Ziemlich glücklich eigentlich: ich kann wieder essen. Übrigens zählte auch die Bulimie zu meinen selbst gebastelten hobbyhypochondrischen Diagnosen. Nicht auszudenken in solch eine perfide Psychofalle zu gelangen.

Nun treten andere Sorgen in den Vordergrund: durch die zwei Tage krankgeschrieben sind meine Aussichten auf eine Vertragsverlängerung im Amt ohne Wiederkehr um einige Prozente gesunken. Adieu Ihr lieben zwei Faxe pro Tag? Adieu, ihr illustren Telefonate mit divenhaften Kleinkunstzicken? Adieu Büroschlaf; geht mit Gott, ihr unerzählten Geschichten von 25 Fünfundzwanzigjährigen Touristikstudentinnen mit solllchen Busen?

Die nächsten Wochen werden es zeigen. Vierlleicht gilt ja auch der Spruch: „Das Amt verzeiht alles.“ oder: „Das Amt liebt dich.“ oder: „Das Amt ist gut für dich.“ oder: „Der Weg des Amtes ist zu beiden Seiten gesäumt mit den Krankmeldungen fauler Männer …“ oder: „Wer den Geringsten meiner Sachbearbeiter missachtet, missachtet das Amt.“ oder: „Sehet die Sachbearbeiter. Sie mailen nicht, sie faxen nicht und Amt ernährt sie doch.“ oder: „Setze all dein Geld auf Amtsschimmel, Sieg im vierten Rennen.“

Herr Irgendlink treibt wieder bitteböse Scherze im Netz.

Sehr langsam zu neuen Kräften. Mittwochs dachte ich: „Du hast Schweinegrippe“, um mich von düstereren Gedanken, wie etwa Diabetes Typ 1, zerfressenen Inselzellen, überall Tumore oder dem CFS abzulenken. Ist ja ein bisschen vermessen, immer gleich das Schlimmste zu denken, wenn man mal erschöpft im Bett liegt und kaum noch aufstehen kann. Es war gar nicht so einfach, einen Ersatzdoktor zu finden. Der Hausarzt treibt sich nämlich seit der Umorganisierung der Krankenkassenzahlungen fast nur noch im Süden herum. Schicke Yacht, Mädchen, Roulette. Ihr wisst schon. Er hat den Break Even der Mediokratie überschritten. Wie auch immer: im hintersten Winkel der Stadt fand sich ein schweigsamer, lustloser Ersatzdoktor mit Hexenschuss und einem Gutstück Fatalismus, der Bauch abtastete, Blut zapfte, Rezept schrieb – und eine Krankmeldung.

Derweil ca. 2 kg abgenommen. Konnte ja nix essen wegen Dauerübelkeit und wiege nun so wenig wie nie, seit ich erwachsen bin. An der Grenze zur Unterernährung. Das zerrt am Nerventütü.

Erstmals seit 25 Jahren gebe ich das Nacktschläferdasein auf, hülle mich in einen feuerroten Schlafanzug aus Seide. Spart Bettdecke und falls sie einen nachts abtransportieren müssen, ist es nicht beschämend.

Tse.

Das alles ist jetzt hoffentlich passee. Ich schreibe wieder Geschichten.und erschlage fette Fliegen im goldenen Morgenlicht mit einer schmierigen Kunststoffklatsche. Die Luft riecht gut. Sie ist zwar hierzulande auf 340 Metern Höhe in einer mäßig besiedelten Region fett und staubig, aber immer noch besser, als in einer Agglomeration. Ich muss sagen, das Leben in 500 bis 1000 Metern Höhe, das ich im Urlaub führte, war ein gutes, sauberes, exquisites, freies Leben. Die Luft, die man atmet ist elementarer Bestandteil des Wohlbefindens. Genau wie das Wasser, das man trinkt und die Lebensmitel, die man isst. Ich träume davon, nach Bad Münster am Stein umzusiedeln, gar nicht mal so weit, oder auf die Kanalinseln, Amrum oder die Faröer. Ich müsste nur erstmal lernen, im Internet zu überleben, sprich dort mein Geld zu verdienen. Komischerweise hat mir kürzlich der Soulsnatcher ein Stöckchen zugejubelt – ich hasse Stöckchen, er auch – mit der Frage, ob man wegen der Liebe oder der Arbeit in ein anderes Land ziehen würde. Ich antwortete: Liebe vielleicht, Arbeit nein und muss nun hinzufügen: wegen der Gesundheit würde ich auf jeden Fall umziehen.

Das einsame Gehöft rangiert auf einer Skala guter Plätze zum Leben glücklicher Weise recht weit oben. Die Luft könnte etwas besser sein, es sollte keine Zecken und fette Brummmücken geben, Temperatur immer 15 Grad und es dürfte nur nachts regnen. Das wars schon, was meine bescheidenen Wünsche an die Umwelt angeht.

Heute: 2 Faxe (je eine Seite) verschickt (eins davon war schon fertig geschrieben), dreimal telefoniert und neuen Schreibtisch aufgestellt – wozu eigentlich?

Die Monitore im Amt ohne Wiederkehr zeigen FreeCell, Zeitkonten, Tageszeitungen etc. Zwischendruch kollektives Jammern über schlechte Bezahlung und zu viel Arbeit (hysterischlach!).

Hochgradig deprimiert.

Nichtstun zermürbt so sehr, dass ich im Zug einschlafe, meinen Rucksack vergesse, ihn dank eingleisiger Strecke und Begegnungsverkehr mit dem nächsten Gegenzug wieder bekomme. Beschließe, mit dem Bus den Kreuzberg hinaufzufahren. Aber der Busfahrer lässt mich einfach stehen. Ich verstehe ihn. Sein Job ist ähnlich beschissen wie meiner.

Das Leben ist kein Tackerhof.

PS: die ersten 50 Höhenmeter liegen Bus und ich (radelnd) gleichauf bei der Bezwingung der steilsten Straße der Stadt.

Da ist noch was: ich erinnere mich an zahlreiche Pässe in den Vogesen und den beiden Juras, sowie den Simplon, Italien, Tessin, Bern – ganz groß der 1165 Meter hohe Col du Grand Ballon oberhalb Besancon, den ich aus purer Tollpatschigkeit (weil ich die Karte ohne Brille gelesen habe und die Passhöhe nicht erkannt habe) überquerte. Von dort Oben vergisst man, dass es zwei Jura-Kämme gibt, die auch über 1000 Meter hoch sind, denn man sieht tatsächlich die Alpen im Süden.

Bilder der zweiwöchigen Radtour werde ich wohl nicht posten – das Gift des Alltags lähmt mich.

Mein aktueller Zustand gleicht etwa dem eines völlig Gesunden im Irrenhaus, der mit massiven Medikamenten ruhig gestellt wird.

Zu Hause ist, als wäre nichts gewesen

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Wie nah doch Anfang und Ende einander sind! Just zwei Wochen Urlaub in mein Leben gequetscht. Gemütliche Radeltour durch Vogesen und Jura, mit einem Abstecher ins Tessin (dorthin zum Glück per Auto). Im Rückblick und für mein Gefühl fallen Anfang und Ende auf den fast gleichen Zeitpunkt. Zu Hause ist, als wäre nichts gewesen.