Reinkarnation der Loungemöbel

Eine Art Alptraum letzte Woche. Vermutlich verursacht dadurch, dass ich mir am Tag zuvor vorgestellt habe, wie unsere Körper sich auflösen nach dem Tod, wie sie verbrannt werden und ihre Moleküle in die Luft geraten oder wie sie von Maden gefressen werden, die die Atome in ihren Körper einbauen. Der weitere Weg der Moleküle ist einfach: Huhn frisst Made, legt Ei, Mensch frisst Ei. Molekül ist im anderen Menschen. Materie wird durchgenudelt. Was wohl aus Goethe geworden ist, aus Jesus und aus Stalin? Gut möglich, dass der eine oder andere von uns zu einem gewissen Teil aus Molekülen besteht, die einst Kafkas Hirn oder Dickdarm waren. In meinem Alptraum zersetzte sich nicht nur Materie, sondern auch mein Denken und mein Fühlen in Einzelteile und lagerte sich in den Gedenken und Gefühlen anderer Menschen wieder ab. Ich glaube nicht an Reinkarnation. In meiner Welt existiert nichts vor der Geburt und es wird nichts mehr sein nach dem Tod. Nur noch Einzelteile, die zu Unverständlichem verkommen. Quasi glaube ich an die rein pragmatische Reinkarnation ohne jeglichen Schnörkel und Romantik: alles bleibt zwar erhalten, aber nicht so, wie es einmal war, es wird durchgerührt, gewalkt, zerschnitten, neu arrangiert. Vergiss lieber, dass Du mal Kleopatra warst, oder ein stolzer Minnesänger ohne Pferd. Wahrscheinlich warst Du es tatsächlich, also das eine Atom da in der Warze am linken Fuß. Vergisss die Eselsmilch und die Maid mit den langen Haaren, die Dir bewundernd aus einem Turm zugelächelt hat.

Am Tag nach dem Traum zerlegte ich einige reparaturbedürftige Loungemöbel. Sie hatten einst eine Identität, die mittels eindeutiger Nummer und Barcode auf der Unterseite festgeklebt war. Im Firmenserver führten sie ein streng dokumentiertes Dasein. Wann sie gebaut (geboren) wurden, wo sie schon überall hin gereist waren und was ihnen an den verschiedenen Orten an Blessuren beigebracht wurde. Jeder Loungemöbellebenslauf ist im Firmencomputer verzeichnet. Manche haben sogar Bekanntschaft mit dem Hintern der Bundeskanzlerin gemacht. Auf anderen wurden Verträge ausbaldowert und einige von ihnen könnten als Zeugen vor Gericht auftreten, wenn sie nur reden könnten.

Ein Loungemöbel besteht aus mehrerlei Holzteilen, Kunststoffteilen, Kunstleder, Schrauben und weiteren, geheimen Bestandteilen. Fein säuberlich zerlegte ich die Möbel und lagerte die Bestandteile. Der Vorgang wird im Computer akribisch dokumentiert. Vom Lager geht das Möbel zum Kunden; verschmutzt und manchmal auch beschädigt kehrt es in die Reinigungsabteilung zurück. Wenn es kaputt ist, kommt es in die Werkstatt. Wenn das Möbel zerlegt ist, existiert es für die Zeit, bis es wieder repariert ist im System weiter, aber physisch ist es nicht mehr zu erkennen. Wenn die Ersatzteile da sind, baue ich die Möbel wieder zusammen, aber nicht aus den genau gleichen Einzelteilen wie zuvor, sondern vermischt, durchwalkt, nie wieder wie zuvor. Das Molekül Goethe der Veranstaltungsbranche sozusagen.

Ein Schritt zu weit

Vielleicht war Facebook ein Schritt zu weit. Ich werde nicht warm mit der Plattform. Konzentriere mich, die wirklich fernen Leute zu finden, die Caminaten und Caminatinnen vom letzten Winter. Mein Profil ist Korea-lastig. Es ist eine Art Wachrüttelung: Irgendlink, Du solltest mehr kommunizieren, mailfaule Sau. Machwas :-)

Ich habe vermutlich mehr Mailschulden, als die Griechen Staatsschulden.

Der letzte Schritt

Ich hab’s getan. Ich bin einer von nur 14 Millionen Neuzugängen dieses Jahr. Daran ist die gestrige 12 Stundenschicht schuld. Die klopft einen ordentlich weich – und als nach getaner Arbeit die Bilder von unserer Stadtfestlounge zu Facebook hochgeladen wurden, war ich endlich neugierig und gebrochen genug, mich zu registrieren.
Was sofort auffällt bei der Registrierung, ist, dass das Portal äußerst besitzergreifend ist, fast so schlimm wie der Computerhersteller A., der am liebsten gleich alle Kreditkartenmummern einsammeln möchte bei einer Registrierung in seinem A.-Store. So will auch Facebook gerne alles wissen, erbittet Zugang zu meinem Maillonto. Ein Mähdrescher unter den Leutekennmaschinen. Geradezu unheimlich: schon vier Freundesanfragen warten auf mich. Und noch erschreckender ist die Liste von Leuten, die mir Facebook vorschlägt, die ich vielleicht kenne. Am allererschreckendsden: Ich kenne die meisten tatsächlich.

Was hab‘ ich getan!?

Wem dies gefällt, dem gefällt auch jenes

Das Ende der Selbstvermarkung war schon in Sicht, bevor die Webpropheten in eindringlichen Podcasts darüber aufklärten, dass die Ausbildung einer eigenen Marke im Internet für den modernen Menschen ein absolutes Muss ist. Behauptet Konzeptkünstler R. Bald wird es keine Namen mehr geben, keine Erfinderinnen und Erfinder von Irgendwas, keine Urheberschaften, Schöpferinnen und Schöpfer. Es wird nur noch informative Elemente geben, die miteinander in Bezug stehen. Ähnlich einer Verkettung von Worten zu Sätzen. Konzentriere dich nicht auf Vermarkung, halte besser deine informative Hütte sauber.

Prisen in der Datensuppe

Wieder einmal sitze ich vor der Facebook Anmeldeseite. Drei kleine Angaben und ich könnte dazu gehören. Zur wohl weltgrößten sozialen Gemeinschaft.Vielleicht trainiere ich für einen stillen Rekord: will derjenige werden, der am aller-aller-öftesten die Startseite aufgerufen hat, darüber sinniert hat, sich anzumelden und dann weiter geklickt hat?

Durch serendipitische Irrwege ein paar Webseiten zuvor folgenden Artikel entdeckt über die mögliche Zukunft des Internet. Ein Schriftstück von 2006. Das erinnert mich an eine frühe Diskussion mit Konzeptkünstler R., in der wir fabulierten, ob in nicht allzu ferner Zukunft sämtliche Streitereien um Marken, Urheberschaften und überhaupt allem Individuellen über Bord geworfen werden. Datenbanken übernehmen die Herrschaft über die zwischenmenschliche Information. Eine Art Datensuppe entsteht, ein Produkt aus tausenden von Bestandteilen und Gewürzen, an dem jeder nach Herzenslust sich laben darf und seinen eigenen Mix zusammenstellen kann. Originale werden zerkleinert und neu zusammen gesetzt. Der Urheber/ die Urheberin von Produkten, Ideen, Worten usw. tritt in den Hintergrund, verblasst – es wird in naher Zukunft kaum noch möglich sein, herauszufinden, wer wann was hervorgebracht hat in dieser Welt – mehr noch: es wird egal sein.

Beim Tomatengießen fällt es mir wie Schuppen von den Augen: der Tomate ist es egal, wer sie gießt. Sie will nur Wasser und ein bisschen Dünger. Das ist alles. Und genau so verhält es sich eigentlich mit Ideen. Ideen wären umso fruchtbarer, wenn man sie freigeben würde zur Weiterentwicklung, anstatt sie geheim zu halten, aus Angst, jemand anderes könnte mit DER zündenden Idee das Millionenvermögen verdienen, das man eigentlich gerne selbst damit verdienen würde.

Das Gespräch damals mit R. vor vielen Jahren, führte tief in die dunklen Irrgänge des Kapitals. Wir kamen zu dem Schluss, dass es unmöglich ist, sich aus dem allgemeinen Trend auszukoppeln und zu versuchen eine andere Welt zu leben. Wirtschaftlicher Selbstmord. Ziemlich deprimierend. Klar, dass unsere Namen irgendwann verloren sein würden. Die Dinge, an denen wir schaffen, würden dennoch existieren.