Mit klammen Fingern schreibe ich diese Zeilen. Im Schneckentempo laufe ich die neuen Schuhe ein, die ich im Corte Ingles gekauft habe. Zur Ladenöffnungszeit um 10 Uhr hat sich eine Menschenmenhe vor dem Karstadt-ähnlichen Kaufhaus gebildet. Vor dem Glasportal sind betsekbare Stahlpfosten angebracht, damit niemand auf die Idee kommt mit dem Auto einzunrechen. Die Zeit bis 10 Uhr nutze ich, um Pamplona zu fotpgrafieren Ausnahmsweise regnet es nicht. Die Thermometer über den Apotheken zeigen zwischen 4 und 6,5 Grad. Nun stehe ich unter dem Vordach einer Bank (?) in der Calle Fuente de Metro. Wollte eigentlich nur das iPhone eintüten. Blogsucht? Oder die leise Hoffnung den Regen zu verbloggen. Die neuen Botas sind jedenfalls wassrrdicht – noch.
Angst und 1000 dicke Pilger
6-uhr-pervers-früh. Das Bett fühlt sich an, als hätten 1000 dicke Pilger darin übernachtet – eine nahezu perfekte konvex-konkave Symbiose mit meinem Rücken. Ach, mein Rücken. Meine einzige große Angst. Dass er sich wieder verschiebt so wie 2008, als ich wegen eines Bandscheibenvorfallts fast vier Wochen im Bett lag, nur qualvoll stehen sitzen gehen konnte, unfähig, Schuhe zu binden oder auch nur eine Tasse aus dem Schrank zu nehmen. Damals nahm das, was ich nun tue, Jakobswegwandern, seinen Anfang. Wenn man mich vor diesem Zeitpunkt gefragt hätte, hätte ich gesagt, ich fahre mit dem Fahrrad nach Santiago. Im April 2008 konnte ich halbwegs schmerzfrei eigentlich nur gehen. In winzigen Schritten spazierte ich den Teerweg vorm einsamen Gehöft auf und ab, welches an der Nordroute des Pfälzer Jakobswegs liegt. Ein paar Tage lang nur ein-zweihundert Meter, dann mehr und mehr und mehr. Auf einer Strecke von 1 km immer auf und ab webend an der Einfahrt zum Gehöft vorbei. Oft begegneten mir in jenem Frühling Pilger. Ich gab ihnen Wasser und erklärte ihnen den Weg. Nie war ich weiter als einen halben Kilometer von Zuhause entfernt. Mit der Angst, dass ich wieder in diesen Zustand geraten könnte, kam auch die Idee zu wandern. Dass die Angst nicht unbegründet ist, musste ich nur eine Woche vor dem Start erfahren. Geliebte Sofasophia hat mich jedoch innerhalb von drei Tagen wieder gesund massiert. Natürlich war das kein echter Vorfall. Hier auf dem Weg ist es vor allem ein Kopfproblem. So verursacht jedes kleine Krachen im Getriebe, etwa beim Aufsatteln des Rucksacks in Paris-Est, ein bisschen Sorge. Auch auf dem einsamen vom Wind umzausten Pass auf der ersten Etappe geht die Angst, bewegungsunfähig zu werden Hand in Hand.
Und natürlich in diesem krummen Bett.
Pamplona
Verräter oder Dokumentator? Diese Frage stelle ich mir gerade. Die örtliche Pilgerherberge heoßt Jesu y Maria. Ein ca acht Meter hohes Gewölbe, in dem auf zwei Etagen die Betten untergebracht sind jetzt in der Winterzeit ist nur ein Bruchteil des 140 Personen fassenden Gebäudes zugäglich. Ein schmaler Flir, an dem sich 28 Liegeplätze befinden, die in U-förmigen Nischen liegen. Eon bisschen sieht es aus wie ein amerikanisches Gefängnis. Wegen der halb offenen oberen Etage. Mitten in Pamplonas Altstadt gelegen. Diese herrlichen Gassen, durch die auch die alljährlicheStierhatz führt spiegeln vor Regen. Am Morgen in Larrasoaña will umd will sich niemand aus den Federn heben. Es ist saukalt in dem schimmeligen Raum. Was aber schlimmer ist: selbst durch die Tacker-Ohrenstöpsel höre ich woe draußen der Regen an die Fenster klatscht. Die drei Spanier ind die beiden Basken (gestern schrieb ich, es seien Katalanen) fangen laut an zu reden, wasir ein seltsames Gefühl der Geborgenheit gibt. Den Schlüssel haben wir innen quer gesteckt. Hier vertreibt uns so schnell niemand. Am Abend hatten Besoffeneit einem Fußball gegen die Fensterläden gedonnert und warfen anschließend Steine.
Dennoch bestens geschlafen. Finde mich im 5 km/h Stechschritt mit José, Antonio und Alvaro auf schlammigsten Pfaden wieder. In der üblichen Lemminge-Kette laufen wir und ich frage mich, was die Position, an der wir laufen, über unseren Charakter aussagt. Der forsche José ganz vorne, drr ruhige Alvaro in der Mitte und Antonio hinten. Ich meist der Allerletzte So als wolle Antonio Sorge für mich tragen. Der Erste öffnet die Viehgatter Der letzte schließt sie. Einmal verirren wir uns, balancieren auf einem 50 cm breiten, schmierigen Etwas über einem nahezu senkrechten Abhang. Erst hinterher wird mir die Gefahr bewusst. Man könnte glatt versucht sein, an Gott zu glauben bei all den kumulierten Erlebnissen glücklicher Zufälle. Hier einen Engel geschickt bekommen, dort die Nähe einer unsichtbaren schützenden Hand gefühlt. Bei all der Hilfsbereitschaft ist man auch selbst viel feinfühliger. Laufe ich gestern etwa absichtlich hinter Bjon Su (ich glaub, den Namen hab ich auch schon anders geschrieben – mit dem Koreanischen tue ich mich schwer) weil ich merke, dass er Mühe hat voran zu kommen, bleibe ich heute kurz vor Pamplona gleichauf mit der hinkenden Amerikanerin Laura. Meine spanische Familie findet das perfekt, hatten sie sich doch selbst Sorgen gemacht um die Ärmste. Wir verabschieden uns Schulterklopfend. Sie wollen erst 10 km hinter Pamplona einkehren. An einer Bushaltestelle sehen wir Kanadier Che nebst Hund, pudelnass. Er ruft quer über die Straße: Was heißt Regen auf Spanisch. La Lluvia, rufen die drei im Chor. Durch Vororte dauert es etwa eine Stunde bis Pamplona. Aber schöne Strecke. Das langsame Gehen tut mir gut. Ich merke, wie wichtig es ist, an jeder verschrobenen Ecke des Lebens, die richtige Geschwindigkeit zu haben. An jedem Fuß habe ich eine dicke Blase von der anhaltenden Nässe. So humpeln wir in die Stadt, dicht gefolgt von Team Korea.
Gegen 18 Uhr trudelt ein weiterer Koreaner ein. Er ist morgens um 3 in Roncesvalls losgelaufen. Man hat ihn unterwegs gesehen, rastend in der einen Hand eine Banane, in der anderen eine Zigarette. Ein schräger Vogel. Dann wäre noch das Russisch-Chilenische Team zu nennen. Ein Paar, das sich im Internet kennen gelernt hat. Sie sind schon zwei Tage in der Herberge, weil der Fahrradverleih (wollen radeln, tse, bei DEM Sauwetter) am Wochenende geschlossen hat. Das Stichwort Fahrradverleih bringt mich ganz durcheinander. Ich sage ihnen, sie sollen froh sein, dass sie nicht bei dem Regen starten mussten.
Nachtrag zum Blasen nähen: es funktioniert! Aber man muss es richtig machen. Mindestens drei Stiche, sagt Töng. Groß genug sind sie ja mittlerweile. Bjong Su übernimmt diese Operation. Unsere Schuhe stehen zum Trocknen auf der Ballustrade unter dem Heizstrahler, der in unsere U-förmigen Zellen strahlt.
Die Tagesetappen
Alle Wetter
In einer Bar in Villava, wo Radlegende Indurain herkommt. Mit meiner neuen spanischen Familie Alvaro, Antonio und Jose trinke ich Kaffee und Wein. Wir essen Bogadillios (Sandwiches). Etliche Familien mit Kindern hier, alles Generationen am Sonntag. Es regnet in Strömen und wir wollen nicht mehr da raus.