Urknall

8. Mai 3.999.997.988 * vor Christus, 0:15 Uhr, ein Dienstag.

Gerade mal einen Viertelstunde ist es her, dass es „boumm“ gemacht hat und aus Nichts Alles wurde. Es ist verdammt heiß. Das Universum ist so groß wie ein Taubenei. Im Lauf der nächsten vier Milliarden Jahre wird es sich aufblähen zu einem gigantischen Etwas, das so groß ist, dass selbst das Licht Jahrmillionen benötigt, um von einem Ende zum anderen Ende zu gelangen.

Am 8. Mai 2012 nach Christus wird einmal ein Mann, der sich Irgendlink nennt, im Norden eines noch zu entstehenden Landes namens Schottland auf einem noch zu entstehenden Planeten namens Erde einen Spaziergang machen. Er wird die kleine Stadt Newtonmore verlassen über einen Feldweg, stets bergauf einem Hinweisschild folgend, dessen Inschrift er schon kurz, nachdem er es gelesen hat, vergessen haben wird. Zwei Mal wird er einen kleinen Bach auf wackeligen Brücken überqueren und einige Gatter, vorbei an Zäunen und einem Kiefernwäldchen wird er in eine Himmelrichtung namens Nordosten laufen. Wolken, weiter Blick über die Ebene, in flachen Bergtälern hängen Regenschauer. Irgendlink wird eine Weile neben einem alten Schaf stehen bleiben, das im Schlamm liegt und sich nicht bewegt. „Es atmet, also lebt es“, wird er denken, „warum steht es nicht auf?“ Weiter durch die einsame Gegend zu einem See namens Loch Gynack. Der ruhige Schritt seiner Füße wird sein Hirn in Aktivität setzen, eine weiche, graue Masse, bestehend aus miteinander vernetzten Zellen, die in der Lage sind, Informationen zu speichern, zu verarbeiten und die dazu dienen, den Körper, auf dessen Spitze sie in einer Kalkschale liegen, zu steuern, am Leben zu erhalten. Das „menschliche Gehirn“, wird man es taufen und es wird lange Zeit gepriesen werden als ein Wunder der Natur.

Beim Durchqueren einer sehr schlammigen Passage kurz vor dem Loch Gynack, wird Irgendlinks Gehirn folgendes denken:

„Der Berg dort vorne, wie er wohl heißt? Nördlich davon sollte der kleine Loch liegen, von dem mir mein Mitbewohner Robin im Newtonmore Hostel erzählt hat. Ein Spaziergang von vier bis fünf Stunden sei das, nicht allzu schwer. ich habe mir die Karte, die er mir zeigte, eingeprägt. Hinter mir Newtonmore, rechts von mir die Landstraße ein paar Kilometer entfernt, vor mir Kingussie. Kann mich eigentlich nicht verirren, es sei denn, es wird neblig. Verrückt. Eigentlich besteht alles, was mich umgibt, aus einer Handvoll verschiedener Atome, gut 100 verschiedene winzige Teilchen, die in mannigfaltiger Kombination zu Steinen werden, zu Bergen, zu Luft, zu Stacheldraht, Mensch, Schaf, hochdichter Regenjacke, zu Atem und Schweiß. Dass es dem Haufen Atome, aus denen ich selbst bestehe, überhaupt gelingt, sich als Einheit zu betrachten, als Mensch? Was ist mit dem Schaf, das gut hundert Meter zuvor noch immer zwischen den Hecken im Schlamm liegt? Ahnt es, dass es ein Schaf ist, weiß es wie die Luft zusammengesetzt ist? Ungefähr 20 % Sauerstoff, 70 % Stickstoff, Rest Edelgase, Kohlendioxid, Schmutz? Oder der herzförmige Stein da vorne, hat er ein Gewissen? Alle paarhundert Meter sind Pfosten in die Weide gerammt, an denen Pfeile die Richtung weisen. Guter Weg. Irgendwie ist es anmaßend von uns Menschen, uns derart hoch zu bewerten, dass wir uns als die Krone der Schöpfung bezeichnen. Pah, Schöpfung. Das würde ja bedeuten, dass es Gott gibt und er das alles hier geschaffen hat. Die Urknalltheorie sagt da etwas ganz anderes. Vier Milliarden Jahre alt sei die Erde, sei das gesamte Universum und es sei einmal ganz klein gewesen und dehne sich ständig aus. Aus dem Nichts sei es entstanden. Wissenschaftler können den genauen Hergang der ersten Minuten nach dem Urknall berechnen, ich glaube sogar, dass sie das, was sie berechnen können, auch beweisen können. Bis auf den Bruchteil einer Sekunde haben sie sich zum Beginn von „dem allem“ heran gerechnet.“

Irgendlink wird eine ausladende Handbewegung machen und sein Blick schweift über das weite Land, die Berge, die kahle Tristesse, das Wunder.
„Bis auf den Bruchteil einer Nanaosekunde wissen wir Menschen alles über unsere Herkunft, aber den Anfang, den konnte bisher noch niemand berechnen. Unerklärlich, dass aus Nichts solch eine Vielfalt hervor geht. Vier Milliarden Jahre! Wie lange existierten die Dinosaurier? Paarhundert Millionen? Wie lange gibt es Menschen? Höchstens einen Fingerschnipp so lang im Vergleich zu den Dinos. Wir werden aussterben. Nichts von dem, was wir tun und was wir als wichtig erachten, hat eine Bedeutung. Was sind schon 5000 Jahre Zivilisation im Vergleich zu der Zeit, die das Universum schon existiert? Nicht sooo viel!“

Irgendlink wird erneut mit dem Finger schnippen und sich überlegen, das soeben Gedachte aufzuschreiben. „Ob all das vorhergesehen ist?“ Er wird bis zum Loch Gynack laufen und beim Anblick der kleinen Insel mit dem Bäumchen darauf wird er entzückt sein. Zwei Frauen mit Hunden werden ihm begegnen und sie werden einander grüßen und weiter gehen. Eine halbe Stunde später, als ob das bei einer Zeitspanne von vier Milliarden Jahren eine Rolle spielt, wird Irgendlink auf den 456 m hohen Craig Bheag steigen, einmal rund schauen, ein paar Fotos machen, sich sagen, „so jetzt weißt du auch, wie die braunen Berge oben aussehen. Ist wie wenn man auf ein Ei steigen würde, ein riesiges überdimensionales Ei, bei dem schwer auszumachen ist, ob man den höchsten Punkt schon erreicht hat.“

Im Anblick der Bergkette am Horizont, die schneebedeckt ist, wird Irgendlink immer wieder überlegen, wie er einen Blogbericht mit dem Datum von vor vier Milliarden Jahren beginnen könnte, in dem er über die Entstehung von all dem um ihn herum philosophiert. Zum Beispiel über den vermoderten Holzzaun und das Birkenwäldchen und es wird ihm eine weitere Frau begegnen mit einem Hund, der ein orangefarbenes Fell hat mit weißen Flecken und stahlblaue Augen. Verbellen wird ihn dieser Hund.

Längst wird Irgendlink müde, hungrig und durstig sein und erfüllt von den Schönheiten der Wanderung wird er erneut am sterbenden Schaf vorbei laufen, das noch immer atmet. Längst wird er ganze Passagen fabulieren und sich überlegen, ob er das arme Tier in die Geschichte einbaut. Einen hinkenden Schäfer wird er einige hundert Meter weiter informieren über das Tier und der Mann wird ihn mit kehliger Stimme, kaum verständlich, um den Ort fragen, an dem das Tier liegt, herrjeh, vielleicht rettet Irgendlink dem Tier somit das Leben? Für den Bruchteil einer Nanosekunde, in der genausogut die Entstehung eines Universums verschleiert werden könnte, wird sich unsere Bloglegende fragen, ob es wohl möglich wäre, dass alles, was geschieht genau vorberechnet ist, und dass vor vier Milliarden Jahren eigentlich schon klar war, dass die Welt so kommen müsste, wie sie jetzt gerade ist, und dass eine imaginäre Figur schon damals hätte wissen können, dass er diese Geschichte schreiben wird.

Hey verflixt, ich kann es kaum erwarten, bis es endlich so weit ist!

Wer ich bin?

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*In Worten: drei Milliarden neunhundertneunundneunzig Millionen neunhundertsiebenundneunzigtausend neunhundertachtundachtzig.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)

3 Antworten auf „Urknall“

  1. Hi, du Lieber, wusstest du, dass das iro-schottische Christentum im Gegensatz zum römisch-katholischen die Vorstellung der Bibel, sich die Erde untertan zu machen, ablehnte? In der keltischen Tradition war es undenkbar, sich zur Krone der Schöpfung aufzuschwingen, das Ideal war vielmehr, im Einklang mit der Natur zu leben, übrigens eine Idee, auf der sich auch Findhorn gründete.
    Na, dann fröhliches Radeln. Bei mir in Norfolk ist das Wetter wieder fein, nachdem wir seit 75 Jahren den regenreichsten April hatten. Well, da geht`s dir, wie so manchen großen Explorer: Shackleton hatte bei seiner geplanten Antarktis-Durchquerung den kältesten Winter seit vielen, vielen Jahren und ein wenig ironisch könnte ich sagen, deswegen wurde er zum Helden. Also, lieber Irgendlink, da hast du große Chancen.
    Liebe Grüße aus dem kleinen Dorf am Meer
    Klausbernd und die Buchfeen, die gleich zu Dina nach Norwegen fliegen :-)

    1. Hey, Ihr Lieben, dann guten Flug und bitte nehmt eine Umarmung mit für Dina.
      Kelten, Findhorn. Gefällt mir.
      Euer Shackeldlink

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