Zwei Weisheiten:
- „Wenn man Katzen in einen Aufzug setzt und einen Knopf drückt, so steigen sie in dem betreffenden Stockwerk aus und laufen davon“, weiß Katzenspezialist Journalist F. Er kennt sich auch mit der Psyche von Bühnenkünstlern bestens aus.
- „Paris Charles-de-Gaulle ist einer der größten Flughäfen Europas mit vielen Terminals, und noch mehr Stockwerken. Ein Labyrinth des modernen Luftverkehrs, aus dem es kein Entrinnen gibt, wenn man sich einmal verlaufen hat“, erklärte mir Tourmanager G.
Tourmanager G. ist ein alljährlich wieder kehrender Gast auf dem Jazzfest in der Nachbarstadt S. Meist betreut er amerikanische Jazz-Combos – die ganz harten Fälle; der nette Schwabe mit dem roten Gesicht ist in der Jazztournee-Organisations-Branche bekannt als eine Art Spezialagent, ein 007 unter den Tourbetreuern. Muss er auch sein. Dieses Mal scheint er aber mit der US-Combo S., welche nach dem Tod ihres gleichnamigen Gründers noch immer um die Welt tourt, an seine Grenzen gelangt zu sein. Im Kulturamt flatterten Wochen zuvor warnende Hinweise in den Mailpostkasten. Betreff: „S.-Orchester – sie klauen wie die Raben“, weshalb ich den Backstagebreich notdürftig in einen Hochsicherheitstrakt verwandelte, der vor ihnen auftretenden Gruppe einen eigenen Raum gab und ihnen einschärfte, nichts, aber auch absolut nichts, weder Kuli, noch Handy, noch Schlüssel, noch Geld auf den Tischen liegen zu lassen, sowie die Garderobe immer fest zu verschließen.
Der Soundcheck S. verzögerte sich um gut eine Stunde. Katastrophal. So würde die Sch.-Band unweigerlich auch nach Einlass noch auf der Bühne üben. Bei Konzertabenden mit mehreren Gruppen gilt das LIFO-Prinzip, ein Begriff, den ich der Betriebswirtschaftslehre entliehen habe: Wer zuletzt soundcheckt, steht als erster auf der Bühne, Last in First out. Alleine dem genialen Tonteam ist zu verdanken, dass die Show pünktlich um Acht beginnen konnte.
Tourmanager G. sagte: „Das ist ein Kindergarten. So etwas habe ich noch nie erlebt. Du kannst denen sagen, was du willst, sie hören nicht hin. Gestern wollten sie in den Flieger nach München einsteigen.“ „Wahrscheinlich haben sie sich gemerkt, dass der Name der Stadt, in die sie fliegen, einen komischen Buchstaben mit zwei Punkten darauf enthält und haben es nur verwechselt.“ „Nein, die tun das, um mich zu quälen. Pass‘ nur auf, gib ihnen nichts, denn sie nehmen es als selbstverständlich hin. In Polen haben sie einen Instrumentenbauer um seinen Lohn geprellt.“ Da kam der Saxophonist herbei, er benötige einen Schraubenzieher. Schon zückte ich mein 60-Euro-Schweizermesser, da rief G. hinterher: „Das ist eine Falle! Er sabotiert sein Instrument absichtlich. Lass das Werkzeug nicht aus den Augen.“
Später erzählte er die Charles-de-Gaule Geschichte: „Paris, Flughafen. Der eine Teil der Band soll nach Philadelphia, der andere nach New York. Zwei Flüge, zwei Terminals und (zum Glück) massig Zeit. Aber denkste. Während ich die Phillys zum Terminal bringe, schleust meine Kollegin die New Yorker in einen Aufzug. Da nicht alle rein passen, bleibt sie mit dem Rest unten, drückt den Knopf. Und als sie mit der zweiten Fuhre oben ist, sind sie verschwunden. Laufen einfach weg ohne Ziel, ohne Idee, verschwunden im Chaos von Charles-de-Gaulle.“
Wie Katzen.
Somit grenzt es an ein Wunder, dass, bis auf ein Bandmitglied, die Show pünktlich um 21:30 beginnen konnte. Anfangs waren die Jungs ein bisschen chaotisch, fummelten an den Mikrofonen, verhedderten sich mit ihren Kostümen, riefen die Techniker noch während des ersten Stücks auf die Bühne, um etwas umzustöpseln. Als hätte es nie einen Soundcheck gegeben. Letztlich jedoch brilliante Show im Bereich Swing bis Freejazz.
Bitterböser Nachtrag: Einmal verließen Saxophonist und Trompeter die Bühne, auf Tuchfühlung im Zuschauerraum, während der Klarinettist einen Breakdance zeigte. „Pure Ablenkung“, raunte ich Journalist F. zu, der mittlerweile auch eingetroffen war, um sich die schillernden Vögel zu betrachten, „das sind Jazz-Trickdiebe, sie greifen sich jetzt Geldbeutel, Ohrringe und Eheringe“.
Was auch immer von all den Gerüchten stimmt, aus der Rolle des Beobachters, ausgestattet mit opulenter Hintergrundinformation, hat es viel Spaß gemacht.
Heute letzter Tag. Französisches Trio, viele Ehrengäste, Bodyguards, denn der Ministerpräsident beehrt uns.
ziemlich gute texte, hab ziemlich viel geschmunzelt.
erstaunliche und überraschende wendungen – das mag ich.
Sehr hübsch. Ein Text, wie ein gutes Jazz-Stück.
Wendungen sind immer gut und wenn sie überraschend sind – umso besser.