„Menschen ohne Ziel werden immer für Menschen mit Ziel arbeiten,“ erklärte ich mittags Kollege T., „Hab‘ ich neulich im Netz gelesen. Und Menschen mit Ziel, aber ohne Mut – das ist jetzt von mir – werden immer für Menschen mit anderen Zielen aber mit Mut arbeiten.“
Dies ist die Bankrotterklärung der Lohntackerei. Dennoch verbrachten wir einen prima Tag. Der Owner hatte wieder einen Kasten Bier bereit gestellt und Kollge T. wunderte sich die ganze Zeit, warum ich an Tisch 2 arbeite und nicht wie üblich an Tisch 1. Irgendwann zog ich den Schutzbelag weg, der alles, was unter dem Tisch steht, verdeckt. Geblendet vom Glanz der Bierkiste verstand T. und so stritten wir uns schließlich, wer dem heiligen Kasten näher sein durfte, bis wir beide gemeinsam an Tisch 2 arbeiteten. Der mittlere Tisch.
In diesem Lohnerwerbsdilemma war reichlich Zeit, unsere Pilgerpläne neu zu definieren. Wenn alles glatt gelaufen wäre und die Firma nicht insolvent wäre, hätte T. ab Samstag Urlaub und wäre nach Santiago geradelt. Ich hätte das Ende Mai so gemacht und eitel Tackerschein wären wir glücklich gewesen.
Aber die Wirtschaftskrise bricht ja so Manchem das Genick und wälzt die Träume der Menschen gewaltig um. So dass endlich klar ist: nichts ist von Bestand und du sollst keine Pläne machen.
Wir ließen unseren Träumen freien Lauf.
„Als die Firma zusammengekracht ist,“ gestehe ich T., „habe ich mir überlegt, was wäre, wenn ich nächstes Jahr tot bin, dieses Jahr Zeit und Geld auf einem Fleck und keine Verpflichtung. Dann würde ich nach Tarifa radeln, ganz im Süden. Von dort nach Sevilla, weiter über die Via de la Plata bis nach Compostella.“ „Klingt gut,“ sagte T. „Das ist noch nicht alles,“ fügte ich hinzu, „Compostella ist ja gar nicht mein Ziel.“ „Sondern?“ „“Das Nordkap. In meinem Reiseleben bin ich bisher zweimal gescheitert, das Nordkap mit dem Rad zu erreichen und ungefähr fünf mal scheiterte ich daran, Gibraltar und Tarifa zu erreichen. Ich muss endlich abrechnen und alles in einem Abwasch machen. Wäre ne klasse Tour. Von Compostella zum nächsten Hafen, übersetzen nach England, hoch nach Schottland, rüber nach Bergen, das liegt in Norwegen und dann zum Nordkap.“
„Und was machst du am Nordkap?“
Ich zuckte die Schultern. „Selbstmord? Hab ja dann nix mehr zu tun.“
„Nuja, aufschreiben müsstest du das schon, oder?“
„Ja, okay, mach ich doch nebenbei. Weiß nur nicht, ob jemand meine Handschrift lesen kann.“
Der goldene T. denkt da viel realistischer. Ich glaube, wir sind grundlegend verschiedene Typen. Deshalb verstehen wir uns auch so gut und ergänzen uns prima. Sei es nur, dass er eine saubere Hose trägt und ein schmutziges Hemd und bei mir ist das Hemd sauber und die Hose dreckig (darüber, das man aus uns beiden einen machen sollte, habe ich hier berichtet). Aber was uns entscheidend ausmacht: Kollege T. ist die Koryphäe des Punkts und ich bin ein Spezialist der Linie. Eine durchweg bauesoterische Sache, auf die ich noch einmal zurück kommen werde. Wichtig ist: Kollege T. kann den Punkt und ich kann die Strecke.
„Wie wäre es damit,“ warf T. ein, „1. August geht’s los nach Süden und wir trödeln so lange, bis der alljährliche Hochpilgerstrom vorbei ist und kommen Ende September in Compostella an. Von dort radeln wir die Via de la Plata nach Sevilla, dann ist es nur noch ein Katzensprung bis zur Costa Blanka, wo wir Cousin J. und Cousine A. besuchen, uns festsetzen und überwintern.“
Lieber T. ich muss sagen, Deine Variante ist auf jeden Fall die realistischere. Aber was nutzt es dem Galerensträfling, von Freiheit zu träumen, wenn er zehntausend Kilometer weit schwimmen muss, um zu entkommen.