Flesland – Bergen – Flesland

Im Sumburgh Hotel fängt plötzlich das iPhone an zu zicken: auf dem Bildschirm taucht der Lautstärkeregler auf und der Tastaturspracheneinsteller. Dadurch lässt sich das Ding nicht mehr bedienen. Die Lautstärke steht auf Maximum, lässt sich nicht mehr regeln. Ein Bug?

Ich habe aus fünf Packtaschen zwei gemacht, den Inhalt der beiden Fronttaschen mitsamt den Taschen in die Hecktaschen verpackt und die Gepäckträgerrolle mit Zelt und Schlafsack vollgestopft. Die Hecktaschen werden mit den dafür vorgesehenen Gurten zusammengeschnürt.

Nach dem dritten Neustart merke ich, dass die Bluetoothverbindung auf dem iPhone noch eingestellt ist. Somit ist die externe Tastatur für den Bug verantwortlich, die in den Tiefen der Packtaschen wie von Geisterhand bedient wird. Puuh.

Am Flugplatz läuft es besser, als erwartet: die zwei Gepäckstücke lässt man mir als eins durchgehen. Auch dass sie 20,9 Kilo wiegen, ist kein Problem. Den Pedalschlüssel, den mir der Radhändler in Kirkwall geschenkt hat, mache ich kaputt, indem ich in die falsche Richtung zu drehen versuche. Selbst in Insiderkreisen ist es oft schwer, zu wissen, in welche Richtung die Pedale fest oder lose gedreht werden müssen. Das eine Pedal hat Links-, das andere Rechtsgewinde. Der Radhändler in Kirkwall war sich auch nicht sicher, welches die richtige Richtung ist.nDas Sicherheitspersonal am Flugplatz Sumburgh hält zwei 15er Schlüssel bereit. Puuh, Glück im Unglück.

Sonniger Flug bis kurz vor der Landung. Bergen liegt unter Wolken. Ehrlich gesagt, wäre ich enttäuscht gewesen, wenn die Stadt, der man nachsagt, sie sei die regenreichste Europas, mich bei strahlender Sonne empfangen hätte. Ein Alibiregen geht nieder, der es nicht erfordert, dass man die Regenkleider anzieht. Warm ist es.

An einer Tankstelle etwa 1 km vor dem Flugplatz fülle ich die Reifen, aus denen sie mir die Luft gelassen hatten. 6 Bar. Erste Verständigungsprobleme. Man spricht nicht unbedingt Englisch. Es muss lustig gewirkt haben, wie ich mit Handbewegungen und Pusten der Tankstellenbediensteten versuche klar zu machen, dass ich das Reifenluftdruckaufpumgerät suche. Wie bitteschön heißt Reifenluftdruckaufpumpgerät auf Norwegisch?

Samstagsbunte Supermärkte. Ich verbiete meinem Hirn, Preise umzurechnen. Im Milchregal erneute Sprachprobleme: wie sieht die Vollmilch aus? Wie heißt sie. Hel? lett? Andere Ausdrücke stehen darauf. Fettgehalt ohne Brille nicht zu erkennen. Eine Flasche mit einem großen Q darauf suggeriert mir, dass es sich um Kuhmilch handelt. Logisch. Auch ist 3,9% aufgedruckt. Die nehme ich.

Brennspiritus kann ich keinen finden, gibt es wahrscheinlich auch nicht im Supermarkt. meine Reste hatte ich vor dem Flug weggeschüttet. Man will ja nicht den Flieger abfackeln.

Vom Flugplatz Flesland radele ich nach Norden, nach Bergen, will versuchen dort einen Zeltplatz zu finden, mir die Stadt anschauen. Neben der Straße super Radwege. Viel Verkehr. Dichte Besiedelung. Schon aus der Luft war eine wunderbar zerklüftete Spielzeugeisenbahnlandschaft erkennbar. Eine Frau mit Hund erklärt mir den Radweg, der entlang eines Fjords über Fjosanger bis zum Danmarksplats führt. Von dort sei es nur ein Katzensprung bis ins „Sentrum“. Ich soll immer am Fjord entlang fahren, er muss zu meiner Rechten sein. Durchgängiger Radweg, auch wenn ich keine Schilder finde, die mir sagen, dass ich richtig bin, lande ich gegen 17:30 in Bergen. Samstag. Die Läden schließen. Im Gegensatz zu England und Schottland, habe ich mir sagen lassen, gibt es in Norwegen noch den Sonntag, an dem alles geschlossen bleibt. Deshalb muss ich unbedingt Brennspiritus und eine Karte kaufen.

Herrjeh, wie sehr solch profan schein-elementare Bedürfnisse doch das Erleben beeinträchtigen. Nachdem ich gegen 18 Uhr eine Straßenkarte erstanden habe, die mir in Kombination mit den GPS-Tracks auf dem iPhone einen Überblick geben kann, schalte ich in den Langsammodus. Speicherstadt, französische Touristen, Kampf um menschenleere Holzgassen zwecks Foto. Ich halte mich fotografisch bedeckt. Bin auch nicht in der Laune, zu fotografieren. Und wenn man nicht in der Laune ist, werden die Bilder schlecht. Eine dunkelhaarige Frau verfolgt mich durch das kleine, hölzerne Labyrinth von Bryggen. Selbst die Gehwege sind hier aus Holz. Zwischen den aneinander gebauten, farbig bemalten Holzhäusern sind enge Gassen, Treppen, Ballustraden, Souvenirsshops, Restaurants und Cafés.

Bergen gefällt. In einem Park vor dem Bahnhof spricht mich ein seltsamer Kerl an, der eine signalgelbe Weste trägt und mit einer Zange offenbar Müll aus den Beet klaubt. Er ist USAner, lebt seit dreißig Jahren hier, gibt mir Tipps für Tagesausflüge, woher ich komme, wohin ich will, er reise auch, er könne verstehen, wie sich das anfühlt. Ich muss die Begegnung so rasant aufschreiben, weil sie rasant war, er drückt mir eine kleine Isomatte in die Hand, die habe jemand auf der Parkbank vergessen, und sieh nur, wie schön die Welt blüht.

In der Tat quietscht helles Grün neben zartem Rosa, sind das Pfirsische, Mandeln, Kirschen, sonstwas, egal, es sieht schön aus. Mein Freund rückt die Zweiliter-Wasserflasche, die ich unter dem Expander auf dem Gepäckträger habe, zurecht, 40 km nördlich von Bergen lebe er, das sei die schönste Stadt der Welt, und in Stavanger müsse ich unbedingt auf diesen Tafelberg hoch, ob ich den kenne, der sei weltberühmt, und in mir kriechen Bilder, die ich einst gesehen habe, bei einem Norwegen-Diavortrag, von einer Felsplatte ohne jegliche Absperrung, die waghalsig senkrecht überhängend in den Fjord stürzt. Ist es das? Der Mann fuchtelt mit seiner Klammer, was für ein seltsamer Mensch, greift in seine Jackentasche, reicht mir eine Dose Ginger Beer, das sei aus Jamaika, Ingwerr, bitzele auf der Zunge, es sei köstlich, da, nimm es, er wisse, wie sich das anfühlt auf Reisen, und ich verstehe: er weiß es tatsächlich, wie sich das anfühlt, alleine in einer fremden Stadt unterwegs zu sein, nämlich genau so, wie ich mich jetzt fühle, einsam, verblühend, nur wenige Momente vor sich habend bis zum nächsten imaginären Winter.

Die Lebenszyklen sind schnell und dramatisch unterwegs. Und so verlasse ich Bergen wieder, denn niemand kann mir einen Campinplatz empfehlen. Der nächste sei eine Meile südlich, in Midttun, und ich benötige eine Stunde, um dahin zu kommen, was mich darauf schließen lässt, dass die norwegische Meile viel länger ist, als die Englische.

Über den Radweg Nummer 1, der mit der Nordseerunde synchron läuft, verlasse ich Bergen Richtung Süden. Es hat keinen Sinn, sich zum Tourismusbüro zu quälen und auf Teufel komm raus dies und das Must-have-seen zu beäugen. Als radreisender Europenner, musst du dich einfach treiben lassen, willenlos im Strom der Reise.

Midttun entpuppt sich als eine Art Motel mit angegliedertem Parkplatz für Wohnmobile und Wohnwagen in einem unauffälligen Gewerbegebiet. kein Ort, an dem ich bleiben möchte.

Und so radele ich weiter auf dem gut beschilderten Radweg, der im groben entlang der E39 Richtung Stavanger verläuft, aber sich in großen Teilen anfühlt, wie ein Bahnstreckenradweg, hey, verflixt, das ist er wahrscheinlich auch. Kein Mensch würde eine Schneiße durch harten Fels schlagen, wie auf dem Kilometerfoto 3030 zu erkennen ist. Moderate Steigung obendrein.

Etwa 15 Kilometer südlich von Bergen, wieder auf Höhe vom Flugplatz Flesland, werde ich mit einem Lagerplatz auf einer riesigen Wiese fündig. Zudem abseits der Hauptstraße, so dass für eine ruhige Nacht garantiert ist.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)

14 Antworten auf „Flesland – Bergen – Flesland“

  1. Warum hat eine dunkelhaarige Frau Dich verfolgt?
    Sicher hast Du das nicht weiter verfolgt.
    Lebenszyklen laufen dort herum?
    Mein Onkel liegt vor Bergen irgendwo in der Nordsee, tief unten. Wurde mitsamt seinem Schiff von engl. U-Boot getroffen und nie hochgeholt. Er war 22 Jahre alt, wie seine zahlreichen Mitsoldaten.
    Vielleicht war die dunkelhaarige Frau eine solche Seele….ach, Quatsch.
    Kann aber sein, er hat dort mind. ein Kind gemacht, er liebte dort ein Mädchen.
    Soll nicht nur dunkelhaarige da geben.
    Nun folge ich Dir mal weiter durch zersiedelten Landschaften- wo man doch immer meint, in Norwegen wäre viel, viel Einsamkeit….?
    Gruß von Sonja

  2. Wahrscheinlich hast du das Brennspiritus-Problem schon gelöst. Weil aber keiner dir so richtig helfen konnte, versuche ich es jetzt auch mal. Mein Bing Translator sagt “Methylated ånder“. Ausgesprochen wird Methylated wie es geschrieben wird und ånder wie woney. Ich wünsche dir schöne Tage in Norwegen und hoffentlich endlich mal Radlerwetter – nicht zu heiß, nicht zu kalt, kein Wind.

    1. Ihr Lieben, Danke für die vielen hilfreichen Tipps. Wenn das so weiter geht spreche ich in wenigen Tagen perfekt norwegisch. Dann werde ich mich Hut Knamsun nennen und einen langen Roman schreiben mit dem Titel Hysterien :-), ich Schalk im Nacken der Literatur, ich.

    2. Stefan, machst Du bitte noch die Steigungen weg :-)
      Emil, und Du bist sicher, dass das nicht wie bei Monty Python übersetzt wird mit „Würden Sie mir bitte zärtlich den Popo streicheln“? :-)

  3. Quietschendes Grün neben zartem Rosa, geschenktes Bier und Isomatte, iPhone Problem gelöst, klingt doch wunderbar. Ich bin zuversichtlich, dass du das Brennspiritusproblem auch gelöst bekommst.

    Liebe Grüße, Szintilla

    1. Szintilla, irgendwie hat es ja geklappt mit dem rußigen Ersatz. Dafür hab ich schwarze Finger und ich weiß nicht, was mit meinem Gesicht ist.

  4. Super, Mister Knamsun, ihren Roman „Hysterien“ werde ich sogleich lesen und rezensieren, Menry Hillers Knamsun-Kult folgend. Ich hoffe, Sie sind kein hungriger Künstler, aber bald werden Sie sicher Victoria treffen. Oder war das diese dark Lady, die als blinder Passagier Ihnen von England folgte?
    Auf jeden Fall genießen Sie den Segen der Erde, besser doch als der Regen der Erde – oder? Und werden Sie zum Schwärmer, dann winkt am Ende der hehre Preis. Aber, aber Ihre Verehrung des verkrachten österreichischen Kunstmalers haben Sie doch hoffentlich aufgegeben.
    Mit vorzüglicher Hochachtung
    FiriSee

  5. Ach Jürgen, ich habe einfach aus dem Link (Gockle Translatur) geguttenbergt.

    Falls der Tankwart das große Latinum hat, darfst Du auch so auf Dein Problem hinweisen: «Ego non methylated spiritus, Methylated Vocatus, Vocatus à bruler – sciunt mille verba acerbitatis, cogitatione protervi liquido cum mea caminus est operati.»

    Da steht nichts von popostreicheln …

  6. Nicht, dass man dich noch für einen Schornsteinfeger auf der Walz hält. Die walzen glaube ich aber nicht. *g*
    Allerdings sollen sie ja Glück bringen. *mbg*

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