Rechtzeitig zum Schulbeginn in RLP und Saarland

Gefunden auf der Radeltour zwischen Vogesen und Jura in der Gegend um Belfort und Porrentruy in vielen kleinen französischen Dörfern. Fast jede Gemeinde mit Schule oder Kindergarten hat am Ortseingang solche selbstgemachten Schilder aufgestellt.

Richtig bergig: Tag 4 der Vogesen-Jura-Alpenradeltour

Schön, unbemerkt steil und vielbefahren: die Landstraße nach Gerardmer. Gerardmer geschäftig und übervoll mit Touris, kaugummiestinkenden Mädchen und neugierigen Kötern. Ich verlasse die Stadt über den malerischen, sehr steilen Col de Sapois, der aber sehr schnell erklommen ist, weil Gerardmer schon über 500 Meter hoch liegt. Auf der anderen Seite eine wunderbare Entdeckung: es gibt einen Fernradweg, der auf einem alten Bahndamm von Remiremont nach Cornimont unweit des Col de la Schlucht führt. In Cornimont fragt mich ein Beligier, ob ich die Runde drehe. Die Runde? Ja, die Runde der beiden Routes Iternaire, der beiden Bahnstreckenradwege in den Hochvogesen (es gibt noch mehr davon in der Gegend, aber die beiden lassen sich prima zur Runde kombinieren). Einzig das Stück zwischen Cornimont und Le Thillot im Moseltal führt über die mäßig befahrene aber breite D 486. Ca. 100 bis 200 Höhenmeter überwindet man in weniger als einer Stunde und wird oben auf dem 600nochwas Meter hohen Pass mit einem kühlen See belohnt. Im Moseltal kann man den Weg auf dem alten Bahndamm entlang der jungen Mosel zurück nach Remiremont radeln. Nicht mein Weg. Ich habe mir den Col du Grand Ballon vorgenommen, ich naiver Kerl.

Engelberts Peak

Gestern noch einen Kommentar bei Engelbert geschrieben zum Thema Sport allgemein, Schulsport im Besonderen. „Schulsport ist Erstkontakt mit der Leistungsgesellschaft“ schrieb ich. Dafür gabs denn einen Direktlink in mein Blog, was mir nun wieder mit den Statistiken zu schaffen macht. Engelberts Peak nenne ich das. Ein Link von Engelbert treibt nunmal die Statistiken von Ottonormalblogger in immense Höhen und man sieht sich dann an einem Abend mit dem Quantum an Reinguckern und -guckerinnen konfrontiert, die man normalerweise pro Woche oder Monat verzeichnet.

Im Schulsport hat man sich ja grundsätzlich mächtig angestrengt, weil man nicht schlechter sein wollte als die Anderen oder wenigstens nicht der Schlechteste. Diese seltsame menschliche Reaktion setzt sich ein Leben lang fort und wird erst am Grab enden. Dann hat man seine Ruhe.

Oft denke ich, wie es wohl wäre, wenn man sich statt der Beste sein zu wollen, schon gleich in der ersten Sportstunde zum Ziel gesetzt hätte, der Schlechteste zu werden, wenn man früh gelernt hätte, mit der Demütigung zurecht zu kommen, nur einer von Vielen zu sein und nur ganz ganz selten auch mal in einer Disziplin der Beste. Was man sich Mühen gespart hätte. Herausgekotzte Lungen beim 1000 Meter Lauf etwa. Hochroter Kopf, wenn man als letzter in die Mannschaft gewählt wurde.

Oder neuerdings: ein Blog zu führen, das niemand liest (ich bin ein fanatischer Vertreter der Meinung, dass es Weblogs um ihrer Selbst willen geben muss und nicht, weil viele sie lesen. Ein Blog, das nur von einem einzigen Menschen gelesen wird, ist es wert, geschrieben zu werden) … jaja, aber gerade das Statistikding macht mir Kopfzerbrechen. Je mehr dich lesen, desto mehr bist du versucht zu schreiben (die Leistungsratte dreht sich im Kreis und beißt sich in den Schwanz). Man könnte sagen, okay, Leistung bringt die Menschheit voran, macht Raumfähren, Medizin und Elektroherde). Aber könnte einen nicht auch der Müßiggang voranbringen? Sollte man nicht besser mal hie und da versagen, sich versagen, um ein gesundes Maß dafür zu gewinnen, dass man sich nicht überanstrengt. WozuWozuWozu? Diese kindischen Scheinwerte wie Siegerurkunden und gute Noten damals in der Schule, sie sind allgegenwärtig im richtigen Leben noch da. Für Orden haben sie sich in den Weltkriegen abknallen lassen und schlimme Dinge getan, diese Kinder. Für vielfältige Scheinwerte kämpfen wir im Berufsleben und tun Dinge, die wir niemals tun würden (kaufen uns Autos und Motorräder, die wir nur brauchen, um unser Selbst/Siegerbewusstsein aufzupäppeln) – das würden wir nicht tun, wenn wir den Leistungsgedanken nicht schon sehr früh verinnerlicht hätten.

Und das sagt Euch einer, der die 100 Meter in 11.6 gerannt ist, ein Gimpel, ein Naivling, ein Quotenrenner …

„Ich will meine Ruhe“, sollte man die Kinder lehren, „ich will letzter sein“ oder noch besser, „ich will irgendwer sein und ich will nicht gewertet werden. Lasst mich in Ruhe ichen!“

Vogesen-Jura-Alpen Radtour 09, Tag 3

Notizbuch verloren? Zumindest kann ich das kleine, lederne, braune Teil mit den wichtigen Worten nicht mehr finden. Es wäre tragisch, wenn ich es im Büro hätte liegen lassen und es in die falschen Hände gekommen wäre. Brisantes Zeug steht drin. Bin immer noch vollkommen KO. Das darf eigentlich nicht sein. Im Büro hab ich ja eigentlich nichts zu tun. Trotzdem muss ich mich, sobald ich heimkomme, hinlegen. Ora et Labora, sagten schon die Lateiner: schlafe und arbeite ;-)

Ich kann ja viel erzählen, gell?

27. Juli. Sah verdammt nach Regen aus am dritten Tag der Radeltour – der Abstieg vom Col de Prayé ist grandios – ich möchte die lange, gerade Strecke nicht hinaufradeln müssen.

Das Bild zeigt den Aufzug einer Gewitterwand in La Petite Raon. Kein gutes Gefühl für einen Radler, wenn nach Tagen des Lichts die Dunkelheit über einen hereinbricht. Doch ich war gewappnet mit Regenhose, Jacke und sogar Gamaschen. Zum Zeitpunkt der Aufnahme hatte es über 30 Grad, extreme Schwüle, ich sehnte mich nach einem klimatisierten Supermarkt und fand in Raon und später in Senones eine seltsame, zerfallende Westvogesenwelt. Einst musste hier das christliche Leben geblüht haben, aber heute … zerfallene Gebäude, Häuser zum Verkauf –  Schilder von Vosges Immobilieres, riesige Kirchen, Klöster in Senones und Moyermoutiers. Ein Geruch von Pilgerei, verlasse das Land, lauf dir die Füße wund, lag in der Luft. Seichte Orgelmusik irgendwo. Ein leeres Straßencafé, geöffnet, waghalsige Motorradfahrer zerreißen die Stille, an den Ecken liegt Müll. Hoffnungslosigkeit. Die Gewitterwand vermittelte mir ein beklommenes Gefühl. „Musste eignetlich nur noch das Tal bis zum Ende rollen, dann abbiegen nach links, nach Südosten, im nächsten Tal zurück in die Vogesen und du hast die Sonne wieder im Blickfeld“. Es ist erstaunlich, wie wahr der Klamauk des großen Flann O Brien (Der dritte Polizist) doch ist: jede Straße hat ihre Richtung und bereist du sie in die falsche Richtung, widersetzt sich der Weg wie eine angestochene Sau. Drehst du dich aber in die richtige Richtung, fliegt dir der Weg geradezu entgegen. Ich durchquerte Senones bei ersten Donnerschlägen und einem Hauch von frischem Wind. Für den Moment eines Regenschauers duckte ich mich unter hunderte Jahre alten Torbögen, Blick auf den großen Platz, Blick zur Kirche, aber sobald der Regen nachließ, kurbelte ich wie verrückt die D424 hinunter, um ins Tal der Meurthe zu gelangen. Erst dort könnte ich halbwegs schmerzfrei in Richtung Sonne schwenken, in Richtung Berge. Das würde zwar wieder aufwärtsradeln bedeuten, aber, so glaubte ich, wenigstens in die richtige Richtung.

Tatsächlich ließ das Gewitter am Nachmittag nach. In Clairefontaine schliefe ich zwei Stunden in einer schönen offenen Fischerhütte vor einem kleinen Tümpel. Direkt nebenan Friedhof und Kirche.

Weiter nach Saint Remy. Dort irrietierte mich ein Schild, auf dem ein See angekündigt wurde. Ich folgte leider steil bergauf, fand nichts, träumte von kühlem klarem Gebirgswasser und verirrte mich. Ein betrunkener Förster erklärte mir den Weg zurück: Ein See? Gibts hier nicht.

Auf ruhigen, schönen, kaum befahrenen Sträßchen könnte ich bis ans Ende der Welt radeln. Kein Wunder also, dass ich in La Salle den Weg nach Les Rouges Eaux einschlug. Eine Epiceriebesitzerin erklärte, es ginge ein wenig bergauf, aber dann auch wieder abwärts. Orakulös wie die Schweizer, wie ich noch erfahren sollte. Ich kaufte Wein und drappierte die Flasche im Trinkflaschenhalter. So sieht jeder, dass ich ein Europenner bin. Kurbelte los. Das Gewitter meldete sich zurück, seichtes Grollen von Nordwest, ein kleines Bachtal, welches sich in dunklem Fichtenwald auflöste und nienienie enden wollte. Kurz vor der Passhöhe holte mich das Gewitter ein. Dicke Tropfen, Vorboten, kamen, sahen, gingen, ich kurbelte weiter und verfluchte den Straßenbauer, dass er nicht wie beim Col du Donon ab und zu ein Höhenschild aufgestellt hatte. Nun war ich umschlossen von Wolken und hatte, oben angekommen, die Möglichkeit, mich in der Kapelle am Col de Mon Repos zu verkriechen. Aber das Ding war so unheimlich. Jungfrau Maria glotzte mich an, ich kenne meine Psyche, die dreht durch nachts. Wenn ich hier bleibe, finde ich nicht viel Schlaf. Wenn ich abrolle, kann ich in Les Rouges Eaux ein Zimmer nehmen. Bevor es richtig losgeht, beschließe ich abzurollen. Die Szene ist um 18 Uhr stockendüster und von Westen nähert sich eine unüberschaubare Wolkenwand. Im Glauben an ein Hotel oder eine Pension rolle ich ab, erreiche halbwegs trocken ein längliches Dorf, in dem nur wenige Häuser bewohnt sind. Eine Mairie (Rathaus) gibt es, eine Kirche, eine Bushaltestelle, irgendwo wohnen Deutsche. Insgesamt scheinen nur 30 Prozent der Häuser bewohnt, keine Pension und der Besitzer einer Gite (Ferienwohnung) schickt mich ins 8 km entfernte Bruyeres). Scheiße. Geisterdorf. Kurzerhand richtete ich mich in der Bushaltestelle ein und verbrachte eine sehr sehr sehr ruhige Nacht. Niemand hat mich bemerkt.

PS: Notizbuch wieder gefunden: für die dritte Etappe der Vogesen-Jura-Alpentour liegen keine Notizen vor. Nur kurze Zahlenketten, die mir zeigen, wo die Fotos in ungefähr aufgenommen habe. Dies deutet auf einen sehr anstrengenden Tag hin.

PPS: Der Wein brachte auch keine Bewusstseinserweiterung.