Tief sinken auf hohem Niveau

Einer jener Abende. Einer jener Tage. Eine jener Situationen. Verdammt in den eigenen PC. Virtuell, online, an der Welt teilhabend per Sozialer Medien. Nicht mehr ‚echt‘ existierend dem Leben und einem gelebten Leben hinterher heulend. Lese ich den Tweet eines Freundes, in dem es ums Rauchen geht und wie schlimm die Situation ist, bei Hochwasser, abgeschnitten von der Möglichkeit für Nachschub zu sorgen, keine Chance zu haben, Zigaretten oder sonstwie Rauchbares aufzutreiben.

Auf einem einsamen Gehöft abseits der Welt ist nicht gut Tabak beschaffen, falls man, als sozusagener Ex-Raucher mal Lust hätte auf eine Zigarette. Die Stimmung stimmt. Musik dudelt per Youtube, Sandinista von The Clash, Hitsville und wie sie alle heißen, die tollen Titel aus den frühen 1980er Jahren.

Jetzt eine Zigarette! Der Twitterfreund skizziert ein Szenario, in dem der Tabak alle ist, die Blättchen und die Filter auch und es gibt noch nicht einmal eine Prawda, die man in Stücke fetzen könnte, um sich notdürftig mit einem Rest Tabak, den man eventuell doch noch fände, eine Notkippe zusammen bappen zu können. (Nachtrag, es waren mehrere Twitterinnen an der Rauchlustauslösung beteiligt, namentlich @FrauRettich und @der_emil).

Ich drifte durch den Abend und lasse mich per Mausklick von hie nach da driften. Im Hintergund dudelt immerhin The Clash nach Herzenswunsch, was unweigerlich die Lust auf Tabakkonsum entfacht. Jetzt eine Zigarette! Oh Welt, was tust Du mir an, mich in die Erinnerung (wie es einmal war als rauchender Mensch) knechtend!

Flapsig kommentiere ich dem Freund etwas mit Aschenbecher und dass es doch problemlos möglich wäre, einen Aschenbecher zu fleddern, um Tabak und Rauchbares zu generieren nur für den gelebten Moment.

Idee!

Hey, Moment mal, das könnte ich eventuell wahr machen, denn solch einen Aschenbecher gibt es tatsächlich hier auf dem Gehöft. Kilometerweit vom rettenden Zigarettenautomaten entfernt. Also nix wie weg vom PC und all den Botschaften, die auf mich einprasseln, runter in die echte Welt. Unters Vordach der alten Scheune. Dort steht ein Aschenbecher.

Es regnet. Es regnet seit Tagen. Seit Wochen. Schon immer? Vor Tagen noch saßen wir beisammen, aßen, redeten, tranken, rauchten. Da ist noch was übrig. Bestimmt. Hoffentlich! Es ist diese seltsame Menschseinsstimmung, geworfen ins eigene Sein, das sich um nichts kümmert als um das eigene Sein selbst. Ein egoistischer Akt, der sich vorbeimogelt an den Problemen der Welt die auf einen eindreschen ohne Gnade und der einen sich glücklich fühlen lässt, ohne dass es dafür eine Grund gäbe. Das Clash-Gedudel tut sein Übriges.

Man ist. Ich bin. Und das ist auch gut so (um es mal mit einem ehemaligen Berliner Oberbürgermeister zu sagen). Kurzum, ich drifte durch den Abend, abgekoppelt von der Welt, dennoch Teil davon, was es zwar kompliziert macht, was aber für den gelebten Moment keine besondere Rolle spielt. Was ist der glückliche Mensch so klein und schön, wenn er einfach nur klein und schön sein darf und es sich eingesteht, klein und schön zu sein.

So klettere ich aus meinem Kokon der Künstlerbude weg von dem Sozialen Medien-Gedudel hinaus in die echte Welt. Regen, Regen, Regen. Durch mannigfaltige Löcher im Dach rinnt das Wasser. Es ist nicht anzunehmen, dass das sechzig Jahre alte Dach auf der Künstlerbude noch die zwanzig dreißig Jahre durchhält, die ich womöglich noch auf der Welt sein werde. Das ist mir aber im Moment egal, denn ich habe mir eine abendliche kleinfeinmensch-Mission definiert, in der es darum geht, sowas Ähnliches wie eine rauchbare Zigarette zu schaffen. Aus Nichts. Einzig aus dem, was aus einem vor Tagen vollgedrückten Aschenbecher noch herauszuholen ist.

Der Aschenbecher ist ein schneeweißes Keramikding, das wie ein Würfel aussieht, in dem sich eine Mulde befindet. Ein in die dritte Dimension entronnenes Renault-Symbol, das einst als Werbedingsi geschaffen wurde. Wenn man den Meterstab anlegt, kann man das Dingsi genau definieren und stellt fest, dass es exakt sonundsoviele Zentimeter hoch, breit und lang ist und dass sich darin zwei Mulden befinden, in die man brennende Kippen hineinlegen kann, gemütlich schwofend mit Leuten, einen Abend verbringend. Ein kleiner, eigentlich wertloser Kultgegenstand mit aufgedrucktem  Renault-Markenzeichen. Ich liebe dieses wertlose Ding. Ich besaß einst zwei dieser Renault-Aschenbecher-Würfel, verschenkte aber einen davon an einen Freund, der ein großer Renault-Fan war und der freute sich riesig über das Geschenk.

Gut fünfzehn Jahre her, dass ich ihm den Fan-Aschenbecher schenkte. Ich habe lange nichts von dem Freund gehört. Laut Facebook aber geht es ihm gut und er ist am Leben und er liebt noch immer Renault und ist Fan.

Zurück zu meiner ‚Sucht‘ und dem anderen Freund, der mich mit seiner Twitterei lustig gemacht hat, jetzt und hier ohne Tabak, Filter und Blättchen eine Zigarette zu rauchen.

Was uns Künstlerinnen so besonders macht, ist, aus dem Moment heraus zu agieren. Aus dem Nichts das Etwas zu schaffen. Das Nichts meines jetzigen Moments ist Zigarette. Es gibt keinen Tabak auf dem einsamen Gehöft. Und das ist auch gut so (siehe ehemaliger Berliner OB, sinngemäß). Wenn man in diesem Zustand die Lust verspürt, dennoch eine Zigarette zu rauchen, muss man mächtig in die Trickkiste greifen. Man muss sich über zahlreiche Bedenken hinwegsetzen: Rauchen schadet. Eine Zigarette führt unweigerlich zur nächsten und ruckzuck hängt man wieder am Stengel. Alles erwiesen und oft ausprobiert und bestätigbar, so isses.

Als Künstler, zumindest so einer wie moi même, Herr Irgendlink, der nicht das Glück hat, mit Wumms in den Kunstmarkt einzudringen, weiß man, wie mit gefühltem Mangel umzugehen ist.

Man improvisiert. Und das ist auch gut so.

Also unterm Vordach stehen, Regen beplätschert. Der Himmel dunkelt noch nicht. Diffuses Licht der Sommermonate. Darf ich diese Grenze überschreiten? Ich starre in den Renault-Kubus. Körper Lust auf Tabak. Nur einen Zug wenigstens. Das wärs jetzt. Also fleddere ich den Grund des Würfels und fummele fünf oder sechs Stummel hervor, vielversprechende Überreste eines gelebten Abends. Normalerweise würde ich nun den Tabak heraus fummeln (ich gebe zu, diese Siuation ist nicht neu) und ihn notdürftig von Asche und Schwärze befreien und den gereinigten Stoff in ein frisches Blättchen rollen. Auf Wunsch mit Filter. Perfekter Genuss aus Müll. Ich habe weder Blättchen, noch Filter, noch Tabak. Nicht einmal die aktuelle Prawda.

Obs gesund ist? Welch Frage! Ist es natürlich nicht, aber ich könnte und plötzlich, als ich mir die Finger in all dem Müll beschmutze und es stinkt und ekelt, wird mir bewusst, wie jämmerlich und pervers die ganze Situation ist, wie tief ich auf allerhöchstem Niveau in meiner Wohlstandswelt sinke. Ich könne auch runter zum nächsten Automaten und die Scheckkarte reinstecken und mir ein neues Päckchen Kippen kaufen oder zwei. Oder hundert. Aus den Vollen schöpfen.

Wieviel Prozent meiner Mitmenschen haben die Möglichkeit, einfach so aus dem Vollen zu schöpfen und ist das gerecht?

Ist es nicht und ich sollte aufhören vom Rauchen zu reden oder von Annehmlichkeiten oder vom schönen Leben. Wenn man einen Strich unter die Rechnung ‚Schönes Leben‘ zöge auf dieser Welt – alle Menschen gerechnet, die die gerade sterben, die die gerade geboren werden in Elend oder Glück – was käme wohl dabei heraus? Der primitive Additionsmathematiker in mir mag gar nicht ausrechnen, was dabei heraus käme. Die Billanz wäre katastrophal.

Die Billanz ist katastrophal!

Das muss man sich vor Augen führen, wenn man gefühlsmäßig dazu in der Lage ist. Danach glücklich weiter leben? Ist das möglich? Im Nichtwissen und Nichtwahrhaben wollen, fährt man gewiss besser. Man muss sich als moderner Mensch eigentlich in einer permanenten Selbstverzeihungsschleife befinden, um bestehen zu können, vermute ich.

Unguten Gefühls schreibe ich diesen Artikel. Nicht unglücklich, zum Glück.

Wenn ich bloß die Welt retten könnte, für Glück allüberall zu sorgen, das wärs.

Glücklich sein in der Gewissheit, dass es dazu einen Gegenpart gibt.  Unglück nämlich.

Stichworte im Jetzt. Nachdenkenswertes, das vermutlich zu nichts führt. Ich werde trotzdem weitermachen. Das Ergebnis, unter welcher Rechnung auch immer, bzw. unter meiner eigenen Lebensbilanz, ist noch offen.

Das ist doch auch ein bisschen Glück, oder?

Es hat etwas von Möglichkeit.

Ein traumhaftes Eiland namens Wohlbefinden

Herd, Herd, Bart, Fußboden, Staub wischen, Garagentor. So steht es auf einem schnell hingekritzelten Fresszettel. Die Zutuns des heutigen Morgens. Gerade habe ich den Vieltagesbart mit dem elektrischen Haarscherer abrasiert, indem ich in den Garten trete unter den Nussbaum, mir die Kleider vom Leib reiße, mich nach vorne beuge, der Gesichtskontur mit bedacht folge. Der Wind weht die Stoppelhärchen weg vom Körper, verteilt sie auf der Wiese wie Samen. Ich finde, das ist eine gute Methode, dem Bartwuchs Herr zu werden, wenn man nachbarslos und unbeobachtet in einer geradezu thoreauesken Bude auf dem Land lebt.

Halb elf bin ich verabredet und muss somit gegen zehn, besser noch früher, los, um Journalist F. ein paar persönliche Gegenstände ins Pflegeheim zu bringen, denn endlich endlich hat er ein eigenes Zimmer. Weshalb ich ungefrühstückt und mit vielen verschiedenen Zutuns im Kopf hantiere, der Bart ist ab, ich zurück in der Wohnung und die verflixte Uhr zeigt zehn vor zehn. Ich müsste los. Jetzt direkt. Nix Herd, Fußboden, Garagentor, aber immerhin, Bart. Den kann ich von der Liste streichen und naja, das mit dem Herd, also dem unten in der Freilandküche und dem kleinen Zweiplattenkocher oben in der Bude, das ist ja nicht so wichtig, dass ich da mit einem feuchten Lappen darüber wische, damit sie schön sauber sind, wenn später am Tag die Liebste vorbeischaut. Fußboden geht auch ungewischt, nur gesaugt, sieht fein aus, jaja, Herde kochen auch, wenn sie nicht so ganz sauber sind, also schnell ins Auto, in dem schon die paar Habseligkeiten für Journalist F. gepackt sind. Fernseher, Gemälde vom Fliegenden Holländer, Fernsehsessel, tolle alte Stehlampe. Gerade rechtzeitig treffe ich beim Pflegeheim ein und niemand weiß Bescheid und ich ecke mal wieder an bei Frau W. Solche Chaoten wie mich und den Journalisten F. mag sie ja gar nicht, aber sie ist dennoch eine gutherzige Frau. Durch den Hintereingang lade ich die Gegenstände im strömenden Regen aus, zwischenlagere sie im Flur, parke das Auto jenseits der Krankenwagenzufahrt und kehre zurück. Journalist F.s neues Zimmer befinde sich im ersten Stock, sagte Frau W. Treppenhaus rauf, links, rechts et voila. Betriebsblind wie ich bin, irre ich durchs Heim auf der Suche nach dem Treppenhaus, bis ich Frau W. wieder in die Hände laufe und sie mir erklärt, das Treppenhaus sei da, wo ich eingetreten sei, herrjeh, es ist zum Verzweifeln mit mir und Frau W. hat tatsächlich ein bisschen Mitleid mit dem total erschöpften Kerl, der Dinge schleppt.

Das Zimmer von Journalist F., er schrieb es mir per Mail, ist suboptimal. Ein Einzelzimmer, immerhin, aber mit gemeinsamem Bad. Um ins Zimmer zu gelangen muss man durch ein anderes Zimmer laufen, bzw. rollstuhlen, in dem ein Mann lebt, der eine FC Bayern Fahne über dem Bett hängen hat.

Du musst Fußballfan werden sage ich zum Journalisten. Er lächelt verschmerzt. Suboptimal, das triffts. Die Kammer ist vielleicht 12 Quadratmeter groß. Bett, Kommode, Schrank, Tisch und seit heute noch Fliegender Holländer, Stehlampe, Fernsehsessel und ein riesiger Flachbildschirm, dessen Füße so weit auseinander stehen, dass er nicht auf der Kommode aufgestellt werden kann.

Sie lagern Menschen. Es muss funktional und wirtschaftlich sein. Wohlbefinden ist nicht eingeplant.

Für den Fernseher gibt es einen Hack, den wir beim nächsten Treffen durchführen, indem wir ein groß genuges Brett auf die Kommode legen. Dies sei all denen gesagt, die mitfiebern und jetzt denken, wie kann denn der arme Mann ohne Fernseher. Wir kriegen das hin. Durch raue See navigierend in Richtung eines traumhaften Eilands namens Wohlbefinden.

Rechtzeitig bevor die Liebste eintrifft bin ich zurück auf dem einsamen Gehöft und öffne das Garagentor.

Im kurzen Moment zwischen gezücktem Geldbeutel und Kasse steckt alles Glück dieser Welt

Augenkuckverbot seit Montag. Irgendwas plagt einen ja immer. Die Augensache taucht ab und zu auf, macht Kopfweh und ein paar andere Querelen und verschwindet dann wieder. Hilfreich ist, wenn man nicht auf den Monitor starrt, viel schläft, sich keine Sorgen macht, oder wie man so schön sagt, sich keinen Kopf macht um dies und das.

Vorsorglich mal den Doktor konsultiert, was aber auch verflixt am Ziel vorbei schießt, da die Symptome bis zum Termin nächste Woche abklingen werden, jaja, sind sie ja heute schon besser, sonst würde ich jetzt nicht vor dem Monitor sitzen und diesen Artikel tippen. Wie auch immer, bis nächste Woche rechne ich mit üblicher Kerngesundheit und der Doktor und ich werden uns über dies und das unterhalten, bloß nicht über Körper und Plagerei. Vielleicht kann ich eine Kopfdurchleuchtung rausschinden, damit ich im Fall, dass das Augenweh wieder auftritt nicht immer in schockstarrende Spekulation verfallen muss, welch schreckliche Ursachen das Kopfweh hat.

Ich tippe auf eine bakterielle Entzündung im Nasen-Ohrenraum. Der Hardcore-Hypochonder in mir ist da leider anderer Meinung.

Dass die gesundheitlichen Dinge bisher immer von selbst verschwanden sollte mir eigentlich Arztbesuch genug sein. Das Leben ist nur eine Kombination verschiedener Spekulationen, die einem auf der Basis von Nichts eine Heidenangst einjagen.

Meistens.

Im Alltag läuft es nicht besonders gut. Mit der Wohnungsräumung für Freund Journalist F. habe ich mir selbst jede Menge aufgebürdet. Schließlich lagern nun jede Menge Gegenstände vom Journalisten in meinem Atelier. Der Umgang mit fremder Leute Dinge ist lästig. Im Anblick von fremder Leute Belange habe ich den Eindruck, es gibt mich selbst gar nicht als wollendes Wesen, sondern ich bin ein Gefangener zwischen den verschiedenen Bedürfnissphären anderer. Obendrein sehe ich mich mit all dem sinnlosen Material, das ein Mensch angehäuft hat und das sich im Atelier und in den angrenzenden Räumen mit all dem sinnlosen Material, das andere Menschen angehäuft haben, nun überwältigt von zu habenden Dingen, zurückgeworfen in die Zeit, als ich das Buch Haben und Sein las und mich mit der Problematik beschäftigte, an irdisches, profanes Gut gebunden zu sein und darin versuchen zu müssen etwas wie Lebensglück zu finden. Als ich das Buch vor Jahrzehnten las, war mir nicht ansatzweise bewusst, was noch auf mich zukommt und dass es mit dem Denken darüber nie und nimmer nachlässt und dass alles viel schlimmer werden wird, weil man nicht alleine ist auf der Welt und sich nicht gegen den Usus der Masse stellen kann. Wenn die Masse das Leben so und so vorlebt, habend, im Konsum versuchend, glücklich zu werden, dann färbt das auf einen selbst ab. Es ist wie an einem stark schmutzenden Verkehrsweg zu leben, den Dunst und die Abgase alltäglich einatmen zu müssen, weil es nichts anders gibt an Luft und so gibt es wohl in der Gesellschaft auch keine andere Möglichkeit als zu konsumieren und sich selbst in die Herde der Melkkühe des ewig kapitalistischen Verkäuferseelchens einzubringen.

Konstatiere ich.

Die Journalistenhabe ist jedenfalls dem einsamen Gehöft einverleibt. Neben Vaterhabe, Tantenhabe, Schwagerhabe, Onkelhabe, Freundeshabe, Freundesfreundhabe, Menschen-die-ich-längst-vergessen-habe-habe …

Nichts davon bin ich. Manchmal, wenn ich all die Gegenstände betrachte, die irgendwann irgendwer hier auf dem einsamen Gehöft eingelagert hat, nur mal eben ein paar Monate, erfreue ich mich eines Dings und stelle mir vor, wie es wäre, es zu besitzen, komme aber zur Erkenntnis, dass nicht der Besitz eines Dings das ist, was einen glücklich macht, sondern der Kauf. Dieser kurze Moment zwischen Kasse und Ladentüre, in dem der Gegenstand, sagen wir ein Blumentopf, noch nicht ganz mir gehört, aber auch schon nicht mehr demjenigen, der ihn mir verkauft. Das muss wahres Glück sein. Im kurzen Moment zwischen Kasse und gezücktem Geldbeutel steckt alles Glück dieser Welt. Der Gegenstand, sagen wir ein Neuwagen, hat in deisem Moment noch genau den Wert, der auf dem Preisschild steht. Diesen Wert wird er nach abgeschlossener Bezahlung nie wieder erreichen. Genauer betrachtet wird der Gegenstand, sagen wir ein Fernsehgerät, nach dem Bezahlvorgang, wenn er in mein Eigentum übergegangen ist, gar nichts mehr wert sein. Wenn man den Gegenstand, sagen wir ein Ebike, nach dem Kauf wieder loswerden möchte, ihn verkaufen möchte, muss man sich einreihen in die Riege der Händlerinnen und hoffen, dass das Argument, der Gegenstand, sagen wir ein Elektroherd, ist ja gebraucht, hat Kratzer usw., nicht allzu mindernd auf den Preis auswirkt.

Ich schweife mal wieder ab. Bitte entschuldigen Sie. Es war nur mal wieder ein Auge-auf-Monitor-Moment, in dem ich nicht umhin konnte, ein paar Zeilen zu schreiben. Muss doch geschmeidig bleiben, das Hirn, um Großes zu schreiben irgendwann.

PS: Telefonbuch, Waschmaschine und das Fragezeichen.

Das Blog vertont

Beinahe wäre es passiert! Ich hätte mich nachmittags vors Mikrofon gesetzt und einen Blogeintrag gesprochen, also nicht einen schon geschriebenen Blogeintrag gelesen und ver-em-pe-dreit, sondern statt zu schreiben ihn live ins Mikrofon diktiert.

Telefonate und andere Querelen kamen dazwischen.

Beflügelt und auf die Idee gebracht, dass man ja statt zu schreiben driekt aufs Mikrofon einreden könnte, hatte mich, dass ein erster Beitrag nun auch als mp3-Datei fertig geworden ist. Die Schauspielerin Silvia Bervingas hatte ‚Haferflocken, die halbe Miete der Künstlerernährung‚ gestern gelesen.

Es ging recht flott und ganz zwanglos. Wir tranken Kaffee, rauchten Zigaretten, schwätzten ein wenig. Zwischendurch las Silvia den Text probe, den ich ausgedruckt hatte und das war auf Anhieb gut. Im Audiofile, das ich in den oben verlinkten Artikel eingefügt habe, findet Ihr den zweiten Anlauf, eingelesen im Irgendlinkschen Atelier mit einem guten Mikrofon an einem lautlosen Raspberrypi und mit Audacity zurecht geschnitten und entrauscht.

Tja. Ein Musterbeispiel langsam gelebten Lebens mit Bedacht.

Tja, jetzt ist es soweit. Die selbst auferlegte Pflicht, täglich zu bloggen, bringt diesen Artikel hervor, der wahlweise von Bedingungslosigkeit, vom Künstlerinnenalltag, von komplexen Suchen merkwürdiger Dinge auf einem einsamen Gehöft irgendwo im Grenzland zwischen Saarland, Pfalz und Lothringen, oder von Besteckschubladen handeln könnte.

Gutso, dass  ich es nun, fast 24 Uhr spät noch angehe. Der Tag war arbeitsam. Ich hatte überlegt, Pesto zu machen irgendwann in einer Art Mittagspause, was allerdings einen Rattenschwanz an Tätigkeiten nach sich ziehen würde. Der Basilikum im Garten wächst wunderbar, Parmesan ist im Kühschrank, Salz, Pfeffer, Knoblauch gibts auch und kürzlich rettete ich die Säcke mit den Walnüssen, die ich letzten Herbst gesammelt hatte vom Dachboden ins immerkühle Atelier.

Die Walnüsse müssen geknackt werden. Natürlich. Ohne geknackte Nuss kein Pesto. Logisch. Ich bin alt und träge. Die Handgelenke sind nicht die besten, weshalb ich Walnüsse immer mit dem Schraubstock knacke. Ein langsamer Akt produktiver Zerstörung. Der Schraubstock ist blau, klein und der Hebel, mit dem man die Backen zusammen dreht ist seit Jahren kaputt. Irgendwie gelingt es trotzdem, das Ding zu bedienen, aber das kann ja kein Dauerzustand sein, weshalb die heutige Kunstbübchen-Pesto-Vorbereitungsaktion mit Schraubstock zum Musterbeispiel langsam gelebten Lebens mit Bedacht wurde. Ich hatte es schlicht satt, mit einem improvisierten Schraubstock, dessen Drehgriff sich permanent löst, zwölf Nüsse fürs Pesto zu knacken.

Tagesziel Schraubstock reparieren. Ich beginne damit nachmittags. Wie in jedem normalen Computerspiel muss man zum Pesto machen, respektive Nüsse knacken, respektive Schraubstock reparieren, um Nüsse fürs Pesto knacken zu können, zahlreiche Level durchlaufen und sich die Habseligkeiten zusammen suchen. Axt, Schlüssel, Schutzbrille, usw. Der Phantasie ist keine Grenze gesetzt. Das einsame Gehöft ist groß und man kann kilometerweit umher irren, um sich Level für Level all die Dinge zusammenzusuchen. Aber hey, im Grunde repariere ich doch nur einen Schraubstock.

Wie erkläre ich das nun kurz und knackig? Gewindestab absägen, biegen, selbstsichernde Mutter und zwei Kontermuttern, alles durch Löcher stecken, verschrauben und schließlich noch einen handschmeichelnden Korken als Griff, ein Abenteuer zweifellos, diebisch sich freuend am improvisierten Detail. Ich bewege mich den ganzen Tag jenseits der neoliberalen Ambition, sich selbst zu optimieren und beim Discounter ein Gläschen Pesto für 1,49 Euro zu kaufen.

Kurzum, gegen Dunkelheit konnte man den Künstler, moi même in der Außenküche unter dem Vordach vor dem Atelier sehen, wie er zwölf Walnüssse mit frisch renoviertem Schraubstock knackt, die Kerne heraus puhlt, sie in eine Tupperschüssel füllt und zufrieden mit dem Tagwerk den Abend ausklingen lässt.

Pesto ist dann der nächste geile Scheiß. Ich weiß noch nicht, wie ich morgen oder übermorgen den Parmesan reibe, aber da fällt mir bestimmt etwas ein, mit dem ich den Neoliberalismus und die Selbstoptimierung verhöhnen und Zeit verschwenden kann, ohne auch nur ansatzweise in Versuchung zu gelangen, beim Discounter für billig Geld, rasant an fairer Arbeitsteilung vorbeischliddernd, ein Gläschen Pesto zu kaufen.

Nachtrag: Die Themen Bedingungslosigkeit, Arbeitsteilung, Geld, Lebenszeit, Fairness, Aus- und Selbstausbeutung wären theoretisch auch in diesem Artikel anzusprechen gewesen, aber mein innerer Selbstoptimierer schaute eben auf die Uhr, jessas, schon halb zwölf, nun aber mal raus mit dem Blogartikel.

Nachtrag: Die Besteckschublade, ach die. Ich hatte sie schlicht aufgeräumt, denn es ist einfach ein Weg der tausend Umwege, einen Schraubstock zu reparieren, mit dem man Nüsse knacken kann. Da muss man zwischendrin Geschirr spülen, im Bett liegen, einen Stromkasten anschließen und eine Geschirrschublade aufräumen.

Sie verstehen das hoffentlich.