Und der Mittwoch, was ist mit dem Mittwoch?

Der Montag ist der Freitag der Herzen, sagt Kollege T. neulich montags.
Schwerkrank fahre ich ihn nach Hause. Schwerkrank er. Ich schlussfolgere, der Dienstag ist der Donnerstag der Herzen.
Der Mittwoch, was ist mit dem Mittwoch, fragt Kollege T. kurz bevor ich ihn zu Sterbebett bringe. Fieberwahn.
Der Mittwoch? Aaaach, mach dir um den keine Sorgen. Der Mittwoch ist irgend so ein Lullifulli-Tag. Wie ein Lied von R.E.M. oder wie diese Schönpuppen-Nachrichtenansagerinnen auf den privaten Sendern. Ein bürgerlicher Tag wie Mittelschicht, wohlgefällig.
Seit Montag habe ich nichts mehr von Kollege T. gehört.

Feinheiten

Morgens arbeite ich am Jakobswegbuch. Versuche es zumindest. Mehr als es noch einmal lesen gelingt mir nicht. Nach zwei Stunden habe ich ein paar Tippfehler eliminiert und mir in einer externen Datei ein paar Notizen gemacht. Die Guy-Geschichte in Najera steht auf der Notizdatei. Sonst eigentlich nichts. Ich bin ratlos, was das Buch angeht. Am Anfang des Liveberichts habe ich ein bisschen Hand angelegt.

Nachmittags stürze ich mich wieder in den Atelierausbau. Ein neuer Raum ist entstanden, der mir als winterwarmes Bilderlager dienen soll. Die Ausstellung vom September hat ein bisschen gelitten unter den starken Temperaturschwankungen der letzten Monate, ist doch der Ausstellungsraum völlig unisoliert. Und so schlug sich der Tau Ende Dezember gehörig auf den nicht verkauften Bildern nieder, ruinierte ein paar Rahmen. Immerhin weiß ich jetzt, dass die Bilder auch das verkraften. Mit dem Bau ist es ähnlich wie mit dem Buchschreiben: ich trete auf der Stelle, weil ich keinen Plan habe. Der obere Atelierbereich ist ein 500 qm großer Scheunenboden, in dem ich beliebig Wände bauen kann. Das ist das Problem. Diese unglaubliche Weite, die ich nur ungern zergliedere. So rätsele ich eine Stunde lang, wo ich diese eine kleine Wand hinsetze, die das Klo abtrennt vom Rest des Raums, komme mir dabei ähnlich verloren vor wie David, jener kautzige Heilige, der sechs Kilometer außerhalb von Astorga eine alte Scheune zu einem – ja was eigentlich – Meditationszentrum umbauen möchte. Er hat das Bild des fertigen Meditationszentrums schon längst im Kopf, aber es fehlen ihm die Mittel für den Umbau. Schwärmend erzählte er mir wie es einmal aussehen würde, malte mit Worten einen mit bruchsicherem Glas gedeckten Innenhof, einen dunklen kühlen Raum gleich hintendran für die Meditation und die von Mauern umgebene Lagerfeuerstelle, um die man Schamanentänze machen könnte. David zeigte mir sogar einen Plan, den er auf ein altes, graues Brett gemalt hatte. Was mich ganz schön enttäuschte. Auf dem Brett war nämlich nur ein Rechteck und ein paar Schnörkel zu sehen, sonst nichts. Ich stellte fest, dass das Leben ein einziges Wechselspiel aus Vorstellungen ist, die man in regelmäßigen Abständen mit der Realität abgleicht und dass es unsere Aufgabe ist, unsere Visionen so präzise wie möglich an unsere Umwelt zu vermitteln. David konnte gut Bilder malen mit Worten, zeichnerisch hat er versagt.

Wie ich so in der großen staubigen Scheune umherlaufe, und wenigstens schon einmal das Material beischleppe, das ich zu verbauen gedenke, wird mir klar, wie unbedeutend es ist, wo genau meine Trennwand steht. In einem Anflug von Leichtigkeit werfe ich einen Schraubenzieher. Da wo er liegen bleibt, soll die Wand sein. Ist doch egal, ob der Raum 2,45 Meter breit wird oder 3,98. Bei 2,36 Metern bleibt der Schraubenzieher liegen. So sei es. Die Tür wird 80 cm breit und in der Ecke ist dann noch genug Platz für ein kleines Gestell oder ein Regal.

An diesem Tag sind mir die großen Dinge einfach zu viel, wird mir plötzlich klar. Also widme ich mich mit aller Ruhe den Kleinigkeiten, verlege das Datenkabel neu. Es kann ja wohl schlecht mitten durch den neu entstehenden Raum führen, wechsele Glühbirnen, räume die Schreibtischschublade auf und vernagele ein 23 mal 41,5 cm großes Loch in einer Trennwand, das schon seit Jahren offen ist und durch das der Wind pfeift. Mir wird klar, dass es Zeiten gibt, in denen man sich um die großen groben Grundkonstruktionen kümmert und es gibt Zeiten, in denen man an den Feinheiten arbeitet. So soll es auch beim Schreiben sein.

Die Jakobswegwanderung, auf der ich das Buch auf der iPhone-Tastatur geschrieben habe war die große, grobe Sache. Die Feinheiten sind die einfühlsamen, minimalen Ergänzungen. Ich bin bereit.

Achja: beim Bauen versuchte ich mich auch an der Deckendämmung (große, grobe Sache), arbeitete mit ekelerregendem Glasfaserzeugs, das einem in Augen Ohren, Nase dringt, juckt, Hustenreiz auslöst. Scheiterte weil in klein-fein-Zeit kein groß-grob machbar ist. Das Material wollte einfach nicht zwischen den Balken hängen bleiben. Nun habe ich im Internet eine gute Anleitung gefunden, wie es gemacht wird :-)

Offizieller Jahresbeginn 2011

Zwei Bisschen arbeiten. Offiziell melde ich mich zurück im Blog und auch sonstwie in der richtigen Welt. Bis gestern bei Sofasophia in der Schweiz. Nun stelle ich eine Linkliste und eine Adressliste zusammen für das Jakobswegbuch. In Bern bin ich mit den Minimalkorrekturen gut voran gekommen, möchte das Projekt bis zum Wochenende fertig kriegen. Die Sache gestaltet sich schwierig, da ich die Kommentare teilweise ins Buch packen möchte – und somit auch eine Veröffentlichungserlaubnis bei Euch werten Kommentierenden einholen muss. Mail kriegt Ihr demnächst.

Beim Durchforsten der Kommentare finde ich einen Spam in einem uralten Eintrag von 2006 mit dem seltsamen Titel Ihm gegenüber, nichts denkend

Ein eigenartiges Gedicht. Kann gar nicht glauben, dass ich das geschrieben habe. Abschreiben ist auch nicht mein Ding. Und wenn ich zitiere, schreibe ich die Quelle dazu. Ein Beitrag vorher gibt Aufschluss über das Gedicht.

Das Ebenenproblem

Vergiss die Meseta. Das ist keine Ebene. Die eigentliche Ebene ist in deinem Kopf.

Eine der größten Herausforderungen ist, Äußeres nicht mit Innerem zu verwechseln; Gemütszustände und Daseinszustände nicht zu vermischen. Fast wie wenn man mit seinem Spiegelbild spricht und vergisst, wer der Echte ist.

Gestern spät rase ich die A 63 Richtung Kaiserslautern. Auf dem Rückweg vom Geburtstag meines alten Reisegefährten und Freundes QQlka. An der Kreuzung mit der B420 ragen zig Meter hohe Krane in den Himmel. hell erleuchtet von 10.000 Watt-Lampen. Windradbaustellen. Vor 20 Jahren fast so undenkbar wie das Handy oder gar das mobile Bloggen.

Sprühregen. Tempo 160. Konfuse Gedanken überschlagen sich. An Wolfgang Güllich muss ich denken, der auf der Höhe seines Erfolgs gegen einen Brückenpfeiler raste. Er hatte Silvester Stallone gedoubelt. Er hatte es geschafft, das, was ihm am meisten Spaß macht im Leben, beruflich zu tun. Ob er glücklich war, ist ungewiss.

Ich fabuliere ein Bild von einer Medaille, auf deren einer Seite sich das frühe, junge Menschenleben befindet, das wir erst im Alter mit zunehmender Reife als Chance zu schätzen wissen und auf der anderen Seite befindet sich das zweite, späte Menschenleben, indem wir uns nur noch vage an die vielen Chancen, die uns das erste Leben bot, erinnern. ‚Ob das erste Leben wahr ist oder das zweite?‘, dachte ich. Das Wort, das auf den Rand der Münze geprägt ist normaler Weise FREIHEIT GLEICHHEIT PI PA PO. Eine Botschaft. In regelmäßigen Abständen geschrieben im ewigen Rund des Feinsilbers, so dass sie mehr als Zier, denn als Botschaft zu lesen ist:  ‚E D E N H E I T Z U F R I‘ lese ich.  Nur in der Mitte des Lebens, konstatiere ich, kannst du das lesen, was auf dem Rand deiner Medaille steht und nur in der Mitte des Lebens hast du die geringe Chance, zu ahnen, was sich auf den beiden topfebenen, Oberflächen der Medaille abspielt. Wenn du die Mitte überschreitest, oder sie noch nicht überwunden hast, wirst du nur eine der beiden Flächen kennen.

WM der Gemütsruhe

„… die Weltmeisterschaft der Gemütsruhe!“ schießt es mir in den Sinn. Ich stehe unter der Dusche und wasche Achselhöhlen und Kniekehlen. Trister Tag. Regenneigung. Es ist halb zwölf.

Normale Menschen würden sich um diese auf die Mittagspause freuen. Normale Menschen schmecken nach Leistung. Auch ich habe nach Leistung geschmeckt. Und ich werde es wieder tun.

„Wenn du nur lange genug mit Ähnlichen in einem Raum bist, wirst auch du ähnlich.“ sinniere ich.

Wie erschreckend weit ich mich von dem alltäglichen Sorgengeplänkel der Hochleistungsgesellschaft entfernt habe, wird mir beim Bauen im Atelier bewusst. Ich baue Wände und eine Decke. Mit einer unbeschreiblichen Ruhe. Nach jedem Balken, den ich sorgfältig lege und vernagele, lehne ich mich gemütlich zurück. Stoßweise Atem. Zufrieden verschränkte Arme. Dunst vorm Gesicht im Schein der Stirnlampe. Im Atelier ist der Strom abgestellt. Es ist eiskalt. Ein kleiner Baustrahler erhellt den Raum punktuell. Ich habe die Ruhe weg.

Vor dem Camino war das anders. Ich schmeckte nach Hochleistungsgesellschaft. Die Dinge mussten schnell von statten gehen.

„Nun wirst du endgültig scheitern“, schießt es mir beim Abtrocknen in den Sinn. Der Badezimmerspiegel ist beschlagen. Mit der Hand wische ich eine Stelle frei. In dieser Gesellschaft kannst du nicht bestehen. Nicht in diesem Gemütszustand.

„Hör zu, gib mir ein bisschen Zeit,“ rede ich mit meinem Spiegelbild, „der Weg zurück ist lang. Ich bin erschöpft. Ich will ein Bisschen atmen.“ So spiele ich den Erschöpften.

„Verlooren, verlooren, verlooren …“ unkt das Spiegelbild.

„Ich habe bis spät in die Nacht gearbeitet …“ rechtfertige ich mich.

„Schon besser. Rechtfertigungen sind das Fundament der Leistungsgesellschaft. Vielleicht schaffst du den Rückweg.“

„Mist! Verloren.“ Mir dämmert, dass ich es nie auf’s Siegertreppchen schaffe bei der Weltmeisterschaft der Gemütsruhe.