Weitsicht

Ich kann wieder sehen. Habe ein Loch in die Wand geschlagen und ein Fenster eingebaut. Fast zeitgleich eine Statistik in die Homepage integriert. Sowohl virtuell, als auch real ist die Sicht verbessert.

Ein abstruses Leben. Morgens, wenn ich noch denken kann, übe ich Serveradministration, vertiefe meine PHP-Kenntnisse. Später gehts ab in die Baustelle, welche mein Atelier derzeit ist. Mit dem Vorschlaghammer zertrümmere ich Wände, stelle mir Fenster vor, wie sie in nicht allzu ferner Zukunft die Löcher füllen. Das größte ist knapp 20 qm groß und soll den ehemaligen Kuhstall vor der, im Winter garstigen, Umwelt abschirmen.

Derweil sind die Dateien des Bliestallabyrinths unterwegs, um endlich Bild zu werden. Ich warte auf Post vom Fotolabor.

Zwischendurch Chat mit der Magersüchtigen. Das ist spannend. Aber nicht wirklich erfüllend. Sie pumpt mich voll mit Problemen. Ich liefere Lösungsansätze, so gut das geht bei aller Nächstenliebe. Bin ja kein Psychotherapeut und habe nur eine leise Ahnung vom Leben, die sich auf selbst Erlebtes beschränkt. Kurzum, ich kann ihr auch nicht helfen.

Da zu sein ist manchmal wichtig. Man darf das nicht unterschätzen. Und man sollte sich gut überlegen, ob man eine Tür für immer schließt und dann nicht mehr da ist. Der Chat ist eine Tür, die man nach Belieben öffnen und schließen kann. Wie in einer WG. Manchmal treffe ich die Magersüchtige in der Küche. Sie frisst, kotzt, geht. Ich wundere mich und versuche, mir ihr Leben physikalisch vorzustellen. Die Kräfte wirken gegeneinander, heben sich auf, potenzieren sich auch manchmal. Dann vibriert ihr Körper, kollabiert ihre Seele. Nicht schön, das mitanzusehn.

Heute war das Wetter ziemlich mies. Ich hab mir vorgestellt, ich verbringe den Winter auf Teneriffa. Im Tausch gegen eine Homepage für Marc. Er hat ein Haus auf der Insel und ein paar Höhlen. Gute Vorstellung. Vielleicht gibt es auf der Insel auch einige Geocaches, die man suchen könnte. Sonne, Wärme, die verrücktesten Menschen und obendrein ein Hobby, dem man fröhnen könnte.

Ja, doch, die Zukunft ist vorstellbar, aber wie jede ihrer Zunft, ziemlich ungewiss.

Gegenwärtiger Verlust der Zukunft

Heut‘ ist besser als gestern. Gestern gab es keine Zukunft. Ich saß im Atelier und betrachtete die Wand. Miese Stimmung. Keiner da. Plötzlich war der Satz in mir: „Wenn die Zukunft unvorstellbar wird, dann endet das Leben.“

Die Zukunft war unvorstellbar. Die Wand war weiß. Alles, was getan werden musste, hatte ich getan. „Nach weißen Wänden kann nichts mehr kommen,“ dachte ich und ignorierte blauäugig alles andere, was das Leben ausmacht, Liebe, Sehnsucht, der Wille und noch ein paar Kleinigkeiten. Keine Menschen: Zukunft unvorstellbar. Liebe gaukelte wie gehenkt im Raum – ich will nicht sagen, dass Liebe nutzlos ist, zumal sie immer da ist, aber im Zustand des Zukunftsverlusts nimmt sie eine Nebenrolle an.

Längst vergessene Menschen kamen mir in den Sinn. „Was sie wohl treiben, gerade im Moment?“ – manche sind tot – „andere werden schlafen und am nächsten Morgen aufwachen. Wieder andere amüsieren sich oder haben Sorgen. Manche schlafen mit wem auch immer.“

Die unvorstellbare Zukunft war Dunkel, ein Nichts, also überlegte ich, ich könnte mich aufhängen an einem der neuen Balken im Atelier. Spielerisch drehte ich, rein gedanklich den Strick, warf ihn hinauf, legte ihn um den Hals, stieg auf einen Stuhl, stieß ihn weg.
Dann kamen Zweifel: „Kannst dich doch nicht an den guten Balken aufhängen, die dir dein Erbonkel geschenkt hat, die waren teuer genug, wie sieht das denn aus?“ Also verlegte ich die gedankliche Erhängung in die Moschellandsburg, wo kürzlich die Hochzeitsparty meiner Freundin A. statt fand. Ein guter einsamer Ort mit einem riesigen Gebälk über dem Burgverließ. Dort gibt es keine Balken vom Erbonkel. Dort müsste man das Seil winden.

Wieder kamen Skrupel: „Am nächsten Tag kommen Spaziergänger, womöglich sogar Kinder.“ Ich stellte sie mir vor, wie sie spielend einem Ball hinterherjagen, so glücklich wie nie wieder im Leben. Wie sie plötzlich vor baumelnden Füßen stehen, hinaufblicken. Ein Schock fürs Leben. „Das kannst du ihnen nicht antun.“

Wurde also nix mit dem Erhängen. Ich legte mich ins Bett, schlief friedlich ein und am Morgen war die Zukunft wieder vorstellbar. Ich beschloss weitere weiße Wände zu bauen. Das Atelier ist groß genug.

Was bleibt (jenseits dieses ironischen Beitrags) ist der Gedanke: was ist, wenn die Zukunft wirklich einmal unvorstellbar wird und es nichts, nichts, nichts, rein gar nichts mehr gibt, was einen antreibt, zieht, schiebt, bewegt? Kann man dauerhaft mit dieser Leere leben? Ohne Ziele. Ohne Wünsche. Ohne Sehnsucht.

Die Wand

Gestern wieder geschuftet, nachdem ich für 30 Euro ein paar Rigipsplatten gekauft hatte. Die Wand zwischen Atelier und Wohnung in der Mache. Seit Jahren steht sie halb fertig. Es ist eine Hohlraumwand. Die Seite zur Wohnung sieht richtig wohnlich aus. Auf der Atelierseite klaffen Löcher, hängt Dämmstoff schlaff herum, sieht man Dachlatten. Sie ist unfertig. Vermutlich kann nur ich mir vorstellen, wie sie aussehen wird, wenn sie fertig ist. Ich kenne den Plan. Ich weiß was von der Zeit. Gerne findet man sich mit dem Zustand der Dinge ab. Die Entwicklung verschließt sich den Meisten. Ist eigentlich genau wie mit Menschen. Man begegnet ihnen, sortiert sie ein in Schubladen, sagt, so und so isser nunmal, dieser Mensch. Die Dynamik bleibt außenvor.

Trotzdem entwickeln sich die Dinge und trotzdem entwickeln sich die Menschen. Meine längst verflossene Freundin Kristin hat das so ausgedrückt: „Du bist auf dem Weg, ich bin auf dem Weg, wir gehen gemeinsam, bis unsere Wege in andere Richtungen führen“.

So entwickelten wir uns. Sie sich. Ich mich. Der Tag des Abschieds war schwer. Nur Liebe ist geblieben. Die Menschen sind weg (unterwegs in andere Richtungen).
In gewisser Weise waren wir wie die unfertige Wand zwischen Atelier und Wohnung. Zwei Ahnungen von einer unbekannten Zukunft.

Ähnliches hab ich gestern bei utopia gefunden (aus Terry Pratchets Der Zeitdieb).
Ich erinnere mich an gestern,« murmelte Wen nachdenklich. »Aber die Erinnerung steckt jetzt in meinem Kopf. Existierte das Gestern wirklich? Oder ist nur die Erinnerung daran real?

So verbrachte ich den Abend damit, zu denken, dass die Vergangenheit nur eine Erinnerung in der Gegenwart ist und somit nicht unbedingt existent sein müsste. Kristin hätte somit nie existiert und auch nicht die Wand, wie sie noch vorgestern halbfertig das Atelier von der Wohnung trennte. Die Wand ist weiß. Sie ist gerade, sie ist schön, nichts deutet darauf hin, dass sie zwei Jahre lang unverkleidet war.

Kurzer Eintrag zur Nacht

Heute mal wieder mit der Geocacherin Lilu unterwegs. Hatte eigentlich keine Zeit, weil ich die Bude mit dem Vorschlaghammer vergrößert habe. Baumaßnahmen stehen an. Trotzdem nehm ich mir die Freiheit, durch den Wald zu schlendern und Erdverstecke zu suchen.

Brillianter Tag.

Hätten am Morgen nicht vier Hühner tot im Stall und der Hahn mit einer schrecklichen Kehlkopfwunde im Sterben gelegen. Das geht mir hart ran. Wenn ich gläubig wäre, würde ich das Ereignis für ein Omen halten. Mein Vater ist am Boden zerstört. Der Hahn war sein Ein und Alles (naja, Eines von zwei Ein und Allesen). Mit dem Spaten gab er ihm den Gnadenstoß. Ich fühle mich mit verantwortlich, weil ich entgegen üblicher Gepflogenheiten nicht abends noch einmal nachgeschaut habe, ob er den Hühnerstall verriegelt hat. Somit hatte der Fuchs des Nächtens freie Hand.
Nun suche ich einen Hühnerverkäufer in der Region Südwestpfalz, stelle mir ein Geschenk vor, das meinen Vater etwa so erwarten wird: Kiste mit toller Schleife vor Haustür, und darin gackern ein paar Hühner und ein feines rotes Hähnchen.

Weiß jemand nen Hühnerladen?

Entscheidungen

Betriebssystem verwechselt. Somit in den Webmodus gebootet und nicht, wie geplant, das Bildbearbeitungssystem. Kann ich auch kurz Mails rufen und ein paar Zeilen an dieser Stelle hinterlassen.

Wenn dieser PC hochfährt, ist das wie eine Weggabelung. So ähnlich wie vorgestern, als QQlka und ich den Weg hinauf zur Moschellandsburg suchten. Einheimische erklärten uns die Route vom Dorf Niedermoschel bis zur Burg: „Zur Bundesstraßenüberführung, an der Gabelung rechts, geradeaus bis zur Burgstraße.“

Die schlängelt sich schneckengleich um den Hügel.

Leider hatten die Einheimischen vergessen, eine weitere Gabelung zu erwähnen. Wir keuchten bis dahin. QQlka sagte links, ich war unschlüssig. Null plus links gibt Links. So keuchten wir weiter, bis sich der Weg im Nichts verlor. Der war also falsch. Als Radler gibt man ungern Höhenmeter anheim, also fabulierten wir ein Bild von Burgweg, welches sich nur wenige zwanzig Meter von unserer Position manifestieren könnte. Ackerten durchs Gebüsch. Nach 200 Metern standen wir vor einer Kuhweide. Ich überlegte, umzukehren, aber QQlka wuchtete die Räder über Stacheldraht, weiter in einer 100 Prozent Steigung (das ist ein Winkel von 45 Grad, man bewegt sich genauso schnell nach oben, wie vorwärts). Laune total im Keller. Ich dachte an den Splügenpass, Simplon und San Bernardino, Pas de La Casa in den Pyrenäen, sowie zahllose isländische Pässe, die ich einst per Rad erklommen habe. Nun soll es hier scheitern? In dieser namenlosen Einöde, weniger als 300 Meter über dem Meeresspiegel?

Menschen, die auf dem Berg wohnen, sterben im Tal.

Vollkommen außer Puste stützte ich mich aufs Rad. Vor mir lag ein riesiger Kuhfladen. QQlka versuchte mich zu motivieren: „Es ist der Kopf,“ sagte er, „es ist immer der Kopf, er nimmt dir die Kraft.“

Fluchend weiter. Von Westen Gewitter. Genug Zeit, um über Entscheidungen nachzudenken. Man kann lange an Kreuzungen in der Unbekanntheit dieser Welt stehen und überlegen, welcher Weg der richtige ist. Vorwärts kommt man dann nicht. Das gilt sogar für richtige Wege, wie unseren unterhalb der Moschellandsburg.

Ein ähnliches Problem hatte ich heute mit den Bildern des Bliestallabyrinths: sollen die Endergebnisse bunt, sepia oder schwarz-weiß werden? Die Kreuzung ist ein 3 Gigabyte-Ordner.

Werde nun das Betriebssystem wieder wechseln. Bei Betriebssystemen ist die körperliche Anstrengung nicht so drastisch. Gerne gibt man ein paar Höhenmeter preis.

Und:

Die Bilder werden bunt, zu zwei Dritteln im Normalmodus mit Sepia überlagert. Die Aktion ist schon geschrieben. Den Rest erledigt die Software. Die Entscheidung für die Rahmenfarbe kann nur Altrosa lauten.