No Future, no Past, geschweige denn Past Perfect

Wie geht es eigentlich weiter mit dem Irgendlink-Blog? StammleserInnen dürften gemerkt haben, dass der müde, werte Herr in letzter Zeit nur noch selten bloggt, meist von unterwegs. „Ist der Alltag es dir nicht mehr wert, darüber zu schreiben?“ schimpfte mich kürzlich mein alter Freund, Konzeptkünstler R. „Trägst die Nase hoch, seit du den Camino gelaufen bist. Dabei solltest du gerade auf DEM Weg eine gewisse Demut verinnerlicht haben, die dich zu einer Art Alltagsbuddhist adelt, Gelassenheit dein zweiter Name, Ruhe im Blut und dieses sinnliche Lächeln der Glückseligkeit auf den Lippen, das den einst Rastlosen, der gefunden hat, was er sucht, zum Menschenfreund hat wachsen lassen.“

„Hä?“

„Ich will damit sagen, dein Hiersein gehört ebenso zu deinem Leben wie dein Unterwegssein.“

Wie lange bin ich jetzt schon wieder daheim? Ein halbes Jahr seit dem Camino Frances und eine Woche seit dem Pfälzer Jakobsweg. Ich erinnere mich, dass ich letzten Sonntag überlegt hatte, einen Umweg über die Arbeitsstelle zu machen und einen Zettel in den Briefkasten zu werfen: „Ich kündige. Sofort!!! Gezeichnet. Irgendlink“. Entgegen meiner Art hätte ich hinter ‚Sofort‘ gleich drei Ausrufezeichen gesetzt, als ob das das Wort um so ausrufenswerter machen würde. Eine läppische Stunde Umweg und ich wäre als freier Mann hinaus in die Welt, wäre dem Jakobsweg weiter gefolgt für die nächsten 2000 Kilometer. Nun, da ich diese Zeilen schreibe, könnte ich schon weit südlich von Metz sein.

Warum nicht? Nun, ich habe eine Entscheidung getroffen. Sicher hätte die kühne Kündigungsidee im Rahmen des Möglichen gelegen. Aber verdammt, ich mag den Tackerjob einfach. Mantrisches Loungemöbelbauen tagein tagaus ohne stressige Situationen hat einen echten Erholungswert. Das Problem liegt eigentlich darin, dass ich zwar gut und gerne ein zwei Jahre unterwegs sein könnte, ohne gänzlich auf der Straße zu landen, aber irgendwann wäre das Geld doch alle und ich müsste zurück genau dahin, wo ich einst gestartet bin.

So mein kleingeistiger Gedanke. Zum ewig reisenden Liveblogger fehlt mir der Mumm.

Gestern, Freitag, habe ich während eines 10-Stunden Arbeitstags die ganze Zeit an Schweden gedacht und wie die SoSo und ich das Land durchqueren und live darüber bloggen. Das wird dann die sechste Livereise werden. Eigentlich liegen nur noch vier fünf Wochen und 500 kleine Loungemöbel zwischen jetzt und Schweden. Das gute am Künstlerleben ist, dass wir Künstler immer in schönen Gegenden unterwegs sein können, weil wir genug Phantasie haben, uns aus der Alltagsmisere wegzudenken. Vielleicht ist das ein Grund, warum der Herr Irgendlink so selten schreibt in letzter Zeit? Die Gegenwärtigkeit hat eine unglaubliche Größe erreicht. Es gibt kaum Zeitempfinden mehr. Ich ruhe. Es müsste keine Vergangenheit geben und auch keine Zukunft. Ich muss mich zwingen, mir Zukunft und Vergangenheit vorzustellen dieser Tage. Ich hoffe, dieser seltsame Zustand führt nicht in die Demenz.