Sinnierend, konzentrisch kurbelnd auf dem Mühleneselspfad | #UmsLand Bayern

Ich darf Euch ein Geheimnis verraten. Meine Route rund um Bayern habe ich einem Webportal zu verdanken namens ‚Bayernnetz für Radler‘. Dort sind alle relevanten Radwege des Freistaats gelistet und man kann sich im Detail anschauen, von wo nach wo sie verlaufen und wie das Höhenprofil ist, was es am Rande der Route zu sehen gibt, wo man unterkommt. Ich habe die grenznächsten Radwege herausgepickt und die fehlenden Stücke händisch ergänzt, so dass ein Umriss zustande kam, der dem Umriss der bayerischen Landesgrenzen täuschend ähnlich sieht. Den Rest ließ ich offen. Kein Höhenprofil (das jagt einem nur Angst ein), keine Unterkünfte (wie sollte ich auch wissen, wann ich wo bin, wenn ich kein Höhenprofil kenne und nicht weiß, ob ich an dem Tag fünfzig oder hundert Kilometer schaffe), Sehenswürdigkeiten habe ich mir ein paar notiert, aber auch hier verlasse ich mich eher auf den Moment, der mir das, was gerade ansteht, vor Ort ins Netz meiner Geschichte rund um Bayern radelnd spült. Und mal im Ernst, Sehenswürdigkeiten sind ja höchst überbewertet, wenn es ums ’richtige’ Reisen geht. Entweder man klappert Sehenswürdikeiten ab im Leben und macht jeweils ein Häkchen in seinem Buch der tausendundeins Dinge, die man gesehen haben muss, oder man reist treibend wie ein frisch entwurzelter Baum auf dem überquellenden Inn und sieht dabei wie von Zauberhand tausendundeins andere Dinge, von denen in keinem Reiseführer geschrieben steht. Und vielleicht noch viel mehr.

Oft ist es ja eine Kombination verschiedener Unscheinbarkeiten, die sich geradezu homöpathisch im Reisealltag potenzieren zu einer wirksamen Mischung an Erlebtem.

Wenn ich Euch jetzt mit dem Glanzlicht meines gestrigen Reisetags komme, werdet Ihr sicher ein bisschen enttäuscht sein, denn es handelt sich nur um einen kleinen Land-Edeka Markt im winzigen Weiler Soyen, der sich verteilt auf verschiedene Hügel, in winzige Örtchen gliedert, von denen ein jedes sein eigenes kleines Kapellchen hat. Hie und da gibt es auch Landmaschinenhandel.

Gebeutelt von Wasserburgs Frühmorgenstristesse erreiche ich den Markt. Bänkchen vor der Tür. Kaffee zum Mitnehmen. Stille. Landluft. Kein Mensch, kein Geschrei. Fast wäre ich vorbei geradelt.

In Wasserburg gabs in der ’trockenen’ aber schönen Pension kein Frühstück, kein Kaffee, und die Stadt war mir mit ihrem Geschäftsauslagen-nach-vorne-Räumen zu morgendlich-hektisch, als dass ich mich hätte in einem Café niederlassen wollen. Zudem war ich mit Kettenölsuche beschäftigt. Besser gesagt, ich suchte nach einem Radladen, der mir eine Ölung schenkt, indem man mir das Werkstatt-Ölkännchen in die Hand drückt und sagt ’da, nimm reichlich’. Aber Fehlanzeige. In dem kleinen Laden, in dem ich zuerst frage steht ein Mann mit ölverschmiertem Kittel vor mir und gibt mir zu verstehen, dass ich das Öl kaufem nüsse. Es wäre ohnehin besser, denn der Inn, seien wir mal ehrlich, da musste täglich die Kette ölen usw. 4,90 sagt er und hält mir ein winziges Fläschchen hin. 1,90, frage ich? Nein, 4,90. Und das sind, bei geschätzt fünfzig Milliliter doch fast 100 Euro pro Liter. Das rechnet man sich normalerweise nicht aus, sondern man bezahlt und sagt sich selbst das, was einem die Händler auch sagen: ist Spezialöl. Pah. Ich sage nein. Lieber hole ich die weiche Banane aus dem Lebensmittelsack und schmiere damit die Kette.

Ein paar Häuser weiter der nächste Fahrradladen. Dort drückt man mir bereitwillig das Werkstattkettenspray in die Hand, ’nimm reichlich, fremder Wanderer’.

Soweit so gut. Mit einem zwiespältigen Gefühl verlasse ich die Stadt, sinne über den Griesgram im kleinen Laden versus den scheinbar Großzügigen im großen Laden und dass der Griesgram über kurz oder lang wohl schließen wird, geschluckt vom übermächtigen Konzern, der sein Öl sicher groß und billig einkauft … hätte ich dem alten Mann doch bloß das Öl abgekauft. Und warum gönne ich ihm den Teuerverkauf nicht, lasse ich ihn nicht so leben? Warum diktiert der Preis alles, warum nicht das Herz?

Die Geschichte ist groß genug und das Problem auch, dass ich es an anderer Stelle in diesem Buch fortsetzen werde. Es betrifft einen ja auch selbst. Irgendwo steckt(e) doch in jedem von uns so ein Typ mit ölverschmiertem Kittel, der seinen Lebensunterhalt auf Basis der vorliegenden wirtschaftlichen Mechanismen bestreitet, aber dann kommt von außen eine größere Macht, eine Kette von Fahrradläden, Lebensmittelläden, Kunstmaufakturen Wasauchimmerläden und überflutet die Stadt und diktiert und verbilligt die Preise und uns bleibt nichts übrig, als dabei zuzusehen, wie wir selbst vertrocknen, wie die KundInnen uns weglaufen, wie wir nach und nach alle mit dem schönen, freien, selbständigen Miteinander aufhören und uns in die Obhut der Kette begeben als halbwegs gut bezahlte Angestellte. Wenn denn ein Plätzchen frei ist in der Kette. Denn alle, die einst stolz und selbständig ihren Mensch standen, werden in der neu strukturierten Gesellschaft nicht gebraucht.

Deshalb kaufe ich gerne in kleinen Dorfläden ein (wobei Nah und Gut ja auch schon wieder eine Art Franchising ist).

Kaffee.

Kaffee und Kettenöl.

Kaffee und Kettenöl und ein Fetzen Isolierband, der das Ladekabel des iPhones wieder stabilisiert.

All das erhalte ich in dem kleinen Laden. Das Öl kostet dort 1,99 Euro. Immer noch stattlich.

Der Kaufmann mit weißem Kittel erzählt ein bisschen von seinen Radtouren. Am Inn entlang. Einst begnete ihm ein Berliner Radler, der fragte, wo bitteschön gehts denn hier nach München. Er erklärte dem Mann den Weg, dalang, und der Mann verschwand, nicht um ihm kurze Zeit später erneut zu begegnen. Der Weg nach ‚Minge‘ sei viel zu steil und er habe ja sowieso kein Ziel.

In meiner Phantasie wuchs ein radreisender Kerl, der im Zickzack nach Gutdünken das Land durchquert und sich von Impuls zu Impuls hangelt und dadurch sein Radreiseleben auf höchst chaotische, schicksalhafte Weise gestaltete. Wer weiß, vielleicht geistert er noch immer hier durch die Gegend: zu steil, Gegenwind, hektische Landstraße, igitt, Dauerregen, mjammie, Schweinshaxe, da lang, nein dort usw.

Die Impulse können so profan wie filigran sein, sie bestimmen sein Leben.

Und ich Eselcchen der feinen Künste mit meiner doch recht starren, sturen Tourkonzeption rund um Bayern hänge fest in meiner eigenen Tretmühle, die mich dazu verdammt das Nächste nach dem Jetzigen zu tun, weil es der Tourplan so vorgibt.

Manchmal sehne ich mich danach, einfach auszubrechen aus Bayern, aus meiner Runde, etwa der Via Claudiavon vor ein paar Tagen zu folgen und bis nach Venedig durchzurauschen, oder beim Rennsteig, wenn man es schon einmal geschafft hat bis zur Höhe des Gebirgs, Abtrunn zu werden und ab gehts ans Nordkap. Hach. Oder – wie hieß es früher in Raumschiff Orion – den Rücksturz zur Erde einzuleiten und bis zum Mittelpunkt Bayerns vorzudringen. Der ist übrigens heute etwa 129 Kilometer von meinem Mühleneselspfad entfernt.

Tag 9 der 2. Etappe (Tag 17) im Rückblick | #UmsLand Bayern

Weil’s schon fast eine schöne Tradition geworden ist, gibt es heute wieder einen irgendlinkschen Früher Morgen-Twitter-Thread als Betthupferl:

»Wer weiß, vielleicht hatte Benedikt als kleiner Racker hier Fußball gespielt und von einer Karriere als Fußballstar geträumt? [Gemeint ist ein Papst, der von hier stammt, Anm. der Homebase]

Was wir werden, nein, wie wir wachsen, hängt neben der gestrengen Hand des Mahlstroms unseres Alltags auch von unscheinbaren Impulsen ab. Jeden Tag. Jede Minute. Ein Leben lang.

Dass ich kraft der Impulse noch einmal Papst, Priester oder Torwart beim aufblasbaren FC Bayern werde, ist jedoch höchst unwahrscheinlich.

Ein Hahn kräht.

Viel eher laufe ich weiter angepflockt wie ein Mühleneselchen einer Karotte hinterher rings /Bayern und schreibe ein Buch über den Freistaat.

Kaffee. Kaffee und Bloggen. Kaffee und Bloggen und ein Bewunderer.«

Am späten Nachmittag twittert er:
»Die Entdeckung. Gen Passau denkt man gar nicht, dass das Bayern ist. Topfebenes (Inn)Deichland.«

»Derweil hatte mein Hirn Freigang und hat DEN forensische Pathologie-Witz zum Thema Radfahren erfunden: Woran erkennt man einen Radfahrer, der mit einem Lächeln auf den Lippen gestorben ist?«

Offenbar tut auch dem Gemüt eines allwettergewohnten reiseradelnden Konzeptkünstlers ein bisschen Sonne gut.

Sein Zelt durfte er heute auf einem privaten Anwesen zwischen Neuhaus und Neuburg aufbauen. Inklusive Dusche frei.

Man darf auch einmal Glück haben. Und manchmal sind übrigens die Dinge jenseits der Grenze tatsächlich besser als jene diesseits. Ich sage nur Funknetz und Österreich.

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Das heutige Wegstück (Track) könnt ihr hier → gucken.

Oder hier (ungefähr):

Direkter Link zur ungefähren Karte

[Zum Tourplan geht es hier lang.]

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Hier nun ein paar Bilder von Irgendlinks neuntem, respektive siebzehntem Reisetag:

Gerade noch rechtzeitig komme ich zum Abriss des Gasthofs Strasser in Marktl. Wegen der Baustelle ist der Radweg gesperrt.

Dukommsthiernichtrein, kannst aber Briefe einwerfen in Kirchdorf am Inn. Gutes Motiv für meine Serie vermauerter Türen.

Hintereinander geschichtete Bänke in Simbach mit Blick nach Braunau.

‚Aenus reitet auf einem Huchen‘ von Dominikus Dengl steht am Brückenkopf der Innbrücke zwischen Simbach und Braunau.

Auf einem Kreisel in Ering steht ein Wegweiser nach verschiedenen Metropolen: München, Brüssel, Berlin und andere.

Das vom Wetter niedergewalzte Gerstenfeld in Ering war so malerisch, dass ich es fotografisch in Szene setzte.

Alle zweihundert Meter wird der Inn mit solchen betonenen Steinen markiert. Hier 40,8 bei Bad Füssing. Sie sind oft die einzige Abwechslung am Radweg auf dem Damm. Mal abgesehen davon, dass die üppige Natur, ihr Konzert aus Frosch- und Vogelstimmen, Insekten und Wasserrauschen äußerst erquickend ist. Ich sah auch zwei Myriametersteine, wie es sie auch am Rhein gibt, die in zehn Kilometer Abständen den Fluss vermessen. Weiße runde Säulen mit schnörkeliger Schrift.

Ein Schiffsrestaurant in Neuhaus. Gleich dahinter stürzt der Inn in Stromschnellen unter der Brücke nach Österreich hindurch.

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Herzlich aus der Homebase
Eure Sofasophia

Tag 10 der 2. Etappe (Tag 18) im Rückblick | #UmsLand Bayern

Heute hat Irgendlink nach Passau den Innradweg verlassen und sich dem Donau-Wald-Radweg zugewandt. Die gute Nachricht: Er reitet weiter gen Norden, UmsLand. Die schlechte? Es geht wieder so richtig schön bergan. Autsch. Gegen Abend schreibt er, dass der erste Gang wieder sein bester Freund und  der Königseeradweg ein gutes Training für den Donau-Wald-Radweg sei. Oder umgekehrt.

Übrigens: Sein bayrisches Radwege- und Radkartenwissen hat sich Irgendlink unter anderem auf der Webseite hier geholt ⇒ bayerninfo.de/rad … falls wer gucken mag.

Da oben, an einem Waldrand bei Kriegwald, hart an der österreichischen Grenze, werde er – mit Einwilligung – sein Zelt aufbauen, schrieb er noch, und kurz darauf lese ich auch schon, dass er dort gut gelandet ist.

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Das heutige Wegstück (Track) könnt ihr hier → gucken.

Oder hier (ungefähr):

Direkter Link zur ungefähren Karte.

[Zum Tourplan geht es hier lang.]

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Hier nun ein paar Bilder von Irgendlinks zehntem, respektive achtzehntem Reisetag:

Gasthaus zur goldenen Waage in Passau. Es gibt auch ein winziges goldenes Dacherl wie in Innsbruck

Dom zu Passau. Davor das Denkmal für König Maximilian Joseph.

Anzügliche Geschäftsdekoration in der Fußgängerzone von Passau. Als ich vorbei flaniere, fällt irgendwo das Wort ‚Sittenpolizei‘.

Kuhdeko über einem Laden in Passau.

Passauer Gullideckel.

Viele schmale Gassen gibts in Passau. Manche sogar so schmal, dass das vollbepackte Radel nicht durchpasst. Schön die bunten Häuser.

Komm auf die dunkle Seite der Macht. Restaurantdeko unterm Dom.

Blick über den Inn von Innstadt aus nach Passau-Zentrum, das auf einer Landzunge zwischen Donau und Inn liegt.

Schild an einem alten Fahrrad, das in Innstadt an einem Geländer festgesperrt war. Das Fahrrad sei nicht verkehrstüchtig, man möge es bis 10. Juni entfernen.

Liebesschlösser an der Donaubrücke in Passau wurden bei der Brückenrenovierung offenbar mit überpinselt.

Nixe Isa in Obernzell. Sie ist das Pendant zur Lorelei. In der Tat hat die Donau östlich Passaus eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Mittelrheintal. Enges Tal, beidseitig Straßen, kaum Brücken, kleine Fähren.

Nächste beiden Bilder: Römerskulptur auf einem Brunnen in Obernzell.

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Mauerkunst

Donaufähre in Obernzell. Es passen kaum drei, vier Autos auf den winzigen Kahn.

Am Donau-Wald-Radweg kurz vor Wegscheid. Die Straße ist so steil, dass ich oft pausieren muss. Erster Gang. Hier bin ich in schnellem österreichischem Netz und versende die Bilder des Blogartikels.

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Herzlich aus der Homebase
Eure Sofasophia

Tag 11 der 2. Etappe (Tag 19) im Rückblick | #UmsLand Bayern

»Hmmm. 1100 Meter hoch, bayerische Grenze in erreichbarer Nähe, stabiles, nicht zu lahmes tschechisches Netz, schönes Zeltwieschen, müde. Ich sollte hier bleiben.« So twitterte Irgendlink gegen Abend.  Und so hat er sich wild auf Berg-Kuhweide aufgebaut.

Nach einem Tag mit etwa Drei-Mal-den-höchsten-Berg-Zweibrückens-Erklimmen, einer Bahntrasse und  … ach, lest selbst: Twitterseidank sind Irgendlinks Tageserlebnisse hier nachzulesen.

Über die Gegend Šumava, die Irgendlink aktuell durchradelt, gibt es hier einige weiterführende Informationen: www.bayernbike.de

Und jetzt wünsche ich euch allen weiterhin ein feines Wochenende!

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Das heutige Wegstück (Track) könnt ihr hier → gucken.

Oder hier (ungefähr):

Direkter Link zur ungefähren Karte.

[Zum Tourplan geht es hier lang.]

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Hier nun ein paar Bilder von Irgendlinks elftem, respektive neunzehntem Reisetag:

Alter Tschechoslowakischer Grenzpfosten bei Haidmühle. Er wirkt wie frisch poliert.

Die kürzeste internationale Bahnlinie der Welt führt 105 Meter weit bei Haidmühle von Tschechien nach Deutschland. Die Fahrt mit der alten Minidampflock dauert nur 24 Sekunden. Die Sehenswürdigkeit erinnert mich an das kleinste Museum in einer Bushaltestelle in Welchenhausen, das ich während /Rheinland-Pfalz entdeckte.

Diese skurrile Baumruine ist mein Begrüssungsbaum in Tschechien.

Einzige größere Siedlung am Weg ist Strážný, ein ehemaliger oder gar immernocher Skiort, der aber nun ein Billigtandkundentrampelpfad geworden ist.

Verwirrend viele Wegweiser, die mir in Tschechien den Weg erklären könnten.

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Herzlich aus der Homebase
Eure Sofasophia

Bordelle, Tand und schöne Lande | #UmsLand Bayern

Hin und wieder bezeichne ich die Kreuzbergstraße in meiner Heimatstadt Zweibrücken als steilste Straße der Stadt. Sie führt fast schnurgerade vom Herzogplatz und dem alten Brauereigelände hinauf auf den Kreuzberg, auf dem sich die Fachhochschule der Stadt befindet. Ich weiß nicht genau, wieviel Prozent Steigung die Straße hat. Mit einem größeren als dem ersten Gang, kann ich sie jedenfalls nicht hinaufkurbeln. Das kurze Stück Straße überwindet eine Höhe von etwa 80 Metern und im weiteren Velauf kommen noch einmal etwa 40 Höhenmeter hinzu, bis ich mich von der Innenstadt hinaufgeschuftet habe nach Hause. Unterwegs in der Fremde radelnd nehme ich gerne den Zweibrücker Kreuzberg als Maß für die zu überwindende Steigung.

Am gestrigen Morgen, erinnere ich mich schmerzlich, habe ich mit Gewissheit mindestens drei Zweibrücker Kreuzberge in den Schenkeln, als ich nach 13 Kilometern von meinem Wildzeltplatz auf der Wiese des Landwirts, der mit einer Remscheiderin verheiratet ist, das Ende des Donau-Wald-Radwegs in Jandelsbrunn erreiche. Inständig bete ich unterwegs, dass der Folgeradweg, der Adalbert-Stifter-Radweg ein Bahntrassenradweg ist. Und zwar ein richtiger Bahntrassenradweg, nicht Zahnrad. Mit höchstens drei, vier Prozent Steigung, Tunneln und Brücken …

Haidmühle, etwa anderthalb Stunden später. Jackpot. Der Adalbert-Stifter-Radweg führt tatsächlich auf einer alten Bahntrasse geschwungen stets gleichmäßig steigend aufwärts. Dritter Gang ist mein zweiter Vorname. Einfach ist es nicht, aber erträglich. Und die Landschaft durch Fichtenwälder, hoch auf dem Bahndamm über die vorbeilaufenden Dörfchen blickend, ist ein Genuss.

Adalbert Stifter, dem der Radweg gewidmet ist, wurde Anfang des 19. Jahrhunderts hier im Böhmerwald geboren. Auf einem Themen-Wanderweg erfährt man auf etlichen Schautafeln, die mit Zitaten Stifters garniert sind, allerlei über den Künstler, Literaten und Pädagogen. Dass er Kunst und Literatur schuf, begeistert mich insofern, als es auch genau mein Genre ist. Schon dichte ich ihm kurbelnd über den Kies des Radwegs eine Art Urvaterschaft des Appspressionismus an, ein Mensch, der die Mittel seiner Zeit nutzte und kreativ kombinierte und dabei ein künstlerisch-literarisches Gesamtwerk schuf.

Was wohl, wenn Stifter unsere heutigen Mittel zur Verfügung gehabt hätte, Smartphone, Kommunikation, multiple Apps, mit denen er sich nach Belieben eine Schreib- und Malpalette zusammenstellen könnte und im Hintergrund ein robustes Blog als Mittel des künstlerischen Ausdrucks?

„Waldtraktor steht hinter Waldtraktor, bis einer der letzte ist und den Himmel, nein den Baum, abschneidet, denn der letzte ist ein fieser Harvester …“ verhonepipele ich ein Adalbert-Stifter-Zitat. Vielleicht hätte er es gemocht?

In Haidmühle führt ein Teerweg bis zur Grenze, kurz vor der Grenze ein Parkplatz. Mit dem Auto darf man da nicht durch. Es geht nur zu Fuß oder per Rad nach drüben.

Der Parkplatz ist rege belegt und ich sehe schon warum. Menschen mit Plastiktüten und Zigarettenstangen kommen mir entgegen. Drüben befindet sich neben einem Bahnwagen, in dem ein Café-Imbiss ist auch ein Shop und etwas weiter eine Pension mit Restaurant. Die Leute schwappen herüber, um billig zollfrei einzukaufen.

Es hat etwas Schmuddeliges. Wie Männer, die sich aus Sexshops herausschleichen mit anonymen Tüten voller Wasweißichs.

Ein tschechischer Radler klärt mich ein bisschen auf, ich solle ein Bier trinken hier. Er prostet mir mit einem bauchigen, fast kugelrunden Glas zu. Die kalte Moldau sei dies hier. Ein Hochland, umringt von Fichtenwäldern, weit geschwungen, darin die alte Bahnlinie und ein winziger Bachlauf.

Von der Bahnlinie gibt es nur noch einen Kopfbahnhof, der beim Kiosk liegt und einen Fetzen alter Bahnlinie direkt an der Grenze. Die kürzeste internationale Bahnstrecke der Welt (siehe Bild im Blogartikel zuvor). Transportsfahrzeug ist eine winzige Dampflok. Die Schienen sehen marode aus.

Weiter gehts durch Tschechien auf der Šumava-Tour, so zumindest ist sie im Internet ausgewiesen. Tatsächlich folge ich etwa dreißig Kilometer den Schildern des Eurovelo 13. Einzige größere Siedlung am Weg ist Strážný, ein ehemaliger oder gar immernocher Skiort, der aber nun ein Billigtandkundentrampelpfad geworden ist. Wunderbare, seltsame Waren von Körben über Gartenzwerge, Blechzeugs, Kunststoffmissratenheiten bilden ein Spalier des unwiderstehlich Günstigen. Dazwischen Zigaretten, Alkohl, Parfüm und auch ein, zwei Bordelle.

Gut dreißig Kilometer führt die Šumava-Tour entlang der Grenze durch Niemandsland und Bäume. Auch hier gehen mir der eine oder andere Zweibrücker Kreuzberg in die Knochen.

Am Abend lande ich wildzeltend auf 1100 Metern Höhe auf einer offen gelassenen Kuhweide zwischen riesigen Felsbrocken, Moos und viel Stille.

Ich schätze, dass ich etwa 1000 bis 1200 Höhenmeter geradelt bin. Zum Mittelpunkt Bayerns sind es 160,4 Kilometer.