Punte la Reina

Momentan sind wir nur zu zweit in dem Refugio von Punte la Reina. Ein korpulenter spanischer Radler und ich. Vielleicht liegt das daran, dass man die Eingangstür zu dem 72-Betten-Haus direkt bei der ersten Kirche der Stadt erst suchen muss? Das Refugio ist ganzjährig geöffnet, zumindest heuer im Año Santo, dem heiligen Jahr. Es gibt vier Internetstationen, an denen man per Münzeinwurf surfen kann, Telefon, Küche, Cerankochfeld mit Sensorbedienung. So etwas habe ich, genau wie die Pamplonischen Ampeln mit Sekundenanzeiger für die Ampelphasen noch nicht gesehen. Die Einrichtung ist sauber, aber deutlich gebraucht. Gerade springt eine Mietze aufs Fenster, starrt mich laut maunzend an. Der Colaautomat summt. Abenddämmerung. Kein Regen. Wie eigentlich den ganzen Tag nicht. Heute hat es sich bezahlt gemacht, die fast zwei Kilo schwere Kameraausrüstung mitzuschleppen. Als ich die Kamera eine Weile um den Hals trage, merke ich die Erleichterung im Rucksack.
Auf dem Alto de Perdón sehe ich Laura und die beiden Slovenen Jan und Jost zum letzten Mal. Ich steige langsam ab und spreche alle Möglichen Ideen ins iPhone Audio Notizbuch. Allesamt Dinge, die hier an dieser Stelle noch stehen könnten, aber wegen dem aufwändigen Tippen nicht geschrieben werden. So bastele ich mir Hooks und Eselsbrücken und hoffe, dass ich mitsamt iPhone und den Daten wieder heil zu Hause ankomme. Die neuen Botas, Wanderstiefel einer fremden Marke laufen sich bestens. Ohne sie wäre die Schlammschlacht zum Perdón hoch wesentlich anstrengender und gefährlicher gewesen. In einem Bach stehe ich später bis zum Knöchel im Wasser, um die Kruste abzuwaschen. 100% dicht. Nun könnte es regnen bis Santiago. Gegen 8 Uhr gehe ich mit dem Spanier in ein Restaurant. Dort nehmen wir ein Menu del Dia oder ein Menu del Peregrino (Tagesmenü oder Pilgermenü), was die übliche Ernährungsweise auf dem Camino ist, wenn man nur halbwegs betucht ist. Tagsüber braucht man nicht viel. Ein bisschen Obst, ein paar Kekse und Wasser. Wenn man andere Pilger trifft, teilt man gerne das wenige, was man mitnimmt. Verhungern muss man hier nicht. Das Abendessen kostet meist um 9 Euro, ist fettig und fast immerfleischaltig. Mit dem Frühstück ist es komplizierter. Entweder gibt es keins und man muss erst ein paar Kilometer laufen bis zu nächsten Bar, oder man lebt von dem, was im Rucksack ist. Momentan habe ich etwa 200 g Käse dabei und ein bisschen altes Baguette, das ich vom widerwärtigen Frühstück in Zariguiegui mitgebracht habe. Wie kollegial ich doch bin. Wenn ich es auf dem Tisch gelassen hätte, würden sie es bestimmt den nächsten Pilgern zum Abendessen servieren. Im Gegensatz zu Zariguiegi mit 20 € für schlechtes Abendessen und Frühstück und Übernachtung ist Punte la Reina mit 4 € unschlagbar günstig.

An dieser Stelle nun noch einen ganz lieben Dank an alle Kommentierenden, Verlinkenden, dieses Blog empfehlenden und die vielen stillen LeserInnen. Sofasophia liest mir abends immer die Kommentare vor. Das macht mir mehr Mut, als Ihr glaubt.
Noch immer vermisse ich die Eier legende Wollmilchsau unter den mobilen Blogsoftwares, die eine Volladministration ermöglicht.
Allergrößter Dank geht natürlich an Sofasophia, aber das weißt du ja.

Eunate

Santa Mari de Eunate, achteckige Kirche inmitten eines Maisackers. Ein 5 km Umweg, der keden Schritt wert ist. Noch eine Stunde bis zu meinem heutigen Etappenziel.

Die achteckige Kirche Santa Maria de Eunate, 4,5 km von Punt dela Reina

Herrn Irgendlinks superscharfe Menschenkennklinge

Gegen 16 Uhr laufe ich in Zariguiegui ein. Kurz vor dem kleinen Dorf, das nur 2 km vom Alto Perdóne entfernt ist, steht ein Stahlkreuz, das an einen verstorbenen belgischen Pilger erinnert. Schon das dritte Mahnmal seit St. Jean. Kurz vorm Alto Erro, vorgestern, steht ein Kreuz für einen Japaner, den es im August 2002 erwischt hat. Dem ersten Caminototen bin ich auf dem Pass hinter St. Jean begegnet. Dort hatte ich aber alle Hände zu tun, mich im Sturm selbst zu retten. Konnte nicht andächtig stehen bleiben und mir Gedanken machen, woher der Mensch kam und was ihn zu Tode gebracht hat. Seither fotografiere ich aber alle Gedenkkreuze. Ich schätze, die häufigste Todesursache ist Erschöpfung oder Hitzschlag.
Heute Morgen überraschte uns Team Korea mit einem angeblich typisch koreanischen Frühstück: Rührei mit Schinken, Hühnchen süßsauer, Algenblätter, undefinierbares Scharfes und einen Pot Reis. Der koreanische Hochleistungspilger entpuppt sich als Koch. Stolz serviert er das Essen. Er stellt sich als Bruce Lee vor. „Ich bin Chuck Norris“, sage ich, „und da drüben“, weise ich mit dem Kinn auf die Russin und den Chilenen, „das ist unser Napoleon und unsere Kleopatra.“
Was ne Klapse hier.
Später Schuhkauf und Liveblog geschrieben. Sorry für die vielen Fipptehler, aber im Stehen ohne Brille bei Wind und Wetter schlagen die fürs iDogma typischen Verhaspeler auf der glatten winzigen Tastatur voll durch.
Nun hier in dem winzigen Dörfchen, in dem die Hunde unheimlich gequält bellen. Etwa 10 PilgerInnen auf zwei eigentlich blitzsaubere Zimmer verteilt. EIGENTLICH. Hätte Amerikanerin Laura nicht diesen winzigen Käfer auf ihrem Kopfkissen entdeckt. A Bedbug, sagt sie, Bettwanzen. Die rührige Hostel-Wirtin rückt sofort mit einer riesigen Spraydose Gift an. Wir werden ins andere Zimmer evakuiert. Nur zwei stoffelige Spanier bleiben tapfer im verwanzten Giftstall zurück. Der eine, ein bärtiger Kerl, trägt seit seiner Ankunft vor zwei Stunden einen Zahnstocher im Mund. Warum muss ich die Menschen auf den ersten Blick immer in die Kategorien Arschloch oder Nichtarschloch einsortieren? In einem Italowestern könnte er prima den gewissenlosen Lump spielen.
Natürlich hat er noch eine Chance. Bei Bruce Lee hat sich das Blatt ja auch gewendet.
Im neuen Wanzenfreien Zimmer haben es sich die Slovenen gemütlich gemacht. Sie sind nur noch zu zweit. Einer hat sich das Knie verstaucht. Zum Glück nicht der knuffige Jan. Nein. Niemand sollte sich das Knie verstauchen. Niemand sollte einfach so aufhören müssen.
Alle ihre Sachen sind nass und kreuz und quer im Zimmer verteilt. Das Fenster offen, Zelt hängt raus, am Abend ein Streifen Sonne. Pfützen auf dem Boden. Mit im Boot sind zwei Franzosen, Unbekannte, hoffentlich keine Wanzen.
Nun im Salon, der seinen Namen zu ca. 10 % verdient: ovaler Tisch, Stühle, Sofa, Microwelle, Schreibtisch mit Gästebuch. Ehrlichgesagt: die ganze zweistöckige Bude ist recht klein, kaum doppelt so groß wie meine Künstlerbude daheim.
Ein rechtes Tohuwabohu. Die Raucher gehen vor die Haustür und lassen sie sperrangelweit offen. Kombiniert mit dem offenen Fenster fürs Zelt gibt das einen prima Durchzug. Bärtiger Zahnstochertyp flätzt in der Couch und starrt mich an. Laura isst Selbstgekochtes. Die Franzosen bücken sich über die Pilgerregistrierungsliste, alles in dem winzigen Salon, wobei dem einen die Hose runterrutscht, tiefer Blick auf seine mit seltsamen Zeichen tätowierte Lenden, der Zahnstochertyp schaltet die Glotze ein. Nun gibt es für ihn kein Zurück mehr von der Arschlochseite meiner superscharfen Menschenkennklinge … Ich muss aufhören zu schreiben, liebe Lesenden, sonst werdet Ihr noch verrückt.
Bis bald, Euer Chuckie.

Neue Schuhe, alter Weg

“ … Grad hocke ich auf einer Bank kurz vorm Alto de Peron. Unten wummert Pamplona. Botas sind gut …  “

„Regen? Ab und zu ein paar Tropfen. Füße ganz schön lädiert …“

aus zwei SMS von Irgendlink, am 23.11.10, 15:25 und 15:35

Bild: Pilgerzug am Alto del Perdón

Quelle: Wikipedia

by Sofasophia