Am Deich

So siehts hier aus. Blick nach Norden. Die Deiche sind hier 10 bis 12 Meter hoch. Das Meer tost. Rechts im Bild ist es relativ windstill. Links haut es einen fast um, schreibt Irgendlink zu diesem Bild, das er mir soeben zugemailt hat.

Tag 114 – die Strecke

Auf der Velsen Fähre, Nähe Haarlem. Es ist bewölkt, aber trocken, lese ich kurz nach acht Uhr. Und dass er bereits um die achzig Kilometer gefahren sei.

Bin auf Midicamping. Bis jetzt ruhig, aber ich traue der Sache nicht, schreibt Irgendlink zwei Stunden später.

Da hoffe ich doch gerne mit, dass die Ruhe bleibt und dass das Männerklo diesmal sauber sei.

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Nach LA, Scheinwerten hinterher hechelnd

LA hat angefragt. Sags laut: Äl-Äi. Das klingt wie Verschwörung, dunkle Macht. Ich könnte die Kunststraße „Ums Meer“ auf der wichtigsten internationalen Schau für mobile Kunst zeigen. Speedlife hat mich gänzlich wieder. Mails jagen über den Atlantik, zu Sponsor Sarcom, zur Presse.

In all dem Trubel habe ich glatt verbummelt, in Boulogne-sur-Mer Bescheid zu sagen, dass ich vermutlich schon Dienstag dort sein werde. Puuh. Die Zeit rennt. Ich komme mir vor, wie der namenlose Hund, der mir im Mai 2000 nördlich des Flughafens von Montpellier einige Kilometer hinterher gerannt ist. Ich mit vollbepacktem Radel, er ein junges, ausgesetztes Tier auf der Suche nach einem Herrchen. Die Oberschenkel hatte er mir zerkratzt, als er an mir hochsprang, so dass ich ihn zurück schickte in den Straßengraben. Hunde und Radler passen leider nicht zusammen.

Die Gier nach Liebe, Nähe, Rudel, Nahrung, Anerkennung, Ruhm und Ehre ist eine schreckliche Kraft, die uns Menschen dazu veranlasst, Großes zu vollbringen, aber auch, uns zu verausgaben bis zum Gehtnichtmehr. Das Hundchen von Montpellier kommt mir immer dann in den Sinn, wenn ich anfange zu rennen, dem ersten besten hinterher, weil ich mir etwas davon verspreche. Zugegeben: das International Mobile Art Festival ist eine Sache, die es wert ist. Eine Art Adelung als offizieller Mobilkünstler von allerhöchster Ebene. Aber das Zeitfenster ist denkbar eng: Am ersten August habe ich drei Tage Zeit, etwa 800 Bilder und Textfragmente und Kartenstücke in eine iPad-Schau zu verpacken, die Daten samt iPad nach LA zu schicken. Spätestens am zehnten August muss es dort sein. Run run run.

Das Hundchen aus Montpellier war ziemlich ausdauernd. Ich radelte mit zwanzig Sachen auf ebener Strecke, völlig außer Puste und immer wieder springt mich das Tier an, winselt ein unverstehbares „nimm mich mit, sei mein Rudel“, so dass ich minutenlang immer wieder überlege, kannste dir das leisten, einen Hund auf der Radeltour mitzunehmen. Schäferhundgröße. Nicht so leicht auf dem Gepäckträger unterzubringen. Mein armes, weiches Herz bricht, als ich einen Hügel hinauf keuche, das Tier immer wieder wegschicke, es eine Weile stehen bleibt, mir nachschaut, wieder losläuft, aufholt, ich den Gipfel des Hügels erreiche und auf der anderen Seite mit 40 km/h hinabkeuche, Kilometerweit um zwei drei Kurven. Das Tier ist weg. Und ich um die Fleisch gewordene Erfahrung reicher, dass, egal, ob Tier oder Mensch, immer wieder Situationen kommen im Leben, in denen man bereit ist, alles zu geben, sich bis in Todesnähe zu verausgaben. Wir Menschen vielleicht sinnloser, blinder, Geld, Macht und anderen fiktiven Werten hinterher hechelnd, als etwa ein Hund, der von all dem menschgestrickten Schein gar keine Ahnung hat und der nur eins kennt, fressend durchkommen in irgendeinem Rudel dieser Welt.

Eierdieb der feinen Künste

Muss es so weit kommen? Frühmorgens nehme ich drei Eier aus dem Körbchen im Gemeinschaftsraum des Minicampings Noorderbuurt. Sieht gut aus, so ein Eierkorb auf Kühlschrank, dazwischen Wäscheleinen gespannt wie ein Spinnenetz mit den trocknenden Klamotten des belgischen Radlerpärchens und meines Temporär-Gegenwindzugpferds Rainer und von mir. Ich mag den Minicamping. Da es noch immer stark windet und es einiges zu tun gibt im mobilen Büro, trödele ich im Zelt bis 12 Uhr. Die anderen sind bei teils starken Regenschauern schon abgereist. Rainer kommt zum Abschied an mein Zelt, ertappt das ganze Ausmaß meiner fast viermonatigen Reise: drei Quadratmeter Küche, Bad. Im Schneidersitz, unrasiert, Kaffee kochend. So sieht ein Artist in Motion aus. Ein Künstler in Bewegung. Kunstbübchen, Europenner, nenn es wie du willst.

Gegen Mittag lassen die Schauer endlich nach und ich radele wieder auf die Route LF10b, die südlich von Den Helder auf die eigentliche Noordzeeroute trifft, den LF1a. Ungefähr an diesem Punkt fängt Holland auch an, richtig spannend zu werden. Kilometerweit geht es durch eine verwunschene Dünelandschaft. Der Radweg – mutterseelenalleine in der freien Natur. Obwohl ich so spät gestartet bin, knacke ich gegen Abend die Achzig-Kilometermarke. In einem Einkaufszentrum nördlich der Fährstation, die 24 Stunden am Tag nach Haarlem verbindet, versorge ich mich mit Lebensmitteln. Vor der Tür steht ein Obdachloser, der die örtliche Obdachlosenzeitung verkauft. Natürlich kaufe ich, obwohl das Blatt auf Niederländisch ist. Beschließe, daraus Zeile 13 auf Seite 33 zu zitieren und einen Blogeintrag aus der Sache zu stricken. Dummerweise hat das Blatt keine 33 Seiten. Hum.

Gegen Dunkelheit radele ich kilometerweit durch ein Naturreservat, in dem das Zelten explizit verboten ist. Ein Hirsch springt über den Radweg. Irgendwo hat jemand Landart in den Baum gehängt. Rosa Schläuche und Gummihandschuhe. Ein Parkwächter patrouliert im Allradauto. Langhornrinder grasen. Die Viecher sind gar nicht scheu. Als ich mich nähere, um zu fotografieren, greift mich ein Bulle an.

Ich frage mich nach einem Campingplatz durch, erreiche einen Dünencamping nördlich von Zandvoort. Mit 12€ recht teuer. Die Zeltarreale A, B, C, D und E sind von grasbewachsenen Wällen umgeben. Fünf Minuten Duschen für 1€ und das Wifi 2€ pro Stunde. Willkommen in den begehrten Dünen Mittelhollands. Zum Glück bleibt mir eine lärmige Partynacht, wie sie auf vergleichbaren deutschen Zeltplätzen üblich ist, erspart.

Und die Eier, die den Titel spenden? Ach ja. Als ich gegen Mittag das Geld in die Kasse lege, habe ich nur noch 59 Cent Kleingeld, einen Cent zu wenig, um die Rechnung korrekt zu begleichen. Weshalb ich mit gespielt schlechtem Gewissen, einem Lächeln im Gesicht und tiefsinnigen Gedanken über den Christuspfennig davon radele. Ich Sechzigstel-Eierdieb, ich elender.

(sanft redigiert und gepostet)

Tag 114 – Bilder

Mein lieber Schwan … alle Bilder werden durch Draufklick groß

Geradezu gaudiesque (groß auf pixartix_dAS bilderblog)

Eine solche Flagge in belgisch würde ich gerne zur Mobilkunstausstellung in Brüssel einreichen. Ich hoffe auf Wind und Weite und ein entsprechendes Pendant in Belgien.

In einem Tümpel vor einem Privathaus nahe der Dünen (groß auf pixartix_dAS bilderblog)

Diese Tiere leben in den Dünen. Wenn man ihnen zu nahe kommt, greifen sie an.

Fähre bei Velsen fährt 24 Stunden am Tag

Überquerung eines Kanals mit der Velsen Fähre nähe Haarlem