Verdammt nah dran, den Flieger zu besteigen. Der Feind, der dich zersetzt, kommt von innen. Bei strahlendem Sonnenschein haben QQlka und ich auch 1995, nur 212 km vom Nordkap entfernt, unsere sechswöchige Radelreise beendet. In Alta sind wir in den Flieger gestiegen und landeten zwei Stunden später in Oslo. Die erste Kunststraße der Welt, die eigentlich von Mainz zum Nordkap führen sollte, endete jäh. Zuvor hatten wir einige Tage zermürbenden lappländischen Regen und Nachtfrost. Kautokeino-Matt. Es war nicht das Wetter, das uns umkehren machte, es war der völlige Zusammenbruch der Sinnkette, die einjeder Mensch sich selbst konstruieren muss, um weiter zu machen mit dem, was ihn beschäftigt im Leben, woran er sein Herzblut gibt. Im Grunde kann man das mit Hotelruinen an der Costa Blanca vergleichen, die auf den Träumen einzelner kleiner Menschen gewachsen sind und es bis ins Rohbaustadium geschafft haben. Da aber der Sinn – im Fall Hotel an der Costa Blanca der Geldstrom – versickert, bleiben oft nur Skelette von unseren einst fetten Träumen.
Die Kunststraße ums Meer, erkläre ich den Menschen, die sich dafür interessieren, ist ein Skelett, an dem sich Geschichten und schöne bunte Bilder ranken. Das war schon 1995 so. Die 360 Schwarz-Weiß-Straßenaufnahmen des Kapschnitt zeigen die bereiste Strecke in 10 km-Abschnitten. Stets der Straße nach fotografiert vom rechten Rand aus in Richtung Reiseziel. Es war unerheblich, ob es bei den 10 km-Bildern schön war oder nicht, ob es regnete, oder das Licht frontal in die Linse strahlte, ob 100 Meter zuvor das wahnsinnspittoreske Motiv war, oder querab die ultimative Landschaft lugte. Das Kunststraßendogma besagt, dass die Srecke Ausschlag gibt, wo fotografiert wird, und nicht das eigene Empfinden. Natürlich mache ich supplement noch die schönen, touristischen bis künstlerisch hoch veredelten Bilder.
Stavanger Camping gefällt mir nicht. Der Platz liegt direkt neben der E39, Garantie für Straßenlärm bis 12 Uhr abends und ab 5 Uhr morgens. Zudem scheint sich ein Kanaldecke gelöst zu haben, der immer dann klingt, wenn er von einem Auto überrollt wird. So muss es sein, wenn in deiner Bude ständig die Türklingel surrt. Der Platzwart ist kalt freundlich. Ich werde das Gefühl „Geschäftsmann“ nicht los, selbst wenn er traurig mit seinem Hund in den Morgen spaziert. Geld heißt das Diktat. Ein Fletcher in „fair“? Das Wifi kostet 30 Kronen, sodass ich die Münzen lieber meinem Telefonhai in den Rachen werfe und ein neues Datenpaket buche für eine Woche schnelles Mobilfunknetz.
Aus Stavanger raus merke ich mir die Orte „Sola Hinna Madla Kennelgarten“, murmele dies mantrisch im Straßenverkehr, wobei von Norden kommend zuerst Madla zu durchqueren ist, dann an Hinna vorbei bis zum Flughafen bei Sola. Schließlich liegt weit draußen Kleppe, das ich kurzerhand in Kennelgarten umtaufe, eine seltsame kalte Bahnstation südlich von Kaiserslautern. Ha. ich habe meinen Spaß trotz Baustellen und Radwegverirrungen. Erst etwa 20 km südlich Stavanger wird die Nordseeroute wieder zu einer Art befahrbarem Radweg. Die Beschilderung hängt richtig. Die Strecke führt teilweise direkt am Strand entlang über ungeteerte Feldwege, durch Viehgatter, vorbei an glücklichen Kühen. Zwei alte Damen schenken mir Schokolade. Wir reden deutsch. Die eine war in einer Schwesternschaft in Darmstadt zu Gast. Lange ist das her, ein Schüleraustausch. Sie dutzt mich, weil das in der norwegischen Sprache so üblich ist. Also dutze ich zurück. Herrlich.
Kurz vor Nærbø führt der Radweg über eine kleine Hängebrücke, die nach meiner Erinnerung auch auf der NSCR-Seite in den Bildgalerien zu finden ist. Schaukelndes Kleinod und nach zweihundert Metern mündet der Pfad in einen Gutshof, an dem ich beinahe vorbei geradelt wäre. Das Gamle Prestegard, das alte Priestergut, ist eine Kunstgalerie, wie man sie sonst nur in einer Großstadt vermutet. Vier Künstlerinnen und Künstler zeigen Skulpturen, Fotos und Objekte, Rauminstallation und ein poetisches Video. Die 55 Kornen Eintritt lohnen sich.
Insgeheim träume ich von einer riesigen Kunststraßenausstellung auf dem Gelände des Prestegard, in dem ich die Idee, sämtliche 600 Straßenfotos auf Stelen zu montieren und in einer der Nordseestreckenführung nachempfundenen Schleife orientiert, nachbauen könnte. Zukunftsmusik. Aber. Ich bin nun etwas zuversichtlicher, was eine mögliche Komplettausstellung dieses, meines digitalen Kunstprojekts angeht. Theoretisch, und mit 50.000 € im Seckel sogar praktisch, ist es möglich.
Auf dem Weg zum alten Leuchtturm, ganz in der Nähe des Prestegard, der von einer britischen Künstlerin namens Lucy (McLauchlan) 2011 im Rahmen des Stavanger Street & Urban Art Festivals bemalt wurde, komme ich ins Schwärmen und sehe meine 600 Stelen und die vielen bunten Bilder, die es in Bruchstücken in diesem Blog zu sehen gibt, rund ums Prestegard verteilt in den Dünen. Ein Kunstspaziergang. Lucy, deren Nachname schon verblasst ist, hat den Leuchtturm in ein wunderbares Gesamtkunstwerk verwandelt, das allerdings nicht unumstritten ist. Manche Anwohner hätten für derart kühne Experimente keinen Sinn, sagt die Kunsthistorikerin an der Rezeption des Museums. Da aber der Leuchtturm sowieso alle paar Jahre neu getüncht werden müsse, wegen des alle Farbe leckenden Wetters, werde er in Kürze wohl wieder weiß sein. Offenbar kann man als Künstler in dem Turm residieren. Hmmm …
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Über Küstenwege, ungeteert meist, weiter, vorbei an Varhaug, Nur selten läuft der Radweg direkt neben der Straße 44, die stark befahren ist. In Vigrestadt kaufe ich Lebensmittel und fülle an der Tankstelle meine Wasserflaschen. Laut Karte folgt bis Egersund keine größere Siedlung mehr und die Gegend mit den vielen kleinen Seen sieht verlockend aus zum Wildzelten.
Hinter dem Golfplatz von Ogna zweigt die Nordseeroute links ab und führt über den Vestlandske Hovedvei bis nach Heigrestad. Gut 6 km ungeteerte, alte Strecke, über die schon seit Jahrhunderten Kutschen, Pferde, später sogar knatternde erste Autos fuhren. Happige Steigungen. Von der Gärtnerei bei der Holland-Brücke, darf man sich nicht abschrecken lassen. Die Gatter quer über den Weg dienen dazu, das Vieh abzuhalten. Ich muss schieben. Abwärts sehr vorsichtig rollen, da der Schotter feinkörnig ist und die Reifen ausbrechen. Mitten auf der Strecke finde ich einen kleinen Platz, an dem das Zelt stehen kann. Im Gegensatz zur letzten Nacht in Stavanger ein exorbitanter Kontrast: Vöglein statt LKW, drei Mountainbiker passieren mich. Sonst nichts. Erstaunlich, dass das Telefonnetz funktioniert.
(sanft redigiert, mit Links bestückt und gepostet von Sofasophia)
wunderbar, der leuchtturm und deine ideen… nun müssen nur noch die 50.000 her, oderr? zwinkert und lacht dich an Li Ssi