Wie erholsam das Radreisen ist, merke ich erst jetzt, nach einer unbequemen Nacht an Bord der Shetlandfaehre MU Hjaltland.
Mann, Mann, Mann, bin ich muede!
In Kirkwall klappen sie nach 17 Uhr die Gehwege hoch (die Pubs haben dann fuer ein paar Stunden zu, oeffnen aber spaeter wieder). Die Bibliothek, in der ich den Nachmittag verbracht habe, schliesst um 19 Uhr, weshalb ich zum Terminal der Northlink Faehre radele, 2 km weit. Aber dort gibt es nur verschlossene Tueren und eine LED-Tafel, die sagt, dass das Terminal erst um 21 Uhr oeffnet. Da es regnet und der Wind unguenstig steht, faellt zureuckradeln in die Stadt flach. Ich stelle mich bei einem Gebaeude unter, das aussieht, wie eine Feuerwehrgarage. Nur dass es leer ist. Kahler Windfang. Hundert Meter weiter ballern vier fuenf Kerle mit SOLCHEN Wummen. Ein Schiessstand. Ein Windkraftwerk rattert monoton. Mir ist so kalt, dass ich alle Kleider anziehe, die ich habe: zwei lange Unterhosen und die Radlerhose, fuenf Oberkleider, Handschuhe, Muetze, Schal. Knapp am Gefrierpunkt, garniert mit Nordwind. Vor dem, was aussieht, wie ein Feuerwehrgeraetehaus, laufe ich auf und ab, 15 Doppelschritte bis zur nordwestlichen Hausecke, umdrehn, 15 Doppelschritte bis zur suedoestlichen. Windgeschuetzt. Immer, wenn ich am Fahrrad vorbei komme, das ungefaehr in der Mitte meiner Tierkaefigstrecke steht, luge ich auf die Uhr des Tacho. Minutenweise kriecht die Zeit. Seit zwei Uhr nachmittags ist meine Radeltour im Stillstand. Ein bisschen komme ich mir vor, wie der Amerikaner auf dem Zeltplatz Wheems sich vielleicht von innen anfuehlt: ein Kopf voller Ereignisse blickt zurueck auf ein erlebnisreiches Leben und es gibt nichts zu tun als let the time pass by. Der melancholische Beatles Song „Fixing Hole Where The Rain Gets In Stops My Mind From Wondering“ kommt mir in den Sinn. Ab 21 Uhr Ortszeit warte ich im Terminal. Sieht aus wie ein ueberdimensioniertes Wartezimmer in einem Krankenhaus.
Auf der Faehre haette ich koennen eine Einzelkabine fuer 90 £ buchen, eine Vierer fuer 30 oder das Massenlager ohne Aufpreis. Tollkuehn. Ich waehle das Massenlager. Kaum Passagiere an Bord. Schon gleich nach dem Start liegen die meisten Leute flach in den Sitzbaenken der geschlossenen Cafeterria. Im Ruheraum, wo zeilenweise Sitzreihen mit Flugzeugaehnlichen Stitzen aufgereiht sind, schlafen nur etwa 10 Gaeste. Der Geheimtipp Kino, den mir die Frau beim CheckIn gegeben hat, ist klasse. Nur drei Menschen verteilen sich in dem abgedunkelten Raum. Nachts laeuft kein Film. Ich lege mich zwischen zwei Sitzreihen auf den Teppichboden, schlafe mehr schlecht als recht, aber immerhin, ein paar Stunden sind drin und meine Fronttasche voller Wertsachen ist sicher eingekeilt zwischen mir und der Stitzhalterung. Wer sie nehmen will, muss erst mich wegwaelzen.
Gegen ach, acht Uhr morgens landet die Faehre in Lerwick. Voellig uebermuedet irre ich durch die Stadt. Kaum noch Geld, trinke eine heisse Schokolade, Pizza vom Baecker. Die Gehwege werden erst um 9 Uhr runter geklappt. In der Touristeninfo mache ich ein Zimmer klar. Das Wetter ist mies. Ich muss damit rechnen, voellig durchnaesst in Sumburgh einzutreffen. Da will ich nicht auch noch wild zelten. Zumal ein nass eingepacktes Zelt das Gewicht meines Reisegepaecks unnoetig erhoehen wuerde.
Wie erholsam das Radreisen doch ist im Vergleich zu der hektischen Fortbewegung im Flieger, Auto, Schiff. Ich habe die Kontrolle ueber meine Geschwindigkeit verloren.
In Lerwick treffe ich einen alten Mann, der mit einem Klapprad, das einen Akkuantrieb hat, reist. Auf dem Gepaecktraeger hat er einen Koffer voller Ersatzakkus. Die seien nicht schwer, weil es ja Lithiumionenakkus sind. Sein Reisegepaeck traegt er auf dem Ruecken. Er kommt aus Edinburgh und tourt mit dem winzigen Rad, das er praktischerweise einfach zusammenklappen kann und mit dem Bus oder der Bahn transportieren kann. Gleich ausserhalb Lerwicks sei ein schoener Brough, ein runder Steinturm, den er sich nun ansieht, ob ich mitkomme? Ich bin in einem geradezu lethargischen Zustand, ueberlege, direkt das Zelt aufzubauen und ein bisschen zu schlafen. Nun warte ich im Rechenzentrum der Bibliothek auf besseres Wetter. Geld sollte ich noch auftreiben und etwas zu essen fuer die 25 Meilen bis in den Sueden der Hauptinsel. Das Hotel liegt ganz nahe beim Flugplatz.