Gitarre hinter Wohnmobil. Geschirr klappert. Ein dickes Brömm brömmt mit gespreizt sitzendem Fahrer die Uferstraße entlang. Forsttraktor schiebt sich durchs Bild. Das Zelt steht offen. Radel vor bleckendem Kiesstrand. Jemand wälzt ein Problem am Handy und gibt Befehle. Es geht um Geld, scheinbar. Um nicht mitgehört zu werden (oder die Familie im Wohnwagen zu stören), steht der Problemlöser draußen vor der Tür neben der Zeltwiese. Das ist das Vogelzwitscher-Gewecktwerden der streng getakteten deutschen Arbeitswelt. Hart erkämpft war diese Etappe vom Heiterwangersee zum Walchensee. Als ich morgens die Rezeptionistin am Campingplatz frage ’Wie kommt man denn am besten zum Plansee, südlich oder nördlich um den Heiterwangersee?’, sagt sie streng: ’Gar nicht!’ Es gebe keinen Weg. Und wenn doch, dann seien das verwurzelte Wanderpfade. Sie malt ein schreckliches Bild des Aberglaubens, wie es dem Mittelalter gut anstünde, als man die Menschen mit Geschichten abschreckte. Ihr strikter Ton macht mich vermuten, dass sie entweder gestresst ist, oder sie will nicht – wie einige in der Gegend – dass am See geradelt wird oder sie hat schlicht keine Ahnung …
Wie auch immer, ich entscheide mich für den südlichen Weg, der auf der Open Cycle Map als weiße halbgestrichelte Doppellinie eingezeichnet ist. Von den spanischen Vias Verdes bin ich so einiges gewöhnt und weiß, wie man ein Rad zur Not auch ein paar Kilometer schiebt.
Das Schieben bleibt mir erspart. Der Weg wäre sogar mit einem tiefer gelegten Opel Manta zu befahren. Bloß kurz vorm und am Plansee schmälert er sich und führt durch eine Geröllhalde und über eine schmale Fußgängerbrücke.
Zu dieser Zeit weiß ich noch nicht, was mir später noch bevorsteht.
Doch zunächst läuft alles nach Plan am Plansee. Rasant über Waldwege abwärts nach Griesen ins Loisachtal. Dort Loisachtalradweg bis Garmisch, sehr schön. Die Entscheidung, nicht in Garmisch rechts abzubiegen und über Radwege auf Straßen zum Walchensee zu radeln, sondern weiter abwärts bis Eschenlohe, rächt sich schon gleich nördlich von Garmisch.
Herr Irgendlink, präge Dir das doch einmal ein: Nie an Höhe verlieren! Und: der gerade Weg ist auch immer der steinige.
Egal. Zu spät. Durch eine etliche hundert Meter lange ‚Flaniermeile‘ vorbei an diversen Entsorgungsunternehmen führt der Radweg durch Staub und Schmutz, garniert mit Lastern, die das alles bringen oder holen.
Bei einem Unternehmen, das besonders abgeschottet wirkt mit Verbot, Gefahr, Video, unendlich verrottetem Bauschuttwall steht ein Laster, der wie ganz klammheimlich beladen wird. Die Phantasie geht mit mir durch und ich schustere einen kleinen Umweltkrimi, bis ich eine herzallerliebliche Wiesengegend erreiche, in der wie Tupfer kleine Feldscheunen verteilt sind. Als habe der Lieblichkeitsgott wahllos gewürfelt.
Lieblich gehts weiter Loisach abwärts bis Eschenlohe, wo ich einem Radweg rechts ab zum Walchensee folge.
Der sich als Mounbtainbikeroute entpuppt. Da nauf führts durch die Gachentodklamm, erzählt mir ein Wanderer. Kannst mit den Reifen nicht machen. Unbelehrbar, die spanische Vias-Verdes-Heldenreise im Hinterkopf, versuche ich es trotzdem. Schieben, schieben, schieben. Geröllweg hier, entwurzelter Baum da, toller, halb ausgetrockneter See auf halber Strecke. Kein Netz. Schutzhütte, wo bist du? Immerhin ab und zu eine Parkbank mit Dächlein. Gewitterwolken. Mehr ’kein Netz’.
Der Weg zieht sich zehn Kilometer weit. Finales Betthupferl: eine Bachdurchquerung, die Monsieur wie ein Hasardeur mit viel Anlauf nimmt, auf halber Strecke im Treibsand stecken bleibt, mit den höchst wasserdichten Schuhen zum Glück halt findet, aber was nützen wasserdichte Schuhe, wenn das Wasser bis über den Rand reicht.
Irgendwann dann doch Walchensee-Idyll. Total erschöpft checke ich auf dem Campingplatz ein, der ziemlich voll ist.
Als ich gerade aufgebaut habe, bauen direkt daneben auf der kleinen Zeltwiese vier Jungs ihre Zelte auf. Das heißt, zuerst schleppen sie den Bierkasten herbei, um den Claim abzustecken. Mir schwant Böses.
Doch zunächst ist es ruhig und ich dämmere gegen 22 Uhr in eine Art Halbschlaf, bis mich eine Stimme direkt vorm Zelt weckt. Jemand telefoniert und das Gespräch hört sich nicht gut an. Der Mann redet mit seinem Opa, beschwichtigt ihn, versucht den – so klingt es – völlig aufgelösten Mann zu beruhigen, Sprachfetzen, besorgte Stimme, ist doch nur Geld usw.
Einerseits bin ich neugierig, will andererseits weiterschlafen, da schreckt mich ein bobmarley-gesungenes Ayayay, ayayay, ayayay ya ya ya ya yay hoch. Oke. Das wird so nix. Schäle mich aus dem Schlafsack, geselle mich zu den vier Zeltnachbarn, die unter Vollmond schnatternd Bierflaschen halten Fast wie die drei Hexen aus Macbeth vielleicht.
Bier und Zigaretten. Wir freunden uns ein bisschen an. Die vier sind auf ihrem jährlichen Männerwochenende von überall in der Republik hier zusammen gekommen, haben die Schulzeit miteinander durchlebt und nun steckt einjeder in seinem Job.
Ich erfahre, dass der Opa, von dem, der vor meinem Zelt telefonierte, dem Enkeltrick aufgesessen ist. 15.000 Euro. Bar. Zack. Weg.
Opa, Enkel und andere Verwandte, die gerade telefonisch informiert wurden sind völlig von der Rolle. In der Tat tut auch mir das weh. So mies, die Welt, so weiß mein Herz …
Der Abend nimmt bibbernd, schwatzend, Bier trinkend, rauchend am Walchensee seinen Lauf. Die vier laden mich ein auf Ausflüge nach Australien, erzählen von ihren Traumberufen: einer möchte Hausmeister werden auf einem Berggrat in den Alpen. Kurzer Abstecher nach Kolumbien, wo das Bier nur 5 Cent kostet, um wieder nach Australien zurückzukehren, wo das Päckchen Tabak umgerechnet 40 Euro kostet.
Tja, Liebling, so war mein Tag, und da gäbe es noch viel mehr.
Um kurz nach eins sind wir alle müde, durchgefroren, halb bis ganz voll und verkriechen uns in die Zelte.
Abstand zum Mittelpunkt Bayerns 151 Kilometer.