Tag 78 – die Strecke und Bilder

Heute ist Irgendlink vom Ponyhof aus nach Varberg geradelt, wo er sich die Auf-die-Fähre-Wartezeit mit einem sommerlich-bunten Artwalk um die Ohren geschlagen. Die folgende Varberg-Collage widmet Irgendlink G., die von hier stammt und in seiner Heimatstadt lebt (aufs Bild klicken für groß).

Von heute Morgen die folgenden Bilder …
Auf dem Hof … (groß auf pixartix_dAS bilderblog)

Nach Kungsbacka gesehen. Zum ersten …

… zum zweiten …

… zum dritten … (groß auf pixartix_dAS bilderblog)

… und gleich noch eins oben drauf, das herrlich quietscht und quakt …

Während ich hier schreibe, sitzt Irgendlink auf der Fähre nach Grenaa in Mitteldänemark, wo er Punkt Mitternacht ankommt. Mein Idee ist, dass er sich einfach auf den dortigen Strand-Campingplatz begibt und ausnahmsweise erst morgen Vormittag die Formalitäten erledigt. Ob das klappt? Die skandinavischen Campingplätze, die ich bisher gesehen habe, sind kaum je eingezäunt gewesen.

>>> Ponyhof, Kungsbacka (Schweden) – Grenaa, Strandcamping (Dänemark): zur heutigen Karte bitte hier klicken!

Urban Artwalk Heidelberg

Heute wurde mir bewusst, auf welch dürftiger, fotografischer Durststrecke ich mich normalerweise bewege. Die urbanen Kunst-Spaziergänge der letzten Wochen in Zweibrücken, Bitche, Sarreguemines und Homburg sind, was die Verfügbarkeit interessanter Motive betrifft, nichts im Vergleich zu der Motiv-Schwemme, mit der SoSo und ich uns am heutigen Sonntag konfrontiert sahen. Im ländlichen Raum ist es verdammt schwer, die Oppulenz des gelebten Lebens einzufangen. In einer halbwegs großen und äußerst touristischen Stadt wie Heidelberg kann ich meine große Stärke, urbane Feinheiten fotografisch festzuhalten, prima entfalten. Schon beim „Erstkontakt“ mit der Stadt gegen 15 Uhr heute Nachmittag, war mir klar, dass ich etwas mit den vielen Fahrrädern anstellen muss, die an jeder Laterne, Hauswand und an jedem Geländer lehnen. Weitere Bilder gibts auf idogma.com 20120304-233913.jpg

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Urbaner Kunstspaziergang Sarreguemines

Pervers teures Benzin. An der billigsten Tankstelle der Stadt zahle ich für den Liter Super 1,68 Euro, sodass ich schon aus Protest nicht volltanke. Unterwegs auf der Autobahn sinniere ich, dass ich einfach noch nicht reif bin für den hohen Preis. Wie Viele. Letztlich, bin ich sicher, werden wir das bezahlen, was Die wollen. Schreibs groß: SIE. Die geheimnisvoll verschworene Ölliga, die Banken, die Illuminaten, das Böse, die Kapitalisten, Terroristen, Exorzisten, Wirtschaftsliberalisten – nenn es wie du willst, wir finden uns ruck zuck auf der B423 wieder Richtung Sarregueminnes, kaum 40 km Fahrtstrecke. Ein ganz normaler Sonntagsausflug. Das Benzin, immerhin 15,37 Euro habe ich vertankt, sollte doch so weit reichen?

In Sarregueminnes überkommt mich ein unangenehmes Gefühl der Fremde, (ähnlich, wie ich es vor drei Jahren beim Menonitenfriedhof Dorst empfunden habe). Ein Gefühl von Nie-wieder-daheim-sein. Ein Gefühl wie obdachlos. Wir überqueren die Saar und es schnürt sich mir die Kehle zu bei dem Gedanken an die bevorstehende Nordseeumrundung. Ich muss mit ähnlichen Wetterbedingungen wie heute rechnen. Sarregueminnes ist sonntagsstill. Ein Motorradfahrer lässt den schräg nach oben röhrenden Auspuff seiner hochgezüchteten 750er Irgendwas knattern. Unterm Helm wirkt er bedrohlich, als hätte er gerade eine Bank überfallen. Der vereinzelte französische Singsang, wenn Sonntagsspaziergehende an uns vorbei laufen und sich unterhalten, tut sein Übriges. Verdammt, sobald ich die warme, gemütliche Künstlerbude verlasse, bin ich fremd, umgeben von Rockern und sich profilieren wollenden 14-Jährigen, von krankhaft alkoholkranken, abgehalfterten Mittvierzigern, von geschiedenen, frustrierten Damen, von Rentnern, die aufgegeben haben und aus purer Verzweiflung die Enten am Fluss füttern – kurz: von Fremden, die ich nicht verstehe.

SoSo und ich scannen die Stadt und fotografieren die verlassensten Ecken. Die Saar wirft wunderbare Spiegelungen, Zinkrohre an einer Baustelle, die wohl einmal die Lüftung für den Neubau eines Altersheims werden sollen, beruhigen mich ein wenig. ‚Klar, bist du fremd‘, denke ich, ‚vielleicht bist du sogar fremd, wenn du zu Hause eine Weile nicht in der Speisekammer warst und dann eintrittst und dich wunderst, huch, was ist denn das, wer hat denn das viele Tomatenmark gekauft?‘ Fremd ist alles, was nicht in dem engen Zeitfenster der eigenen Gewöhnung liegt. Gewöhnung. Man kann sich an den Zustand des Unterwegsseins gewöhnen, und zwar schnell, und dann ist man in Bewegung und doch jeden Tag woanders daheim. Das längliche Wohnzimmer des Europenners. Das graue Band, das niemals endet. Die Straße als Heim. Vor einem Herrenmodeladen steht ein zerzauster Kerl mit abgewetzten Kleidern und zwei Plastiktüten. Unsere Blicke begegnen sich, ich wende mich schnell ab, wir verkriechen uns in eine Seitenstraße, fotografierend, in einer Boulangerie Eclairs und Croissants kaufend, sündhaft teures, zuckersüßes Zeug, das der alte Zausel sich niemals leisten würde. Aus meinem Geldbeutel krame ich die letzten Münzen, falls wir ihm noch einmal begegnen sollten. Weiter durch die schöne, fremde Stadt an der Saar. In jedem zweiten Schaufenster hängen Bilder von Häusern, die zum Verkauf stehen. Wieder sehe ich den Abgrund vor mir, den ich schon gestern in Zweibrücken vor mir gesehen hatte. Haar weht im imaginären Klippenwind. Ich am Rande der gutbürgerlichen Gesellschaft. Der Europenner. Bestückt mit Geld und Hightech, durchwandert er seine Welt, ruhelos auf der Suche nach Glück und Frieden. Wie jeder Mensch. Wie der alte Zausel mit den Plastiktüten vor dem Herrenmodegeschäft? Vielleicht ist er ich in zwanzig Jahren? Dass es plötzlich so viele Läden gibt, in denen Immobilien angepriesen werden? Hinter jedem feinen Häuschen, das auf den Fotos prangt, steckt ein Bankrott, eine menschliche Tragödie. Eine böse Bank, die sich das Geld von Ihren Schuldnern zu holen versucht. Ich muss an Griechenland denken. An den Club of Rome. Daran, dass alles den Bach runter gehen könnte in den nächsten 50 jahren. Mit der gesamten Weltgesellschaft. Nur weil diese Scheiß-Systeme nicht ewig wachsen können. Nur, weil die Rücken derer, auf denen der Wohlstand in der westlich zivilisierten Welt basiert, langsam knapp werden. Mist.

Wunderbare Stadtansichten entstehen bei unserem Urban Artwalk Sarreguemines. Am Bahnhof, welcher sich industriell bizarr und grün aus dem architektonischen Gewimmel schält, begegnen wir wieder dem Zausel. Meinem verwahrlosten Ich der Zukunft. Und diskutieren, ob es demütigend ist, unbotmäßig, frech, einfach zu ihm rüber zu gehen, und ihm Geld zu geben. „Ein Euro würde sowieso nix nützen“, sage ich. „Nichts würde nichts nützen“, sagt die SoSo. Es macht eigentlich gar keinen Sinn zu geben. Es wird immer zu wenig sein. Schon sitzen wir im Auto, als ich mich aufrappele, hinüber laufe quer durch den Parkl vorm Justizpalast und den Mann anspreche. Angst. Das ist es, was er hat und erst, als ich ihm einen Fünf Euro schein hinhalte, versteht er. Er spricht kein Französisch, kaum Deutsch und ich wundere mich, wie er, fast am Ende seines Lebens hier in dieser Gegend stranden konnte.

Textteil – Urban Artwalk Zweibrücken

SoSo und ich spielen wieder das Spiel, abwechselnd an Kreuzungen die Richtung anzusagen. „Rechts“ sagt sie, als wir den Birnbaum vorm einsamen Gehöft passieren, was uns unweigerlich in die Amerikastraße, runter in die Stadt manövriert. „Gut so“, anworte ich mit einem Blick auf das schrill blinkende Tankwarnlicht. Weit kämen wir sowieso nicht und es liegt auch nichts besonders an, außer sich vom PC wegzuzwingen, das Hirn von Gedanken zu entleeren, endlich einmal die Kunstprojekte und all die Imponderabilien der freischaffenden Tätigkeit wieder loszuwerden. Entsprechend Ziellos schlendern wir durch die samstagsstille Stadt. Nur noch der örtliche Büchergigant hat geöffnet und SoSo erklärt mir, wieso immer am Jahresbeginn die Auslagen mit den Mängelexemplaren so übervoll sind. Als Buchhändlerin weiß sie, dass nach der Inventur alles, was länger liegt, als ein Jahr, raus muss. So billig, dass die Leute einfach kaufen wollen. Eine Tasche Bücher gekauft. Rüber ins auch-aufe (*) Reformhaus, wo die Verkäuferin unsere kleingeldschweren Geldbeutel fleddert und die Münzen in Scheine wechselt. Guter Deal. Paar Jugendliche ziehen, Kumbajah my Lord singend, durch die Fußgängerzone. Mit unseren Smartphones scannen wir die Stadt und bei dem sonnigen Wetter entwickelt sich der ziellose Weg zu einem wahren Abenteuer, zu einem Bad im unbekannten Detail dessen, was man alltäglich vor Augen hat. Jemand hat einen Blumenkübel so groß wie ein Kleinwagen zerdeppert und es hängt ein Zettel daran, „Zeuge gesucht“. Spuckende Pubertierende am Busbahnhof. Jo Nesbø kommt mir in den Sinn und wie er in seiner Romanserie um Kommisar Harry Hole ein so abstoßendes Bild von Oslo zeichnet, dass selbst ich, der die Stadt kennt und liebt, nie wieder dort hin möchte. „Du bist auch nicht anders, als der Nesbø. Die spuckenden Pubertierenden der Stadt sind der schwersüchtige Junkie des kleinen Mannes. Du solltest so nicht über deine Heimatstadt schreiben. Auch die Blumentopf-Randale solltest du verschweigen. Mach doch etwas mit Pferden und Blumen.“ Die Stadt ist kalt. Wir konzentrieren uns auf unsere Foto-Mission. Das Morbide ist eigentlich auch viel interessanter, als das Schöngeschniegelte. In einem Hinterhof geraten wir in einen Flohmarkt der Arbeitslosenhilfe. Schwerbeladene Fahrräder davor, Tüten am Lenker. SoSo sagt: „Da gehn wir jetzt rein“ – „Großer Fehler. Du ziehst doch bald um, du wirst doch nicht …“ – „Nur für Fotos.“ Und schon ist sie in der kleinen Feuerwehrhalle verschwunden. Riesige Schränke, Elektroherde, Geschirr, Klamotten, Nippes In einem Nebenraum gibt es so eine Art Essensausgabe. Menschen mit Plastiktüten. Sauberen, aber abgewetzten Klamotten. Drei Damen, würdig arm, unterhalten sich über horrende Mieten, Nebenkosten, schlimme Summen schwirren durch die Luft, wie Messer, so dass man sich automatisch duckt, um der Gefahr zu entrinnen. Ein Mittfünfziger gratuliert einer Frau zur neuen Arbeit. „Richtig echt mit Sozialversicherung und allem!“, schwärmt sie, scheint glücklich. Ich werde das Gefühl nicht los, an einer steilen Klippe zu stehen, ich und mein sündhaft teures allround Computer Fotogerät. Von Aufwinden zerzaust, flattert die Designjeans an meinen Beinen und mir wird mit einem Mal bewusst, wie nah ich am gesellschaftlichen Abgrund stehe, ich komischer Möchtegern Mittelschichtler mit dem geregelten Einkommen, dem Auto, dem Haus, den wöchentlich möglichen Kinobesuchen, den hypothetischen Restaurantbesuchen, den monatlichen Zahlungseingängen. Satt inmitten von Europa. Als wir später den Bleicherkanal passieren und auf dem braunen Wasser ein seltsamer Schaum träge durch den Park treibt, denke ich, der feine fluffige Schaum wird nur getragen, weil das trübe Wasser es ihm ermöglicht. Was für ein abgeschmacktes Weltbild: schwer wie Wasser fließen hart arbeitende, um ihre Existenz stets bangende Wesen im ruhigen Fluss des Lebens. Geboren, dahintreiben und vergehen unterm flüchtigen Blick ratloser Passanten, die das alles nicht verstehen und allenfalls denken, was soll der Schaum, der Abschaum da oben, was trägt er zur Schönheit des Flusses bei?

„Wir sind noch nichtmal reich“, sag ich zur SoSo, hysterisch lachend, „und trotzdem können wir uns zu denjenigen zählen, die ihre Existenz im fluffigen weißen Schaum auf den kühlen Kämmen seichter Wellen in einem Bach … ach, was red ich.“

Einen guten Lauf haben wir an diesem Samstag mit unseren sündhaft teuren Smartphones, die vermutlich unter sklaverei-ähnlichen Bedingungen irgendwo in Fernost hergestellt wurden.

(*) zu dem seltsamen Ausdruck „auch aufe“ siehe auch Monty Pythons Ritter der Kokosnus, die Szene mit dem „aben Bein“, also dem Bein, das ab ist.