Höchst umstrittene Romanbeginne

Der Verbund deutscher Verleger prognostiziert, dass die überwiegende Mehrheit der Neuerscheinungen zur nächsten Buchmesse mit den Worten „Es regnete.“ beginnen wird. Ein katastrophales Jahr für die deutschsprachige Literatur, gelten die beiden Wörter doch seit Jahrhunderten als höchst umstrittene Buchbeginne.

Good Bye Yellow Pig Road

Nur eine Stunde würde genügen! Dann würde die schwarze Wasserleitung auf dem Dach genug Heißwasser produzieren, um im Silobad eine heiße Dusche zu nehmen. Nur zehn Minuten würden genügen, damit das Harz aus dem Glasreparaturkit, das ich kürzlich für die Frontscheibe des Autos gekauft habe, unter der satten UV-Strahlung erhärten würde und man endlich wieder beruhigt Autofahren könnte. Stattdessen trommelt Regen aufs Dach der Künstlerbude. Die Lupinen ersaufen in einem Bottich, der so schwer ist, dass man ihn selbst mit der Brechstange und einer Technik, wie sie im alten Ägypten angewendet wurde, um die Pyramiden zu bauen, nicht mehr unter das Vordach bewegen kann. Würde Noah heutzutage leben, er wäre längst ersoffen. Es ist dem Fieberwahn geschuldet, dass ich auf dem verschwitzten Krankenbett Elton Johns Good Bye Yellow Brick Road in Yellow Pig Road umdichte. Ein schweres Epos von Lied, das anklingen muss, wie ein tragischer Blues auf einem Reisfeld im Süden Louisianas … Die gelbe Sau will und will nicht aus den Wolken kommen. Erst gegen Abend, als schon alle Hoffnung verloren schien, streift sie übers Land und ich hetze wie ein Bekloppter zum Birnbaum, dreihundert Meter vor der Haustür, wie, um einen Beweis zu sichern, ich Forensiker des Lichts, ich.
Der Birnbaum vorm einsamen Gehöft im ersten Sonnenlicht des Jahres 2013 – eine Neuner-Collage, bestehend aus Hipstamatic Zufallsfotos kombiniert mit Turbocollage und gemäß dem iDogma direkt ins Netz geladen..
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Inkassofotografie

Wie der Herr Irgendlink zum Inkassofotografen wider Willen wurde, quasi die Mutter zum Kind der modernen Geldeintreiberei.
Und das ganz ohne Messer, Muskeln, gegelte Haare, Sonnenbrillen und Verbrecherakzent.
Nur noch rote Farbe im Haus für ein Kunstwerk, das an diesem Wochenende auf dem örtlichen Straßentheaterfest gezeigt werden soll. Die Lackdose aus dem letzten Jahrtausend ist so verklebt, dass ich den Deckel mit einer Beißzange aufreißen muss. Die millimeterdicke Lackhaut, die auf der stinkenden Brühe liegt, ziehe ich ebenfalls mit der Zange ab. Lasse das Ensemble achtlos in der Sonne liegen.
Mittwochs besucht mich mein alter Freund Leb. Natürlich beflügelt das Gebilde, das in der Abenddämmerung ziemlich gruslig aussieht, die Phantasie.
Er hat die zündende Idee, dass man ein Foto davon machen könnte. Yet another unverkaufbares Kunstwerk, denke ich schon, da regt Leb an, es als Begleitmotiv für Mahnungen zu nutzen. Einfach die freundliche Zahlungsaufforderung zusammen mit einem „Schmuckfoto“ und den Rest erledigt die Phantasie des Kunden.
Dies ist also die Geburtsstunde der Inkassofotografie.

Inkassofoto by Igendlink Zange und Farbklecks

Agribuntu – Linux für Landwirte

Der Porsche Junior ist ein knallrotes, uraltes Ding, ein Einzylindertraktor mit 15 PS, der bis in die 1960er Jahre in Landwirtschaftsbetrieben hervorragende Dienste leistete. Heute findet man die antiken Traktoren in den Vorgärten und Privatmuseen reicher Porschefans. Vornehmlich in den USA, habe ich mir sagen lassen. Auf dem einsamen Gehöft kommen gleich zwei Porsche immer noch zum Einsatz, um den großzügigen Gemüsegarten zu bewirtschaften und die dazugehörige Swap-Partition.
Hier wird der Artikel informationstechnologisch. Schon vor Jahren ist mir während der Gartenarbeit aufgefallen, dass sie dem Webdesign gar nicht so fern ist. Was tut ein Bauer anderes, als Flächen zu gliedern und sie mittels verschiedener Pflanzenarten gestalterisch zu einer Einheit zu fassen. Webdesigner arbeiten auf Monitoren. Bauern auf Äckern. Der Garten ist nichts anderes, als das Body-Element einer Webseite, das mittels verschiedener Div-Elemente gegliedert wird. Agrikulturelles CSS und HTML. Vermutlich würde manch einer sein Dünkel gegen die Auszeichnungssprachen des Web verlieren, wenn er sich vorstellen könnte, dass die Navigationsleiste seiner Webseite nichts anderes ist, als eine Zeile Möhren und der Hauptinhaltsbereich nur ein Kartoffelacker.
Aufgesetzt auf diese Erkenntnis bringt Monsieur Irgendlink sich derzeit tieferschürfendes Linux-Administrationswissen bei, um sich auf die LPI Zertifizierung vorzubereiten.
Es ist nicht ganz einfach, einen Porsche Junior zu starten. Der bald ein dreiviertel Jahrhundert alte Anlasser läuft langsam. Man muss vorglühen und mit einem Sechskantschlüssel an einer geheimen Schraube auf der linken Seite des Motorblocks „Mehrmenge“ geben, also fünfzehn mal pumpen. Und Vollgas geben und einen Metallknopf drücken. Im Winter bei Minus 15 Grad kann eigentlich nur mein Vater den Junior starten. So kompliziert ist das. Und er erklärt es mir in regelmäßigen Abständen immer wieder, mit dem Nachsatz, dass Du es weißt, ich will mein Wissen nicht mit ins Grab nehmen. Ich vergesse die komplizierten Abläufe immer wieder, wie ich auch gerne vergesse, wie man an einem Webserver diese oder jene selten benötigte Prozedur durchführt. Für den Server gibts zum Glück Skripte, einfache Textdateien, die, mit Ausführungsrechten versehen, für den reibungslosen Betrieb sorgen
Ein Startskript für den Porsche muss her:
#/bin/bash
vollgas
mehrmenge
mehrmengeknopf
vorgluehen -r tastfeldfuehlen
starknopf

Kurz: /etc/init.d/porschejunior start

Bitte nicht nachmachen. Das Skript enthält gravierende Fehler, da ich es im Garten sitzend nur so aus dem Kopf hacke. Ihr Garten könnte Schaden nehmen.

Ich arbeite derzeit an Startskripten für den Rasenmäher, die Kettensägen, Motorhacke. Ich fürchte, ohne das Aufsetzen eine Landmaschinenservers werde ich nicht weiter arbeiten können. Und es wäre ultrapraktisch, wenn ich den Kraftstoff mittels sftp von der Tankstelle in den Tank transferieren könnte. Für den Motorölstand plane ich einen vollautomatischen inkrementellen Backup mittels rsync.
Ich pickeliger, kleiner, colasaufender Nerd der modernen agrikulturellen Systemadministration, ich.

Mach den Russenlimbo – Kratzen am Mythos 100er Bus

Wenn du wirklich etwas von der Stadt sehen willst, nimm den 100er Bus. Die Linie 100 fährt an allen Sehenswürdigkeiten Berlins vorbei.

Aber wenn du das tust, mach es nicht sonntags im Frühling mit Großbaustelle Unter den Linden und türkischem Kinderfest vor der amerikanischen Botschaft!
Siegessäule steigen wir ein. Hoffnungslos überfülltes doppelstöckiges Busding. Kein Wechselgeld mehr. Halbherzig sagt der Fahrer, wir sollen den nächsten nehmen, aber bevor wir aussteigen können, schließt er schon die Tür. Zockelt Richtung Reichstag, der  türkisches Kinderfestumleitung folgend, an etlichen Haltestellen Gäste ausspuckend, aufnehmend, nicht Geldwechseln könnend, die Nerven blank, als sich eine Gruppe Russen vom oberen Teil in den Eingangsbereich quetscht, damit sie rechtzeitig zwei drei Haltestellen weiter rauskommen. Das ist nämlich gar nicht so einfach. Verstopft von Familie mit Kind und ein müder Junge sitzt auf der einzigen Wendeltreppe, die ins Oberdeck führt. Geradezu elegant eine Gruppe Franzosen, durchdrungen von den Russen, garniert mit müdem Kind. Charmant elegant schlängelt sich der Führer durch das Dickicht aus Menschen, dreißig Mal Pardon sagend, bis er draußen steht und nun zählt er seine Gruppe un deux troi und so weiter, stockt bei once, Fuß in die Tür, wo ist unser zwölfter? Busfahrer wahrt die Contenace, zwölf gehn raus, gefühlte dreißig gehn rein, keiner traut sich ins nunmehr fast leere obere Busteil. Weil man ja nicht mehr rauskommt. Eine Mutti beschimpft ihr rothaariges Kind, das zwischen den Russenbeinen vorbei am müden Bub schon fast die Wendeltreppe erklommen hat – was heißt hier beschimpfen – öffentlich demütigen tut sie ihr Kind, weil sie wie ein Leuchtturm in die Menschenmenge ruft und über den Buben redet, nicht mit ihm. Unter den Linden machen endlich Soso und ich den Russenlimbo – mit akrobatisch verrenkten Wirbelsäulen irgendwo durch zwischen Beinen, Armen und Bäuchen der Tourigruppe, die noch immer keine Anstalten macht, auszusteigen, ein Streifzug durch die kaputte deutsche Kleinfamilie und endlich sind wir wieder draussen aus dem 100er, der uns angeblich an allen Sehenswürdikeiten der Stadt vorbeigeschaukelt hat.