Dauerregen

„11km bis Pamplona. Daueregen. Aber meine neue spanische Familie schleppt mich durch. Sie rauchen gerade in einem Holzschuppen eine Zigarette.

(…)

Wenns willst, kannste obiges Lebenszeichen bloggen.“

aus einer SMS von Irgendlink. 21.11. 2001, 10:26

by Sofasophia

Familientausch in Larrasoña

Morgens um 7:07 Uhr titele ich im Halbschlaf: „Heute Feuerprobe – äh Wasserprobe“ das wär doch ein cooler Blogtitel. Auf der Toilette hört man durchs geschlossene Fenster den Regen plätschern. Das vollbesetzte Pilgerzimmer erwacht, allen voran eine Crew tougher Spanier, die sich wie ich auf den Pass verirrt haben. Auch der Hochleistungspilger ist irgendwo im Kloster untergekrochen, vielleicht im Hotel. Beim abendlichen Pilgermenü reichte er mir generös die Hand, er scheint Bodybuilder zu sein. Das Menü gibt es am Weg scheinbar immer zu einer bestimmten Zeit und man muss sich vorher anmelden. Im Restaurant stehen wir wie Lemminge in einer Reihe und der Ober prüft unsere Coupons, sortiert die Pilger nach Nationen an Vierertischen. Ich lande am Tisch Korea direkt neben der Österreich/Schweiz/USA?/Frankreich-Melange.
Doch zurück an den Morgen danach, den heutigen. (Wenn ich die Muse hätte oder einen PC, würde ich sicher noch Struktur in den Artikel bringen. Aber so ist nunmal das iDogma direkt und verzeiht alle Fehler.)
Das Wort „Regen“ in allen Sprachen. Wasserdichtes Zeug wird aus Rucksäcken gekramt. Der morgendliche Rucksack-Relaunch hat begonnen. An Schlaf nicht mehr zu denken. Für einen Moment sehne ich mich an meinen Tackerarbeitsplatz zuruück. Später sitze ich als letzter mit den drei Slovenen am Tisch und sie erzählen mir vom vorhergesagten Dauerregen und dass sie kein Geld mehr haben für Zigaretten. Die drei ernähren sich von Nutella und Baguette. Als wir das Kloster verlassen, hat der Regen aufgehört. Ich hole Team Korea ein und wir laufen ein Stück zusammen. Regenbogen. Sonne durchsetzt Buchenwälder. Wolken, Nieselregen. Vom Alto Erro steil bergab nach Zubiri. Die Etappe ist anstrengender, als die gestrige. Triathlet Frank hat es mir schon prophezeiht. Tag zwei, drei und vier seien die härtesten, auch wenn es kürzere Strecken sind. Ab Zubiri alleine weiter. Anderthalb Stunden bis Larrasoña. Auf einem Schild neben einem kilometerlangen lärmenden Giftwerk hat jemand gekritzelt „You are leaving Zubiri. Thank God!“ Etwas positivere Stimmung verbreitete ein umgestaltetes Stop-Schild auf dem Alto Erro: „Dont STOP Walking“. Wieder woanders steht mit Filzstift an einen Pfosten geschrieben „Viva el Camino“.
In der unterkühlten Pilgerherberge in Larrasoña sind wir nur zu sechst: zwei Katalanen, die drei Spanier aus Roncevalls und ich. Übernachtungspreis 6 €. Pilgeressen gibt es in einer Bäckerei im Hinterzimmer. Weiße Bohnen, Kartoffeln mit Kraut und Schweine-Schälrippen. Überteuert mit 12 Euro, zudem schlechten Wein. Die Besitzerin ist eine rege Italienerin. Der Hinterraum mit dem großen Esstisch ist Kult. An den Wänden mischen sich alle Stilrichtungen der „Kunst“ in unharmonischen Bildern: Popart meets Landschaftsmalerei und religiösen Kitsch, garniert mit einem Stich vom Brandenburger Tor zur Jahrhundertwende und was den Vogel abschießt: handgeknüpfte Teppichbilder von Rehen und Kaspern. Ein Klavier grenzt den Verkaufsraum der Panaderia vom Esszimmer ab Gitarren in der Ecke. Absolut Kult!
Ich radebreche spanisch und als es den Dreien zu bunt wird, ruft einer seinen Bruder Juan an, der ein bisschen Deutsch kann. Ihm erzähle ich das Nötigste und er übersetzt es..
Ich weiß nicht, wo meine geliebte Pilgerfamilie geblieben ist. Der Österreicher Bernhard, die Schweizerin Lea und der Franzose Michel sind am Morgen gemeinsam losgezogen und ich hatte eigentlich erwartet, sie hier zu treffen. Der Hochleistungspilger scheint über alle Berge. Bjong Su und Töng (eigentlich T-Bä ungefähr ausgesprochen) haben sich in Zubiri einquartiert. Die drei Slovenier haben einen Kanadier mit Hund kennen gelernt, der aussieht wie ein aus dem Grab gestiegener Che Guevara. Inclusive Tarnanzug und Baskenmütze. Sie wollen in einem Abbruchhaus außerhalb von Zubiri schlafen. In einer Kneipe in Zubiri kaufe ich Zigaretten, drücke sie Jan in die Hand und lasse die drei trinkend mit dem Che zurück.
Nun hier mit meiner neuen spanischen Famile am Herbergsaufenthaltsraumtisch. Sie spielen Domino, es könnte richtig witzig sein mit denen, wenn ich nur besser spanisch könnte. Achwas: es IST witzig.

Einziger Wermutstropfen: auf dem steinigen steilen und oft auch schlammigen Weg abwärts vom Alto Erro ziehen meine Füße in Mitleidenschaft. „In der Haut meiner Füße möchte ich nicht stecken“, rede ich mit mir selbst. Lache. Später finde ich zwei Blasen. Eine „nähe“ ich, um dem Mythos auf die Spur zu kommen, ob das schneller heilt. Die andere steche ich auf und drücke das Wasser heraus.

Mischung aus skurrilen Botschaften auf der Camino-Etappe Roncesvalls-Larrasoña

Folge nie dem Triathleten

Das war heute ein kleines Wunder bzw. viele kleine Wunder, die dem Weg eine gute Wende geben. Kurz hinter Saint Jean stehe ich ratlos vor einer Landkartentafel, die die beiden Möglichkeiten nach roncesvalls zu kommen aufzeigt: die Route Napoleon vorbei an der Rolandsquelle über einen 1400 plu x Meter hohen Pass oder, und das riet mir Pilgerherbergsmutter Marlene (aka Marie-Annette, entlang der Landstraße Dort sei der Pass nur 1100 Meter hoch und es läge kein Schnee. Ich beschließe, die Landstraße zu nehmen und liebäugele, an diesem ersten Tag nur 10 km zu laufen bis ins nächste Dorf. Auf der Lankartentafel kann ich leider nicht erkennen, wo mein Standort ist. Da kommt schon ein anderer Pilger mit GPS. Und obendrein der erste Deutsche, den ich hier treffe. Sein GPS zeigt uns die richtige Strecke. Plaudernd laufen wir weiter und ich erzähle ihm über eine Simpsonsfolge, in der die gelbe Comic-Famili auf einem Kanu vor Indianern flüchtet Der Fluss wird immer reißender und gabelt sich in einen guten, ruhigen Teil, über dem die Sonne scheint und Vöglein zwitschern und in einen garstig reißenden todbringenden Teil, voller Stromschnellen ung wilder Tiere, werwelkte Bäume am Ufer und dunkler Wolkenhimmel. „Natürlich rauschen die Simpsons in die falsche Flussgabel“, lache ich. Wir sind mittlerweile auf 600 Höhenmeter, haben einen schönen Blick aufs 400 Meter tiefer gelegene Saint Jean. Frank entpuppt sich als waschechter Ironman. Die Schmale Straße ist kaum befahren. Auffällig kaum befahren. Langsam dämmert mir, dass wir den falschen Weg eingeschlagen haben. Ab Höhenmeter 1000 sehen die krüppeligen Buchen etwa so aus wie in der Simpsonsfolge. Spitze, bedrohliche Äste ragen über die Piste immerhin geteert. Doch es kommt schlimmer: Ab 1200 Metern kommt Sturm auf mit Böen von 40 50 Stundenkilometern. Auf 1300 Höhenmetern ziehen wir unsere langen Unterhosen, Mütze, Schal, Hanschuhe in einer halbwegs windgeschützten matschigen Rinne an Überall Schafscheiße. Egal. Eine scharz gekleidete Gestalt mit Pllgerrucksack nähert sich. Immerhin sind wir nicht alleine. PilgerGreenhorns auf dem Weg zum Friedhof der Lemminge. Vielleicht macht das ja den Lemming aus: in einer langen Reihe laufend, und vertrauend, dass der, der vor einem läuft schon weiß, was er tut, kommt so Schnell keine Sorge auf. Die scharze Gestalt ist ein fast 2 Meter großer Spanier aus Santiago, der wie sein 68jähriger Vater den Weg in Doppeletappen laufen will ein Hochleistungspilger sozusagen Frank nimmt mich väterlich in den Windschatten und läuft wahrscheinlich langsamer, als wenn er alleine wäre. Vielleicht ist er aber auch froh, dass ich bei ihm bin. Die eigene Psyche ist der gemeinste Gegner. Das gute am scharz gekleideten Spanier, der vor uns läuft, ist dass man immer genau sieht, hinter welcher Kuppe es besonders windet, weil es den Hünen samt Rucksack ordentlich durchrüttelt. Wir nennen ihn das weiße Kaninchen nach Alice im Wunderland.
Wir verirren uns und kommen so wieder mit dem Santiager zusammen, ackern eine vielleicht 100% Steigung über eine Schafskoppel. Etliche Schädel und Wirbel liegen in der Erosionsrinne. An der Rolandsquelle sind wir zurück auf dem Camino. Hier beginnt Navarra. Alle 100 Meter stehen nummerierte Pfosten, so dass man immer erinnert wird, wie weit man schon gelaufen ist. Nach sieben Kilometern erreichen Frank und ich die einzige Schutzhütte. (ihr Name irgendwas mit I. Keine Muse, jetzt zu recherchieren.). Es gibt einen Ofen, ein bisschen Holz und einen Notrufkasten mit rotem Knopf und Sprechanlage. Zwei. Teebeutel liegen auf dem Fensterbrett und ein Regencape. Wir stärken uns für die letzten 100 Höhenmeter. Der Wind rüttelt beängstigend am Dach und ich muss an die hölzerne Schutzhütte auf dem Öxipass in Island denken, die mit vier armdicken Eisenketten im Fels verankert war.
Der nur vier Kilometer lange Abstieg ins 962 m hoch gelegene Abstieg nach Roncesvalls fordert noch einmal äußerste Konzentration und ist eine extreme Belastung für die Gelenke. Frank geht streckenweise im Moonwalk, also Rückwärts, herrlicher Jacko von Saint James.
Kurz vor Roncesvalls trennen wir uns und er hängt noch eine Etappe dran. Ein Leistungspilger ist er aber nicht. Einfach nicht ausgelastet, der Ironman. Es fehlen ihm noch 180 km Radeln und 3,6 km Schwimmen.
Nun auf Bett Nr. 5 im voll belegten 16 er Zimmer in Roncesvalls. Die drei slovenischen Freaks kaum Mitte 20 geben ihr Bestes: haben im Park vor dem Kloster ein Seil gespannt und tanzen darauf herum.
Auch Team Korea ist eingelaufen, die vier Spanier vom Morgen, und das Schweiz- Österreichische Duo, das schon seit August unterwegs ist.
Bei der Anmeldung für 6 Euro muss man einen Bogen ausfüllen und kann u. A. Den Grund fürs Pilgern ankreuzen: religiös, kulturell, sportlich, Sinnsuche. Ich mache mein Kreuz bei „Anderer Grund“, denke erschöpft, ob in Zukunft nicht auch Lievebloggen draufstehen sollte.

Roncesvalles – das Kloster

Eben habe ich mit Irgendlink in Roncesvalles gesprochen. Es geht ihm soweit gut und er ist froh, den Winterschlafsack nicht verschenkt zu haben. ;-) Ich habe ihm eure lieben und motivierenden Kommentare vorgelesen.
Wie schön!,
sagte er. Das tut mir gut.

Essen gibts erst nach der Messe, um 20:30. Der Arme muss warten. Bestimmt lest ihr bald live mehr …

Ich grüße euch herzlich
Sofasophia – Blogbasis Alpha 1

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Infos zum Kloster unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Roncesvalles

Mehr über den Camino Francés: http://de.wikipedia.org/wiki/Camino_Franc%C3%A9s

Für die Tagesetappe auf GuuglMäp hier klicken.

St. Jean Pied de Port – örtliche Pilgerherberge

Hum. Wassen Tag. Die Ereigniase seit Bqyonne überschlagen sich. Ich habe die Sache völlig falsch eingeschätzt. Am Bahnhof Saint Jean plötzlich wunderbare Koreaner-Vermehrung. Wie aus dem Nichts taucht Töng mit seinem schweren Rucksack auf. 19:49, schon dunkel. Die drei Freaks steigen auch aus und sollen sich später als Slowenen entpuppen, einer wird geradewegs auf mich zu kommen und mir die Hand geben und sich als Jan vorstellen.
Doch zunächst folgen Jon Su und ich Töng, der zu wissen scheint, wo wir hin müssen. Erst bei einer dunklen Kreuzung machen wir alle suchend halt, entdecken an einer Hauswand den gelben Pfeil. Für die nächsten 800 km unser Wegbegleiter. Gleich um die Ecke unterhalb des alten Kastells stolpern wir ins hell erleuchtete, von drei ehrenamtlichen Menschen besetzte Pilgerbüro. Es hat immer auf bis der letzte Zug eintrifft. Man versorgt uns mit Pilgerpässen (2€), Jakobsmuschel (Spende 1€), und Kopien mit dem Weg der ersten Etappe, sowie einer Liste aller offenen Pilgerherbergen.
Die Herberge in St. Jean kostet 8 Euro incl. Frühstück. 16-Bett-Zimmer ist nun voll belegt. Ein Österreicher stellt sich mir Zähne putzend vor, die Bürste im Mund reden wir eine Weile. Er ist schon seit Salzburg auf dem Weg, freut sich riesig, weil es morgen nach Spanien geht.
Ich frage mich, ob die Herbergen im Laufe des Weges immer leiser werden. Es ist nämlich so: jetzt um zehn Uhr wühlen alle unerfahrenen Neupilger, so auch ich, wie verrückt in ihren Rucksäcken, weil sie irgendwas suchen. Eine Packordnung muss sich erst einstellen. Es war auch keine gute Idee, das Hygienezeug in eine Knistertüte zu stopfen, um Gewicht zu sparen. Apropos Gewicht: eigentlich hätte ich können den Winterschlafsack daheim lassen, den Reiseführer sowieso, weil die redseligen Leutchen am Weg viel bessere Reiseführer sind. Die Solarzelle kann auch weg, weil es genug Steckdosen gibt in den Herbergen. Ich habe eigens einern leichten Verteiler eingepackt, falls noch andere i-Dogmatiker unterwegs sind.
Ich will jetzt enden. Die ersten schnarchen schon und es riecht nach tausend Füßen.