Hier folgt bereits die dritte Kunststraßenmontage. Wieder sechzehn Kilometerbilder, diesmal von Kilometer 320 bis Kilometer 470, immer im 10km-Takt fotografiert, zu einer Bildtafel montiert:
Jenseits von Saint Pol
Höllenritt nach Fruges über die D 343, die zwar nicht stark befahren, aber wegen ihrer Gradlinigkeit nicht zu unterschätzen ist. LKW und Autos hauen dich fast um, so schnell passieren sie dich. Zum Glück in stets gehörigem Abstand.
Die Gegend sieht aus, als hätte man die Sickinger Höhe, also den Landstrich zwischen Landtuhl und Zweibrücken auf die Streckbank geschnallt. Leicht geplättetes Profil mit sanften Anstiegen und kleinen Hainen, Getreidefelder, Raps und braune Äcker. Eine Ansammlung Windräder simuliert perfekt die Szenerie zwischen Martinshöhe und Rosenkopf. Eigentlich bin ich daheim und noch eigentlicher 600 km weit von zu Hause entfernt und am aller-eigentlichsten bin ich 5400 km von Zuhause weg, wenn man die „Richtung“ bedenkt, die ich eingeschlagen habe.
Auf der schnurgeraden D 343 ist genug Zeit, das Webprojekt „Ums Meer“ noch einmal Revue passieren zu lassen. Die erste Woche. Wie vermutet, verselbständigt sich das Blog und es wächst mit jedem Kilometer Seite um Seite, Byte um Byte, ein ganz eigenes Ding mit den vielen Kommentaren und dem Hin- und Her zwischen mir hier Draußen und der Homebase und Euch in der virtuellen Welt. Daumen hoch, gefällt mir.
Schon im Vorfeld kam die Eigendynamik in Schwung mit Hanne, die das Grundkonzept (Presseinformation) ehrenamtlich ins Norwegische übersetzt hat und dem zufälligen Kontakt nach Cley next the Sea in Norfolk. Unschätzbar wertvoll ist das, zu wissen, dass man eine zwar fremde, aber virtuell doch heimelige Anlaufstelle hat. Ich freue mich, Klausbernd Vollmar, und vielleicht auch Hanne, bald in Cley persönlich zu treffen.
Die Partnerschaftsabteilung in Boulogne-sur-Mer, Zweibrückens Partnerstadt, rollt offenbar auch den roten Teppich aus. Ich beabsichtige, morgen zwischen 11 und 12 im „Hôtel de Ville“ abzusteigen (ich weiß, dass man da nicht übernachten kann ;-))
Nun in Fruges, habe ich in einem Restaurant ein Menu du Jour gegessen. Huhn auf Bier, dazu Pommes und Salat. Das Wifi will mich nicht, weshalb ich aus Rücksicht auf den Akku wieder keine Bilder übertrage. Im lahmen Edge-Netz dauert es eine Ewigkeit, bis 1 MB rübergeschoben ist. Der Zusatzakku ist nach drei Tagen nur per Dynamo laden nun leergelutscht. Das iPhone fast voll. Und es sind ja noch 50 km „zu erledigen“, bis ich endlich das Meer schmecke.
Bild: Abfahrt nach Fruges (ach: zwischen St. Pol und Fruges gibt es übrigens alle paar km Zeltplätze und Chambres d‘ Hôtes)
Tag 8 – die Strecke
Heute hat sich Irgendlink streckenmäßig, allerdings nicht ganz freiwillig, selbst übertroffen. Mehr als achzig Kilometer ist er geradelt. Die Aussicht auf ein kostenloses Hotelzimmer, offeriert von Zweibrückens Partnerstadt, gab dazu den Anstoß. Und die Vorfreude darauf, schon bald den Prolog abschließen zu können. So richtig „Ums Meer“ zu radeln fängt schließlich erst in England an. Was jetzt war, nennt sich „Ans Meer“ radeln.
>>> Tag 8 – Tincques – Boulogne-sur-Mer: hier klicken!
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Zwischen „Zweibrücken“ in Boulogne
In Fruges verschlägt es mich in ein Restaurant, eigentlich nur, um einen Kaffee zu trinken. Voller Bauch pedaliert nicht gerne. Ich gönne mir dennoch ein Menu du Jour und jage später weiter über die D343. Schon seltsam. Vielleicht kann ich heute noch das Meer sehen. Ich stelle mir vor, aus einem Wäldchen um die Ecke zu biegen und über weites Flachland bis zum Strand zu schauen. Möwen in der Luft und Salz auf den Lippen. Die Gegend wird zunehmend hügeliger und es ist kaum auszumachen, wo die Täler der Rinnsäler, von denen etliche das Weide- und Ackerland durchziehen, verlaufen. Bei Herly auf die D 156 durch kleine Dörfchen. In Bourthes klingelt plötzlich das Handy. Ob es die Redakteurin von Geo ist, die ein Podcast-Interview mit mir führen möchte? Die Nummer kommt aus Frankreich. Also melde ich mich mit „Oui Hallo, ici Irgendlink“. Am anderen Ende ist Monsieur Quehen von der Stadt Boulogne. Er spricht sehr langsam, so dass ich ihn ganz gut verstehe. Ein paar Kühe beobachten über den Stacheldraht, wie ich, das Rad zwischen den Beinen, am Straßenrand stehe. Traktor vorbei. In einer Hofeinfahrt ziehen zwei Männer Sommerreifen auf ein Auto. Die Homebase hat doch tatsächlich einen offiziellen Empfang um 13 Uhr donnerstags, kleines Kommitee mit Frau Hingris, der Partnerschaftsbeauftragten und Herrn Quehen organisiert. Obendrein fragt Herr Quehen, ob ich an diesem Abend als Gast der Stadt im Hotel des Gens de Mer absteigen möchte, dem Hotel der Seeleute, fügt er auf Deutsch hinzu.
Ich bin perplex. Es ist 17 Uhr, geschätzte 50 km bis Boulogne, und ich war drauf und dran, mir eines der nächsten Chambres d’Hôtes an der Strecke zu nehmen. Nassforsch sage ich ja, es wird mindestens 22 Uhr, füge ich hinzu, bis ich dort bin. Er erklärt mir den Weg zu dem Hotel entre des Deux Ponts, Zweibrücken, lacht er. Das Hotel liegt zwischen zwei Brücken und dass Boulogne an zwei Flüssen liegt, genau wie die Partnerstadt Zweibrücken. Vor mir liegt ein malerischer Flussweg, der mich stets abwärts über Desvres bis zum Hafen von Boulogne führt. In meiner Phantasie. Die Realität sieht anders aus. Bis Boulogne sind es nur 30 km, versichert mir ein alter Kerl mit Goldzähnen in Les Trois Marquets. Wir schwätzen ein bisschen, woher, wohin, ob ich reich bin, fragt er, weil ich es mir leisten könne, drei Monate durch die Gegend zu radeln, ob ich nicht arbeiten würde zu Hause und hinter seinem schelmischen Lächeln und dem Geruch von Anis verbirgt sich vielleicht eine Mischung aus Neid und Unverständnis. Als ich das Streckenfoto 620 vor seinen Augen mache, hält er mich für total verrückt und ruft etwas über die Straße zur Nachbarin, das klingt wie „Guck dir mal den Spinner an, ist seit über einer Woche unterwegs, nur, um unsere Straße zu knipsen“. Wieder kommt mir der nicht geschriebene Artikel „Die tote Sau der feinen Künste“ in den Sinn, in dem ich im Vergleich zwischen Vegetarismus und Kunstverständnis deutlich machen möchte, wie verschieden wir Menschen ticken, was unsere Wertschätzung gegenüber den „Leistungen“ anderer angeht. Für einen Vegetarier muss eine Metzgerei und somit die Arbeit eines Metzgers ähnlich wertlos wirken, wie für einen Menschen, der kein Interesse an Kunst hat die Konzeptkunst. Was bedeutet, dass es sicher etliche Menschen gibt, die mit Kunst ans ich und mit dem, was die Homebase und ich hier in diesem Blog veranstalten überhaupt nichts anfangen können und es für verplemperte Zeit halten.
Die nächsten Kilometer wird die Gegend zunehmend runzeliger, mehr Hügel, mehr Aufs, mehr Abs. Ab Desvre erhoffe ich mir den vermuteten Meerblick. 18 km bis Boulogne über die D 341. Sollte in einer Stunde zu schaffen sein. Ein Blick in die Karte sagt, da liegt noch ein Waldhügel dazwischen. 9 km berghoch und 9 km bergab. Auch kein Problem. Die D 341 ist ein Massaker, eng, gerade, schnell, rauher Asphalt und gegen 19 Uhr Feierabendverkehr. Kamelrückenprofil. Merke: es gibt keine einfachen „Anstiege und dann wieder runter“ in dieser Gegend.
In Wirwignes biege ich rechts ab, kalkuliere eine Stunde Umweg ein, das Hotel ist ja immer auf. Über einen Forstweg nach Nordwesten. Absolute Stille, keine Menschenseele. Fad fällt Abendsonne durch Dunst und Bäume. Fichten und Lärchenwäldchen. Wanderwege. So müsste es sein. Hinterm nächsten Hügel sehe ich bestimmt schon die Stadt und den Hafen.
Herr Irgendlink, hättest du bloß mal die Geografie der Partnerstadt studiert. Über sieben Falten und zahlreiche Windungen, kurz vor Boulogne noch einmal 5 km Umweg über Echinghen in Kauf nehmend, nur um nicht auf die D 341 zu kommen, erreiche ich gegen 21 Uhr Boulogne. Am Bahnhof erklärt mir ein heiserer Taxifahrer den Weg zum Gens de Mer: Da runter, dann rechts, Deux Ponts (haha, schon wieder Zweibrücken), dann links. Et voilà. Das Meer habe ich noch nicht gesehen.