Seefahrt tut Not

Vom Zugersee ans Ende des Vierwaldstättersees. Regen, Regen, Regen. So beginnt der gestrige Tag. Wir liegen im Zelt. Das Prasseln lässt Weltuntergang vermuten. Graue Suppe über dunkelgrauen Hügeln und ein Tupfer Zugerseen. Erst wenn man „outdoor“ ist, lernt man die feinen Nuancen des Regnens kennen. Zu Hause gibt es nur Regen und Nichtregen. Unter der Tanne zwanzig Meter neben dem Zelt ist ein trockenes Plätzchen zum Isomatteausbreiten und Kaffeekochen. Auch das Nötigste zu finden und nur das Nötigste mitzuschleppen ist für und Menschen in der Niegenug-Gesellschaft, die sich selbst entlassen haben, ein neues Gefühl.
Von unserem hart erkämpften Zeltplatz bei einem Biobauern wandern wier eine dreiviertel Stunde bis Risch, nehmen das Schiff nach Immensee. Der Zugersee liegt in drei Kantonen, Zug im Norden, Schwyz im Süden und der Landzipfel, der von Westen hineinragt, gehört zum Kanton Luzern. Über 160 Meter tief ist er nahe Immensee. In Immensee führt ein Wanderweg vielleicht fünf Kilometer weit hinüber zum Vierwaldstättersee. Nach Küssnacht. Die berühmte Hohle Gasse ist sogar mit einem Wegweiser ausgeschildert. Trotz Regen, die muss ich sehen und überrede SoSo, statt den Bus zu nehmen, zu wandern. Es lohnt sich. Ein mit großen Steinen gepflasterter Weg, gleich zu Beginn eine Tellkapelle. Nur knapp dreihundert Meter lang und ihr Überleben verdankt sie dem „vaterländischen Opfersinn der schweizerischen Schuljugend“, die 1935 dafür gesorgt hat, dass eine Umfahrungsstraße nach Küssnacht gebaut wird. Seither führt ein andrer Weg nach Küssnacht.
In Küssnacht besteigen wir den Bus nach Weggis, wo wir uns mit Vorräten eindecken.
Dort nehmen wir für 61.5 Franken das Schiff nach Flüelen, das sich zwei Stunden lang im Zickzack durch den See pflügt. Dauerregen, angelaufene Fensterscheiben, zunehmend Berge, Schneeplacken, Pittoreskizität pur. Nahe der Rütliwiese, die eine eigene Schiffslänte, einen Anlegesteg und ein Schutzhaus, sowie ein paar der gelben Wanderwegweiser hat, ragt auf einem Fels ein Schillerdenkmal. In Flüelen Endstation. Sie holen die Bugflagge ein, leeren die Mülleimer, Kehraus. Verlassene Stadt. Immer noch Dauerregen. Im Osten ein Streifen blauer Himmel. Restaurants mittwochs alle zu. In einem Hotel fragen wir nach einem Zimmer, aber der Preus von 183 Franken liegt weit über unserer Schmerzgrenze. So füllen wir prophylaktisch alle Wasserflaschen und folgen den Wegweisern Richtung obere Reuss. In Altdorf soll es ggf. günstigere Zimmer geben. Just als wir die schnurgerade kanalisierte Reuss überqueren, hört der Regen auf. Das Himmelblau weitet sich aus. Und in Seedorf stehen alle Zeichen auf Gutwetter, so dass wir alle Passanten nach Zeltmöglichkeitenfragen. Am Balanggenbach, der in der Ferne über einen Wasserfall ins Tal stürzt, werden wir von einem Bauern mit geradezu offenen Armen empfangen, ganz anders, als bei der Biobäuerin in Buonas, die uns argwöhnisch beäugt hatte und uns misstrauisch eingeschärft hatte, dass wir bloß alles sauber hinterlassen sollten.
Nun sind wir schon ein paar Kilometer weitergewandert, auf dem Weg nach Erstfeld. Das Tal ist schmal geworden. Die Gotthardautobahn säußelt. Der Fluss hat nur 9,4 Grad.
Tippfehler lasse ich erstmal drin im Text. Der Datenpass läuft um Eins ab.
Bilder: Zeltplatz in Buonas mit Blick auf den Zugersee, Fähre Rigi im Vierwaldstättersee beim Anleger Weggis, blick Richtung Flüelen, Panorama beim Verlassen von Füelen Richtung Reussteg
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Es führt ein andrer Weg nach Küssnacht

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Nachtrag: Herr Irgendlink und sein Halbwissen, sein Hörensagen, seine leichtfüßige Rechtschreibschluderei, garniert mit seiner halbherzigen humanistischen Bildung und seine mehr als schludrige Beobachtung von Schreibweisen von Ortsnaman auf Ortsschildern, Bootsanlegestegen und so weiter, haben aus Küssnacht Küstnacht gemacht.

Ich sah Cham und siegte nicht

Durch gezielte Fragen versucht SoSo, mich auf die Schweizerprüfung vorzubereiten. Wie grüßt man salopp eine Gruppe Menschen? – Hoi? – Hoi zäme! Verbessert sie. Hoi ist nur für einen. Bei Grüezi geht beides: Güezi mitenand und Grüezi, denn Grüezi bedeutet Ich grüße Sie, wohingegen man in der Berner Gegend sagt Grüessech, was recht nobel ist: Ich grüße Euch. Wir folgen immer noch der Reuss. Mittlerweile habe ich herausgefunden, dass sie doch nicht über zweihundert Kilometer lang ist, sondern nur hundertsechzignochwas. Und dass sie bei Luzern aus dem Vierwaldstättersee abfließt und mitnichten durch den Zuger See. Deshalb verlassen wir den Fluss auch bei einer Stadt namens Rotkreuz und queren ein paar Kilometer Richtung Osten bis nach Buonas am Zugersee. Die Innerschweiz mit den drei Urkantonen – na, wie heißen sie, Herr Irgendlink? – Schwyz, Uri und Unterwalden, liegt am Ende des Zuger Sees. Wenn die Schweiz ein Betriebssystem wäre, baue ich mir eine Eselsbrücke, wären diese drei Kantone der Kernel. Unterwalden, lerne ich weiters, ist ein Doppelkanton bestehend aus Obwalden und Nidwalden. Und da vorne, zeigt SoSo auf einen Berg, das ist die Rigi. – Die Ricki? – Die Rigi mit einem G. – Wurde dort der Rütlischwur geschworen? Ist das der heilige Berg der Schweiz, der, von dem Moses mit zehn Gebotstafeln heruntergeklettertwäre, wäre er Schweizer gewesen? SoSo wirft mir einen blitzenden Damit-macht-man-keine-Scherze-Blick zu. Der Rütlischwur wurde auf der Rütliwiese geleistet, tadelt sie mich.
Soweit so gut, hätte ich mit meinem hastig am Wegrand aufgeklaubten Schweiz-Basiswissen eine reale Chance, die Schweizerprüfung zu bestehen, wäre da nicht dieser mysteriöse Vorfall in Rotkreuz geschehen. Um unsere Vorräte aufzustocken, begebe ich mich in einen Migros Supermarkt. SoSo bewacht derweil die Rucksäcke auf einer Rampe beim Güterbahnhof. Ich mag Rotkreuz nicht. Es ist laut, voller Baustellen und hektischer Menschen. Im Eingang zum Markt rempele ich mit einem wuchtigen Kerl zusammen. Was eigentlich nicht hätte passieren können, denn die Tür ist breit genug sogar für zwei von diesen Gewichtheber ähnlichen Typen. Er muss es absichtlich getan haben, dünkt es mich. Durch die Scheibe blicke ich zurück und auch er starrt mich an, Einkaufstüte schleppend. Schulterzuckend gehe ich in den Laden entlang einer Glasfassade, wie auch er draußen parallel zu mir läuft. Unsere Blicke treffen sich erneut. Er grinst. Ich grinse zurück. Ein beklommenes Gefühl. Er lässt den Blick nicht von mir. Ich nicht von ihm. Wenn dies ein Zoo wäre, wer wäre dann das Raubtier, das am Gitter hin und her streicht, wer der Zoogast, der sich an diesem Hauch von Wildheit ergötzt? Jetzt hebt er die rechte Hand, fährt sich mit zwei Fingern unter die Nase, streicht zweimal darunter. Was heißt das? Ein Fuckfinger ist es jedenfalls nicht. Es muss was typisch Schweizerisches sein, denke ich. Eine Entschuldigung? Dazu passt aber seine Mimik nicht. Wenn die Scheibe nicht wäre, würde er mich jetzt anfallen. Wenn die Scheibe nicht wäre, würde ich die Geste auch nicht nachäffen. Die Kommunikation endet abrupt, als die ersten Regale mit Trockenfrüchten beginnen, gefolgt von Keksen, Brot, Kaffee und Tee. Ich lasse ihn in der Traurigkeit der Einkaufswagenkolonne zurück.
Wir verlassen Rotkreuz entlang der Bahnlinie, der Hauptstraße, über den Golfplatz. Grübelnd, was die seltsame Nasengeste betrifft, hinüber zum Zugersee, wo wir im Strandbad Buonas ein Bier trinken. Das WM-Spiel beginnt. Hopp Schwiiz! Die Welt ist still. Füße baumeln auf einer Kaimauer, Blick Richtung Nortosten, ist das Cham, da drüben mit den Hochhäusern? Ich sah Cham und siegte nicht, weil ich die verflixte Nasengeste nicht kenne und somit nie mit gewaltbereiten Schweizer Gewichtheber ähnlichen Kerlen kommunizieren kann.