Verirrt nach Maschwanden

Gestern Nachmittag. Die erste Verirrung. An einem Kieswerk in den Auen zwischen Reuss und Lorze. Kurz vor Maschwanden steht ein Bänkli mit einer Bücherkiste daneben, freundlich gestiftet von der örtlichen Bibliothek. Wir spielen Buchorakel, sagen einander Zahlen: fünf, dreizehn, zweiundvierzig etwa, also Buch Nummer Fünf von Oben, „Der Junge Osterhase“, ein Bilderbuch, Seite Soundsoviel, Zeile Soundsoviel: „Die Welt ist auf einmal so schön“, steht da. SoSo trifft es mit Asterix und Majestra etwas schlimmer: „Zu den Waffen! Zum Angriff! Zum gallischen Dorf“, kreischt ein puterroter römischer Comiclegionär.
Zum Abschluss noch ein Zufallsbuch: „ihnen abwich, würde er sich Vorwürfe wegen absichtlicher Ver-“ (aus Petra Ivanov, Tote Träume, S. 107/Z. 12). Hmm? Vom Bänkli aus kann man das dreieckige Naturschutzgebiet in dem die Lorze in die Reuss fließt, sehen. Störche.
In Maschwanden rumtrödeln. Die Kirche ebendort, von hoher kultureller Bedeutung steht auf einer Tafel nebenan. Ein Trauertisch ist aufgebaut. Schirme in den Schirmständern am Eingang, Parkplatz voller Autos. Später, als wir vor einem Volg Laden pausieren quellen die Trauergäste durch die Fachwerkkulisse und just, als wir weiterwandern wollen fängt es erneut an zu regnen, so dass wir sofort weiter pausieren in einem urigen Stallbeizli, siehe Eintrag zuvor, in dem man sich selbst bedient an Tee, Instantkaffee, Schnaps und Kuchen.

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Nachtrag: Ein Artikel mit zwei Bildern wurde gestern abend versehentlich ins Moorlander Blog hochgeladen: hier.

Der Fischjakob der Meteorologie

Gestern, als noch nicht so ganz klar Auf dem Rücken liegend durchs offene Zelt betrachtet sieht der Himmel aus, wie frisch gespindelte Zuckerwatte. Obschon die Vorstellung, wie der Kosmos betrachtet durch eine Zuckerwattenspindel wohl aussieht, ziemlich abstrakt ist. Wenn wir nicht den Yahoo Wetterbericht auf dem Smartphone abgerufen hätten und die nette Frau gestern nicht den Fernsehwetterbericht rezitiert hätte, könnten wir jetzt glücklich sein und uns über den schönen Tag freuen. Das war gestern früh. Eine Amsel sang. Bedeutet das nicht, dass es gleich anfängt zu regnen? Die Welt der Deutungen ist gewachsen mit dem Bewusstsein, das der Mensch im Laufe der Jahrzehntausende kultiviert hat. Treu wie ein Hund und voller Flöhe, dieses Bewusstsein. Warum ist Tieren das Wetter egal und Wanderern nicht? Warum wird uns das Wetter mehr und mehr in marktschreierischer Manier angepriesen und ein einfaches Schön oder Schlecht genügt schon lange nicht mehr? Weil sie es verkaufen. Das Wetter ist zur Ware geworden. Und weil es davon so viel gibt, stehen die Wetterhändler miteinander in Konkurrenz. Und deshalb müssen sie marktschreierische Methoden anwenden, um es anzupreisen. Diese Fischjakobe und Käselottes der Meteorologie.
Wir sind ausgerüstet, als würden wir den Kungsleden in Lappland laufen oder den schottischen Westhighlandway. Nahezu autark mit Zelt und Kocher. Im Prinzip ein Ernstfalltest, sage ich zur SoSo. Was wäre, wenn wir tagelang keine Zivilisation sähen, nichts kaufen könnten? Okay, ein paar Dinge mehr würden wir dann schon benötigen. Besseren Regenschutz, mehr Lebensmittel. Wasser würden wir aus Bächen schöpfen. Auch hier trinken wir ab und zu abgekochtes Reusswasser. Der Fluss ist sehr sauber. So schwärmen wir von anderen Touren in anderen Ländern. Das Schönwetter für den Westhighlandwaymüssen wir aber schon jetzt buchen, scherze ich. Ist nicht so wie in der Schweiz, dass man Lastminuteangebote hätte, fischjakobeske Sommerhochs, gespickt mit käselottischen Gewitterzellen, sozusagen der Ballermann der Wetterbranche …
SoSo beim Frühstücken und Solarladen an der Reuss.
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Maschwanden

Abseits des Reusswegs ein bisschen verirrt, falls man bei einer Mehrtageswanderung überhaupt verirren sagen darf. Guter Kaufmannsladen hier, gute Kirche, Beerdigung. Tolle Fachwerke.

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Livebloggen Teil vierzehn – was tun, wenn nichts passiert?

Berichte aus der Zwischenwelt wäre wohl nicht nur ein denkbar ungünstiger Titel für ein Buch oder einen Film, Berichte aus der Zwischenwelt, die von einer Wanderung an einem Schweizer Fluss handeln, auf der die Protagonisten kaum einem Menschen begegnen, wäre auch ein ziemlich ereignisloses Erzählwerk. Es würde von unberührter Natur handeln, von renaturierter Natur, von landwirtschaftlich urbar gemachter Natur, von Kieswegen, von mannsbreiten Wegen, die wie mit der Machete in Djungel geschlagene Pfade wirken, Lianen inklusive oder so etwas Ähnliches wie Lianen, mindestens jedoch armdickes Efeu, das beharrlich uralte Flussauenerlen würgt. Nach zwei kräftigen Gewittern ist das Wetter umgeschlagen, ungemütlich geworden, obschon man wieder einmal Opfer der kaskadierend sich ins unermesslich Schreckliche bewegenden Wetterberichterstattung geworden ist. Gewiss. Ebenso, wie die nette Frau, die uns den Weg erklärt, als wir rätselnd am Fuße einer Klostermauer stehen – lapidar gutgelaunt mit ihr smalltalkend, das Wetter sei doch ganz okay, ein guter Laufregen, sie aber macht unseren Wandermorgenblütentraum zu Nichte mit den Worten, es ist ganz übelstes Wetter gemeldet. Woher hat sie denn das? N24, Pro Sieben? Egal, wenn man sich den Himmel so anschaut, sieht es nach weiterhin gutem Laufregen aus, vielleicht sogar ein bisschen Sonne gegen Abend. Nichts passiert. Schon eine Weile zerbreche ich mir den Kopf, was macht eigentlich der Livereisende, wenn unterwegs an einem Tag einmal absolut nichts passiert? Ich hatte während der Nordseeumradelung 2012 eine veritable Serie von Blogartikeln geschrieben über alle möglichen Situationen, mit denen sich der täglich live die Reise dokumentierendeMensch konfrontiert sieht. Wie reagiere ich etwa auf Kommentarstrangdynamiken, wie erzeuge ich Spannung, gebe ich sprichwörtlich Gas in der Geschichte, wie halte ich es mit der Chronologie, wie kann ich nachträglich Geschichten in den stets „in Echt“ vorantreibrnden Erzählstrang einfügen, und die Hülle unterschiedlicherEindrücke usw. Eine Sache ist mir dabei gar nicht aufgefallen: was mache ich, wenn einmal gar nichts passiert und es partout nichts zu schreiben gibt?
Südlich von Bremgarten wird das Reusstal etwas lieblicher. Die Flusslandschaft ist bis auf ein paarhundert Meter diesseits und jenseits von fruchtbarem Ackerland eingeengt. Der Fluss erinnert mich an den Inn nahe Wasserburg: träge, gestaut, unheimlich dunkelgrün. Bei einer alten Holzbrücke unweit des o. g. Klosters spüren wir die Erschöpfung der Nacht, der ersten Tage auf Wanderung, der Hitze, sacken zusammen auf den sauberen Holzplanken, das Dach schirmt uns. Vereinzelte Sonntagsflaneuremit Schirm, Jogger, eine Frau mit Hund namens Kira will uns mit dem Auto mitnehmen, leider dahin, wo wir herkommen. So schlappen wir weiter den Fluss hinauf. Spätnachmittags quartieren wir uns auf dem Campingplatz Offenbach ein, sehr weise! Heftiges Gewitter.

SoSo rastet auf einer Holzbrücke
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