Seit wievielen Jahren blogge ich jetzt? Zehn? Fünfzehn? Man könnte sagen, ich habe mir das Bloggen von der Pike auf selbst beigebracht. Mit selbst geschriebenen HTML-Dokumenten hatte es ungefähr 2001 angefangen. Liebevoll mit Vor- und Zurück-Buttons versehene Seiten, die allesamt den Titel trugen „Alltag, der soundsovielte soundsovielte Zweitausendsoundsoviel“ usw. Ich glaube, ich war, najaaa, ziemlich leutselig. Obschon manche sagen, den irgendlink’schen Texten hafte seit jeher ein Hauch Eleganz an (Mag sein, dass dies nur mitleidige Freunde so finden :-) ).
Es war aber auch nicht einfach, damals, im Äon der Bloggosphäre eine klare Linie zu finden, wie man elegant bloggt. Es gab ja keine Vorlagen. Wir waren Pioniere. Auf HTML 4.01 Mayflowers zogen wir hinaus in digitale Brachländer und steckten unsere Claims ab.
Spätestens mit den Livereiseexperimenten ab 2010 rückte die eigene Person in den Fokus des Webexistierens, wenn ich das mal so grob ausdrücken darf. Das Ich.
Die Figur „Ich“ im inhabergeführten Webprojekt
Das Ich ist traditionell ein Problem beim Webpublishing in inhabergeführten Webprojekten. Zum einen ist das Ich notwendig, um einen Protagonisten für die, meist selbst erlebten, autobiografisch hart an der Grenze der Leutseligkeit erzählenden Geschichten zu haben. Zum anderen muss man das Ich auch stets im Zaume halten, um nicht gar zu selbstverliebt, gar zu leutselig, gar zu plump herüber zu kommen in den Texten. Während der Livereise um die Nordsee radelnd und zu Fuß auf dem Jakobsweg habe ich mir intensiv Gedanken gemacht um die Bedeutung der Figur Ich im Blog. Ich war ja schließlich der Hauptdarsteller, der die erzählte Geschichte erlebt und sie nachts unter der Decke in zugigen Pilgerherbergen auf dem Smartphone tippt, damit die lieben Lesenden morgens zum Frühstück etwas zu gucken haben. Ohne Ich keine Geschichte. Später auf der Radreise um die Nordsee habe ich dem Ich sogar einige fiktive Figuren zur Seite gestellt. Lind Kernig, einen Zeitreisenden aus der Zukunft. Und einen clownfangenden, aufblasbaren Butler namens James. Andere fiktive Figuren habe ich von Grabsteinen abgeschrieben oder von Infotafeln bei Denkmälern. Willkommene Statisten im Tagesgeschäft des Livebloggens. Ich war höchst erstaunt, wie gut diese irgendlink’schen Kunstfiguren bei den Lesenden ankamen. Noch erstaunter war ich, welch mächtige Werkzeuge ich da geschaffen hatte. Die richtige Dosis Fiktion und Abstraktion, sowie ein Schuss Verrücktheit garniert mit einem starken, menschlichen Icherzähler bereichert den Blogalltag und verblüfft die Lesenden. Ist das die Zauberformel? Realität und Fiktion gut gemischt als abstrakt reale Fiktion zurückführen in den Erzählstrom? Nun, es taugt jedenfalls.
Die Lust am Liveschreiben und das ungeheuere Potential, das dahinter steckt, wurden mir spätestens auf der Livereise Ums Meer 2012 klar. Im Grunde kann man in einem Blog alles anstellen, was man möchte. Man muss nur die richtige Dosis Ich finden. Ein Blog ist wie kochen. Eine sehr feinfühlige Sache, die man nur bedingt nach Rezept kredenzen kann. Das Würzen mit der richtigen Dosis ich ist die Kunst, die den Meister ausmacht. Es gibt keine Regel, wie man das Ich dosieren kann. Man muss ein Gefühl entwickeln, wie weit man gehen darf, wie weit man als bloggende Hauptfigur seiner eigenen Geschichte in den Vordergrund treten darf, und wann es besser ist, sich zurück zu nehmen. Hier ist es die langjährige Blogerfahrung, die einem in engem Kontakt mit den Kommentierenden hilft, das richtige Maß zu finden.
Ich will es nun gegen Ende des Artikels auf die Spitze treiben mit dem Ich
Eigentlich ist dieser Text ein gutes Beispiel dafür. Er sagt aus. Er persifliert. Der Autor tritt zurück und kommt im nächsten Moment wieder ganz nach vorne, ohne dabei plump oder gar selbstverliebt zu wirken. Ich könnte – nur so zum Spaß – versuchen, einen Absatz zu schreiben, in dem ich so viele Ichs und Mirs, wie nur irgend möglich benutze, nur um mir selbst zu zeigen, wie es aussieht, wenn ich ganz viele Ichs verwende. Wenn ich quasi mit Ichs und Mirs jongliere, sie in die Luft werfe, versuche, sie oben zu halten auf dass ich auch ja keins fallen lasse. Elegant soll es aussehen, fünf Ichs und drei Mirs in ständiger Rotation. Vielleicht zünde ich noch eine Fackel an, die ich mir in den Mund stecke und auf der groß Ich Ich Ich geschrieben steht, ich selbstgebastelter Clown der modernen Blogliteratur, ich Parodiebeispiel der Überstrapazierung des eigenen Ichs in ichbezogenem Beitrag über das ich, ich.
Ta ta ta. Es ist gut jetzt, Monsieur Irgendlink. Hyperventilierend vor so vielen Ichs, schnappe ich nach Luft, rede mit mir selbst, du langweilst, du nervst, lass die da draußen doch, versuchst du etwa, den Mirfel mit dem Ichzlebub auszutreiben?
PS: Ich glaube, das ist der Artikel mit den meisten Ichs, den ich je geschrieben habe. Mann, bin ick stolz auf mir :-)