Tag 60 | Im Polcirkelland #ansKap

Das Finale hat begonnen, die Zielgerade.
Immer nordwärts jetzt, immer nordwärts radelt Irgendlink. Das sieht in groß dann etwa so aus. Hier klicken zum Link zur Kartenübersicht.

Im Detail sieht es so aus: Vespern im Campingcafé Kukkolaforsen → hier klicken und weiter, weiter, weiter …
… denn irgendwo muss Irgendlink nicht irgendwann sondern heute mal wieder Vorräte kaufen. In Övertornea hat er Glück.

Die heutige Tagesstrecke sieht ungefähr so aus: hier → klicken.

Und die Tagestweets? Die werden euch heute mal wieder pfannenfertig ans Bett serviert:

Das deutsche Klomannprinzip #AnsKap

Was für ein schrilles Grün diese Pflanzen haben. Rankende Etwase mit breiten, moosgrünen Blättern, so grün, dass es schon wieder leicht gelblich wirkt, auf jeden Fall eine sehr angenehme Farbe, die sie da auf ihrem mannigfaltig mit Tätowierungen verzierten Oberarm trägt.Fast scheu fragte sie, ob sie sich neben mich setzen darf bei dem kleinen Café an der Abzweigung der Cycelspåret vom Sverigeleden ungefähr 25 Kilometer östlich von Kalix. Es ist der einzige sonnige Platz auf dem Freigelände. Die Tische sind verwaist. Direkt hinter uns befindet sich die Hundebar – auch Schweden lieben Hunde – mit drei vier Näpfen voller Wasser und einem Haken in der hölzernen Wand des Hauses, um die Tierchen anzubinden.

Kaum zu glauben, dass wir uns eben noch ein Duell geliefert haben, draußen in den Wäldern, nur sie und ich, fast wie in dem frühen Spielbergfilm, der mit dem Autofahrer und dem Truck. Ich glaube, der deutsche Titel ist sogar ‚Duell‘. In dem Film wird kaum ein Wort gesprochen. Ein düsterer Truck verfolgt einen spießig wirkenden Familenkutsche fahrenden Geschäftsmann durch die weiten der USA. Will ihn töten, überfahren. Die Scheiben des Trucks sind dunkel. Nur schemenhaft erkennt man, dass jemand am Steuer sitzt.

So wie in dem Traktor, der den Straßengraben zwischen Kalix und – ähm – weiter östlich mulcht.

Die Walze macht ganz schön Lärm. Das Ding fährt mit zehn km/h vor mir her. Irgendwann nehme ich mir ein Herz und überhole, ganz links am anderen Straßenufer. Steine werden geschreddert. Ich bin heilfroh, als ich vorbei bin.

Wäre da nicht die Kunstfotografie und das Twittern, hätte ich jetzt leichtes Spiel, würde nie wieder was von meinem Verfolger hinter den spiegelnden Scheiben des Traktors sehen. Aber ab und zu ein Tweet, gerade mal 140 Zeichen lange Gedankengänge, direkt ins Internet gepostet und Fotos bei dem tollen Licht, halten mich auf. Schon rauscht mein Verfolger wieder heran, gleich kommt er hinter der Kurve herbei. Ich muss mich sputen.

So geht das Spiel vielleicht zehn Kilometer weit bis zur Mündung auf die Hauptstraße, die 356, wo auch schon das Café wartet. Pause. Rad abstellen, Kaffee kaufen und leckeren Kuchen.

Plötzlich parkt der Traktor direkt vor dem Hof und die Fahrerin mit neongelber Warneste kommt herüber. Und so kommen wir ins Gespräch.

Fast schon wie Seelenverwandte erzählen wir über dies und das, das Reisen.

Sie hat einen Sohn, der in Tromsø lebt, droben in den Fjorden, den sie kürzlich besucht hatte. Das Auto zu einem schlafbaren Miniwohnmobil umfunktioniert, fifty Miles da hinauf, zeigt sie mit der Hand. Also etwa 500 Kilometer bis an den Atlantik. 

Das schlimmste an ihrer Arbeit sei die Zerstörung, die sie ausübe. Bei Radlern stoppe sie den Rotor, wenn sie sie rechtzeitig sieht. Ich sei einfach zu schnell gewesen. Ganz besonders übel war das Übermähen eines Karnikelnests. Das ist ihr ziemlich unter die Haut gegangen.

Über Gott und die Welt reden wir und sie hat noch eine witzige Anekdote aus Deutschland parat, wo sie einmal mit Ihrem Freund, einem Monstertruckfahrer getourt war. Monstertruck, verstehst du, die, die mit riesigen Reifen andere plattwalzen, hakt sie nach und erinnert mich an unser kleines Duell von eben. Wie auch immer, an einer Autobahnraststätte in Deutschland sei plötzlich ein Mann in der Damentoilette aufgetaucht und habe sie fordernd angeschaut, ihr die Hand hingehalten. Da sie dringend musste und nicht kapierte, was er wollte, schüttelte sie ihm die Hand, sperrte sich in einer Kabine ein, worauf er mit einem Wischmob demonstrativ davor wischte – trug er einen weißen Kittel, frage ich – ja – sogar unter der Tür hindurch sei der Wischmob gewedelt und sie habe die Füße hochheben müssen, bis irgendwann wieder diese Hand unter der Tür durchkam und sie dann endlich das deutsche Klomannprinzip kapierte und ihm ein paar Münzen in die Hand drückte.

Ich schreibe diese Zeilen an einem Badeplatz kaum zwanzig Kilometer Luftlinie bis zur finnischen Grenze. Die Sonne scheint. Seit Stunden ist kein Auto mehr auf der nahen Landstraße vorbei gebraust. Es gibt ein Plumpsklo hier, zwei kleine Grillhütten, Scheitholz und eine kleine Rutschbahn steht mitten im See. Mäßiger Südwind hält mir die Mücken vom Leib.

Das Plumpsklo nebenan ist sauber, erinnert mich aber an eine Szene aus Jo Nesbøs Roman ‚Headhunter‘, in der sich der Held in einem Plumpsklo verstecken muss, einizig mit einer Pappröhre im Mund, völlig untergetaucht, um seinem Häscher zu entkommen.

Ich weiß nicht, ob diese Kloanalogien hier als Blogbeitrag durchgehen.

Es war mir aber ein Bedürfnis, darüber zu reden.

Tag 59 | Wenn dir ein See die Zunge rausstreckt …

… dann sieht es zum Beispiel so aus:

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Und wenn ein Nordkapradler auf dieser Zunge sein Zelt aufbaut?

Na … dann sieht es eben so aus:

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Heute hatte Irgendlink Sonne und Rückenwind. Was gibt es Schöneres, wenn man ans Nordkap will? Nun ja, am Morgen gab’s sogar eine Dusche – mal wieder. Und vorhin ein erfrischendes Bad. Gut, dass er am Uskavi und in Falun geübt hat.

Ich freue mich mit Irgendlink darüber, dass das Hochdruckgebiet in Lappland anhält (bei uns wohl auch noch ein bisschen, aber das ist ein anderes Thema … *soifz*)

Die heutige Tagesstrecke Irgendlinks sieht ungefähr so aus:
Bitte hier → klicken.

Und ja: Auch heute dürft ihr die Tagestweets alleine lesen. :-) Ihr wisst ja längst, wo es lang geht zu @irgendlinks Tweets.

Wie Davy Jones tausend Jahre verwachsen mit einem Ostseehafen #AnsKap

Jagdflugzeug als Skulptur auf einer grünen Wiese. Der linke Flügel und die spitze Nase bohren sich ins Grün.

Den Hirnreaktor runterfahren, die synaptisch kosmodämonischen Brennstäbe herausziehen, um eine Schmelze zu verhindern, Körper und Geist klingen am Besten gemeinsam, wenn sie eine ähnliche „Geschwindigkeit“ haben.
Hanebüchen, Herr Irgendlink, hanebüchen. Hat man Ihnen Ihr Hirn weichgekocht auf all den tausenden Kilometern, die Sie in den letzten Wochen geradelt sind?

Das Zelt steht neben einem achteckigen Pavillion, in dem gut und gerne eine kleine Partygesellschaft Platz haben könnte. Von Westen schützen ein paar Birken vor Wind. Die Wiese ist gut. Frisch gemäht. Kaum Stechmücken, die sich darin verstecken könnten. Dafür sorgt auch schon der emsige Westwind, der gestern Abend Regen herbei geblasen hatte.

Den kleinen Ostseehafen von Båtskärsnäs habe ich mir irgendwie quirliger vorgestellt. Mit Kaimauer, größeren Kuttern, Fischkisten und so weiter. Aber es ist ein ganz normaler Yachthafen ohne groß Ausbau. Einen Kran gibt es und ein paar Maschinen zum Boote ein und Auswassern. Fischerei Fehlanzeige. Båtskärsnäs ist ja auch nur ein winziges Dorf am allerallerobersten Zipfel der Ostsee. Vielleicht der nördlichste kleine Hafen der Ostsee überhaupt?

Es ist nicht leicht, ohne jegliches Kartenmaterial, einzig ausgestattet mit einer gedownloadeten Karte auf dem Smartphone, Informationen über die Gegend zu kriegen.

Ich wollte eigentlich einen Campingplatz hier in der Nähe ansteuern, mal wieder heiß duschen, Kleider waschen, ein bisschen relaxen, bevor es auf die letzten, geschätzt 900 Kilometer zum Nordkap geht. Auch noch mal in der Ostsee baden wäre schick. Es ist sehr sommerlich diesertage hier oben. Nicht so heiß, wie daheim, einfach sommerlich und gut radelbares Wetter.

Durch die rasanten Etappen der ersten Tage ab Falun und eine, vermutlich, Fehlberechnung der letzten 2300 Kilometer ans Kap, die gar keine 2300 Kilometer sind, habe ich nun viel Zeit zum Rumtrödeln.

Ich muss mich allerdings regelrecht zum Nichtradeln zwingen.

Das ist gar nicht so einfach, wenn es eigentlich kaum etwas zu sehen gibt, als Straße und Wald und Briefkästenensembles vor Waldwegen, mal ein paar Rentiere auf der Straße, ab und zu eine Sandgrube, Hochsitze und Stromleitungen.

Die Städte sind zig Kilometer voneinander entfernt. Sie sind auch nicht so opulent und sehenswert. Das Leben scheint sich in schwedischen Städten vorwiegend in Shoppingcentern abzuspielen. Große Komplexe mit vielen Läden mitten in den Städten, in denen man rumlungern kann und gucken, kaufen, lungern, gucken.

Verloren im Supermarkt. Ein Lied von The Clash dudelt einem dann sogleich im Kopf: Lost in the Supermarket. Es hat so was Resigniertes, das Lied, obwohl ich den Text gar nicht kenne.

Der Konsum ansich hat auch so etwas Resigniertes. Das ist mir schon in Falun aufgefallen. Die Tristesse, eingesperrt im Kauf, zu ewigem Geben und Nehmen verdammt. Gib Arbeitskraft, Nimm Gegenstand, um es mal darauf zu reduzieren.

Das wird einem hier oben, draußen, wo es nur noch Welt und Mensch gibt und sonst kaum eine Bespaßung oder Ablenkung umso bewusster. Wir sitzen gefangen in einem gigantischen, globalen Hamsterrad, das wir gemeinsam antreiben und versuchen verzweifelt, irgendwelche goldenen Vorhänge vorzuziehen, bloß um uns die Illusion aufrechtzuerhalten, das was um uns vorgeht, macht einen Sinn, unser Tun und Streben hat einen Sinn.

Vielleicht hat mir die viele Natur das Hirn zermürbt, dass ich auf solch triste, sagen wir mal sogar lebensbedrohliche Gedanken komme. Eine Art natürliche Lethargie macht sich in mir breit. Das fühlt sich aber nicht etwa depressiv oder traurig an. Es ist mehr so dieses Erstaunen, dieses Aha, das man der Wucht der Welt entgegen bringt, wenn man erkennt, wie winzig und wie klein man als Mensch doch ist und wie vergänglich.

Knochen liegen im Straßengraben. Ein Eichhörnchen, halb zerfetzt, mitten auf der Straße. Das Blut ist noch rot. Überall ist Tod und Auferstehung und Gebären und Leid und Freud. Scheint so, dass es sich dann, wenn man kein buntes, selbst geschaffenes Entzücken aus Konsumgütern und Geld mehr um sich hat, viel direkter auf einen Eindrischt.

Was?

Die Erbarmungslosigkeit des Lebens ansich. Dass es eigentlich doch nur eine art biologischer Multimechanismus ist, nach dem die Welt funktioniert, dass dieses denkende Ich, das in mir sitzt, das ich bin nur ein Funke ist, der kurz in der Ewigkeit blitzt und dann für immer verlöscht.

Was sehne ich mich nach einem Kinobesuch, irgendwo in Deutschland oder der Schweiz in irgendeinem lustigen Film. Einem Spaßbad oder einem Open Airkonzert oder einem Besuch in einem Technikmuseum. Egal. Irgendwas, was den goldenen Vorhang wieder vor meine Augen zieht, damit ich weiter an die Illusion der Ewigkeit des gelebten Lebens glauben kann und daran, dass das, was ich tue, was wir tun, was vorgeht in dieser Welt einen Bestand hat.

Die Risse im Asphalt des Radwegs am Kalix Älven zerstören diese Illusion. Ein zwei Jahre nichts tun, ein zwei Jahre keine Menschen, die hier Hand anlegen, und der Weg sieht aus wie nie gewesen. Schon jetzt drängen sich Birkenschößlinge neben Gras aus der Narbe im Teer.

Mir graut vor der Vorstellung.

Einen schönen Endzeitfilm, in dem genau das stattfindet, in dem genau diese Szene vorkommt, könnte ich jetzt gerne im Kino schauen, Dolby Sound und Breitbild, dazwischen eine Pause für Eis und Chips und Bier. Richtig Spaß haben könnte ich an der zur Fiktion degradierten Realität auf der Kinoleinwand.

Statdessen hier zu kurbeln auf dem grauen Band, das niemals endet und das irgendwann einmal so aussehen wird, als wäre es nie dagewesen, ist hart.

Es regnet mich ein gestern Abend. Kurz bevor ich den angepeilten Campingplatz erreiche. Leichter Nieselregen, Wind, Ekelwetter. Ich bin das kaum noch gewöhnt. Seit Beginn des zweiten Radelabschnitts ab Falun hatte ich regelrechtes Wetterglück.

Vier Kilometer vom Campingplatz strande ich unter dem Vordach eines Hafengebäudes. In den Hallen wird noch fleißig gearbeitet. Es mag 19 Uhr sein. Ich habe keine Lust, die Regenkleider rauszukramen, also klopfe ich an einem Bürofenster, jemand öffnet, schaut mich freundlich an, ich frage, darf ich da drüben neben dem Pavillon auf der Wiese mein Zelt aufbauen.

Aber klar darfst du. No Problem.

Nun beim Frühstück im Schneidersitzbüro beobachte ich das Hafentreiben. Jemand schaufelt Erde mit dem Bagger. Der Schiffskran quietscht. Autos fahren an und ab. Niemand nimmt Notiz von mir, bzw. es ist so, als gehöre ich dazu. Teil des Hafens in einem kleinen schwedischen Dorf an der Ostsee.

Das ist wie Davy Jones in Fluch der Karibik. Tausend Jahre Teil eines gesunkenen Kahns sein.

Hach und gerade hätte ich echt Lust, mir die Fluch der Karibik Filme anzuschauen.

Tag 58 | An die Ostsee

Noch einmal Meer sehen, dachte sich Irgendlink heute Morgen, bevor er sich landeinwärts machen wird. Bevor er sich von der Ostsee wieder abwenden wird. Bevor er in den nächsten zwei-drei Wochen irgendwann das Nordkap erreichen wird. Nach Kalix. Und weiter. Und eigentlich wäre ja ein Campingplatz nicht schlecht. Mal wieder duschen. Doch da war ein See unterwegs. Ein erfrischendes Bad. Prophylaxe – man kann ja nie wissen.

Als er später, es war schon nach sieben Uhr, am Hafen von Båtskärnäs rumtrödelte, Bilder schoss, das Leben genoss, fing es auf einmal zu regnen an. Mist aber auch, vier Kilometer vom Camping entfernt noch Regen. Hinfahren? Abwarten?

Oder warum eigentlich nicht hier das Zelt aufbauen? Gefragt, Erlaubnis bekommen, getan.

Den ungefähren Link zur heutigen Strecke gibt es hier → klicken.

Die Tweets von heute? Da ich müdigkeitsbedingt auf dem Tablet blogge, ist das nicht so einfach mit dem Tweettransfer.

Aber ihr wisst ja inzwischen alle hoffentlich, dass es sich lohnt, Irgendlinks Tweets zu lesen. Guckt also einfach selbst. Twitter beisst nicht.

Hier zu @irgendlinks Tweets klicken.