iDogma Postcards

Nach zwei Tests ist nun die erste „fremde“ iDogma-Postkarte unterwegs. Zum Künstlerkollegen und Sammler Schalenberg.

iDogma ist jedes Kunstwerk oder Schriftstück, das nur unter Benutzung eines Smartphones entsteht. Ein Foto, aufgenommen mit dem Smartphone und auf dem Smartphone bearbeitet mit entsprechenden Bildbearbeitungsprogrammen. Oder mein Jakobswegbuch, das live nachts in den Pilgerherbergen geschrieben wurde und morgens, noch pixelfrisch auf dem Bildschirm der LeserInnen landete. iDogma ist schnell und direkt und bis zur Ausgabe des Kunstwerks auf  einem Drucker rein digital. Vielleicht die digitalst mögliche Kunst, die auf herkömmlichen Medien gezeigt werden kann? In den Jakobsweg Spoken-Skripts findet sich eine Notiz, die weit in die Zukunft schaut: der Künstler mit dem Chip im Kopf, der das Smartphone ersetzt und der steuert, welche Gedanken auf einem Drucker ausgegeben werden, per Mail gesendet, gebloggt, getwittert, hinausgeworfen. Ein langer Weg. Momentan darf der iDogmatist froh sein, wenn er halbwegs sauber programmierte Apps hat zum Vorbereiten seiner Kunst.

Nun nutze ich die Touchnote-App zur Versendung von Kunstpostkarten. Bild mit dem Smartphone machen, Text schreiben für die Kartenrückseite, Adresse übermitteln und die Karte wird in London ausgedruckt und kommt mit der Royal Mail zum Empfänger. Zwei Tage aus dem Telefon des Künstlers bis zum Empfänger.

Als ersten Anbieter hatte ich natürlich die Deutsche Post mit ihrem Schreibcenter getestet. Aber: deren Schreibcenter-App (Version Februar 2011) ist so miserabel programmiert, dass das übermittelte Bild schief und mit Fehlfarben ausgedruckt wurde und der Text mitten im Wort umgebrochen wurde. Zudem kostet die Postkarte fast zwei Euro ins Ausland sogar Zweizwanzig – Touchnote versendet – beinahe weltweit – für Einsfünfzig.

Was keine Werbung sein soll. Der iDogmatist ist grundsätzlich nicht mit den Apps zufrieden, läuft mit seiner Kunst auf dem mobilen Kleinstcomputer hart am Wind.

Die beiden Test-iDogma-Karten tragen die Nummer 1 (Schreibcenter Post) und 1.1 (Touchnote). Beide haben das gleiche iDogma-Bild, ein in Sandwichtechnik hergestelltes 3-Megapixel-Bild mit dem Titel „Phasfaldpfahl“. Schalenbergs iDogma Postcard ist die Nr. 2. Ein unbearbeitetes 3-Megapixel-Bild, das eine Eins auf Pflastersteinen neben Zigarettenkippe zeigt.

Ich werde eine Galerie einrichten für die Einzelwerke. Ein richtungsweisendes KunstProjekt.

Arbeit am Feinen

Vielleicht sollte ich die Artikel dieser Tage einmal zusammen fassen zu einer Art Feinheits-Philosophie? Habe ich den Artikel „Vater des Manns fürs Grobe“ eigentlich veröffentlicht? Falls nicht – der Mann fürs Grobe in mir hat es verhindert. Fehlt auch noch „Mutter von Mann für Grobes“. Und Oma. Vom Salatputzen sei die Rede und vom Holzhacken.

Ein feines Puzzlestückchen habe ich gestern zurecht gefummelt: Im Blog kann man nun die Kategorie „Jakobsweg“ chronologisch sortiert aufrufen.

Sowie in dem Menüpunkt „Livereisen“ alle vier direkt gebloggten Reisen des letzten Jahres vereinigt.

Gestern wurde die erste iDogma Postkarte der Welt zugestellt.

Nun fein Brot schmieren und auf zum Tackern. Schmier Arbeiterpausenbrote statt Worte, ich Schalk im Nacken der Literatur, ich.

Nase an der Mauer

Panorama Bundeshaus Bern

15 Aufnahmen keine 10 Meter vom BesucherInneneingang des Bundeshauses entfernt. Montiert mit Hugin. (Linuxversion 0.7 beta 4 läuft stabil – Sofasofia hatte eine unsägliche Windowsversion erfolglos getestet)

Ein Experiment. Hat das Programm meine Jakobsweg-Panos schon anstandslos montiert, kann es sogar mit dieser extremen Froschperspektive umgehen und erzeugt ein Komplettbild. Wenn man Geduld hat, kann man auch schwierigste Übergänge händsich meistern. Hier jedoch eine einfach automatisch berechnete Bildversion. Man ist ja träge.

Hund du, auf der Sonnenseite des Lebens

„Weissd du?“ wird eine Stimme immer lauter von so einem komischen Kerl direkt neben meinem Fahrrad: „Weissd du wass ischsch alles gedrunke hab gessterrn? Woadga unn Tschinn habb isch halbe Flasche gedrunke unn weiiss du hab isch jetz ga keinn Kopp. Bin isch jetzz topfit und aaach vergess doch die Pillen die machn disch doch nur dumm. Iscch wa übahaup net aggressiv. Kein Schlägerei gestern Abend. Ali wa brav wie Lamm.“

Der vertrauenserweckende junge Mann neben dem Fahrradplatz telefoniert ungerührt weiter, als ich mich 20 cm neben ihm bücke, um das Schloss an meinem Rad zu öffnen. Ich spüre seinen Atem im Nacken. Gänsehaut. Hoffe, dass er meine Angst nicht schmeckt. Wie ein blindes Raubtier, das sein Opfer riecht, schnaubt er ins Handy. Erst als die SoSo aus dem Haus kommt, macht er einen Schritt zur Seite, damit wir die Räder nehmen können für einen Ausflug an diesem sonnigen Tag. Plötzlich sagt er seinem Gegenüber: „Dooch errlisch, guck, der Mann kann bezeugen.“ und hält mir das Handy ans Ohr. Perplexe Frauenstimme am anderen Ende. Um mein Leben zu retten sage ich: „Ali hat recht. Es geht ihm gut.“ „Dein Bruder Ali! Sagsdu dein Bruder Ali, Deutscheman,“ korrigiert mich Ali. „Dein Bruder Ali ist der einzige, der noch gehen kann“, übertreibe ich nassforsch. Zufrieden nimmt Bruder Ali seine Rede wieder auf, „hassdu gehört was Deutscheman hat gesagt? Isch bin topfit …“ Die SoSo und ich schieben die Räder zur Straße. Er folgt uns, „Eh Deutscheman weissdu, hab ich schlanke Schwester, gugg misch an, schlank wie ich.“ „Cool“ sage ich, um mein Leben zu retten und die lebensmüde SoSo gibt ihm zu verstehen, dass sie meine Frau ist und ich gar keine schlanke neue Freundin brauche.

An der ersten Ampel stoppen wir fassungslos. Eigentlich könnten wir jetzt umkehren. Für unsere nächsten Blogartikel haben wir genug. Aber es soll noch bizarrer kommen. Ecke Erlach-Haller-Länggassstraße: eine Videokamera ist aufgebaut und einige Typen in Forstklamotten treiben sich herum. Jeder hat einen Tannenbaum auf der Schulter und wie Lemminge überqueren sie zwei Zebrastreifen mit den Bäumchen, versammeln sich vor einem Cafe und am Ende singen alle im Chor ein Liedchen. Trallala. Prophylaktisch spreche ich direkt neben der Kamera, von wo wir das seltsame Treiben beobachten ins Mikrofon: „www.irgendlink.de  wir werden über Euch bloggen“ (Hey, falls Ihr das lest, liebe PerormancerInnen, lasst mal hören, um was es da überhaupt ging).

Nicht, dass die und Ali die einzigen Spinner wären, die heute die Gegend unsicher machen. SoSo und ich sind vom gleichen Schrot und Korn, auch wenn man uns nix anmerkt.

Vermute ich.

Über die Einsteinterrasse trudeln wir den Troxlerrain hinunter. Mann mit quietschender Tasche, überschwer, macht atemberaubendes Geräusch: „trrz-fert-läfft trrz-fert-läfft trrz-fert-läfft.“ Bei jedem Schritt und ein Paar verweilt an der Ballustrade und beäugt den Flohmarkt vorm Kulturzentrum Reitschule. Er sei schon einmal größer gewesen, der Flohmarkt.

So trudeln wir von Ecke zu Ecke und eigentlich hatten wir das Lorraine-Viertel angepeilt, vielleicht nochmal in der Galerie Talwegeins vorbei schauen, welche einen interessanten Ort darstellt, falls man mal eine Ausstellung in Bern machen wollte.

Landen auf der Sonnenseite der Aare in der Tiefenau unterhalb der A1-Brücke. Auf der gegenüberliegenden Flussseite haben es sich etliche Grüppchen im Flussbett gemütlich gemacht und wärmen sich die Hände an Lagerfeuern. Im schrägen Sonnenlicht steigt Rauch in stroboskopischem Flimmern. Drüben Schatten. Die SoSo kann nicht verstehen, warum sie da drüben sind, wo noch Schneereste liegen und Raureif auf den Steinen, und nicht hier. 15Grad warmes Frühlingsgefühl. Wir beobachten den Fluss beim Plätschern. Sie werden da drüben gezeugt, geboren, sie leben dort und sterben dort. Seit Generationen. Eine Brücke gibt es nicht. „Sie kennen nichts als Kälte,“ sag ich theatralisch. SoSo lacht: „Ali und die Tannenbäume, so soll mein heutiger Blogartikel heißen,“ offenbart sie, „und es kommen darin nur Spinner vor: Ali, die Tannenbäume und du.“ Mist, wassen guter Titel, den kann ich dann ja nicht auch nehmen, oder? Mit einer generösen Handbewegung gibt die SoSo zu verstehen, dass ich das sehrwohl kann. Warum nicht. Die SoSo erklärt gerade, dass sie lange auf der Schattenseite des Lebens stand und nun in der Sonne und dieses seltsame Licht-Schattenbild verfolgt mich sowieso schon so lange. Wie wir uns aus dem Aaretal hinaufackern, verbellt uns ein Köter in einem Garten mit einem hohen Zaun und es ist ungewiss, wie weit das Vieh „sein“ Terrain verlassen kann, ist es doch gänzlich abhängig von der Gunst seines Herrchens oder Frauchens. Wenn hier spanische Verhältnisse herrschen würden, könnte es sein, dass das Hundchen das Gelände nie verlässt und somit immer auf der Sonnenseite des Tals lebt, was einem ja nicht viel nutzt, wenn man unfrei ist. Egal. Weiter oben stehen die SoSo und ich uns gegenüber und diskutieren irgendwas, wie der Weg weiter geht oder auch Wichtiges und das Licht fällt schräg über SoSo auf mich, ihr Gesicht im Schatten, ich gänzlich überflutet von Sonne und ich erinnere mich an eine Szene mit der geliebten I. vor fast 20 Jahren, wie sie symbolträchtig im Schatten steht und ich im grellen Licht. Immer war ich auf der Sonnenseite. Und wenn ich es einmal nicht war, habe ich alles daran gesetzt, dahin zu kommen, ich Hund ich, denn ich hab ja die Wahl, im Gegensatz zu dem Pinscher. „Hund du, auf der Sonnenseite des Lebens, so werde ich den heutigen Blogeintrag nennen. Nene, Ali und die Tannenbäume klingt zwar genauso verrückt, aber das geht einfach nicht, dass wir beide den gleichen Titel haben.“

SoSos Rücken ist warm, nur ihre Vorderseite im Schatten. Es ist kein gemeiner Fremdschatten wie damals bei I., in dem man friert.  SoSo muss sich nur umdrehn.

Das Verflixte an der Sonne ist, dass sie einen nicht von allen Seiten bescheint.

Live-Bloggen – howto? Achwas, mach’s einfach.

(Verfasst am 5. 2. 2011 zwischen 13 und 15 Uhr als Beifahrer Richtung Zürich)

1 Auto mit Aufkleber „Biernachfüllung“ auf der Heckscheibe.
Wisch weg die Hand auf deinem linken Bein. Für die Verkehrssicherheit ist es ohnehin besser.
Im Radio melden sie stockenden Verkehr und – verdammt – der Verkehr stockt und sie spielen Lullifulliliedchen am Abzweig ins Emmental: „I know we won.“ Ich weiß wir gewannen. Doch das Emmental spielt keine Rolle, wie überhaupt der Ort, an dem du schreibst eine untergeordnete Rolle spielt. Viel wichtiger sind die Umstände. Im Jackpot sind 9600 Franken zwischen den Lullifulliliedchen. Ein Flimmern liegt über der Tastatur, als wir die Unterführung Kirchberg durchqueren. Zornige Graffities an den Brücken der A1. Sonne im Rücken, parallel saußt ein D-Zug und ich versuche zum Kern von Etwas vorzudringen. Jetzt, hier, der SoSo beifahrend.
Bloggen ist überall. Ich habe das schon lange gewusst. Auch vor der Camino-Live-Geschichte. Kilometer 27,1. Seit Jahren predige ich – mehr still in mich hinein – schreibe hier und jetzt, der Alltag sei dein Nährboden. Kilometer 32,5. Die Ablenkungen des Alltags sind gleichzeitig die Nährlösung aber auch der Blocker für deine direkte Schreibe. Es gibt kein Mittel ohne Nebenwirkung außer vielleicht Kamillentee.
RA L 1003 auf einem Kennzeichen – was für eine Normfarbe ist das? Bei der Verjüngung Deitingen rasen mächtige Männlein mit ihren mannshohen 4radautos mit 60 Sachen an uns Stehenden vorbei bis ganz nach vorne. Mit Wucht zeigen sie den ahnungslosen Schafen auf den beiden rechten Spuren, wie falsch sie handeln, wenn sie sich sich 100te Meter vor der Enge nach rechts einfädeln. Es herrscht Unsicherheit und Angst sowie ein Unverständnis der Sorglosen gegen die Sorgenvollen. Am Härtesten trifft es die Erkennenden. Handlungsunfähig müssen sie mit ansehen wie die Starken die Schwachen nieder metzeln. Bei Kilometer 41.
Im Stau ist das Dasein ewig.
Nicht der Ort ist wichtig, an dem du schreibst und auch nicht die Situation. Für gute Live-Schreibe ist vor Allem wichtig, sich auf den gelebten Moment zu konzentrieren. Letztes Wochenende lag ich ein paar Stunden wach in der heimischen Künstlerbude. Besuch aus Nürnberg säußelte im Gästebett. Ruhig atmete die SoSo neben mir. Das iPhone hing in Griffweite an der Steckdose neben dem Bett. 4 Uhr nachts. In den Fingern juckte es, einen Blogartikel zu schreiben wie in den Herbergen nachts am Jakobsweg. Ziemlich ähnliche Umstände: mehrere Leute nächtigen in einem Raum und einer ist wach und schreibt alles auf. Ich. Euer Live-Blogger. Es gibt aber keine konsistente Geschichte zu erzählen im Alltag. Der Alltag ist wie Ebene. Er hat keine Höhen und Tiefen und kein Anfang und kein Ende und keine Richtung, weder Start noch Ziel (Passage vorher Cross-WM anreißen).
Km 46. Weit haben wir es gebracht.
Warum ich in jener Nacht nicht geschrieben habe? Die Angst vor der Belanglosigkeit.
Warum ich es nun tue? Im Stau bei km 46,5. – elektronisches Verkehrswarnsystem kündigt an: Unfall voraus. Wir kriechen.
Ich blogge weil die Zeit reif ist, Gedachtes in Worte zu fassen. Weil es eben doch immer Start und Ziel gibt. In der Monotonie des Alltags nimmt man sie nur nicht wahr. Sie sind unscheinbar. Nicht der Blogrede wert.
Also blogge aus Situationen heraus.