Tag 34 – die Strecke

Heute hat Irgendlink im Hermitage Inn in Warkworth sein Zelt aufgeschlagen, ähm, sein Zimmer bezogen. Schottland rückt immer näher.

Das Wetter? Kein Regen zwar, aber auch von Sonne keine Spur. Nur kaltes, windiges Grau. Zum Glück verspricht die Wetterkarte – und ich hoffe sie hält sich dran – in den nächsten Tagen ein paar Sonnenstrahlen.

>>> Sunderland  – Warkworth: Zum Kartenausschnitt der heutigen Strecke: bitte hier klicken!

Im Ungewissen des englischen Klospülkastens

England ist bald zu Ende. 120 Meilen bis Edinburgh. Und ich habe noch immer nicht die englische Klospülung kapiert! In England ist nämlich nicht nur ‚everything completely different‘, sondern auch die Klospülung. Wir Kontinenter wissen: wenn du den Hebel am Spülkasten drückst, kommt Wasser raus. Wir wissen mittlerweile auch, dass es hochmoderne Kästen mit zwei Knöpfen gibt. Einen Knopf drückst du, wenn du wenig Wasser brauchst, den anderen, wenn du viel Wasser brauchst. Und es ist kein Beinbruch, die Knöpfe einmal zu verwechseln.

An englischen Spülkästen ragt an der Vorderseite rechts, knapp unter der Abdeckung ein L-förmiger Hebel heraus, den man nach Unten drücken kann und dabei passiert nichts, außer, dass ein bisschen Wasser, sagen wir ein Viertelpint, gespült wird. Auch beim zweiten und dritten Drücken des Hebels ist das so. Und wenn man ihn kurz nacheinander zwei Mal drückt, wenn man ihn lang drückt, kurz drückt oder gar SOS morst, es kommt fast immer nur ein Spratz Wasser heraus. Man kann ihn nicht nach oben ziehen. Die erleichternde Nachricht ist, dass es mir bisher immer gelungen ist, eine volle Spülung zu erhalten. Was mich fuchst ist, dass es aber purer Zufall ist, wann das Wasser kommt. Kommt es beim dritten, vierten, fünften Hebeldrücken? In meiner Phantasie verbirgt sich im Ungewissen des englischen Spülkastens eine hochkomplizierte Technik, ähnlich, wie in diesen Filmen, in denen jemand eine Bombe entschärfen muss. Mit Glaszylindern, Pendeln, Leuchtdioden, roten und blauen Drähten, und der Mister Plummer, der Klempner, der die Dinger reparieren muss, ist ein kühner Held, der per Mikrofon und Headset Anweisungen kriegt von einem Sachkundigen ‚da draußen‘. Eine digitale Uhr läuft rückwärts, rote Ziffern, noch 1 Minute 36 Sekunden: „Du musst ein Stück Papier zwischen die Kontakte schieben!“ 1 Minute 8 Sekunden. „Nein, nicht dort, das ist eine Falle!“ 48 Sekunden. Die Hände zittern. „Jetzt den Bypass legen“. 12 Sekunden verstreichen, um zwei Krokodilklemmen an die richtige Stelle zu setzen. Schweiß auf der Stirn. Hände zittern, 36 Sekunden, der Plummer reibt sich den Nacken, Schweiß tropft in die komplexe Kloschüsselmechanik. Bloß keine Erschütterung. 18 Sekunden. „Jetzt den roten Draht durchschneiden, hörst du mich, den roten Draht!“ Die Verbindung ist schlecht, 9 Sekunden, 8, 7, 6. Ratlosigkeit. Hände Zittern, Beißzange am roten Draht, 5, 4, Augen zu, beten, 3 Sekunden, „‚en ‚ten Krächtz …’eiden“, 2 Sekunden. Schnitt. 1 Sekunde. Die Uhr steht still. Es war der blaue. Das Wasser sprudelt.

Tag 34 – Bilder

„Verkauft! Gutes Leben“ – Eines der vielen „Sold“-Schilder, die von Immobilienfirmen vor den Häusern angebracht sind.

Landungssteg für die Fähre zwischen South Shields und North Shields. Wegen des starken Tidenhubs schwimmend gelagert.

Horizontal-Graffiti nördlich des Hafens von Blyth.

Auch in England herrscht die Pflicht zur Kotaufnahme (nein, nicht Kontaktaufnahme, wie ich zuerst gelesen habe. Anmerkung der Homebase).

Der Radweg führt durch die Dünen und Naturparks an der Ostküste. In der Druridgebay lande ich für etwa 100 Meter auf einer zertrampelten Koppel. Das Durchqueren der Viehsperre war besonders kompliziert. Die Qualität des Radwegs hat seit Hull stark abgenommen. Oft ungeteert, holprig, aber dafür „trafficfree“.

Irgendlink wird dekadent

Die Reise hat eine gewisse, schicksalhafte Komponente. Ausgerechnet im Hagelsturm bin ich vor anderthalb Wochen bei Klausbernd und Hanne in Cley. Ausgerechnet im noch ekligeren Sturm am vorgestrigen Sonntag krieche ich für zwei Tage im mit 28 Pfund bisher günstigsten B&B, dem Areldee, bei Peter unter. Radlerfreundlich, sauber, ruhig. Ausgerechnet mein Zimmer liegt alleine im Zwischengeschoss, so dass ich die Nachbarn und ihre Fernseher nicht im Geringsten höre. Manchmal denke ich, ein Zwölfspänner Schutzengel reitet vor mir her und räumt mir, just in dem Moment, wenn die Reise an Ekelfaktor überhand nimmt, den Weg frei.

Aber vielleicht ist es nur eine jener Sichten, die man im Nachhinein so leicht als schicksalsbedingt einsortiert. Letztlich ist mein bisheriges Leben so verlaufen, dass immer im rechten Moment das passiert, was ich gerade benötige.

Im Areldee hatte ich sämtliche Packtaschen vom Rad montiert, das Zelt im Zimmer getrocknet. Sehr sinnvoll ist dort die Garderobe direkt über dem Heizkörper angebracht, so dass man alles, was feucht ist leicht trocknen kann. Peter hat Ahnung davon, was Radler benötigen. Die Hostels in Sunderland leben zum einen von den Radlern, die den dort endenden Coast to Coast Way radeln – immerhin etwa 15.000 pro Jahr begeben sich auf die etwa hundertfünfzig Meilen lange Strecke zwischen den beiden Küsten. Zum anderen quartieren sich in den B&Bs Fußballfans ein. Am kommenden Wochenende ist es ein Marathon, der für Vollbelegung sorgen wird.

Schicksal, dass ich seit Boulogne erstmals die Fronttaschen vom Rad nehme und feststelle, dass der Gepäckträger, durch die Rüttelei auf den etwa vierzig Meilen Bahntrassenradweeg der letzten Tage, nur noch an einem seidenen Faden hängt. Mit dem Schweizermesser schraube ich ihn wieder fest.

Schicksal, dass ich den gestrigen 34ten Tag bei mäßigem Nordostwind zwar im Nebel, aber trocken verbringe. Auf der Fähre über den Tyne hockt der Kassier direkt neben dem Eingang. Hinter ihm steht ein Ghettoblaster, der den Fahrgastraum beschallt. Coole Mugge, Sweet Home Alabama in einer 200Xer Cover Version. Spritzig wie der River, den wir überqueren. Eine Herde Muttis sitzt an der Frontscheibe und die Kids sind allesamt im gleichen, grüngelben Outfit Regenjacken, winziger Rucksack, und jetzt kommts: ANGELEINT. Wie Hunde. Nu sag mal.

North Shields. Jede Menge Fish and Chips-Restaurants. Ich erinnere mich, dass die drei Jungs, die ich auf der Fähre von Calais nach Dover getroffen habe, recommendet haben: Du musst unbedingt Fish and Chips essen in England! So wie vielleicht Pfälzer empfehlen, wenn Du in ein Restaurant gehst, bestelle unbedingt Saumagen.

In Blyth ist es dann so weit. Coastline Schnellrestaurant mit Meeresblick. Ich bestelle Cod mit Chips und dazu gibt es ein weiches Brötchen und Erbsenpaste und Ketchup. Der Fisch im Frittiermantel schmeckt nach nichts, die Chips sind schwer. Nicht übel, aber für den Magen eine Herausforderung. Finally setze ich noch ein Softeis drauf, direkt aus der Maschine. Ich habe den Eindruck, dass die Engländer beim Engländermachen von innen nach außen vorgehen.

Blythe ist ein kleiner Moloch. Ich muss den Hafen weiträumig umfahren. Wieder diese Enge. Meterhohe Stahlzäune. Kilometerweit. Erst kurz vor der Druridge Bay gelange ich in menschenleere Gefilde. An jedem Weg sind Schilder angebracht, die das Overnight Camping verbieten. Schöne Düne, die geradezu einlädt, das Zeltchen aufzustellen. Vermutlich Brutschutz für die Vögel? Ich respektiere das. Im wie ausgestorbenen Hauxley ragen hinter ein paar Häusern Caravans, die auf einen Campingplatz hindeuten. Aber ich finde den Eingang nicht. Als wäre es eine Fatamorgana. Vermutlich ist es sowieso ein Non Comfort-Platz ohne Dusche und alles. Fürs Zelten nicht geeignet, genau wie der riesige Leisurepark mit Schwimmbad am Ortseingang von Amble. Nicht sehr schön, diese modernen, weißen Kunststoffburgen, die bis zu 12 Meter lang und drei Meter breit sind. Es handelt sich dabei nicht um Wohnwägen, die man transportieren kann, sondern um mühsam mobile Ferienhäuschen auf winzigen Rädchen, die man mit einem LKW antransportiert und die für immer vor Ort bleiben.

Amble ist still. Ich überlege, ein B&B anzufragen. Ich bin verwöhnt. es regnet nicht und es scheint auch wärmer zu sein. Bleckende B&B-Schilder. Ein Mann auf der Straße. Ihn frage ich nach einem Campingplatz und der reibt sich das Kinn, Hmm, yesss, hmmm, komm mal mit, hmmm, schwer zu erklären. Er starrt in Richtung Campinplatz durch ein Haus hindurch: Folge dem Fluss bis nach Warkworth, hmm, dann fähst du am Castle vorbei durch eine Allee, Bäume, Bäume, Bäume bis zu einer Häuserzeile, und dort links ab und außenrum und hintendran ist der Camping. Falls Du es dir überlegst und B&B machen willst, geht ins Heritage Inn, Sag Liz und Steve nen schönen Gruß von Jim Penner.

Drei Meilen bis Warkworth. Das Castle kann sich sehen lassen. Die Stadt ist totenstill. Am zentralen Platz stoppe ich vorm Heritage Inn, mache ein paar Fotos, hadere, kannst ja nicht schon wieder, und ach, all das Geld, und das Wetter ist doch okay, oder. Ich muss an das Trauma von Fletcher’s Non-Comfort-Mister-Superteuer-Camping für nichts in Great Ayton denken, lege intern eine Schmerzgrenze fest, die das Heritage Inn kosten darf, 40 Pfund. Wenn es mehr ist, gehe ich zelten. Bloggesurteil.

Für 35 Pfund checke ich ein, beziehe ein Einzelzimmer, full english breakfast inclusive Und ganz wichtig: WLAN. Seit Blyth gibt es keine mobile Datenverbindung mehr, und selbst der Telefonempfang ist mäßig.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)

Tag 35 – die Strecke

Richtig glücklich klang Irgendlink vorhin am Telefon. Morgen werde er Sonnenaufgang am Meer haben. Direkt aus dem Zelt. Einziger Gast auf dem Camping The Barn at Beal sein, mit einem Schlüssel für ein geheiztes Badehaus und WC für weniger Pfunde pro Nacht als er auf Fletcher’s Trauma-Farm-Camping hinblättern musste – was will man mehr? Gerne noch guten Netzempfang, bitte schön. Oh? Kein Problem, auch das hats.

Vis-à-vis von Lindisfarne, auch Holy Island genannt, dieser Insel, die sich nur bei Ebbe besuchen lässt, baut er nun sein Zelt auf. Ob er morgen noch auf die Insel geht, hängt von der Tageslaune und den Gezeiten-Zeiten ab, von den Tides of Life.

Nun hoffen wir, dass morgen die Sonne den Nebel durchdringt und Irgendlink einen wunderbaren Sonnenaufgang beschert. So einen, der ihn seufzen lässt und murmeln: Nur schon dafür hat sich die Reise gelohnt. :-)

>>> Warkworth – The Barn at Beal Camping: zum heutigen Streckeverlauf: bitte hier klicken!

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