Rien d’autre qu‘ un Dixcylometrist

Including the Liveschreiben Nummer 9-Claim – how to implant direct speech when there is no one to talk to

Sandstrand von Esbjerg bis Skagen, lese ich in dem Radreiseführer, den mir Ko geliehen hat. Wie lange ist das jetzt her, dass ich ihn traf? Drei Wochen? Wir begegneten uns vor einer Kirche in Norwegen, aßen Bananen und Brot, tauschten unsere Geschichten aus – er durchwühlte sämtliche Packtaschen auf der Suche nach den Karten, kritzelte seine Adresse auf die Norwegenkarte, die nun seit bald zwei Wochen in meiner Packtasche liegt. Fahrradpacktaschen können wahre Schwarze Löcher sein. Rucksäcke ebenso, weiß ich von meiner Wanderung auf dem Jakobsweg im Winter 2010. Ich erinnere mich, dass ich einmal mein iPhone gesucht habe, ich glaube in einem Dorf namens Sansol, wo ich den Rucksack ausleerte, alle Taschen durchwühlte, es nicht fand, alles Gepäck auf einer Sitzbank vor der Kirche liegenließ, meinen Zick-Zack-Weg durchs Dorf zurückverfolgte, bis zu dem Punkt, von dem ich wusste, dass ich dort das letzte Foto gemacht hatte, alle Leute unterwegs fragte, ob sie ein Handy gefunden hätten, den alten Mann mit dem Fahrrad, den Kerl im Verkaufswagen für Räucheraal, der auf dem leeren Platz vor der Kirche parkte, eine alte Frau, misstrauisch einen Hund beäugte: Du hast es gefressen, Hasso, nicht? Ein Schockmoment. Immer wieder die Taschen der einfamilienhausteuren Regenjacke abtastend, durchwühlend, traurig, verängstigt zurück zum explosionszeichnungshaft dargestellten Rucksack. Zu guter Letzt fand ich das iPhone im rechten Ärmel meiner Jacke, nachdem ich sie in einem letzten Verzweiflungsakt ausgezogen hatte, um sie besser durchwühlen zu können.

Nein, ich habe mein iPhone nicht verloren. Es ist nur … mir fällt gerade kein Einstieg ein für den Blogbeitrag, und so lasse ich die Gedanken einfach treiben, hacke darauf los … dies ist schon der dritte Anlauf. Mit der Notizbuchfunktion auf dem iPhone und der Bluetoothtastatur ist es ein Leichtes, Textfragmente zu notieren. Zuerst habe ich versucht, eine Geschichte über den selfinflating, den selbstaufblasenden Butler James zu schreiben, wollte aber nicht allzu comikesk rüber kommen. „Die Sache ist Dir wohl nicht gut genug, Herr Irgendlink? Häm? Zu viel Witz am Morgen bringt Kummer und Sorgen.“ – „Warum?“ – „Weil mit dem Höhepunkt für gewöhnlich der Abstieg beginnt.“

Postliterarische Depression nennt das der Fachmann. „Hey, Mann, damit bist Du doch schon mitten in dem längst überfälligen Artikel Liveschreiben 9 – wie schreibe ich direkte Rede, wenn ich alleine unterwegs bin und niemanden finde, mit dem ich reden kann? Gell, Mister Superschreiber, großmeisterlich wolltest Du denen da draußen Ratschläge geben, wie sie direkte Rede basteln können, ohne groß Leute damit zu belästigen, auch etwas in ‚echt‘ zu sagen.“ – „Baah, verrate doch nicht immer alles, Du da, wer bist Du überhaupt, was mischst Du Dich ein in meinen Blogartikel, komm schon, komm schon, zeig Dich, steh mir nicht in der Sonne, blockiere mir nicht den direkten Weg zu den Wellen, lärme hier nicht rum, lass mich in dieser Freiluftschule in Fjaltring sitzen an dem feinen Picknicktisch, und meine Texte reinhacken.“ – „Ohne mich hättest Du doch gar nichts zu schreiben. Wer ich bin, fragst Du? Ich bin die Wellen, erinnerst Du Dich, Ratschlag geben wolltest Du, dass man, wenn man keinen Gesprächspartner hat, einsam draußen auf Tour, sich einfach einen imaginären Gesprächspartner zurechtbastelt, dem man so eine Art Selbstgespräch andichtet. Erzähle mit den Wellen, dem Gras, den Kühen, lege ihnen Worte in den Mund …“ – „Stopp! Stopp, Stopp! Das ist doch schon viel zu lang. Die direkte Rede lebt von Kürze.“ – „Rekrutiere restriktive Rekruten wolltest du schulmeistern und in einem Nebensatz wolltest Du die Alliteration erklären ohne eigentlich zu wissen, wovon Du überhaupt sprichst.“ – „Geh mir aus der Sonne. Ich will die Wellen sehen.“ – „Guter Einwand, weißt Du was ich mit dem letzten gemacht habe, der zu mir gesagt hat, geh mir aus der Sonne …“

Und so weiter und so fort. Immer der Küste folgend führt der Nordseeradweg in Dänemark, oft über unbefestigte Wege, Schotterstücke, Sandstücke, nur für acht Kilometer geht es bei Agger schnurgeradeaus auf einer Hauptstraße, die aber nur stoßweise stärker befahren ist, immer dann, wenn die Fähre von Thyborøn eine Ladung Autos, Mororräder, Wohnmobile ausspuckt. Ray und ich verpassen die Fähre nur knapp, müssen eine Stunde am Anleger warten, wo es nichts gibt, außer Wiese, Wasser, Beton, Himmel … ein dänischer Motorradler vertreibt sich, wie ich, die Wartezeit mit Fotografieren. Ganz schön schwer, das ‚Nichts‘ fotografisch zu bannen. Ein Haufen Seile und Netze liegt bereit für ‚Yet another knotti-Bildcollage“. Ray ist begeistert von der Kunststraßenidee und wir fabulieren, zwar noch unscharf, an einer neuen Sache, wobei ich für ihn die Homebase bin und er mit dem Radel quer durch Kanada fotografiert, reist, erlebt. „I could be your apprentice“, sagt er. „Apprentice?“ – „Lehrling.“ – „Ach jaaa, wie von apprendre, französisch für Lernen“. So reden wir, umspült von Himmel, Wind und Sand und kurbeln im schnellen Takt vorbei an kleinen Dörfern, Harbooer, stranden, verirren und finden zurück auf den Weg. Unterwegs entsteht noch das Wort „Dixcyclometrist“ als elegante Bezeichnung für den Zehn-Kilometer-Straßenfotografen.

Der angepeilte Lagerplatz, ein Shelter bei Fjaltring, der direkt am Meer liegt, entpuppt sich als riesiger Kiesparkplatz mit dahinter liegender Wiese. Ein Wohnhaus querab, fünf sechs Wohnmobile parken vor Sonnenuntergang und in den Shelterhütten hat es sich eine Gruppe Kinder bequem gemacht. Autos fahren vor, und die Menschen darin starren hinaus auf die See, wo im Nordwesten die Sonne sinkt.

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Übersetzungen:
Rien d’autre qu‘ un Dixcylometrist = nichts anderes als ein Dixcylometrist

Including the Liveschreiben Nummer 9-Claim – how to implant direct speech when there is no one to talk to =
einschließlich des Liveschreiben Nummer 9-Abschnitts – wie baue ich direkte Rede ein, wenn da niemand zum sprechen ist

(sanft redigiert, übersetzt und gepostet von Sofasophia)

4 Antworten auf „Rien d’autre qu‘ un Dixcylometrist“

  1. Na, lieber Irgendlink, dass mit der erlebten Rede gelingt dir doch schon ganz gut. Da sind wir wieder bei James Joyce, der sie meisterhaft witzig, und bei Proust, der sie so verführerisch dekadent angewandt hat. Anyway, stell` dir deinen Text als „stream consciousness“ vor, noch gewürzt mit einigen kühnen Assoziationen (um Stakko-Rhythmus und Spannungsbögen zu erzeugen) – und, sorry, lass bloß diese Anführungszeichen weg – dann, nehme ich an, wird`s so, wie du es haben möchtest, da bin ich mir sicher.
    Gutes Wetter, feines Radeln wünscht
    Klausbernd :-)

  2. Da nehme ich mir das alte Ausdruckblatt von 2009 zur Hand. Jaja, „ein einziges gutes Wort kann ein ganzes Kapitel auslösen“. Irgendlinks „Tipps fürs Bloggen“- das ist mir ein Heiliges, ich starre darauf wie die Menschen in den Fahruntersätzen in den Sonnenuntergang….
    Gleich hänge ich die Wäsche in den rheinhessischen Wind- und geistere im Geiste über nordische Campingplätze…..
    Gruß von Sonja

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