Das schnelle Leben

Vom schnellen Leben wäre zu berichten. Entgegen sonstiger Vorlieben ist mein Künstlerdasein zur Zeit ein Hochgeschwindigkeitsdasein. Die Col-Aktion ist in vollem Gang. Marc, der diese Kunstart 1968 initiert hat, ist ein Hansdampf in allen Gassen. Permanent erklärt er den Kunstwilligen, wie diese gemeinsame Art, Bilder zu malen funktioniert. Es handelt sich um Regiekunst. Das heißt vor allem, man funkt sich nicht gegenseitig ins Werk, wie dies vor einigen Jahren einmal in der Stadt passiert ist. Zur Völkerverständigung hatte man eine sechseckige Säule auf den Alexanderplatz gestellt, woran die Gäste aus der Partnerstadt Boulogne Sur Mer zusammen mit Zweibrücker Künstlern malen durften. Eine Zweibrückerin umkreiste mit breitem Pinsel und viel blauer Farbe die Säule. Auf der einen Seite waren die Boulogner damit beschäftigt, ein feines Bild zu malen. Mit jeder Runde, die die Blaustricherin zog, durchkreuzte sie deren Werk. Hatte nichts mit demokratischer Gemeinsamkeit zu tun. Es herrschte Kunstkrieg.

(Diese Geschichte wurde mir so erzählt. Vielleicht ist sie so nicht richtig. Deshalb sind Zeitzeugen gefragt, die gemeinsame Kunstkriegaktion auf dem Alexanderplatz in den Kommentaren zu dementieren oder zu bestätigen.)

Zurück zu den Haaren. Gestern Abend nach 24 Uhr nur um haaresbreite :-) der Glatzköpfigkeit entronnen. Das Leben mit Haaren wird zunehmend unbequem. Ich weiß nicht, wie ich dieser Zwickmühle entrinnen kann.

Was noch? In all dem Trubel geht meine Introvertiertheit ein bisschen unter. Ich komme kaum noch zum Schreiben. Manchmal rette ich ein gutes Wort in den Zettelkasten. Hin und wieder spinne ich Geschichten von Liebe und Leidenschaft. Sie bleiben im Kopf.

Morgen schneiden wir uns Glatzen

Spätabends brach QQlka das Schweigen, während wir vollen Haupthaars am Tresen vor der Galerie saßen und unser Feierabendbier schlürften: „Da war doch was,“ sagte er zögerlich. „Ich dachte wir reden nicht mehr darüber,“erwiderte ich. „Oh doch,“ fuhr er sich zögerlich durchs Haar.

Mir fiel eine Geschichte von Charles Bukowski ein, die etwa so geht: der Held Hank Chinaski landet abends stockbesoffen mit einer Frau im Bett, versucht des Nächtens mit ihr zu schlafen und erwacht am nächsten Morgen verkatert neben einem Kerl. Wie echte Kerle nunmal sind, reden sie nicht über den Vorfall, Genau wie QQlka und ich nicht über unsere Glatzenphantasie.

Um viertel nach Zwölf sagte QQlka: „Morgen schneiden wir uns Glatzen.“

„Puuh, da ham wir ja noch fast 24 Stunden Zeit.“

Die Uhr tickt. Es ist 13 Uhr 29. Ich verstecke Klingen, Rasierapparate, Scheren.

Heute sitzen bei strahlendem Sonnenschein einige Leute im Garten und malen an den Col-Bildern.

Der ehemalige Kuhstall mit dem halb fertigen Fenster ist zur Galerie umfunktioniert. Wände voller Bilder. Das älteste ist 38 Jahre alt. An ihm hat ein irakischer General mit gemalt, der vor Jahrzehnten – mutmaßlich von Saddam-Schergen – in Brüssel oder Amsterdam ermordet wurde. So genau weiß Marc, der Initiator von Col es nicht. Die meisten Mitgestalter an dem Bild sind tot.

Die Luft vibriert von spannenden Geschichten. Es gibt unvorstellbare Biografien.

Last but not least: wer meinen Vater kennt, wird mir nicht glauben, wenn ich sage, er hat in den letzten drei Tagen mindestens sechs Stunden malend im Garten verbracht. Er will gar nicht mehr aufhören.

Das Damokles Schwert der Kahlhäuptigkeit

Die Col-Aktion ist in vollem Gange. Unterwegs in den Ateliers der Stadt, viele Künstlerinnen und Künstler kontaktiert und gemeinsam an Bildern gemalt, was ziemlich inspirierend ist. Zum Malen bin ich zu schnell. Wir arbeiten jedoch spartenübergreifend. Gestern die Stadt in neun Stationen durchquert und die abstrusesten Punkte künstlerisch beackert.

Zum Beispiel die Silotürme gegenüber des Raiffeisenshops. Vor dem Shop war gut sitzen. Sie bieten neben Gift und motorisierten Rasenmähern auch Gartenmöbel feil. Also setzten wir uns. Einer fotografierte, ein anderer schrieb und einer zeichnete. So habe ich die Stadt noch nie gesehen. Ein Kind spielte auf den Rasenmähern. Die Sonne stach durch Wolken. Im Laden kaufte man Dünger, Äxte, Gummiestiefel Gift und Mützen mit wollenen, herunterklappbaren Ohren.

Wir redetetn über das Wetter mit den Passanten: „Kaum zu glauben, wir haben doch Hochsommer, dann das,“ sagte jemand und machte dabei eine ausschweifende Handbewegung. „Wird schon wieder,“ sagte ein Anderer.

Abend diskutierten QQlka und ich die Vor- und Nachteile einer Glatze. In Bierlaune beschlossen wir, uns am nächsten Tag Glatzen zu rasieren. QQlka fuhr sich durchs Haar. „Jaja, fühl nochmal wie es ist mit Haaren,“ provozierte ich. Wir stießen an mit den Worten: „Morgen machen wir das. Dann kaufen wir uns Fellmützen mit Ohrenklappen bei Raiffeisen.“

Den ganzen Tag über herrschte Stillschweigen. Weder sprach ich QQlka auf die Schnapsidee an, noch er mich. Trotzdem baumelt nun dieses Damokles Schwert der Kahlhäuptigkeit über unseren Köpfen.

Die Angst

Sagen wir mal, das 20 qm große Loch im Kuhstall klafft nun schon seit 20 Jahren. Davor war es kreuz und quer mit Brettern verschlagen und mit alten Düngemitteltüten vertackert. Die Kühe im Stall scherten sich nicht um diese unkonventionelle Art des Fensterbaus.

Als ich vor sechs Jahren aufs einsame Gehöft gezogen bin, stellte ich mir vor, wie das Loch wohl aussieht mit echtem Glas. Wie der Kuhstall, welcher zweckmäßig einen schrägen Boden hat, damit die Kuhscheiße abfließt, mit geradem Boden und schönen weißen Wänden aussieht. Vor ein paar Jahren habe ich auf einer Baustelle Glas gefunden, bunkerte es, dachte permanent darüber nach, daraus Fenster zu bauen für den alten Kuhstall. Eine Fläche von vier mal fünf Metern zu verglasen, obendrein nur mit Müll, schien mir gewagt. Ich hatte Angst vor der Glasfront. Glastrophobie nennt das der Psychoanalytiker. Wie dick müssen die Balken sein, schließlich drückt eisig der Westwind? Wie verankere ich die Balken? Und vor allem: wie schaffe ich das möglichst billig?

Heute wars dann so weit. Sechser Balken müssen genügen. Die sind billig. Dazu Dachlatten, Schrauben und das Glas, welches vollkommen verstaubt in einer Abstellkammer fristete. Kreuz und quer die Balken aus fünf Metern Höhe auf einer Leiter balancierend verschraubt. Waghalsiges Unterfangen. Dann die ersten Scheiben ins Fachwerk gefummelt. Ein Traum. Noch ist es nicht fertig. Aber man sieht endlich, was ich seit sechs Jahren sehe.

Eines jener Phänomene, die den Künstler ausmachen. Er hat eine ungeheure Vorstellungskraft. In seinem Kopf existiert das Unsichtbare. Sein Geist ahnt Wege.

Auch wenn es sich in dieser Parabel nur um ein simples Fenster dreht, so ist dieses Fenster und die Sorge darum doch Beispiel für die Angst vorm unbeschrittenen Weg, die wohl jeder kennt. Das Ungewisse, was in Gedanken schon längst existiert wahr zu machen, kostet Kraft.

Was noch? Liege im Zeitplan einen Tag vor. Heute mit dem Cleansweep im Atelier begonnen und eine gute Methode entwickelt, den Vogelmist, der sich im Laufe der Zeit angesammelt hat zu entfernen.

Alltägliches eben.

Natürlich klar, dass man bei all dem Bau- und Putztrubel nicht mehr zum Schreiben kommt. Die Straße nach Gibraltar läuft mir ja nicht weg. Der andere Roman lässt mich nicht los. Beim Bauen und Putzen ist viel Zeit, sich Geschichten auszudenken. Ich skizziere derzeit nur. Somit liegen etliche unveröffentlichte Rohtexte auf dem Server. Hoffe, dass ich die beiden Schriftwerke dieses Jahr beenden kann.

Noch so eine Angst.

Weitsicht

Ich kann wieder sehen. Habe ein Loch in die Wand geschlagen und ein Fenster eingebaut. Fast zeitgleich eine Statistik in die Homepage integriert. Sowohl virtuell, als auch real ist die Sicht verbessert.

Ein abstruses Leben. Morgens, wenn ich noch denken kann, übe ich Serveradministration, vertiefe meine PHP-Kenntnisse. Später gehts ab in die Baustelle, welche mein Atelier derzeit ist. Mit dem Vorschlaghammer zertrümmere ich Wände, stelle mir Fenster vor, wie sie in nicht allzu ferner Zukunft die Löcher füllen. Das größte ist knapp 20 qm groß und soll den ehemaligen Kuhstall vor der, im Winter garstigen, Umwelt abschirmen.

Derweil sind die Dateien des Bliestallabyrinths unterwegs, um endlich Bild zu werden. Ich warte auf Post vom Fotolabor.

Zwischendurch Chat mit der Magersüchtigen. Das ist spannend. Aber nicht wirklich erfüllend. Sie pumpt mich voll mit Problemen. Ich liefere Lösungsansätze, so gut das geht bei aller Nächstenliebe. Bin ja kein Psychotherapeut und habe nur eine leise Ahnung vom Leben, die sich auf selbst Erlebtes beschränkt. Kurzum, ich kann ihr auch nicht helfen.

Da zu sein ist manchmal wichtig. Man darf das nicht unterschätzen. Und man sollte sich gut überlegen, ob man eine Tür für immer schließt und dann nicht mehr da ist. Der Chat ist eine Tür, die man nach Belieben öffnen und schließen kann. Wie in einer WG. Manchmal treffe ich die Magersüchtige in der Küche. Sie frisst, kotzt, geht. Ich wundere mich und versuche, mir ihr Leben physikalisch vorzustellen. Die Kräfte wirken gegeneinander, heben sich auf, potenzieren sich auch manchmal. Dann vibriert ihr Körper, kollabiert ihre Seele. Nicht schön, das mitanzusehn.

Heute war das Wetter ziemlich mies. Ich hab mir vorgestellt, ich verbringe den Winter auf Teneriffa. Im Tausch gegen eine Homepage für Marc. Er hat ein Haus auf der Insel und ein paar Höhlen. Gute Vorstellung. Vielleicht gibt es auf der Insel auch einige Geocaches, die man suchen könnte. Sonne, Wärme, die verrücktesten Menschen und obendrein ein Hobby, dem man fröhnen könnte.

Ja, doch, die Zukunft ist vorstellbar, aber wie jede ihrer Zunft, ziemlich ungewiss.