War ziemlich windig vorhin. Ich spazierte im Garten, vertrat mir die Füße nach einem langen Tag vorm Monitor. Nieselregen, Wind und stockdunkle Nacht. Erinnerungen an früher und „draußen“ wurden wach. Vor 2001 gab es keine Computer für mich. Will sagen: die Zeit, die ich momentan vor dem Rechner verbringe – nicht unerheblich – habe ich damals draußen verbracht.
Nun, da ich dies schreibe, kann ich mich kaum erinnern. Aber vorhin fühlte sich die Welt an wie „Schlafsack unter Felsvorsprung“. Es gab Moos und der Fels war mit Flechten überwuchert. Schnelle Wolken zogen nachts. Wenn man sich im Halbschlaf umdrehte und ins All starrte, flimmerten Sterne hinter Schleiern. Die Träume waren gut. Das Land war weit. Wenn man morgens die Hände im Bach wusch und eine Kanne Kaffee auf dem Lagerfeuer kredenzte konnte man den Tag schmecken.
Nicht, dass ich mich darum reißen würde, die Nacht in einem Schlafsack unter einem Felsvorsprung zu verbringen, aber manchmal, ja, manchmal …
Beobachte den Blogagonisten beim Lernen
Bin guter Dinge, weil das Wetter so schön ist und es angeblich wieder wärmer werden soll. Naja, und vor allem, weil der Zettelkram vom Tisch ist und der Zahn repariert. Manchmal staut sich aber auch so manches im Menschenleben. Es ist die Summe der Kleinigkeiten, die an einem zerrt wie ein Rudel außer Rand und Band geratener Schlittenhunde.
Ich hab den Mund ziemlich voll genommen mit dem neuen Blog. Warum? Weil ich groß und breit den Europenner in die Kategorienliste aufgenommen habe. Altes Sorgenkind. Sollte mal ein Roman werden. Bis ich letztes Jahr bemerkt habe, dass ich zum Romanschreiber nicht tauge. Bin doch Blogger. Ich kann keine Geschichten erfinden. Ich kann sie nur erleben. Allerdings kann ich Erlebtes verändern und verschnörkeln. Das funktioniert wie Malen nach Zahlen. Es ist so einfach wie Fotos übermalen. Nun hab ich mir überlegt, ich blogge weiter wie bisher. Ist ja auch schon was wert. Alles Europenner-Relevante packe ich in den Basis-Ordner rot, die unterste Ebene des im Entstehen begriffenen Buches. Aus dieser Ebene wächst die gelbe Ebene. So eine Art Autobiografie und daraus entsteht die pure fiktive Ebene, der eigentliche Roman (grün).
Soweit meine Theorie. Wie die Praxis aussieht? Keine Ahnung. Mein Gefühl sagt mir, dass ich mich vor allem auf der roten Ebene bewegen werde. Quasi das Fundament. Hier wird getan und gelassen, was ich will. Die Einträge sind quer. Sie sind schwer. Sie sind wild. Sie sind frei. Pures Blogextrakt. Die chemische Keule der Literatur.
Ich schweife ab. Je nach Lust und Laune wird die rote Ebene von der Theorie des Romanschreibens aus der Sicht eines literarischen Laien handeln. Oder einfach nur dahin geplaudert und laut gedacht. Hier beobachtet Ihr den Blogagonisten beim Lernen.
Die Krone der Schöpfung stopft Löcher
Weiß auch nicht, was mich geritten hat, den Dentist zu fragen: „Hey, wie siehts eigentlich mit Kunststoff aus? Wär das womöglich was? Über Amalgam hört man so Sachen.“ und so weiter und so fort. Die kurze Zeit im Wartezimmer hatte ich die finanzielle Schmerzgrenze auf 50 Euro, gesetzt. Der Arzt klärte auf, legte sich aber nicht fest, ob nun das billige Amalgam besser sei, oder ob der Kunststoff was taugen würde. Am Rande erwähnte er: „Keramik, drei- vierhundert Euro.“ Da schluckte ich kurz und weil der Kunststoff mit 39.99 Euro unter der Schmerzgrenze lag, gab ich mir einen Ruck: „Machense Kunststoff. Mal ausprobieren.“ Die Prodzedur ging ohne Betäubung von statten. Der Arzt bohrte, feilte, schmiergelte, stopfte, während ich wieder und wieder den Schriftzug Siemens auf der Leuchte las. Mantrisch dachte ich: Siemens Siemens Siemens, ouuh shalala Siemens, eine halbe Ewigkeit lang. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle meinem Zahnarzt, Dr. S. ein dickes Lob aussprechen. „Sanft und kompetent jederzeit wieder“, würde man bei E-Bay wohl sagen.
Die Krone der Schöpfung
Muss schon ziemlich spät am sechsten Tag gewesen sein, als Gott nassgeschwitzt in seinen Sessel sank und die beiden Gestalten betrachtete, die er soeben geschaffen hatte. Er rieb sich das Kinn und runzelte die Stirn, bohrte in der Nase und kratzte sich am Hintern, dann seufzte er ein lautes unheimliches Hmmmmmmm: „Irgendwas fehlt.“
In seinen phantastischen Träumen erschien ihm eine Gestalt mit weißen Hosen und weißem Hemd. Da erleuchtete Gott und er sprach: „Du aber sollst fürderhin dafür sorgen, dass der Mensch das was ich ihm zu beißen gebe auch beißen kann.“ Und so kam es, dass Gott spät, als schon die Glocken läuteten den Zahnarzt schuf, die eigentliche Krone der Schöpfung.
PS: Ich habe einen Termin heute, bloß wo?
Spätnachts, nochwach
Vorhin hab ich irgendwas gefaselt von wegen: „endlich wieder ruhig schlafen können.“ Das war bei Journalist F. Wir hatten eine Ansammlung von Quittungen sortiert, wurden ihrer Herr, vereinten sie mittels moderner Software zu so etwas ähnlichem wie Steuererklärung.
Aber nun hocke ich hier vorm PC. Wie? Schlaflos. Weiß auch nicht warum. Das Feuer knistert. Wenn ich dieser tage die Künstlerbude für mehr als zwölf Stunden verlasse, ist sie eiskalt. Gibt ja nur den Holzofen. Und der füttert sich nicht von alleine. Das Thermometer zeigt mittlerweile 10 Grad plus. Mit zwei Pullovern und Mütze ziemlich okay. Alles eine Frage der Gewöhnung. Ein bisschen sorge ich mich um die Festplatten. Minus drei sollten sie packen. Überlege, ob ich nicht Festplattentester werden könnte. Die Künstlerbude bietet ideale Extrembedingungen.
Zurück zum Zettelkram. Der liegt fein verpackt im Aktenordner. Kann nur noch Tage dauern, bis alles schniegelfein bei den Behörden ist. Ich bin der Marathonläufer der spätkapitalistischen Körperschaftsverwaltung, oder so ähnlich. Überbringer der Botschaft: Hausse!
Spaß beiseite. Die momentane Schlaflosigkeit rührt daher, dass ich das Kunstding wohl nicht mehr los werde. Ich bin zu tief verstrickt in die eigenen verquickten Ideen und Projekte. Seit einiger Zeit denke ich darüber nach, anständig zu werden – ach was, ich unternehme ernsthafte Versuche, eine Arbeit zu finden. Festanstellung soll mein zweiter Vorname sein, Ehrbarkeit meine Adresse. Ist aber nicht einfach, nach zehn Jahren als Künstler, im normalen Leben Fuß zu fassen. Man gilt als nicht resozialisierbar.
In solchen Momenten denke ich manchmal, ob ich nicht der ideale Typ für die Straße bin. Ein Edelpenner, der der Gesellschaft entsagt. Nicht wirklich gescheitert, nicht am Ende, aber auch nicht in der Lage, dazu zu gehören. Ich habe etliche Berber getroffen, draußen unter den Bäumen Europas. Wahllos verteilt zwischen Industrie- und Neubaugebieten mahnten sie erhobenen Zeigefingers: „Achte auf deine Schuhe!“, doch das tut nichts zur Sache. Stolze Menschen, die sich eine Lebensgeschichte zurecht logen. In ihren phantastischen Träumen besaßen sie Geld und hatten es in Wirklichkeit gar nicht nötig, auf der Straße zu leben, aber …
Ja, ein Typ Edelpenner, der sich herumtreibt, das Land bereist und darüber berichtet, das würde ich gerne machen. Aber zunächst gibts noch ein paar Kunstausstellungen. Das Insolvenzverfahren der Europenner ist kompliziert.