Reste essen

Tag 30
Palas de Rei – Arzúa: hier klicken

Tage 31 und 32
Das Finale auf Guuglmäp: hier klicken

Nächster Fixpunkt:
Mittwoch, 22.12.10, Santiago de Compostela: Flug Iberia 5637,
flugplanmäßige Abreise: 10:30 Santiago de Compostela-Flughafen
flugplanmäßige Ankunft: 12:50 Zürich-Flughafen

Und bis dahin? – Reste essen! ;-)

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by Sofasophia

apt-get install horrorvorstellung

Diese modernen Gerüchte. Den Medien sei Dank ist es ja so einfach, eigenartiges Wissen unters Volk zu schmuggeln. Die Medien sind nämlich verzweifelte Buhler um die Gunst der Unterhaltungswilligen. Dass dies und ein Übersetzungsfehler mir das gestrige Mittagessen verdirbt, zeigt, wie gutgläubig ich doch bin, ich Pseudorationalist, ich.
Kürzlich gerate ich mit Thomas aneinander wegen dieser Sache mit der Lichtnahrung, über die neuerdings öfters berichtet wird. Er erzählt der Happy Family auf Englisch davon und das Ganze wird von Roser und Rodrigo ins Spanische übersetzt. Als ich einwende, dass man dem, was im Fernsehen kommt, nicht ungeprüft glauben darf, weil die Redakteure im Kampf um die Kunden über In-Themen berichten und diese in Pro Contra Diskussionsform so geschickt verpacken, dass eine Sache gleichzeitig wahr und unwahr ist, ernte ich nur Unverständnis. Der Kunde kann sich seine Wahrheit aussuchen, schlägt sich gerne auf die spektakulärere Seite der Information. Im Internet erledigen wir dann den Rest in Form von Blogbeiträgen mit dem Tenor: „Im Fernsehen hab ich gesehen, dass …“ und „Ein Freund von einem Freund von einem Freund kennt da jemand, der …“
Zweifach übersetzt und bruchstückhaft binnen zwei Minuten wieder gegeben weiß die Happy Family nun, dass es Menschen gibt, die weder essen noch trinken und so zynisch es klingt: Afrika ist gerettet.
Nach 4 Stunden laufe ich in einer Pulperia in Melida ein, wo mich die Family schon freudig erwartet. Eine Pulperia ist ein Tintenfischrestaurant. Und diese Pulperia ist DAS Tintenfischrestaurant schlechthin in dem quirligen Städtchen, sagt Carlos. So bestelle ich natürlich Tintenfisch, den ich zu Hause nur als gefrostete, frittierte Ringe kenne. Der Teller enthält offenbar ein ganzes, in Scheiben geschnittenes Tier, lila-schwarze Haut, Saugnäpfe an den zerstückelten Beinchen, festes, elfenbeinfarbenes Fleich. Die Stücke spieße ich mit dem Zahnstocher auf. Dazu gibts Brot und Weißwein. Um wie Vieles besser als die Schockfrostkost! Bis … Naja, Thomas übersetzt das, was Roser ihm vorhin auf Englisch erzählt hat, dass das Tier bei lebendigem Leib erstmal eine halbe Stunde geklopft wird, bevor man es kleinschneidet und kocht. Damit das Fleisch schön weich wird. Apt-get install horrorvorstellung. Ich sehe den Koch vor mir, ungeprüfte Wahrheit, wie er das arme Wesen bei den acht Beinchen packt und es wieder und wieder auf den Tisch haut. So naiv bin ich, dass es mir den Appetit verdirbt, ich mich verzweifelt dem Brot zu wende. Auch Rosers Intervention, dass das falsch übersetzt ist, dass das Tier natürlich längst tot ist, nutzt da nix mehr. Für mich ist es lebendig, klatsch, klatsch, klatsch und der Koch grinst und schwitzt und wischt sich mit der linken Hand über die Stirn. Thomas setzt noch einen drauf, ich solle mich nicht so anstellen, schließlich sei alles, was wir Menschen essen, einmal lebendig gewesen, auch das Brot.
Wie es gelitten haben muss, halb verdurstet im Hochsommer von einer Diesel getriebenen Maschine bei lebendigem Leib gedroschen worden, nicht genug, das noch immer lebende, derart gehäutete Korn von schweren Steinen gemahlen und im Backofen …
Spaß bei Seite. Keiner von uns ist gefeit gegen das Glauben. Die Informationswelt, so scheint es, macht das Glauben einfacher denn je. Sie ermöglicht aber auch das Wissen.
So gebe ich die Empfehlung, die ich in Bezug auf dieses Blog schon öfter ausgesprochen habe, es als subjekive, in sich bewegliche Information zu sehen, die keinerlei Anspruch erhebt, Wahrheit zu sein.
Kürzlich wurde mir bewusst, dass jedes Foto, das hier gezeigt wird nur einen Ausschnitt von 50 bis 90 Grad aus meiner Umgebung zeigt. Ist die Landschaft noch so schön. Hinter dem Fotografen könnte eine Müllkippe sein, eine Autobahn, ein Schlachthaus. Auch das geschriebene Bild ist nur eine, von einem Fremden gemachte Stimmung, die du prüfen musst, bevor du sie annimmst.

Panoramen Etappe Palas de Rei – Arzua

Gegen Zwölf lichtet sich der Nebel. Herliche Etappe, knapp 30 km lang. Die Albergue in Ribadiso wäre wunderbar gewesen (nicht wegen des untigen Bilds, sondern weil sie in einem einsamen Gehöft situiert ist).. Leider gab es dort weder Restaurant noch Lebensmittelladen und die Happy Family smste aus Arzua, so dass ich die drei km dorthin noch dran hängte.

Melide
Pedrido
Pilgergraffity in Ribadiso (reicht nicht ganz für ein Panoramabild).

Arzua

Alle Hände voll zu tun, mich zu resozialisieren. Die Happy Family ist in der Albergue Ultreia in Arzua abgestiegen. 30 Bett Zimmer für uns Sieben, die Rosen, Thomas, Rodrigo, Chaeuk, Carlos und ich. Als letzter erreiche ich gegen Sonnenuntergamg die Herberge am Stadtanfang. Ein wahrer Herbergsstrich ist das hier: schräg gegenüber ist die Donquijote, paar Häuser weiter eine Santiago-Blablabla mit schöner rosa Neonröhrenwerbung. Eine japanische Pilgerin schleppt sich hinkend vorbei an eoner Tankstelle. Miguel aus La Mancha, dem ich immer wieder begegne und dem ich eine Concha geschenkt habe, läuft gemütlich ohne Gepäck. Er hat einen Taxidienst mit dem Rucksack beauftragt. Ich muss schmunzeln über das Wort Pilgerabschaum, das ich ironischer Weise gestern in dem Zusammenhang gebraucht habe. Wir alle simd groß.
Die Bar, die zum Ultreia gehört ist kahl. Der Kühlschrank rattert. An den Wänden Drucke von Stilleben. Blumen und Korn in Vase, pastellfarben. Glotze läuft. Barcelona spielt gegen Espanol Barcelona. Ein katalanisches Lokalderby. Wir trinken Bier, bestellen Nudeln, Salat, Suppe. Barcelona schießt das 1:0. Resozialisieren ist einfach, wenn man wold drauflos bestellen kann. Halbzeitpause.
Nun noch in den Supermarkt, der spanisch großstädtisch bis Halbzehn auf hat.

Resozialisierung

Es ist wie verhext. Mit dem Verlassen der hohen Berge zu Beginn Galiziens, holt mich das wirkliche Leben und die Alltagssorgen wieder ein. Die eiskalte, verschneite Messieta war wie eine Schutzhülle, gaukelte mir vor, allein zu sein auf weiter Ebene, glückliche Einheit von Mensch. Körper und Seele gehen auf in der Weite des Landes und obwohl es Winter ist, garstig, widrig, nasskalt, braun und deine Schuh nur widerwillig seine Spur im gefrierenden Matsch hinterlässt, fühlst du dich seltsam verbunden mit dem Land das du durchquerst.
Bewohner sanfter Hügel der Herzen in weitem Nichts – der Begriff Werden findet eine neue Bedeutung und Rinnsäler graben Schluchten über tausende von Generationen.
So endet es vielleicht. Unendlich langsam und ohne dass man etwas bemerkt.
16. Detember. Ein Restaurant etwa 7 km vor Portomarin. Ausgehungert, durstig, vom Licht der Sonne verblendet. Im dunklen Barraum läuft der Fernseher – ohne Ton. Werbung mit Busen, Po und Fönfrisur für Autoe, Billigflüge, Kaffeevollautomaten. Mit einem Schlag ist es vorbei mit der Leisepilgerei. Just als ich einen Milchkaffee ordere, fallen 40 Knaben westwärts quirlig quasselnd quantitativ unhaltbar in den winzigen Barraum ein, bemächtigen sich des Pilgerstempels, 40 Mal Flappffft, Flappffft, Flappffft und wieder raus. Mit dem Milchkaffee flüchte ich auf die Terrasse, lasse mich in der Sonne nieder, die den Kampf gegen die kalte Luft mehr schlecht als Recht führt. Als hätte ein Gletscher gekalbt sind soeben 1000 Kubikmeter Eis in meinen ruhigen Pilgerstrom gerutscht. Dich gefolgt von den 40 Knaben westwärts eine 15-köpfige Gruppe Mädchen auf kollektiv erteilter Año Santo Tour.
Nach Portomarín führt der Weg über eine hohe Brücke und eine steile Treppe. Draturgisch perfekt im skandinavisch klaren Abendlicht erklimme ich die Stufen mit Chaeuk, roser, drei Japanerinnen, drei Spaniern, einemundefinierten Pilgerpaar; ein französischer Langstreckenpilger, der vor zwei Monaten in Mont Saint Michel losgelaufen ist macht ein unheimlich starkes Foto von mir auf der Treppe, die in den Himmel führt. Ich schreibe meine Mailadresse auf einen Zettel, damit er es mir schickt.
Sardi, den man nicht reinlässt und Thomas verdanken wir, dass wir nicht in der Pilgerherberge landen bei den etwa zwanzig 40 Knaben westwärts und den 15 Mädchen. In solchen Herbergsräumen kehrt nie Ruhe ein.
In einer Privatalbergue kommen wir unter. Mit uns Jack aus den Niederlanden. Ein gesprächiger. Genosse, der alle Sprachen spricht und den Camino in und auswendig kennt. Mit einer 20-köpfigen Crew Freiwilliger pflegt er einen Caminoreiseführer, der sich zur Aufgabe gemacht hat, stets aktuell zu sein. Eine Syssiphosarbeit. Denn der Camino ist ein dynamisches Machwerk, dessen touristische Infrastruktur sich permanent bewegt. Als würde man versuchen, im Fernsehen live über einen Strudel voller Treibholz zu berichten. Abends gibt es koreanisches Essen aus der Bordküche der Herberge, morgens koreanische Pfannkuchen, pikant mit fein geschnittenen Zucchini, Karotten und getrockneter Paprika.
17. Dezember. Tiefe Wolken hängen über dem Land. Etwa Minus drei Grad. Ich sitze auf einer Bank neben dem Wanderweg und kühle aus. Nicht nur körperlich. Pilgerzählen. wegdämmern; laut blökend springen die 40 Schäflein westwärts über einen umgestürzten Baum. Die Gegend sieht aus wie zu Hause, wie Nordpfalz. Die Eukalyptusbäume muss man sich wegdenken. Und die Eichen sind daheim weniger verwachsen. Ein Herbsttag auf dem Spannagel oberhalb Kalkofens.
Bei 30 höre ich auf zu zählen. Ich ahne, was es bedeutet, den Camino im Sommer zu laufen: ein Wettrennen um die freien Betten in den Herbergen. Wer es etwa schafft, bis 13 Uhr, wenn die Herbergen öffnen, sich in die Pilgerschlange einzureihen, wird nach folgender Hierarchie aufgenommen: Zuerst die mit körperlichen Gebrechen, dann wandernde Pilger, Pilger mit Pferd, mit Fahrrad und zu guter Letzt der Pilgerabschaum, der sich den Rucksack mit Begleitfahrzeug transportieren lässt. So steht es an der Tür der Albergue Municipal in Portomarin angeschlagen.
Ich kühle völlig aus, ziehe alle meine Kleider an, flüchte in eine Bar in einem kleinen Dorf etwa acht km hinter Portomarín. Privatherberge, unheimlich gemütlich, eigentlich geschlossen. Aber die Besitzerin lässt mich ein. Roser sitzt schon am Kaminofen. Dass sie ein Schwein geschlachtet haben, jetzt, damit die Gäste ab Ostern etwas zu essen haben und dass wir bis Santiago womöglich von Schnee verschont bleiben erzählt die alte Dame und dass ihr Neffe in Montserrat als Arzt arbeitet und ihr Nichte mit einem Deutschen verheiratet ist. Und dass sie Strafe zahlen muss, wenn sie, während sie geschlossen hat, PilgerInnen aufnimmt.
Resozialisierung. Seit Tagen geistert das Wort. Die echte Welt zu Hause ist wieder so greifbar. Unangenehm hart drücken Alltagssorgen, als habe mann Steine im Schuh. Langsam sickert die Welt. In einem Restaurant erhalte ich eine Auffrischung in Sachen Leistungsgesellschaft. Schrill gelebtes Schönpuppendasein in Musik-Clips auf dem 16:9er. Junge Kerle mit Dreitagebart und ausgestopften Hosend, damit die Eier richtig dick und hochleistungsstark aussehen rappen im Duett mit dickbusigen Schönheiten in knallengen Shorts und aufgespritzten Lippen. Im Hintergrund schnelle Autos, Dollars, Lebensglück.
Das ist die echte Welt. In ihr will ich in Knechtschaft leben.
„Sieh nur, ein Dorf am Horizont. Ob es eine Bar hat? Oder einen Kaffeeautomaten, hinter Gittern gesichert an einer Häuserecke? In einer Stunde können wir dort sei.“
Es ist fast 5 Uhr. Ich habe hart geschuftet an diesem Artikel. Auf der winzigen iPhonetastatur ein elendes Unterfangen. Die Fipptehler lasse ich unkorrigiert.