Ein langer Weg beginnt mit einem gehörigen Kater
anfang (Bild, Link entfernt 2016-11-26) – karte – galerie (km 14,21)
Noch ein Blick zurück. Dann kurbelte ich den kurzen Anstieg bis zum höchsten Punkt über Zweibrücken, das einsame Gehöft immer kleiner werdend, um sodann hinuterzubraußen in die Stadt. Vorbei am Birnbaum, zarte Frühlingsblüten, vorbei an der Fachhochschule, kreuz und quer durchs Kleinstadtgewirre. Es ging hart an. Mein Schädel pulste. Unweigerlich den gestrigen Abend revue passieren lassend. S. hatte lasziv mit ihrem neuen Lover auf dem Tisch getanzt. Was zunächst amüsant wirkte, endete in einer halsbrecherischen Katastrophe. Beim Sturz fasste sie mich am Kragen und riss mich vom Barhocker. Im tiefen Fall ist einem der Nächste gerade gut genug. Sie kam mit ein paar Schrammen davon, der Lover lief blutend ins Klo, ich rappelte mich auf und ging.
Unter diesen Umständen und mit diesen letzten Erinnerungen schien es mir beinahe eine logische Konsquenz, dass ich das alles für eine Weile hinter mir lasse. Es würde sonst immer und immer und immer so weitergehen. Wie hirnlose Hamster wetzen wir im Laufrad.
Das gute Gefühl, endlich unterwegs zu sein, dimmte meine Nervosität. Die, beinahe mantrischen Umdrehungen der Pedale taten ihr übriges. Alle 10 Kilometer stoppte ich, klappte die Fronttasche auf, kramte den Fotoapparat heraus und schoss ein Bild in Richtung Gibraltar. Schließlich war ich nicht nur zum Spaß aufgebrochen, sondern ich wollte diese Reise künstlerisch dokumentieren. In mein Notizbuch hatte ich Spalten gemalt und somit eine Art Tabelle erzeugt, in die ich Kilometer und Bildnummer notierte, sowie Besonderheiten.
Wenn ich nun, Jahre später, das Notizbuch aufschlage, finde ich auf den 88,58 Reisekilometern des ersten Tages so atemberaubende Notizen wie: „es beginnt zu nieseln“ (km 29,7) oder: „La Petite Pierre: Regen lässt nach“ (km 60,99), sowie viele geografische Notizen. An welcher Kreuzung wurde welches Bild aufgenommen? Wo ist eine Brücke über den Bach? Ich glaube, im Laufe der Rekonstruktion dieser Reise, wird mir das noch sehr von Nützen sein.
Die Bewohner von Bergen haben es, im Gegensatz zu den Bewohnern der Täler mit dem Starten ziemlich leicht: der Weg fliegt ihnen entgegen, auch wenn sie verkatert sind. Ruckzuck überquerte ich die französische Grenze auf einer knapp 5 Meter breiten, geteerten Straße, bewegte mich, so lange es ging, im Tal des Schwalbachs, welcher in Lothringen entspringt und in dem Klosterstädchen Hornbach in den gleichnamigen Hornbach mündet. Eine gutmütige Gegend, die dem Langstreckenradler nicht allzu viel abverlangt. In einem Dorf namens Enchenberg kam der erste steile Anstieg. Kleinster Gang. Mein Schweiß roch übel. Eine Folge der durchzechten Nacht. Aber das ist gut. Ich werde es hinter mir lassen. „Daran kannst auch du, winziger, unbedeutender Hügel, der du dich mir in den Weg stellst nichts ändern.“ Im Gegensatz zu anderen Reisen, bei denen ich mitunter schon am ersten Tag aufgegeben hatte, hatte ich bei dieser ein gutes Gefühl. Es gab nichts, was mich zurückblicken ließ. Ich durchquerte La Petite Pierre, ein Touristendörfchen, das seinem Nemen getreu hoch oben auf einem kleinen Felsen liegt. Pittoresk. Viele Restaurants. Sonntagstrubel. Kleine Kirche. Fahrende Händler, die, gerade als ich eintraf, ihre Souvenirs zusammen packten. Hinüber nach Phalsbourg und von dort war es nur noch ein Katzensprung bis zum Canal de La Marne au Rhin, dem Rhein Marne Kanal. Er ist touristisch voll erschlossen. Ein prima Radweg führt auf dem alten Treidelpfad Richtung Westen. Man kann diesem Kanal von Straßbourg bis Saverne folgen, eine wirklich empfehlenswerte Fahrradstrecke.
Ein Campingplatz kam in Sicht, gerade rechtzeitig, denn es dämmerte. Vom Radweg führte ein Pfad hinüber. Vor der Rezeption brannte Licht. Ich war erschöpft, hungrig und nass, also meldete ich mich für diese Nacht an.