Ein Schritt zu weit

Vielleicht war Facebook ein Schritt zu weit. Ich werde nicht warm mit der Plattform. Konzentriere mich, die wirklich fernen Leute zu finden, die Caminaten und Caminatinnen vom letzten Winter. Mein Profil ist Korea-lastig. Es ist eine Art Wachrüttelung: Irgendlink, Du solltest mehr kommunizieren, mailfaule Sau. Machwas :-)

Ich habe vermutlich mehr Mailschulden, als die Griechen Staatsschulden.

Der letzte Schritt

Ich hab’s getan. Ich bin einer von nur 14 Millionen Neuzugängen dieses Jahr. Daran ist die gestrige 12 Stundenschicht schuld. Die klopft einen ordentlich weich – und als nach getaner Arbeit die Bilder von unserer Stadtfestlounge zu Facebook hochgeladen wurden, war ich endlich neugierig und gebrochen genug, mich zu registrieren.
Was sofort auffällt bei der Registrierung, ist, dass das Portal äußerst besitzergreifend ist, fast so schlimm wie der Computerhersteller A., der am liebsten gleich alle Kreditkartenmummern einsammeln möchte bei einer Registrierung in seinem A.-Store. So will auch Facebook gerne alles wissen, erbittet Zugang zu meinem Maillonto. Ein Mähdrescher unter den Leutekennmaschinen. Geradezu unheimlich: schon vier Freundesanfragen warten auf mich. Und noch erschreckender ist die Liste von Leuten, die mir Facebook vorschlägt, die ich vielleicht kenne. Am allererschreckendsden: Ich kenne die meisten tatsächlich.

Was hab‘ ich getan!?

Wem dies gefällt, dem gefällt auch jenes

Das Ende der Selbstvermarkung war schon in Sicht, bevor die Webpropheten in eindringlichen Podcasts darüber aufklärten, dass die Ausbildung einer eigenen Marke im Internet für den modernen Menschen ein absolutes Muss ist. Behauptet Konzeptkünstler R. Bald wird es keine Namen mehr geben, keine Erfinderinnen und Erfinder von Irgendwas, keine Urheberschaften, Schöpferinnen und Schöpfer. Es wird nur noch informative Elemente geben, die miteinander in Bezug stehen. Ähnlich einer Verkettung von Worten zu Sätzen. Konzentriere dich nicht auf Vermarkung, halte besser deine informative Hütte sauber.

Prisen in der Datensuppe

Wieder einmal sitze ich vor der Facebook Anmeldeseite. Drei kleine Angaben und ich könnte dazu gehören. Zur wohl weltgrößten sozialen Gemeinschaft.Vielleicht trainiere ich für einen stillen Rekord: will derjenige werden, der am aller-aller-öftesten die Startseite aufgerufen hat, darüber sinniert hat, sich anzumelden und dann weiter geklickt hat?

Durch serendipitische Irrwege ein paar Webseiten zuvor folgenden Artikel entdeckt über die mögliche Zukunft des Internet. Ein Schriftstück von 2006. Das erinnert mich an eine frühe Diskussion mit Konzeptkünstler R., in der wir fabulierten, ob in nicht allzu ferner Zukunft sämtliche Streitereien um Marken, Urheberschaften und überhaupt allem Individuellen über Bord geworfen werden. Datenbanken übernehmen die Herrschaft über die zwischenmenschliche Information. Eine Art Datensuppe entsteht, ein Produkt aus tausenden von Bestandteilen und Gewürzen, an dem jeder nach Herzenslust sich laben darf und seinen eigenen Mix zusammenstellen kann. Originale werden zerkleinert und neu zusammen gesetzt. Der Urheber/ die Urheberin von Produkten, Ideen, Worten usw. tritt in den Hintergrund, verblasst – es wird in naher Zukunft kaum noch möglich sein, herauszufinden, wer wann was hervorgebracht hat in dieser Welt – mehr noch: es wird egal sein.

Beim Tomatengießen fällt es mir wie Schuppen von den Augen: der Tomate ist es egal, wer sie gießt. Sie will nur Wasser und ein bisschen Dünger. Das ist alles. Und genau so verhält es sich eigentlich mit Ideen. Ideen wären umso fruchtbarer, wenn man sie freigeben würde zur Weiterentwicklung, anstatt sie geheim zu halten, aus Angst, jemand anderes könnte mit DER zündenden Idee das Millionenvermögen verdienen, das man eigentlich gerne selbst damit verdienen würde.

Das Gespräch damals mit R. vor vielen Jahren, führte tief in die dunklen Irrgänge des Kapitals. Wir kamen zu dem Schluss, dass es unmöglich ist, sich aus dem allgemeinen Trend auszukoppeln und zu versuchen eine andere Welt zu leben. Wirtschaftlicher Selbstmord. Ziemlich deprimierend. Klar, dass unsere Namen irgendwann verloren sein würden. Die Dinge, an denen wir schaffen, würden dennoch existieren.

No Future, no Past, geschweige denn Past Perfect

Wie geht es eigentlich weiter mit dem Irgendlink-Blog? StammleserInnen dürften gemerkt haben, dass der müde, werte Herr in letzter Zeit nur noch selten bloggt, meist von unterwegs. „Ist der Alltag es dir nicht mehr wert, darüber zu schreiben?“ schimpfte mich kürzlich mein alter Freund, Konzeptkünstler R. „Trägst die Nase hoch, seit du den Camino gelaufen bist. Dabei solltest du gerade auf DEM Weg eine gewisse Demut verinnerlicht haben, die dich zu einer Art Alltagsbuddhist adelt, Gelassenheit dein zweiter Name, Ruhe im Blut und dieses sinnliche Lächeln der Glückseligkeit auf den Lippen, das den einst Rastlosen, der gefunden hat, was er sucht, zum Menschenfreund hat wachsen lassen.“

„Hä?“

„Ich will damit sagen, dein Hiersein gehört ebenso zu deinem Leben wie dein Unterwegssein.“

Wie lange bin ich jetzt schon wieder daheim? Ein halbes Jahr seit dem Camino Frances und eine Woche seit dem Pfälzer Jakobsweg. Ich erinnere mich, dass ich letzten Sonntag überlegt hatte, einen Umweg über die Arbeitsstelle zu machen und einen Zettel in den Briefkasten zu werfen: „Ich kündige. Sofort!!! Gezeichnet. Irgendlink“. Entgegen meiner Art hätte ich hinter ‚Sofort‘ gleich drei Ausrufezeichen gesetzt, als ob das das Wort um so ausrufenswerter machen würde. Eine läppische Stunde Umweg und ich wäre als freier Mann hinaus in die Welt, wäre dem Jakobsweg weiter gefolgt für die nächsten 2000 Kilometer. Nun, da ich diese Zeilen schreibe, könnte ich schon weit südlich von Metz sein.

Warum nicht? Nun, ich habe eine Entscheidung getroffen. Sicher hätte die kühne Kündigungsidee im Rahmen des Möglichen gelegen. Aber verdammt, ich mag den Tackerjob einfach. Mantrisches Loungemöbelbauen tagein tagaus ohne stressige Situationen hat einen echten Erholungswert. Das Problem liegt eigentlich darin, dass ich zwar gut und gerne ein zwei Jahre unterwegs sein könnte, ohne gänzlich auf der Straße zu landen, aber irgendwann wäre das Geld doch alle und ich müsste zurück genau dahin, wo ich einst gestartet bin.

So mein kleingeistiger Gedanke. Zum ewig reisenden Liveblogger fehlt mir der Mumm.

Gestern, Freitag, habe ich während eines 10-Stunden Arbeitstags die ganze Zeit an Schweden gedacht und wie die SoSo und ich das Land durchqueren und live darüber bloggen. Das wird dann die sechste Livereise werden. Eigentlich liegen nur noch vier fünf Wochen und 500 kleine Loungemöbel zwischen jetzt und Schweden. Das gute am Künstlerleben ist, dass wir Künstler immer in schönen Gegenden unterwegs sein können, weil wir genug Phantasie haben, uns aus der Alltagsmisere wegzudenken. Vielleicht ist das ein Grund, warum der Herr Irgendlink so selten schreibt in letzter Zeit? Die Gegenwärtigkeit hat eine unglaubliche Größe erreicht. Es gibt kaum Zeitempfinden mehr. Ich ruhe. Es müsste keine Vergangenheit geben und auch keine Zukunft. Ich muss mich zwingen, mir Zukunft und Vergangenheit vorzustellen dieser Tage. Ich hoffe, dieser seltsame Zustand führt nicht in die Demenz.