Die Isobaren des Tiefpreis

Der Kerl mit dem Designterrier hatte sich auf einer Stahlbank breit gemacht; wie ein Leuchtturm oder eine mächtige Schachfigur beherrschte das Hundchen den Raum. So dass mir nichts übrig blieb, als mich auf einen kalten Stein im Schatten mitten in einem schmutzigen Beet zu setzen, die Szene zu beobachten. Wie das Hundchen knurrend leinezerrend schachmatt einen viel größeren anderen Designhund im Zaum zu halten versuchte, der den Schwanz einkniff, während Frauchen alle Hände voll zu tun hatte, ihre übervollen Design-Einkaufstüten voller Markenware beisammen zu halten. Im Hintergrund eine Ansammlung von über 100 Geschäften mit den gängigsten weltweiten Kleidermarken.

Aus der Sicht des Europenners ist ein Designer Outlet Center die Ausgeburt allen Bösen. Ausgerechnet in Z. hat man vor einigen Jahren das größte seiner Art aus dem Boden gestampft, welches sich in Nah und Fern so großer Beliebtheit erfreut, dass der riesige Parkplatz zwischen Autobahn und den Markengeschäften fast immer voll belegt ist und die Leute sogar morgens mit dem Flieger aus Berlin kommen zum Einkaufen und abends wieder heim fliegen. Es wäre eine Studie wert, ob die Menschen, die in der Nähe von Designer Outlet Zentren leben signifikant besser gekleidet sind, als anderswo in der Welt.

Ich saß auf meinem Stein und dachte. Dass man sich den Luxus, hier einzukaufen eigentlich nur leisten kann, wenn man in Brot und Futter steht und dazu gehört zur wohlverdienenden Gesellschaft. Jeder, dachte ich weiter, möchte gerne dazu gehören, wenn er das sieht, Glanz, Schönheit, Markenmacht. Es ist wie früher in der Schule, ein unerträglicher Zustand, am Rand zu stehen und nicht in Cliquen organisiert zu sein, ein Außenseiter – klar herrscht in aller Schönheit und Geborgenheit auch gähnende Langeweile, aber das nimmt man für gerne in Kauf, Herdentrieb machts möglich? Egal: im Taumel des gegenseitigen sich übertreffen wollens und des besser aussehen wollens oder wenigstens genauso gut gekleidet sein wollens wie die Anderen, haben sich die Genugverdienenden hier zusammen gefunden, um sich mit bis zu 30 Prozent vergünstigter Markenware einzukleiden. Bringen ihre Designhunde, die zum Outfit gehören mit und ihre quengelnden Designkinder, ihre Designfrauen und -männer und natürlich ihre schicken chrompolierten Designautos.

Blick in einen der Läden, welcher zwei Eingänge hat im Abstand von 20 Metern. Ganz vorne locken Schnäppchenständer voller T-Shirts für nur 15 Euro. Ich gehe hinein, geradezu aufgesaugt vom Tiefdruckgebiet des Preises, fingere an den labbrigen 15-Euro-Hemdchen, Kotzfarbe, falsche Größe, schlecht genäht, widerlicher Schnitt, blicke mich um und mit einem Mal wird mir die Isobare des Niedrigpreises bewusst. Der Laden ist organisiert wie eine Wetterkarte, durchzogen von Linien gleichen Preises, die sich blasenförmig nach Hinten ausweiten. Nach der 15- Euro-Linie folgt die Zwanziger, die Dreißiger, die Fünfziger und die Hunderter. Frappierend.

Gib mir ein Immer zwischen zwei Jetzt

vs.

Das Jetzt ist eine Insel im Immer

Weiß nicht, ob mein  Plan so gut ist, die PlusPlus-Texte in ein korrigiertes Script zu verwandeln und sie den treuesten unter den treuen Leserinnen und Lesern zu Weihnachten zu schenken. Im Prinzip ist das erste Volume PlusPlus abgeschlossen, liegt verteilt auf dem Laptop in kruden Textdateien, und einige Teile sind als Fetzen im ledernen Notizbuch, auf Kritzelzetteln und in anderen Büchern, in die man etwas mit Stift hineinschreiben kann. Sowie fragmentarisch im Hirn. Handlung des Volume 1 der PlusPlus Texte ist die Lebensgeschichte ansich. Deine, Deine und Deine und meine und die Anderer – und dass jeder Mensch das Recht hat, seine Lebensgeschichte zu erzählen, dass es aber nicht jedem Menschen vergönnt ist, es zu tun. Sowie diverse Tricks, wie man es dennoch schaffen könnte, jemandem seine Lebensgeschichte zu erzählen. Indem man zum Beispiel ein Teil seines Lebens dem Postboten erzählt und einen anderen dem Pflegepersonal im Krankenhaus – wohl dem, der einen Psychiater hat, dem er alles erzählen kann.

Oder ein Blog, so wie Moschö Irgendlink. Hehe.

Baulärm dringt durch komprimierte Nebelluft. Mit schweren Dieselmaschinen verdichten schwitzende Arbeiter Boden am Rande der Stadt, was bis zu mir aufs einsame Gehöft dringt. Ich sitze auf der Südseite am wunderbaren Freiland-Tresen, den ich vor Jahren zusammen mit Freund QQlka gebaut habe. Kaffee und Vögleinzwitschern, sowie das schrille Krähen des Hahns, während langsam die Sonne den Dunst lichtet.

Der gute alte Abe Simpson (aus der Trickserie Die Simpsons), jene Szene vor dem Altenheim, als die Alten voller Elan durch die Tür laufen und Abe laut ruft : „Hurra, wir sind frei!“ mit seiner heiseren Altmännerstimme. Stille legt sich über die eben noch mit aller Kraft geladenen Alten, die Szene friert ein und einer sagt: „Und was sollen wir jetzt tun?“ Ein braunes Ahornblatt weht durchs Bild.

++Computer sagt nein, als Monsieur Irgendlink sich morgens einloggen will. Das Zeitkonto steht auf Null. Im Amt ohne Wiederkehr herrscht rege Aufruhr wegen dem Firmenduell. Um neun Uhr erfahre ich, dass es vorher aufgezeichnet wird und erst um 11 Uhr gesendet wird. Nur Schund bietet einem der örtliche Werberadiosender. Wenn die Kollegen im Amt ohne Wiederkehr auf Journalist F. und mich gehört hätten, hätten wir das Duell gewonnen. So aber haben die anderen, ein Autohaus aus der Landeshauptstadt das Sternebuffet für den Mittagstisch eingeheimst. Chef R. hat sich tatsächlich aus dem schweren Krankenstand ins Büro geschleppt. Diese Wundernase. Er ist es auch, der dem Computersystem entlockt, dass Monsieur Irgendlinks Vertrag schon gestern ausgelaufen war.

++Es folgte: Verabschiedung mit den Worten „ich komme wieder“ und Kollegin Miss Ellie umarmte mich sogar. Dannper Zug heim nach Z., Krankenkasse, Arbeitsamt und nun bin ich schon auf dem Sprung, Blogkollegin Sofasophia vom Bahnhof abzuholen.

Dass ich morgens aus einem chinesischen Mädchen mit Schuhgröße 36 und einem süßlich riechenden Bettler einen olfaktorischen Akkumulator der Spitzenklasse basteln wollte, sei einmal dahin gestellt. Die Zugfahrt zur Arbeit ist bisweilen bizarr. Auf dem Marktplatz im Städchen S. steht nun ein 3000 qm großes Zelt. Freitag in acht Tagen kann ich die drei Damen, die für Morgenunterhaltung sorgten während der Zugfahrt, dort treffen. „Ham wir Dich zugetextet,“ verabschiedeten sie mich, als ich ausstieg. Es verblüffte mich, wieviel man über seine Mitmenschen auf einer 20-minütigen Fahrt herausfinden kann.

++Wieder Erwarten Stille von Seiten der Personalabteilung im Amt ohne Wiederkehr. Typ im Sakko steht im Regen mit seinen Schönschuhchen. Chef R. rief an und sagte, es habe nichts zu bedeuten, wenn das Computersystem einem aus dem Dienst scheidenden Urlaubstage anzeige, das sei nur ein Strohhalm, an den man sich klammern könne. Neugierig fragte er nach dem Firmenduell, das Kollege N. angezettelt hat. Komisches Radiospiel im örtlichen Werbesender, bei dem zwei Firmen gegeneinander antreten und Fragen beantworten müssen. Die Gewinner kriegen ein Mittagessen spendiert. Ich glaube, Chef R. liebäugt, seine Krankheit zu unterbrechen, um mit dabei zu sein. Die Bewohner des Bundesländchens S. können ja morgen ab 9 Uhr gerne mal reinhören beim örtlichen Werbeschnickschnackradio – aber Herr Irgendlink wird sich hüten, etwas zu sagen, Herr Irgendlink macht die Wikirecherche im Hintergrund. So der Plan. Falls das Amt ohne Wiederkehr gewinnt, ist allerdings etwas ungünstig, denn um zwölf Uhr, wenn der Essensgewinn gebracht wird, arbeitet ja niemand mehr in den Rathäusern.

++Auf dem Rückweg am Bahnhof im Städchen S. Hartz IV Vollstreckerin B. begegnet, zu spät reagiert und sie hatte mich nicht gesehen und als ich sie rufen wollte, fiel mir auf, dass ich sie tatsächlich nur als „Hartz IV Vollstreckerin B.“ kenne. Verflixt. Ich weiß nicht mehr, als meine Blogleser. So kam ich mir reichlich doof vor, an den vielen Fahrgästen vorbei zu rufen: „Hartz IV Vollstreckerin B., lass uns ein bisschen über das Wetter schwätzen.“ Und ließ sie ziehen.

++Wie Vollmond schob sich die Sonnenscheibe hinter Wolken, eine seichte Wolkendecke hing in der oberen Sphäre und weiter unten gaukelten, wohl nur zur Dekoration, kleinere, dichtere Wolken, denen man mit einiger Phantasie diverse Tiernamen geben könnte.

++Zurück in Z. traf ich Frau B. auf der Straße. Ihr Mann ist vor drei Jahren gestorben und sie trägt immer noch schwarz. Sie fegte Laub, wir wechselten ein paar Worte und zum Abschied wünschte ich einen schönen Tag, worauf sie antwortete, „ich habe keine schönen Tage.“

++Annahme: Die Welt gerät für gewöhnlich aus purem Zufall aus dem Takt; selten steckt perfide Absicht dahinter, ein System zu stören. Wenn man bei den vier Zeilen Einkaufswagen vor dem Discounter einen heraus holt aus der kürzesten Schlange und ihn später wieder in die längste Schlange stellt, entsteht Unordnung und Chaos bricht aus, wenn Alle das so machen. Tun sie aber in der Regel nicht. So herrscht normalerweise ein ausgeglichenes Einkaufswagensystem, weil die Menschen unbewusst eine gewisse Ordnung einhalten. Ich hole grundsätzlich meinen Wagen aus der kürzesten Reihe, weil der am wenigsten abgegriffen ist. SchweinegrippeSchweinegrippeSchweinegrippe. Dabei ist mir sonnenklar, wenn in Deutschland ein Einkaufswagendepot aus dem Ruder läuft, kann das in China einen Taifun auslösen. Zu Recht gilt der Einkaufswagen als der Schmetterling der Konsumzivilisation.