Eine Putzhilfe putzt nicht, um zu putzen. Ein Softwareingenieur installiert keine Software, um Software zu installieren. Hausmakler verkaufen keine Häuser, um Häuser zu verkaufen und Fischer fangen keine Fische, weil sie Fische fangen wollen. Alle tun das, was sie tun, weil sie damit das nötige Geld verdienen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Nicht jeder hat Spaß an dem, was er tut. \“Prostitution\“, klingt es mir noch in den Ohren. Das hat der Jazzer Ian gesagt, den ich am Pfingstmontag nähe Kvinesdal getroffen hatte. Ihr Lebtag verbringen viele Menschen damit, ihren Körper und auch ihren Geist in die Dienste anderer zu stellen.
Meine Arbeit als Tacker kommt mir in den Sinn. Ich hatte Spaß daran. Ich habe Möbel gebaut, um des Möbel bauens willen. Auch die Organisation eines Kleinkunstfestivals im Amt ohne Wiederkehr hat mir Freude bereitet. Ich habe das Festival organisiert, um des Festivalorganisieren Willen. Über Kunst brauchen wir gar nicht zu reden und über das Schreiben und über das Livereisen. Das, was für viele wie ein langer Urlaub scheint, ist harte, disziplinierte Arbeit, die das Endprodukt \“Live geschriebenes Buch im Web – auf irgendlink.de verfolgbar\“ hervorbringt. Natürlich mache ich es um der Sache Willen. Und natürlich mache ich nicht alles, was ich tue nur um der Sache willen. Der nützliche Nebeneffekt Geldverdienen hat sowohl beim Möbeltackern, als auch beim Kleinkunstfestivalorganisieren eine tragende Rolle gespielt. Mit der Kunststraße – alle zehn Kilometer ein Foto der Strecke, geogetagged lokalisierbar und nachvollziehbar – verhält es sich auch so. Die konstruiere ich nicht, um des Kunststraßenbauens Willen. Deshalb habe ich kürzlich von Scheitern geredet.
Wenn ich am Ende der Reise supplement zum vorliegenden Buch auch noch das Rohmaterial für eine Konzeptkunstausstellung in der Tasche haben will, muss ich möglichst genau dem Nordseeküstenradweg folgen und ihn auch zu Ende radeln. Nur wenn die Tour vollendet ist, kann ich mit dem Rohmaterial bei entsprechenden Stellen Vorschläge machen und mich um eine Finanzierung der Fotoinstallation kümmern. Wenn ich eine Expedition zum Südpol dokumentieren wollte und ausstellungsfähiges Material beischaffen würde, könnte ich nicht in Hans-Im Glück-Land oder wie die Archipel dort unten alle heißen, einfach sagen, sodele, ich fahre mit meinem Schlitten rüber zu dem markanten Berg dort und das ist dann mein Reiseziel. Daheim erzähle ich der Südpolinteressengemeinschaft, die brennend auf die Ausstellung wartet, dass der künstlerische Geist frei ist von jeglichem geografischen Schnickschnack und dass der Südpol sowieso nur aus dem Nordpolneid eifriger junger Abenteurer gemacht ist, die bei der Erstbegehung des nördlichsten Punkts der Erde zu spät dran waren.
Ha.
Erstmals bin ich mit Stechmücken konfrontiert beim Abbau des Lagers an der Hegrestad Bru. Ein heftiger Schiebeanstieg zum Frühstück. Nach einer halben Stunde bin ich in Mandal. Das Mobilfunknetz ist ausgefallen. Ob es am Fon liegt? Der Servicemann der Jazzkneipe, in der ich das Wifi nutze, sagt, sein Fon funktioniere noch. Sorge. Ich aktualisiere die Netzwerkeinstellungen übers Wifi, jage Bilder raus und Texte. Die manische Depression der mobilen Datenübertragung, wobei die manische Phase durch Verfügbarkeit von Strom und Netzwerk symbolisiert ist und die depressive Phase durch deren Mangel. Abgeschnitten von der Möglichkeit zu kommunizieren. Ich weiß, das ist weit hergeholt.
Mandal! Liebe Li Ssi, danke fürs Augenmerk. Mit Deiner Zehgeschichte und dem unfreiwilligen Fjordbad 1971, worüber Du kommentiert hast, sehe ich das feine Städtchen ganz anders. verbringe Stunden dort. Überhaupt ein Trödeltag, was der Kunststraße gut reinläuft, denn nachmittags und abends habe ich die Sonne im Rücken. Das vereinfacht das Fotografieren.
Schärenküste mit vielen Felseninseln. winzige Yachthäfen, Wochenendhäuschen, unauffällig besiedeltes Land. In einem Weiler namens Tregde frage ich einen Mann in seinem Vorgarten nach Wasser. Fülle die zwei Liter Flasche. Man weiß nie, ob man wild zelten muss. 16 Uhr. Direkt aus dem Berg, 60 Meter tief, komme das Wasser, sei ein bisschen kalkhaltig, aber gut, und ob ich Fisch möge. Arglos sage ich ja, folge dem Mann hinters Haus durch eine Laube hindurch bis zum Meer, wo er eine Reuse aus dem Wasser zieht, drei lebende Fische darin, die zappelnd nach Luft um ihr Leben ringen. Schon sage ich, die sind viel zu grfoß für mich, hat er schon einen in der Hand, bricht ihm mit einem Messer das Genick, schlitzt ihn auf, nimmt ihn aus, schneidet den Kopf ab, wirft mit einer Rückhand, die John Mc Enroe gut angestanden hätte, Innereien und Kopf ins Meer, filetiert, verpackt. Da!
Der Mann ist zweiundsechszig, war sein Lebtag Fischer, nun ist er pensioniert und fängt die Fische um des Fischefangens Willen und um abends etwas zu essen zu haben. Mit Pfeffer und Salz und ein bisschen Butter soll ich das Tier zubereiten.
Später treffe ich vor der uralten Kirche Harkmark auf Ko (abgekürzt für Jacobus) aus Eindhoven, seit sieben Wochen und dreitausend Kilometern auf dem Nordseeradweg. Er hat echte Karten mit eingezeichnetem Radweg für das Stück Kristiansand bis Schweden und für Dänemark, die er mir mit einigen Tipps überlässt. Ich könne sie ihm nach Gebrauch zurücksenden. Das Suchen der abgeradelten Karten gerät zur kleinen Inventur an seinem Fahrrad. Sämtliche Packtaschen räumt er aus, so dass es mir fast peinlich ist. Auf die Dänemarkkarte bin ich jedoch sehr scharf – ich erinnere mich, das Land 1992 auf dem Rückweg aus Island auf Hauptstraßen durchquert zu haben, was die Reise etwas hektisch gestaltete. Ko ist 60, arbeitet für eine Laminatfirma, die allerdings zur Zeit keine Beschäftigung für ihn hat, weshalb er sich eine Auszeit gönnen kann. Bei vollem Lohnausgleich. Klasse. Ich erinnere mich an Chaeuk aus Korea, den ich auf dem Jakobsweg kennen gelernt hatte. In Korea kann man in der Mitte des Arbeitslebens eine bezahlte Auszeit nehmen. Und in der Schweiz gibt es glaube ich, zumindest im Bereich Pädagogik, ein ähnliches Modell. Kur ohne krank zu sein.
Ob Ko Fisch mag? Aber natürlich. So wandert eines der beiden Fischfilets, die noch vor Kurzem gezappelt haben, in seine Packtasche.
(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)
danke
Verstehe ich Dich jetzt etwas besser, Du Kunstlump? Deine Live-Leserinnen und -Leser, da fiebern sie mit, finden dies spannend, jenes toll, meinen hier den Kern oder dort eine tolle Aussage Deines Projekts zu sehen, finden Deine Fotos schön, beeindruckend, anregend. Loben Dich für den Kunststraßenweltrekord. Doch wer von uns sieht bei Deiner „Operation am offenen Herzen“, wo nicht nur Kunstgriffe gefragt, sondern die lebensrettenden Stiche zu machen ist? Was ist die „eigentliche“ Kunst?
Wer fragt nach, was aus der Kunststraße wird, wenn Du mäanderst, wenn sie früher aufhört als gedacht? Warum nur finden wir das alles immer noch toll, spannend, egal wie Du weitermachst?
Ich Kunstbanausin. Ich habe zwei Deiner Kunststraßen ausgestellt gesehen. Konzept und Ausführung haben mich überzeugt. Hier, bei diesem Projekt, sehe ich mir die Kunststraßencollagen an und denke dann: Ah gut, das hat er also nicht vergessen.
Ist das schlimm? Ich bin leider keine Kunstexpertin, Kunst-Talk kann ich nicht, und ich weiß, darum geht es Dir auch nicht. Dennoch, ein professional artist, ob Kunstprof oder etablierter Spinner, egal, der wirklich KRITISCH den Kunststraßenbau kommentieren würde, den sehe ich hier auch nicht.
Ja, Du Kunstlump Du, das ging anderen Pionieren auch so. Bleibt vielleicht aber nicht so.
Von mir Banausin nur meine Banausinnen-Gedanken dazu: Du machst Dein Ding, das ist wichtig. Du hast jedoch diese kommunikative Form der Durchführung Deines Projekts gewählt. Vielleicht liegt überhaupt in der Widersprüchlichkeit noch Potenzial: Du bist eben nicht (nur) der, der einfach stur alle 10 km in eine Richtung ein Foto macht. Was wäre, wenn doch? Was lenkt Dich ab? Ist es der Kunst zuträglicher, sich nicht ablenken zu lassen?
Was bist Du mehr: Fotograf, Konzeptkünstler, Kunststraßenbauer, Blogliterat, Velosoph, Entschleuniger? Wo liegt Deine Prorität? Oder ist das Thema, auf allen diesen Seilen zu tanzen, ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten, die Widersprüche zulassen, sie prononcieren gar?
Puh, ein langer Text von mir, sorry. Ich habe noch so Ideen/ Gedanken zur Präsentation der Kunststraße in diesem Blog. Kommen vielleicht die Tage. Jetzt Reisevorbereitungen treffen.
Beste Wünsche, gutes Weiterbauen
wünscht
die ff
Wow, Frau FF (FFF).
Dein Kommentar ist äußerst gehaltvoll. Vielleicht sollte ich mich als Künstler in Einzelteile zerlegen und die Kunstfotos, die ich sammele ebenso und es Euch Lesenden und Kommentierenden zum neu zusammentüfteln geben?
Der Fokker Dreidecker der zeitgenössischen Kunst. :-)
Bin auf Deine Präsentationsideen gespannt.
im schamanismus wird ein mensch in krisen/umbruchzeiten/initiationsprozessen gleichsam in seine einzelteile zerlegt und wieder neu zusammengesetzt. das klingt jetzt, in dieser kürzestform grotesk, aber anders kann ich es grad nicht sagen.
dabei kann es darum gehen, neu anzufangen. daran musste ich bei euren beiden kommentaren eben denken.
manchmal kommt mir diese reise hier schon ein wenig wie eine heldenreise oder eine vision quest vor. :-)
was auch immer wird: du, irgendlink, bist der schöpfer deines konzeptes und du allein kannst letztlich sagen, wie das konzept umgesetzt sein soll.
perfektion gibt es nicht.
du machst dein ding, das zählt.
big hug, deine soso
EDIT: nach campbell: nach der reise ist der held ein „Herr der zwei Welten: Der Heros vereint Alltagsleben mit seinem neugefundenen Wissen, und lässt somit die Gesellschaft an seiner Entdeckung teilhaben.“ :-)
Hi, lieber Irgendlink, welchem Archetypen willst du denn folgen, dem des Helden oder dem des Tricksters (um mit Campbell oder Jung zu reden)? Psst … ganz unter uns, ich finde zusammen mit Masterchen den des Tricksters viiiel spannender!
Der Trickster ist der Autor, der so reif ist, dass er eine gute Geschichte nicht durch die Wahrheit verdirbt. Als Rezipienten deines Blogs ist es Masterchen und mir völlig schnurzpiepe, ob du dir deinen Po von einem Ort zum anderen wund radelst oder nicht, wir erfreuen uns an den unterhaltsamen Texten. Ehrlich gesagt, ob du nun am Nordseestrand entlang radelst oder ob das alles virtuell oder Fiktion ist – I don`t mind, solange es mich anmutig unterhält und ich etwas lerne und in eine andere Welt transportiert werde. Masterchen meint eben – sorry, der ist gerade sehr, sehr beschäftigt, deswegen schreibt er nicht selbst – „Der Realitätsbezug ist doch kein Kriterium in der Kunst!“ Für die Kunst ist es doch nicht wichtig, ob du diese „German Sea“, wie die Engländer früher sagten, wirklich umradelst hast, sondern wie (sic!) du eine Umradelung der Nordsee darstellst.
Dennoch haben wir Buchfeen Siri und Selma, Masterchen und Dina Hochachtung vor deiner sportlichen Leistung, aber Sport und Kunst sind zweierlei, insn`t it?!
Liebe Grüße aus Cley, feines Radeln
Selma Buchfee
Liebe Buchfeen, Ihr bringt mich immer wieder auf neue Spuren und Ideen, liefert wichtige Infos und Ansetzpunkte, von denen mein standard Gebildetes Hirn noch nie gehört hat.
Liebe Kommentierenden ALLE, ich danke Euch für das „Rückkoppeln“. Das, was Ihr sagt, fließt in einer Art Strudel wieder mit ein in die Hauptebene des Blogs.
Hallo, nun schreibt Siri Buchfee :-)
Also diese Reise des Helden nach Campbells Auffassung ist eine innere Reise – keine äußere! Aber die äußere Reise wurde seit Menschen Gedenken als Metapher für unsere Individuation gesehen – es ist doch völlig egal, da geb ich meiner Schwester Selma recht – ob der Odysseus wirklich bei Circe, Nausikaa und wo nicht alles war. Die Orte symbolisieren Gefühls- und Bewusstseinszustände und beziehen sich nicht auf geographische Realitäten.
Und ich bin mir sicher, der Codex Irgendlincus wird in 250 Jahren nicht touristisch, sondern symbolisch rezipiert werden.
Das meint Selma Buchfee aus dem sonnigen Cley next the sea
Codex Irgendlincus, das entführe ich jetzt, ganz sanft, huuuusch, bitte nicht weitersagen…