#UmsLand Schweiz | Liebe Grüße von der Homebase

Der liebe Herr Irgendlink radelt endlich wieder #UmsLand. Diesmal ringsum die Schweiz. Oder mal um und mal durch die Schweiz.

Ob ich denn diesmal keine Homebase-Artikel mache, fragt ihr euch vielleicht? Jein, denn vermutlich wird es bei diesem einen hier bleiben. Schauen wir mal. Inzwischen hat sich nämlich die Technik – oder sagen wir unsere die Kenntnis derselben – weiter entwickelt. Nextcloud bietet ein tolles Werkzeug an, das Tracks und Bilder integrieren kann. Also kann Irgendlink von unterwegs direkt seinen Tagesstrecke einspeisen und – tadaaa! – ihr Leserinnen und Leser da draußen könnt direkt in der Cloud dem Wachsen der aktuellen Tour zuschauen.

Nicht ganz in Echtzeit, aber täglich neu, allabendlich.

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Ich wünsche euch eine gute Mitfahrt auf Irgendlinks Gepäckträger und grüße euch herzlich
eure Homebase Sofasophia

Inseln – von Brugg nach Paradies #UmsLand

Ein schmutziger Schwan. Ein ruhiger Fluss. Leichter, noch kühlender Wind, bestes Wetter, Stille, zwei frühe Hundegassigängerinnen.

Etwa hundert Meter hinter mir steht ein Biokompostklo, daneben ein Schild, das diesen Streifen Rheinufer als Naturschutzgebiet ausweist. Zelten ist verboten. Und daran hielt ich mich auch, begab mich zurück in den dichten Wald, der, so sagte mir die Vernunft, doch eigentlich auch ein Naturschutzgebiet sein müsste. Einerlei, tu das, was die Schilder sagen und wenn keine Schilder da sind, die etwas sagen, tu was du willst, aber halte die eigene Vernunft im Blick.

Die einzige Zeltmöglichkeit fand ich bei einem kleinen Teich, der auf der Karte mit „Seeroseteich“ verzeichnet ist, Seerose ohne N. Da es schon fast dunkel war, baute ich das Zelt auf, aß meinen Nudelsalat, den ich zuvor im Denner in Eglisau gekauft hatte, trank ein Bier, sinnierte über Insellagen.

Wie es sich wohl anfühlt, Frosch zu sein in diesem Teich, fragte ich mich. Muss es nicht so ähnlich sein wie Mensch auf diesem Planeten? Eine Insel, die man, bzw. Frosch, nicht verlassen kann. Und wenn, dann nur unter größten Anstrengungen zugeneigt der eigenen Neugier, des eigenen Forschungsdrangs, aber gegen die Natur ansich?

Okay, der Vergleich hinkt. Ich schlief ein, wurde nachts nur ab und zu wach wegen des lauten Gequakes, das, keiner erkennbaren Regie gehorchend, mal aufflammte, dann wieder gänzlich erlosch; manchmal quakte ich mit.

Der gestrige Tag war wider Erwarten anstrengend. Ich hätte es wissen können, schließlich war ich die Rheinroute 2016 abwärtsgeradelt und ich erinnerte mich, dass die Etappe Schaffhausen bis Bad Zurzach selbst abwärts radelnd immer wieder Steigungen mit sich brachte. Thur und Töss sind zu überwinden. Die Gegend ist zerklüftet. Zwischen den beiden Flüssen, die nur wenige Kilometer von einander entfernt in den Hochrhein münden, befindet sich ein Hügelmassiv namens „der Irschel“. Die Dörfer heißen oft mit Beinamen „am Irschel“.

Tagsüber gab es zudem Netzwerkprobleme. Meine Schweizer Simkarte wollte und wollte nicht funktionieren. Selbst Telefonie war nicht möglich, weshalb ich in Hohentengen auf deutscher Seite einlief, mich bei der Kirche breit machte, versuchte, das Kommunikationsproblem zu lösen, bzw., Frau SoSo eine Nachricht zu senden, dass ich wohlauf bin und es nur ein technisches Problem gibt. Nichts ging, auch in Hohentengen nicht. Ich kaufte ein, startete einen letzten Versuch, scannte nach Drahtlosnetzwerken ohne Passwort, fand eins, und obschon es nicht meine Art ist, mich in unbekannte, womöglich unsichere Netzwerke einzuloggen, loggte ich mich ein, bestätigte die AGB – einer Technikfirma, war drin, konnte entwarnen.
Und nun? Zurück in die Schweiz erst einmal. Vielleicht hilft ja die Kur in Deutschland, mein Schweizer Netzwerk zu heilen?

Geduld zahlt sich in technischen Dingen oft aus. Nach zehn, zwanzig Kilometern, ohne mich um das Problem zu sorgen, bimmelte plötzlich der Kurznachrichtendienst und da ich die Schweizer Karte eingestellt hatte, konnte es sich folglich nur um die Ankunft einer Botschaft handeln. Tat es. Ich war wieder da. Das Telefon funktionierte auch. ich rief M . aus Winterthur an, ob wir uns treffen. Winterthur ist ab der Mündung der Töss nur 14 Kilometer von der Rheinradroute entfernt, doch M. würde erst am nächsten Tag wieder daheim sein, gegen Mittag. Das hätte mich zu sehr aus dem Radelrhythmus geworfen.

Kennt ihr dieses Gefühl, voran kommen zu wollen, sei es noch so langsam. Da stört dann jedes Verharren, das nicht der eigenen Regeneration dient. Jene Art böses Verharren, das Warten bedeutet.

Wir verabredeten uns also für ein Andermal, M. und ich.

Gegen neun Uhr abends erreichte ich den Rheinfall, passierte eine Drehschranke, lief den kurzen Rundweg links des Wasserfalls bei der Burg Laufen. Der Rheinradweg führt direkt am Wasserfall vorbei. War fast alleine. Noch ein Liebespaar und noch ein Liebespaar. Beim ersten fotografierte sie den Rheinfall, bat ihn, das Bild zu verlassen, beim zweiten fotografierte er sie vor dem Rheinfall. Ich durchlief den Parcours. Den Wasserfall so still und fast menschenleer zu erleben, hätte ich nicht gedacht. Beim letzten mal, 2016, passierte ich die Touristenattraktion nachmittags. Frittenbude, Asian Food, Leckeis, Souvenirs und in der Burg, unweit des Drehkreuzes (ich kann mich nicht erinnern, ob das damals schon existierte), war ein Areal mit Blenden abgeschirmt, hinter denen ein medizinisches Team eine Wiederbelebung machte. Polizei und Hektik, schnell weg.

Ich schreibe diese Zeilen am Rheinufer sitzend gegenüber der deutschen Exlave Büsingen. Wieder so eine Insel, denke ich. Eine künstliche Insel, mit Grenzen von Menschenhand gezogen. Wie sich wohl die Pandemische Grenzschließung auf den Ort Büsingen, der ja faktisch mitten in der Schweiz liegt, ausgewirkt hatten?

Ich befinde mich in der Schweiz. Auf meinem Handybildschirm werden übrrigens Ortsbezeichnungen wie „Paradies“ und „Neuparadies“ angezeigt.

Ums Land Schweiz #UmsLand

Reiserad vor zwei Hinweisschildern, die nach links den Col de la Schlucht ausweisen, nach rechts Cernay und Thann. Man schaut in eine weite Ebene, offenbar von einem sehr hohen Berg aus. Rechts steht ein Mülleimer aus Beton.

Oder lieber das Sofa? Schon stehen neue Orte auf meinem Zettel, schon skizziere ich ein genaueres Bild der Schweiz, suche nach Radrouten durch Graubünden: Landquart, Klosters, Davos (da wo’s steil wird :-) ), Sankt Moritz. Mir unbekannte Passstraßen, Flusstäler, elend hohe Berge ringsum und schließlich die italienische Grenze. Alleine das Schauen auf der Karte macht mir schon Herzrasen.
Seit einiger Zeit habe ich das Gefühl, dass ich mehr plane als ausführe. Viel mehr. Dass ich fast nur noch in Plänen und Luftgebäuden aufgehe und kaum noch etwas in die Tat umsetze und mit jedem neuen Plan kommt mehr Angst, mehr Unruhe, reift ein komplexes System aus Verunsicherung in mir.
Und wie sollte es auch anders sein? Wir leben in ungewissen Zeiten. Ungewisser als auch schon. Umgeben, geradezu eingelullt von schlechten Nachrichten, Klima, Krieg, Militärübungen ungeahnten Ausmaßes, Rankwerk für Ungewissheiten allüberall. Fürs einfach nur Kleinmenschsein bleibt kaum noch Kraft. Alles saugt, zerrt, versucht Dich auf die eine oder andere Seite zu bringen, eines unüberschaubaren Bildes, zu dem du dir eine Meinung bilden sollst, ohne überhaupt irgendwelche Tatsachen zu verstehen. Es gibt nur noch Expertenrat. Den Glauben, die Behauptung, die vorgibt, sakrosankt zu sein.
Leicht begreifbare Dinge wie etwa: In zweiundzwanzig Kilometern zweigt Radweg A von Radweg B ab und führt über Pass C ins Flusstal des D, vernebeln, verschleiern, spielen überhaupt keine Rolle im großen Spiel der Weltenränkeschmiede. Als trüge man gezwungener Maßen eine ewige Weitsichtbrile, die einem vorgaukelt, man habe eine Zukunft im Blick, könne etwas bewegen, habe die Chance, teilzuhaben. Nichts hat man.
Ein paar Tage Vergangenheit auf Reisen liegen hinter mir. Etwa 450 Kilometer in den Knochen, die mich von der Pfalz in den Aargau führten. Zunächst radelte ich nördlich und westlich der Vogesen entlang von Kanälen, Blies abwärts, Saar aufwärts, quer durchs westvogesische Hügelland, querte das Departement Meurthe et Moselle, streifte die Vogesen, begab mich direkt hinein, folgte der Route des Crètes, die westlich des Vogesenkamms als ehemalige Militärstraße gebaut wurde.
Einst führte die Narbe mitten durch unsere Gegend. Nun herrscht Friede, Freude Bergtourismus. Die Route des Crètes per Fahrrad? Hmm, ja. Vor 10 Uhr früh und nach 17 Uhr abends ist es recht erträglich. Dazwischen Motorradtourismus, Wohnmobile, PKWs, teils recht knapp überholend und ungeduldig. Gefährlich war es trotzdem nicht. Kriegt man etwas geschenkt auf der Route des Crètes? Nein. Sie führt von Vogesenpass zu Vogesenpass und erzeugt quer zu den Pässen ein eigenes System künstlicher Pässe. Beim Col du Bonnehomme stoße ich nach einstündiger Schiebstrecke über die ehemalige Route de Colmar auf die berühmte Gratstraße. Etwa 900 Meter hoch. Erwartete ich ab dort Flachland? Nein. Ich folge dem Auf und ab und lerne schnell, dass ich zu jedem der west-östlich verlaufenden Pässe in den Vogesen von den künstlichen Pässen, die die Gratstraße erzeugt, wieder absteigen muss. Col de la Schlucht, Col de Cavaillère, glaube ich, ne, der war vor la Schlucht, aber einerlei, erst etwa zehn Kilometer südlich von la Schlucht wird die Gratstraße etwas milder. Beim Abzweig zur Burg (oder ist es ein Berg, oder beides?) Hohneck sitze ich die Mittagshektik aus, liege auf einer Holzbank vor einer geschlossenen Auberge. Ein Trupp Soldaten trifft nach hartem Marsch bei einem uralten Omnibus ein, der beim Parkplatz vor der Herberge auf sie wartet. Sie rauchen, sie plaudern, ich lausche, ich warte. Ja, doch, die Route des Crètes lohnt sich per Fahrrad. Aber nicht in der Hochzeit, in der Hinzchen und Kunzchen ihre Nachmittagsausflüge motorisiert, „ei wie ist das fein, dahin zu brausen“, absolvieren.
Man möge mir diesen Ausreißer in die vergangenen Tage verzeihen. Es handelt sich um ein „Was bisher geschah“. Im Grunde sind die vergangenen vier Radeltage schon Teil meiner Umradelung der Schweiz. Eine Art Prolog und mit den Vogesen auch ein kleiner Vorgeschmack auf die bevorstehenden Pässe.
Ich erreichte die Schweiz beim Dreiländereck in Hunigue, Weil am Rhein, Basel und begab mich direkt auf den Rheinradweg. Die nationale Fahrrdroute Nummer zwei der Schweiz. Nicht ganz einfach, nur auf Basis der Beschilderung mich durch Basel zu wursteln, vorbei an Muttenz, hindurch durch Pratteln, ein Streifzug vorbei an den römischen Ausgrabungen in Kaiseraugst.
Es war heiß, so heiß! Wann war das? Letzten Donnerstag. Nun seit ein paar Tagen bei Frau SoSo, ihren Geburtstag gefeiert, nette Menschen getroffen, und unterschwellig immer wieder mit meinem Vorhaben gehadert. Eigentlich könnte ich auch wieder nach Hause fahren, denke ich oft. Heimisches Sofa. Heimischer Garten. Stille im Kokon.
Mein Plan, via Finnland ans Nordkap zu radeln scheiterte krachend. Das sollte ich an dieser Stelle erwähnen. Ich wurde gebraucht. Und zwar sehr. Als amtsrichterlich bestellter Betreuer von Freund Journalist F. war es eine nervenaufreibende Zeit, drei vier Wochen zuvor, ihn durch die Ethikkommission des kosmodämonischen Krankenhauses zu bringen, ihm einen würdevollen Tod zu ermöglichen. Er ging friedlich am 27. Mai, drei Tage, nachdem meine Fähre nach Finnland ablegte. Durch Finnland ans Nordkap ist „die beste gescheiterte Reise“, die ich je gemacht habe, schrieb ich in mein Notizbuch.
Ich bin natürlich sehr traurig. Viele andere Menschen trauern auch um Journalist F. Zu Lebzeiten wunderbar vernetzt und am Ende doch fast mutterseelenalleine.
Ich stellte fest – während der rekonvalezendierenden vier Tage radelnd in die ganz andere Richtung (nach Süden, statt nach Norden) – die Begleitung hatte mich über die Maßen beansprucht. Oft merkt man erst hinterher, wie gefährlich eine die eigene Gesundheit beeinträchtigende Ausnahmesituation im Alltag ist. Hörsturz, Herzschmerzen, Schlaflosigkeit, zum Glück wieder besser. Nichts von all dem ist geblieben. Die Ohren funktionieren wie eh und je, das Herz tuckert im steten Rhythmus … nur diese allgemeine Lebensunruhe begleitet mich noch. Ich nehme sie mal mit, rheinaufwärts, wenn ich morgen weiter radele.
Aktueller Standort im Aargau ist die Kleinstadt Brugg. Mein Plan ist, ins schweizerische Städtchen Koblenz an der Aaremündung zurück zu radeln und der Radroute Nummer zwei zu folgen, die in Andermatt in die Radroute Nummer eins, die Rhôneradroute, übergaht und schließlich ab Nyon am Genfersee durchs Jura zurück nach Basel. Das sei ein in den Niederlanden beliebter Klassiker rund um die Schweiz, erzählten mir einmal zwei Radler aus Utrecht. Es gebe sogar einen Reiseführer zu der Strecke. Mal schauen, ob ich den Graubünden-Schlenker noch einbaue.
Oder doch lieber heimisches Sofa und Garten?

Ein kleines Stück von Herrn Irgendlinks Freundlichkeitskuchen

Wegen Patrice tut es mir ein bisschen Leid, treue Seele, so vermute ich. Im speckigen Fahrradtrikot steht er neben meinem Rad, als ich die Arme voller Getränke und Lebensmittel aus dem Lidl-Markt in Saint Dié verlasse. Scheint auf mich gewartet zu haben, fragt nach dem Woher und Wohin und will mich auf ein Bier einladen. Ich sage nein. Und das tut echt weh. Denn eigentlich hat er kein Nein verdient. Jemandem zu verweigern, ein halbes Stündchen plaudern und dabei ein Bier zu trinken ist jedoch vielleicht genau die angemessene und ebenso unschöne Gegenkraft zur Hektik des Tages. Ich bin nunmal nicht in Plauderlaune.

Etwas zieht mich auf den Sattel, jene unsichtbare treibende Kraft, die uns Radreisende unruhig werden lässt, sobald uns etwas oder jemand aufhalten will: Menschen, tolle Aussischtspunkte oder die Tastatur, mit der man einen Blogartikel schreiben könnte. Der Moment des Verharrens ist für einen dahin driftenden Radreisenden oft nur schwer zu ertragen (und so muss ich mir diese Zeilen gleichsam aus der Seele reißen, bin ich doch gezwungen, im Zelt zu verharren, mich auf den Moment und den Akt des Schreibens einzulassen, statt das Lager zusammen zu räumen und mich in den Sattel zu schwingen.
Das Zelt steht am Waldrand auf einer frisch gemähten Wiese. Überall liegen grün in Folie verpackte Heuballen. Bei einer Frau, die gerade ihre Pferde an einem verwaisten Hof fütterte, hatte ich gestern gefragt, ob ich hier zelten darf. Sie sagte: Vielleicht?! Das Land gehöre ihrem Nachbarn, und der habe bestimmt nichts dagegen, solange ich keinen Müll hinterlasse. Als ob je ein Langstreckenradler seine Fastfoodverpackung, die er regelmäßig in den Mac Donalds dieser Welt kauft, am Straßenrand hinterlassen hätte. Es sind immer die Ungewöhnlichen, die man in Verdacht hat, nie die Normalen, die Dazugehörenden, das eigene Fleisch und Blut, Jemand von uns.

Nun schon zwei Tage im Sattel. Ich hatte vor dem Tourstart zwar beschlossen, erst einmal in die Schweiz zur Liebsten zu radeln, aber es war noch nicht klar, auf welchem Weg. Nicht wie sonst entlang des Rheins durchs Elsass. Das war schon klar, aber ob ich durch die Vogesen radele oder westlich daran vorbei, das stand offen. Auch die Ausfallschneisse aus Zweibrücken war nicht sicher. Zunächst liebäugelte ich, über Altheim auf dem Mühlenradweg nach Franreich zu radeln, entschied mich aber, drunten in der Stadt nahe des Bahnhofs, anders und fand mich Richtung Bliesradweg unterwegs. Und wenn ich schon hin und her entscheide, sagte ich mir, kann ich gerade noch Freundin Silvia besuchen, die am Weg wohnt. Wir schwätzten und rauchten und tranken Wasser.

Mit der Ausfallroute über Blies und Saar kann man nichts falsch machen. Bis auf etwa fünf Kilometer durch Saargemünd führt die Strecke auf perfekten Fernradwegen zunächst auf alter Bahntrasse, dann am Kanal auf Treidelpfaden, die zum Radweg umgewidmet wurden. So ging der vorgestrige Tag in Rundumwohlfühlradeln. Ich startete sogar ein altes, schon seit bald zehn Jahren gehegtes Projekt, Angler am Kanal zu fotografieren. War bass erstaunt, wie freundlich die Männer – ja, es waren nur Männer – sind und wie sie mich nur gebrochen französisch Sprechenden einluden, sie zu portraitieren. Viele wollten sich sogar von vorne fotgrafieren lassen, setzten sich mit Angel in Pose und ich lehnte verschämt ab. Wieso eigentlich? Das wäre die Gelegenheit gewesen. Aber okay, ein zwei gute Fotos sind dabei von Männern, fischend am Kanal. Handyfotos und oft Gegenlicht. Aber der Anfang ist gemacht. Wieder ein lang gehegtes Ding in Angriff genommen.

Unterwegs videologgte ich fleißig und dachte bei jedem Eintrag, den ich auf die Gopro redete, Mann, Mann, Mann, was hast du dir früher angetan, alles händisch aufzuschreiben, satt einfach nur zu plaudern. Die Disziplinen lassen sich nicht vergleichen. Vielleicht ergänzen sie sich ja?
Nachdem ich mich an Tag eins an Kanälen warm geradelt hatte, stand ich gestern vor der Wahl, weiter dem Kanal zu folgen bis zur Mosel und dem Fluss zu folgen. Genau wie die Saar hat die Mosel zwei Quellflüsse, die in den Vogesen entspringen.
Entschied mich bei einem Dorf namens Moussey, quer durchs Hügelland zu radeln über Blamont nach Raon-l‘-Etappe an der Meurthe.
Was zunächst ganz okay war. Ruhige Landstraßen, oft als Radroute ausgeschildert. Verschlafende Dörfer, sehr viel Gegend und Kühe und frisch Gemähtes. Kaum Verkehr. Kurz vor Raon musste ich einen 350 Meter hohen Kamm überqueren, nach vielen kleinen Aufs und Abs das Sahnehäubchen hinter dem Dorf Neuf-Maisons. Oben angekommen und auf die andere Seite des bewaldeten Gebiets lugend konnte ich sie dann sehen, die Vogesen. Nicht sehr hoch wirkend. Mittelgebirgisch, schwarzwäldisch.

Runter zur Meurthe. In der Hoffnung, einem Radweg flussaufwärts folgen zu können. Doch da war keiner. Sattdessen kilometerweit auf der ehemaligen Hauptstraße neben der vierspurig ausgebauten Nationalstraße. Glück denen, deren Häuser seit der Verlegung der Trasse am nunmehr verwaisten Straßenstrang liegen. Recht erträglich, wenn auch nicht schön. Lärm und Gestank bis Saint-Dié, was mich ganz aggressiv machte, nach anderthalb Tagen in der Stille. Im Lidl in Saint Dié schließt sich der Kreis. Ich befinde mich in einem gehetzten, genervten Zustand, stehe ewig an der Kasse an, bewundere die Verkäuferin, wie sie es schafft immer freundlich zu sein, bin selbst auch freundlich – so viel reichts noch mit meinem Freundlichkeitskuchen, tja, und dann komme ich raus und könnte eitel vor mich in plaudern mit einem freakigen Radler, aber ich bin schlicht nicht in Stimmung. So schade.

Etwa zehn Kilometer jenseits von Saint Dié komme ich schließlich weg von der stark befahrenen Landstraße (nur noch 50 km bis Colmar, lese ich auf einem Schild). Befinde mich auf einem Bahntrassenradweg, der noch etwa fünf Kilometer weiter führt und sich meine Route dann nach vielleicht noch einmaal zwei Kilometern Hauptstraße in kleinen Bergsträßchen verlieren wird.

Verdenal unweit von Blamont

Bis eben durch Stille geradelt, früh, zunächst noch am Kanal auf dem Radweg, bis ich mich bei Moussey besann und abzweigte Richtung Vogesen, Richtung Blamont. Auch Radwege, aber auf kleinen bis kleinsten Sträßchen, so typisch französisch durch verschlafene bis verschlafenste Weiler. Kaum Autos; paar Traktoren. Ich könnte scherzen und sagen, das sind Radwege, auf denen auch Traktoren fahren dürfen. Heuernte. Zwischendurch immer wieder große weite Felder voller Kühe. Entweder grasen sie mit dem Wind, oder sie grasen mit der Sonne im Rücken. Jedenfalls stehen auf der Weide oberhalb von Verdenal alle Kühe in eine Richtung. Daneben die Autobahn, die womöglich aus Strasbourg kommt und womöglich nach Paris führt. Das einzige Hektische an diesem Morgen. Und die Bauarbeiter auf einem Dach unweit meines Schreiborts. Schimpfen wie die Rohrspatzen und die Rohrspatzen oder andere Vögel schimpfen auch. Tackergeräusche und unterschwellige Hektik. Neben der Kirche sitze ich auf einer Treppe. Musste etwas essen, schon wieder wars knapp, also kurz vor der Unterzuckerung, vorm Zusammenbruch. Wie auch gestern, Jung, denk dran, rechtzeitig zu pausieren, bevor sich der Unterzucker durch deinen Körper frisst!
Bis Blamont sind es noch fünf Kilometer. Hatte eigentlich vor, dort in einer Boulangerie Pizza und Éclair zu kaufen, rauszufahren aus dem Dorf und es zu verzehren. Hätte es aber nicht mehr geschafft, zu wenig Kraft. Hatte ja auch kein Frühstück heute, außer ein paar Karotten und einem Stück Gurke.