschen Künstlerinnen und Künstler? Weil sie nach Anerkennung streben. Weil sie es brauchen, gebauchpinselt und gehätschelt zu werden, weil sie deshalb bereit sind, den Weg des Lobes zu gehen, sei es auch noch so dahin geheuchelt. Ich leide wohl unter Paranoia. Nicht anders ist zu erklären, dass ich bei einem Lob oft misstrauisch werde und mich frage, was will dieser Mensch wohl von mir. Auch das ist nicht der richtige Weg. Am besten wäre, man würde gar nicht reagieren müssen auf Kritik und Lob. Es wäre einem egal. Nur so kommen unschuldige Kunstwerke zu Stande, jungfräuliche Satzfetzen, Passagen und ganze Bücher.

Ist das ein Votum gegen die Rezipienz? Tatsache ist, dass ich nicht hier säße und diese Zeilen schreiben würde, wenn ich mich nicht über eine Kette aus unrezipierten, kaum beachteten Taten bis hier her geschafft hätte.

„Ums Meer“ wäre in dieser Form nie entstanden, wenn ich nicht 1995 zusammen mit Freund QQlka bis fast zum Nordkap geradelt wäre und alle zehn Kilometer konsequent ein Foto der bereisten Strecke gemacht hätte. Die Texte an dieser Stelle wären ohne zuvor den Jakobsweg live bloggend bereist zu haben auch nicht entstanden. Ich musste üben. Mein ganzes Leben besteht aus Üben. Somit ist auch dieses vorliegende, live geschriebene Buch nur eine Übung für das nächste. Zugegeben ziemlich gut, was die Zahl der Lesenden betrifft. (Höre ich da ein bisschen Stolz auf die Anerkennung?)

Ich erinnere mich noch gut an das Bündel Maßnahmen, die ich nach Jakobsweg 2.0 im Gepäck hatte, um die Struktur eines live gebloggten Berichts zu verbessern. Es ist nämlich gar nicht so einfach, täglich an das Geschriebene vom Vortag anzuknöpfen. Das Bloggen, welches am ehesten mit dem Tagebuchschreiben vergleichbar ist, hat es nämlich so an sich, dass der Schreibende stets das, was ihn im Moment des Schreibens am meisten beschäftigt, zum Thema seiner Aufsätze macht. Das kann mitunter ganz schöne Sprünge im Fließtext verursachen. Kaskaden der Befindlichkeit.

Auf meinen Reisen habe ich stets auch Gedanken im Gepäck, was kann ich bei der nächsten Reise besser machen, was hat sich bewährt, was muss unbedingt so bleiben wie es ist? Manchmal denke ich, ich sollte es besser bleiben lassen – dann, wenn die Bluthunde der Anerkennung in mir bellen und an den Gittern de Zwingers hochspringen. Es wäre ein Fehler nicht weiter zu machen. Ist genau wie beim Reisen: wenn Du nicht mehr weiter machen willst, weil es regnet und die Welt gemein zu dir ist, erlebst du auch den nächsten Sonnenschein nicht.

Mit „Ums Meer“, welches nun schon seit 111 Tagen live an dieser Stelle erscheint bin ich sehr zufrieden. Es hat mir einige Erkenntnisse gebracht und viele neue Freundschaften. Ich habe gelernt, dass die virtuelle Welt real werden kann, indem ich Verknüpfungen, die nur als Mails oder als Kommentare bestanden haben, in die „echte“ Welt habe kommen lassen – ich habe Hanne aka Dina kennen gelernt, Klausbernd, Kommentator Stefan in Itzehoe besucht und zahlreiche Bekanntschaften geschlossen, die nur dadurch zustande kamen, dass ich an dem Projekt gearbeitet habe. Beim Schreiben habe ich darauf geachtet, möglichst von morgens bis abends des jeweiligen Vortags zu berichten, so dass sich für die Lesenden, so hoffe ich, von Blogeintrag zu Blogeintrag ein konsequenter Fluss ergeben hat.

Hab mich voll und ganz auf die unschätzbar wertvolle Arbeit von SoSo in der Homebase verlassen können. Die Implementierung des Homebase-Systems war unheimlich wichtig für mein Vorankommen. Was das Schreiben selbst betrifft, so ist in „Ums Meer“ die Vielschichtigkeit mit teils fiktiven Ebenen als Novum zu nennen. Sicher gewagt, in einem Buch, das man nicht planen kann, fikive Elemete einzubauen und sie nach den Tagesgeschehnissen einzugliedern. Aber insbesondere die Clowngeschichten haben doch viel Freude bereitet.

Für die nächste Livereise möchte ich die Finanzierung verbessern und einhergehend damit auch die Anbindung an die Presse. Sonstens? Lasse ich mich einfach weiter treiben im mal ruhigen, mal turbulenten Strom des eigenen gelebten Lebens.

Bis hierher durchgehalten, liebeR BloglesendeR? Dies ist ein roher Text. Ich habe drei Tage darüber nachgedacht, bin durch niederländische Alleen geradelt, an Deichen entlang, zig alte Windmühlen habe ich gesehen und immer wieder überlegt, wie ich einen Text schreiben könnte, der da heißt Stinkfüße in den Kinderschuhen der Liveliteratur. Das ist nun daraus geworden. Ich überlasse es der Homebase, ob der rohe Artikel als Privateintrag gespeichert wird, oder ob er offen ins Blog kommt.

(Die Homebase kanns nicht lassen und hat dem rohen Text ein paar Tippfehler geklaut und postet ihn jetzt!)

6 Antworten auf „Liveschreiben # 11 – Stinkfüße in den Kinderschuhen der Liveblogliteratur“

  1. wie Recht du wieder einmal hast! Denn, wenn die Kunst unter dem Diktat von Anerkennung und Lob entsteht, dann ist sie flugs keine Kunst mehr. Wieviel Konzept sein muss, muss jede und jeder der Kunstschaffenden selbst entscheiden. Manchmal sind gerade die Texte und Bilder, die aus dem Moment heraus entstehen die besten.
    Recht hast du auch, dass die Clwongeschichten Freude gemacht haben und vielleicht noch wieder werden.
    Nein… ermahne ich mich jetzt, es ist noch „etwas“ zu früh für ein abschließendes Resümee, das mir allerdings tatsächlich schon im Kopf ist… vertagt!

    wünsche dir noch einen guten Endspurt und grü+ße dich herzlich aus dem heute stürmischen schwarzen Walde

  2. Sind die Ums-Meer-Fotos, aus diesem Blog welche die Kunststraße flankieren, irgendwie getagged oder sonst wie in einem Zusammenhang zu sehen?

    Es gab 2, die ich gern kaufen würde, es war ein Hundefoto und eines, an das ich mich gerade versuche zu erinnern. Also ich würde gern mehr haben, aber es waren zwei, mit denen es mir ernstenst ist.

    Den Hundebild-Link hab ich gespeichert und werde ihn finden, für das andere demnächst nochmal den Blog durchblättern.

    Und dann bitte ich um Reservation!

  3. Er gefällt mir, dein Text. Daumen hoch!
    Schreiben und isg. Kunst zu machen, ist heute weitgehend Kommunikation. Klar, es steht am Schluss beim Buch ein Autor auf dem Cover, aber eigentlich ist es ja Teamwork. Du hast uns hier als Beta-Leser, Unterhaltungen unterwegs, dein Liebste als eine Art Lektorin. Meine Erfahrung ist, je offener ich für Kritik und Lob bin, mich davon beeinflussen lasse, um so besser wird das Produkt.
    Für mich, sorry, gehört zum „Kunstmachen“ auch die Refexion des Marketing, die am besten, wie du ja auch schreibst, schon vor dem eigentlichen Beginn eines Projektes stattfinden sollte.
    Liebe Grüße vom sonnig warmen Meer heute
    von Siri und Selma und Klausbernd
    angenehmes Radeln!

    1. Klausbernd, perverser Weise sollte man ins Marketing sogar die meiste Energie investieren. Das wird beim nächsten Projekt auch so kommen. Muss nur auch mir selbst treu bleiben. Langsam und bedächtig schieben sich unsere Lebenswege voran.
      Deine Salonidee sehe ich übrigens in deinem Blog bestens umgesetzt. Hut ab vor der intensiven Kommentarkultur ( was das Rackern der Kommentatorinnen hier keineswegs schmälert – vielmehr liegt es an mit, dass ich hier nur sporadische Kommentarstrangpflege betreibe).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert