Wie man Geschirr spült

Es dürfte nicht hinlänglich bekannt sein, wie es in einem Europenner-Lager aussieht. Abends wird jedes Gepäckstück, das sich am Rad befindet, dekomprimiert, das Zelt aufgebaut, alles schlaf- und kochfertig eingerichtet, ein Mikrokosmos gutbürgerlichen Lebens auf anderthalb mal zweieinhalb Metern. Dem Kocher kommt hierbei besondere Bedeutung zu und mit ihm dem Geschirr. Die Küche ist das Herzstück. Sie wird zuletzt ausgepackt und muss als erstes wieder in die Packtaschen. Auf dieser Reise habe ich mir den Luxus gegönnt, einen Spülschwamm und ein Geschirrhandtuch mitzunehmen. Was sich als ziemlicher Flop erweist, denn das Geschirrspülen auf Europenner-Art unterscheidet sich grundlegend vom herkömmlichen Geschirrspülen. Eines der wichtigsten Dokumente der Weltliteratur zum Thema Geschirrspülen, befindet sich ausgerechnet in der Asphalt Bibliotheque meines Freundes und Künstlerkollegen Brandstifter. Das antike Werk, das von Generation zu Generation auf Haushaltsschulen von Hand vervielfältigt wurde, liegt in einem Extrakt in gut lesbarer Form der Asphaltbibliothek vor.

„Wenn man Geschirr spült, braucht man einen Schwamm, um die treckigen Sachen abzuwaschen“, heißt es auf Seite 1 des Manifests.

Völliger Irrglaube, behaupte ich. In einem Privateintrag, noch am Anfang der Reise, warne ich sogar vor der Möglichkeit, dass sich in den Spülschwämmen in einem Europenner-Zeltlager eventuell Schwarze Löcher bilden, weil der Schmutz, der sich unweigerlich in Handtuch und Schwamm, also am Ende der Schmutzkette sammelt, eine derart hohe Masse erreichen könnte, dass es zur Katastrophe kommen kann.

Ganz im Ernst: Ich empfehle, insbesondere, wenn es kaum Wasser gibt, um das Geschirr und anschließend den Schwamm auszuwaschen, einfach ein Büschel Gras, mit dem man Töpfe und Teller ganz ohne Geschirrspülmittel und mit nur ein paar Tropfen Wasser, ausreiben kann und sie werden dabei erstaunlich sauber. Das Gras übergibt man zur Verrottung wieder der Natur.

(verfasst am 4. April von Irgendlink, entfipptehlert, mit Links und Bild bestückt und gepostet von sofasophia)

Zwischenprüfung England

Der Wurm schmeckt immer nach dem Apfel, in dem er lebt. Wenn der Wurm den Apfel verlässt und sich in eine Birne hinein frisst, wird es eine Weile dauern und er wird nach der Birne schmecken.

Im Pfälzer Wald findet man in variierenden Abständen an Bäumen ein Zeichen, auf dem ein N gemalt ist. Schwarz-weiß, grün und ein Pfeil dazu. Es hatte eine Weile gedauert, letztes Jahr im Mai bei meiner Wanderung von Speyer nach Zweibrücken, bis ich gerafft habe, dass es sich dabei um einen Hinweis auf das nächste Naturfreundehaus handelt. Vermutlich ist diese Markierung deutschlandweit ähnlich. Naturfreundehäuser sind günstige Unterkünfte in Wandergegenden, die Jugendherbergen des Waldes quasi. Auch habe ich eine Weile gebraucht, um zu lernen, dass sie dort die Küchen meist um achtzehn Uhr schließen. Dem Wanderer im Pfälzer Wald empfiehlt es sich also, vor achtzehn Uhr im Naturfreundehaus einzulaufen, an Wochenenden am besten vorher reservieren, da dann oft ausgebucht ist.

Was hätte ich eine Lust, statt im Regen nördlich von London durch die Gegend zu radeln, nun im Pfälzer Wald, der bestimmt schon ein feines Hellgrün angenommen hat und vor Frühling nur so strotzt, zu wandern!

Der 15te Tag. 1000 Kilometer unterwegs. Zufall, dass ich genau im Zeitplan liege. Wenn es einen solchen gibt. Ein Sechstel Tour, 90 Tage, 6000 Kilometer. Und der erste Tiefpunkt der Reise, was unerklärlich ist, da der Tag eigentlich gar nicht so übel ist. Hochs und Tiefs in kurzer Folge, wie an anderen Tagen zuvor auch. Vom Lee Valley radele ich zunächst 8 km entlang einer A-Straße, die sich in einem ruhigen Auto- und LKW-Stau zeigt. Auf dem Radweg daneben bin ich alleine mit ein bisschen Dieselrußgestank. Ich verirre mich in der Folge öfter auf der Cycleroute Nr 1, weil ich nicht aufmerksam bin, bzw., weil die Schilder manchmal missverständlich angebracht sind. Merke: wenn du länger als ein zwei Kilometer kein Cycleroute-Schild siehst, bist du vermutlich wo falsch abgebogen. Am schlimmsten war der Weg in eine Vogelbeobachtungsstationsssackgasse, knapp zwei Kilometer zwischen Zäunen, die abrupt an einer Hütte im Schilf endete. Dann kam der Regen, ein massiver Schauer. Erstmals trage ich sämtliche Wasserdicht-Klamotten. Stechende Sonne eine Stunde später macht das alles vergessen.

Die äußeren Umstände sind es aber nicht, die mich so trist machen – es kommt vom Innen. Nenn es Heimweh. Die Europennerschutzmauer bröckelt, rein psychologisch gesehen, und dann können Kleinigkeiten zu einer Mutlosigkeitskettenreaktion führen. Im Laufe des Tages setzt sich ein unglaubliches Gefühl der Verlorenheit im fremden Land durch, der dazu führt, dass ich das Kriegsbeil gegen die Fremde auspacke und plötzlich alles, was man wahlweise als gut, neutral, oder schlecht interpretieren kann, als schlecht gesehen wird. Vernagelt ist dieses Land, obwohl in der Gegend, die ich durchradele, kaum ein Unterschied zu etwa Gegenden in Deutschland oder Frankreich festzustellen sind. Zäune und Gatter gibt es auch bei den “Kontinentern” allzu oft.

Einzig meine langjährige Erfahrung hilft mir, diesen Moment der inneren Tristesse zu überwinden. Solche Tage, an denen man gerne alles hinschmeißen würde, gibt es immer, wenn man alleine unterwegs ist. Zu zweit ist meist nur eine/r betroffen. Der/die andere kann aufrichten.

Auf mich selbst gestellt, überwinde ich noch zwei Regenschauer, ein Gewitter, Hagel, das Ganze auf fast unbefahrenen Countryroads. Die Gegend ist wirklich lovely. Mein Gemüt verlangt nach einem Bed and Breakfast, nicht zuletzt, um den schwächelnden Akku wieder aufzuladen. Durch die Inkompatibilität der Campingplatz-Buchsen mit dem offiziellen englischen Indoor-System, konnte ich den Zwischenakku am Off-Tag in London nur notdürftig in der Rezeption für zwei Stunden laden. Die Eigenproduktion reicht gerade mal, für Basis-Verbrauch wie Telefonie, schreiben, ab und zu navigieren. Bilder hochladen oder Collagen bearbeiten würde zu viel Strom fressen.

Auf Chelmsford zusteuernd frage ich in einem Restaurant, ob sie B&B anbieten, nein, tun sie nicht, aber eine Lady paar Dörfer weiter, in Writtle, habe diesen Flyer dagelassen, gibt mir die Restaurantbesitzerin in die Hand. The Oak Lodge. Ich stelle mir eine schrullige Dame vor à la Miss Marple, die in ihrem Wohnzimmer über viel Teppich und behangenen Wänden Tee serviert und eine kleine, feine Kammer vermietet. Das ist meins!

The Oak Lodge erreiche ich während eines in der Ferne dahin ziehenden Gewitters. Es öffnet eine Art in die Jahre gekommene Bibi Bloxberg, die mir erklärt, sie habe “no vacancies”. So sorry, alles ausgebucht. Good for you, bad for me, scherze ich. Wir halten ein Schwätzchen über weitere Möglichkeiten und im Weiterradeln an einem Fluss entlang auf perfekt beschildertem Radweg durch Chelmsford hindurch wird mir klar, dass ich meinen Apfel verlassen habe, dass ich nun in einer Birne lebe.

Alles ist anders in England. Wäre bei uns “Kontinentern” schon meilenweit ausgeschildert, wo sich Was-von-Bedeutung-für-einen-Fremden befindet, findet man hier sogar direkt an einem Bed and Breakfast kein Schild. Man muss die genaue Adresse wissen. Hinter jeder Haustür könnte theoretisch ein B&B sein, schlussfolgere ich. Allgemeingültig ist das nicht.

Als ich eine, als “Weak Bridge” ausgeschilderte Brücke passiere, weiß ich, dass ich mein “Gehabe” ändern muss, meine Einstellung zu den Dingen, dass ich unbedingt einen Kurs, “Learning England”, im Alleingang machen muss. Kurzerhand klopfe ich an einer Haustür, direkt gegenüber einer großen Wiese, die mir gefällt und frage den Bewohner, ob er den Besitzer kennt. Der Mann lächelt, verweist mich an einen Farmer, und fügt verschmitzt hinzu: “Bau doch einfach auf, Farmer sleeps now.”

In der Dämmerung das Zelt aufbauend, bin ich mir sicher, dass ich die Zwischenprüfung England bestanden habe.

(entfipptehlert und gepostet von Sofasophia)

How does it feel

Du kannst es nicht von außen sehen, wenn Du drinnen bist.

Maldon, Hauptstraße, Haus Nr. 32, direkt gegenüber dem Continental Café.
Kurz vor 11 Uhr Ortszeit. An der Tür hängt ein Schild mit dem Hinweis, dass Sportkleidung nach 8 p.m. nicht erlaubt ist. Das gilt auch für Baseballkappen.

An einem Tisch mit Steckdose nehme ich Platz und bestelle ein English Breakfast mit Kaffee und brauner Soße. Ganz der Britenflüsterer, der Mr. Oberschulkunstbübchen Irgendlink vorgibt zu sein, glaubt er, die perfekte, professionelle, unantastbare Bestellung aufgegeben zu haben, bei der es keinerlei Rückfragen gibt. Aber weit gefehlt. „Wie wollen Sie Ihr Ei? Fried, poached oder scrambled?“ Stellt mich die Bedienung als Touristen bloß. Meine Zwischenprüfung hätte ich mit diesem Schnitzer wohl nicht geschafft. John Cleese kommt mir in den Sinn, wie er britisch, die Contenance wahrend, in ‚Ein Fisch namens Wanda‘ kopfüber aus dem Fenster hängt, gehalten von einem Erpresser, der ihm eine Frage gestellt hat, die er bitteschön beantworten möge, sonst lasse er los.
In meiner Not gestehe ich: Poached!

Kurze Zeit später erhalte ich ein Frühstück, das mich mindestens 20 Meilen weit bringt ohne zu hungern. Das iPhone hängt an der Steckdose unterm Tisch. Nach 11 a.m. füllt sich der Gastraum mit vorwiegend alten Damen, die bei kännchenweise Tee schwadronieren. Frauen mit Hüten wie die Queen und mit Brillen und Ringen und Kettchen. Und Ohrringen. Ein Geschnatter mit fremder Zunge über die vermutlich alltäglichen Dinge des Lebens und das Wetter.

Das ganz normale Leben an einem Donnerstagmorgen wird untermalt von einem Song „Blue Monday“ (weiß nicht mehr, ob das der Bandname ist oder der Titel), in einer sanften Akustik-Gitarrenversion. „How does it feel …“ dudelt es und ich erinnere mich, dass ich von dem Lied einstmals eine ganze Kassette aufgenommen habe, die ich in Endlosschleife gedudelt habe. Wie ich so aus dem Fenster starre, ganz sentimental werdend, hinaus aus Haus 32 in irgendeiner Straße in Maldon, hinüber zum Continental Café, wünsche ich mir eine Außenbetrachrung dieses Kunstprojekts, wäre gerne mein eigener Leser, wüsste gerne, wie sich das anfühlt, da draußen im Internet mit einem Blick auf den Artist in Motion, KiBmiB, Kunstbübchen, Europenner, Irgendlink, so tell me, how does it feel ouh shallala …

Nachtrag: der Adresse auf der Speisekarte entnehme ich, dass ich mich in Haus Nr. 35 (die Fünf an der Scheibe liest sich von innen wie eine Zwei) im Oakhouse in der Highstreet von Maldon befinde.

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London again

Tag 13: Auf dem Weg nach London … (draufklicken zum vergrößern).

Im Greenwich Foottunnel …

Leihräder nördlich der Themse …

Tag 14: London ist gelb …

… nein, London ist grün …

Panorama …

Tag 15 – Bilder

Bei Harlow …

Auf dem Weg von Harlow nach Chelmsford > Bremstest!

Verspätet aufgenommenes Kunststraßenbild: Kilometer 1020 bei Kilometer 1023 fotografiert. Links hinter der Brücke war mein Lagerplatz.