Bereits sind drei weitere Kunststraßenbilder entstanden. Wieder hat Irgendlink sechzehn Kunststraßenbilder, wie er sie immer im 10km-Takt fotografiert, zu einer Collage montiert.
Zwischen Zunge und Hoffnung
Ich muss mir einen dezent ausgepowerten Zustand eingestehen. Habe alle Hände voll zu tun, nicht in eine Hektik-Spirale zu geraten. Mich auch schreiberisch nicht unter Druck zu setzen: Du musst unbedingt dann und dann diesen und jenen Artikel abliefern. Das bist Du denen da draußen doch schuldig.
Seit Inverness der Wurm drin. Ich komme nur noch langsam voran. Früher hätte mich das unheimlich nervös gemacht. Das Bergfest, Tag 45, hätte eigentlich bedeutet, ich habe 3000 Kilometer geradelt, bin sozusagen auf dem Rückweg meiner Tour. Bis John O‘ Groats sind es noch genau 100 Kilometer. Von dort fährt eine Fähre auf die Orkney-Inseln, hüpf, dann 15 Meilen bis Kirkwall, erneute Fähre zu den Shetlands mit anschließenden 25 Meilen bis zum Flughafen, hüpf, Norwegen. Mein Planungshorizont ist tief. In dieser Tour ist nichts fest. Wenn ich jetzt die Strecke via John O‘ Groats, dem nordöstlichsten Ort Schottlands, planen würde, mit Fähren und Flug nach Bergen … Ich könnte keine Garantie geben, dass ich den Flieger erreiche. Zu Hause, unter Normalbedingungen wäre klar, die 100 km radelst du in sechs bis acht Stunden. Darf gerne regnen und auch mal berghoch gehn.
Hier? Ein atemberaubender Sturm tobt über Schottlands Nordküste. Der Barkeeper des Ben Loyal Hotel, in dem ich mich heute Nachmittag um vier Uhr einquartiert habe, sagt, das sei ein ganz normaler Durchschnittssturm für diese Gegend. Die Bäume auf dem Friedhof haben einen Großteil ihres jungen, Laubs verloren. Hellgrün glänzt die Gosse. Regen prasselt gegen die Glasfront der Hotellounge und kalte Luft dringt durch die Ritzen. Zu Hause hätte ich mich heute nie und nimmer auf die Straße gewagt. So herzlich die Wirtsleute, Kay (Kate) und Mike, im Crask Inn sind, heute morgen war es schwer vorstellbar, dass ich noch einen weiteren Tag dort oben in der Einöde verbringe. Ich hätte nur das kleine Zimmer, das einmal dem Sohn des Hauses gehört hat. Das Hofschild baumelte kontinulierlich gen Norden, in meine Richtung, so dass ich wenigstens keinen expliziten Gegenwind haben würde. Gegen elf schufte ich mich einen halben Kilometer berghoch bei Seitenwind, bis die Straße Richtung Nordost dreht und ich unerwartet durch die Einöde geblasen werde, begegne einem völlig durchnässten holländischen Radler, vollgepacktes Rad, guter Dinge. Ich weiß nicht, ob ich diese Demut aufbringen würde. Er entpuppt sich als Schottlandprofi, hat gewiss schon ganz andere Situationen ausgestanden. Nur kurz schwätzen wir, sonst würden wir auskühlen. Ich überhole einen Marathonläufer, der als Teil einer Staffel einen Weltrekord brechen will: Von Landsend in Cornwall, ganz im Südwesten Englands joggen sie nach John O’Groats und wieder zurück. Begleitet von Wohnmobilen und verfolgt von einem Auto, das mit Warnblinkern vor dem 15 km pro Stunde schnellen Hindernis warnt.
Als selber ein Spinner, darf ich mutmaßen, dass es in der Gegend vor Spinnern nur so wimmelt. Vier klatschnasse Radler kriechen mir auf einer Steigung, die ich gemütlich mit 20 km/h hinauf kurbele mit Schrittgeschwindigkeit entgegen. Ihr hättet ihre strahlenden Gesichter sehen sollen, als ich nach hinten auf ein weißes Häuschen deute, kaum fünf Minuten her, dass ich daran vorbei gesaust bin, und ihnen sage, dass dort ein Pub ist.
Ich passiere ein Schild, das in ein Dorf namens Hope zeigt, die Straße sei unpassierbar. Kein Weg nach Hoffnung. Aber Tongue, Zunge, ist nicht mehr weit. Der Wind trifft mich seitlich, bei starken Böen hänge ich zehn Grad schräg auf der Straße. Kurz vor Tongue versetzt mich eine Böe einen Meter. Wenn mir das auf einer Hauptstraße passiert wäre … Schon bin ich an der Abzweigung nach John O‘ Groats, nur noch 62 Meilen in Windrichtung. Tongue ist eine Meile gegen den Wind. Irgendwas sagt mir, ich sollte mich da hin quälen.
Bevor ich auf die nun breitere, vielleicht stärker befahrene Landstraße einbiege, muss ich erkunden, wie es vor mir aussieht. Gibt es unterwegs Unterkünfte, Pubs, Einkaufsmöglichkeiten; steigt die Straße stark an? Wo finde ich notfalls windgeschützte Zeltplätze usw.? In Tongue kann ich das heraus finden. Es gibt Hotels und sogar eine Polizeistation. In der Public Bar des Ben Loyal trinke ich Kakau, wärme mich auf, werde schläfrig, bestelle ein Bier, überlege, einen Lunch zu nehmen, bleibe schließlich hier. Die Wettervorhersage prognostiziert kontinuierlich Sturm, Westwind, der mit 34 Meilen pro Stunde donnert. Gegen Abend setzt der prophezeihte Starkregen ein. Ich wundere mich über meinen Instinkt, der mich schon gestern vor der Wahnsinnsidee gerettet hat, das Crask Inn links liegen zu lassen und einfach weiter zu radeln hinaus in die Sturm umtoste Einöde.
Tag 48 – die Strecke
Erst im Laufe des Tages hat sich der Sturm gelegt. Immerhin tobte er, wenn ich die Wetterkarten und Irgendlink richtig vestanden habe, nicht mehr ganz so heftig wie gestern und in der Nacht. Aber heftig genug. Ich zitiere: „… von Wind und Regen gejagt … weiter ins nächste Hotel.“
Irgendlink ist inzwischen in Thurso angelangt und hat sich, kurz vor dem Aufgeben und Weiterfahren, doch noch mit einem B & B, dem Waterside House, anfreunden können.
Vom dortigen Fährhafen Scrabster gibt es zwei- oder dreimal täglich Fähren auf die Orkneys, um von dort auf die Shetlands überfähren zu können. Doch da es noch einen andern mögliche Fährhafen, John O’Groats, auf die Orkneys gibt, hat Irgendlink nun ein Dilemma.
Je mehr Möglichkeiten wir haben, desto schwieriger scheint das Leben zu sein.
>> Tonque – Thurso: Hier findet ihr den Streckenlink von heute: bitte hier klicken!
Schafsroulette
„Na, mein Kleiner, kannst du denn schon deinen Namen schreiben?“, sprach der Mann mit verstellter Kasperle-Stimme. „Mhmm“, druckste ich stolz. Der Mann reichte mir einen Stift und Papier. „Na, dann zeig mal, was du kannst, guck, da in das weiße Feld kannst du reinschreiben.“ Wie ein Lämmlein, das schwanzwedelnd an der Zitze der Mutter trinkt, bin ich aufgeregt, fühle mich wohl und geborgen wegen der Aufmerksamkeit, die mir der Kerl mit dem Rauschebart gibt. Mit krakeliger Kinderschrift schreibe ich „i r g e d i n k“ auf das Papier.
Jahrzehnte später, Nordschottland.
Das könnte ein fotografisch oppulenter Tag werden. Schon drei Kilometer östlich von Tongue stehe ich vor einer sonnenbestrahlten Bucht. Die auslaufende Ebbe gibt Sandbänke frei, von denen eine aussieht, wie die künstlich aufgeschüttete Palmen-Insel in Dubai. Unbebaut und klein. Der Himmel zeigt alle Grautöne. Im Norden stürzt ein Regenbogen ins Meer. DAS IST MEIN SCHOTTLAND! So habe ich es mir immer vorgestellt. Alleine für diesen Moment hat sich die 2800 km lange Schinderei mit dem Fahrrad gelohnt. Gejagt von Regenschauern mache ich ein paar Bilder und einen Filmclip. Der Wind weht immer noch mit 25 Meilen pro Stunde, zum Glück aus Westen.
Später muss ich erkennen, dass dies der einzige Streifen Sonne ist, den ich an diesem Tag erlebe. Genau wie es auf dem Papier steht, auf das ich vor langer Zeit meinen Namen geschrieben habe.
Wie Speedy49 in seinem Kommentar, ein paar Artikel zuvor geschrieben hat: die Gegend ist hügelig. Sie ist wunderschön, kahl, Ginster, viele kleine Seen, Rinnsäler, Moos, Braun- und Olivtöne dominieren und das allgegenwärtige Himmelsgrau. Wenn nicht ab und zu ein Wäldchen in den Tälern wachsen würde, könnte dies glatt Island sein, das ich 1992 umradelt habe. Der Radweg verläuft auf der A836, die zwischen Tongue und Strathy weitgehend eine einspurige Straße ist, mit Ausweichstellen alle paarhundert Meter. Nur die oft zwei bis drei Zweibrücker-Kreuzberg-hohen Steigungen sind zweispurig. Zwei vollbeladene Holzlaster donnern an mir vorbei.
Auf einer Kuppe eine einsame knallrote Telefonzelle, ein wunderbares Fotomotiv, das ich wegen des Regens links liegen lasse. Ich beschränke mich nur auf die „Pflichtfotos“ alle zehn Kilometer, die das Grundgerüst der Kunststraße bilden. Und selbst die führe ich schlampig aus, ohne Belichtungskorrekturen. Die Unbilden der Natur sind in den zehn Kilometer Fotos wunderbar zu lesen. Muss ich mich an den Straßenrand quetschen, weil die Stelle unübersichtlich ist und Autos an mir vorbei wollen, werden die Bilder exzentrisch, ich halte den Fotoapparat schräg, verwackele. Habe ich Zeit und ist es ungefährlich, kann ich vom Rad absteigen und mitten auf der Straße fotografieren. Das Wetter, herrjeh. Hätte ich bloß nicht den Pachtvertrag auf Schlechtwetter unterschrieben, damals bei dem Herrn Wettergott, der nur so getan hat, als wäre er ein guter Kasperle-Onkel, der sich dafür interessiert, ob ich schon schreiben kann.
Ich rolle auf Thurso zu ab etwa Reay auf einer kleineren Straße durch flaches Schafland. Die Weiden sind mit gespaltenen, etwa 80 cm hohen Steinplatten umgeben, Kilometerweit. In einer schlammigen Baustelle sortieren zwei Männer Steine. Ich esse zwei Bananen und eine Birne im Schnelldurchlauf. Sobald ich anhalte, friere ich, bin nassgeschwitzt. Hamsterrad. Denke mich hinüber nach John o‘ Groats. Thurso lasse ich links liegen, nehme ich mir vor. Bei dem Sauwetter will ich keinen weiteren Tag mehr in Schottland radeln. Oder soll ich schon von Thurso zu den Orkneys übersetzen?
Der Wind treibt mich vorbei an Schaf Nummer 64 irgendeiner Herde auf einem zwei Fußballlfelder großen Wiese links. Rechts eine weitere Parzelle mit durchnummerierten Tieren, die sich vor dem Regen in die Wiese kauern. Nummer 56. Ich könnte Schafslotto spielen. Ich beschließe ein Bloggesurteil: wenn ich auf einer der nächsten Weiden das Douglas Adams’sche Schaf mit der Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens (Nr. 42) sehe, nehme ich das Schiff von Thurso, wenn nicht, radele ich schnurstracks nach John o’Groats.
Schaf Nummer 9 begegnet mir ein paar Kilometer weiter. Auf einer anderen Wiese haben die Schafe nur bunte Punkte. Sind das Codes? Ähnlich, wie man sie auf elektrischen Widerständen markiert. Eigentlich könnte man da auch Smilies drauf malen oder coole Sprüche. Ich würde meine Herde mit Worten bedrucken. Aufs erste Schaf würde ich schreiben „Welcome“ aufs zweite „To“ und auf das nächste „Scotland“. Auch eine Schafs Col Art Aktion wäre denkbar, bei der namhafte Künstlerinnen und Künstler der Region die Tiere liebevoll bemalen. Künstlerische Sodomie. Ich bin verrückt. Dass noch keine Graffitikünstler auf das Medium Schaf gekommen sind. Man bedenke die Möglichkeiten.
Mit 20-30 Sachen rase ich nach Thurso, spreche in der Touristeninfo vor, lümmele an der River Thurso Mündung und beobachte die Wellen, wie sie über die Kaimauer schäumen. Atemberaubend. Kaufe Geld an einer Cashmachine, einem Geldautomaten, kaufe ein, checke Bed and Breakfasts, bin schon fast wieder raus aus der Stadt. Es regnet gerade nicht, in Gedanken bin ich schon in Gills Bay, wo es auch eine Orkney Fähre gibt, will nur eben noch schnell das Waterside House anfragen. Es ist so kalt. Man lässt mich ein und so kommt es, dass ich diese Zeilen in Zimmer Nummer 5 schreibe, frühmorgens mich wundernd, wie um Himmels Willen der Apfelbaum vor meinem Fenster es immer wieder schafft, zu blühen.
Exakt zwei Minuten Sonne pro Tag stehen Herrn Irgendlink laut Pachtvertrag zu. Blick aufs wilde Meer drei Kilometer östlich von Tongue an der A836.
To my English visitors
Neil, Peter, Maryt, the family that has adopted me in Crask Inn. And the unknown …
I’m happy, that I had the chance to meet you. To spend some time with you.
At the beginning of my journey at 28th March, I dreamt about having real time translations for the live-blogging project. This would have been possible, but to expensive. Maybe the translation machine in the web will do a rudimentary job, to give you some impressions of the words written. As I am a strange guy, the words will be strange to. Even in german language they sometimes sound strange.
I also thought about to write a short english text each day with my own words. A skipped version of my „velosophical“ thoughts. But there was no „market“. Yesterday Neil outed, that he follows. So I decided to say Hello to you in this Blogpost.
I write slow. I have to think. Maybe it helps you, if I tell you about the structure of my german posts.
I use the daily driven route as a kind of trace. It is the bones of an article. Then I add some crazy thoughts, lightly salted philosophics about what happens to me the biker. It’s an associative kind of writing.
It will not be useful to try to do this in english, will it?
Yesterday was day 48 of my biketour around the North Sea. About 2800 kms from home I have reached the Scotish northcoast, still following the UK National Cycleroute Nr. 1. Such a beautyfull landscape between Tongue and Thurso. About 60 km, wind in my back, rainy cold day. But a happy ride on a silent A836, which ist for several miles a singletrack road. I told me: I will come back some day and see it under good weather :-) I’ve heard that good weather might be possible.
Now I’m in room Nr. 5 in the Waterside Hostel in Thurso. Just about to have a shower and got to breakfast.