Ostern rum

War mal wieder ein langes Cacher-Wochenende in der Südpfalz. Kokolores und ich ließen es jedoch ruhig angehen. Bei einem Erdversteck namens Houscht  erstmals zwei andere Cacher bei der „Arbeit“ getroffen. Sie fummelten in einem Birnbaum, gut sichtbar zwischen Pfälzer Rebenzeilen nach etwas, und als wir uns näherten, taten sie so, als würden sie Schuhe binden, fotografieren, knutschen, wie auch immer. Wir Cacher müssen oft im Tarnmodus in aller Öffentlichkeit an komplizierten Stellen nach merkwürdigen Dingen suchen. Hunde, Kinder, Fotoapparte sind zur Tarnung recht nützlich.

Nun. Die Kollegen L. und L. hatten den Baum nach einem Micro-Versteck sondiert, als wir gerade hinzu kamen, und jedoch nichts anmerken ließen, denn zu tief saß die oberste Cacher-Regel: Sei unauffällig. Gib dich nicht zu erkennen. Und vor allem, um Himmels Willen gib das Versteck nicht preis.

Schmunzelnd liefen wir unseres Weges. Aber wir hatten die Rechnung ohne den Spürsinn, den ein Cacher hat, gemacht. Nach einigen Minuten kamen L. und L. mit dem Auto zurück. L. öffnete die Beifahrertür und rief: „Wer seid Ihr?“ Wir waren enttarnt. Nun hielten wir ein Schwätzchen. Wie sie uns erkannt hatten? Es ist ungewöhnlich, wenn ein Auto mit fremdem Kennzeichen in den Weinbergen der Südpfalz parkt. Obendrein hatten wir einen dicken Ordner mit den Geocache Beschreibungen hinter dem Beifahrersitz liegen.

Die Linien, die ich zog …

Guten Morgen. Samstags kommen die Geocaching Reports reingeflattert. Eine E-Mail, in der die neu vertsteckten Erdverstecke der letzten Woche veröffentlicht sind im Umkreis von 100 Meilen des eigenen Standorts. Das ist praktisch. Falls man das Wochenende noch nichts vor hat, druckt man sich die nächsten Clues aus und marschiert, bewaffnet mit GPS, hinaus in die Wälder.

Ein Hoch auf die Datenbanken! Als Geocacher ist man ein geokoordinierter Punkt, metergenau in einer gigantischen amerikanischen Datenbank. Man wohnt Tür an Tür mit den Mitspielern in einer extra angelegten Tabelle, in der die Parameter der Web-Existenz gespeichert sind: Nickname, Anzahl der gefundenen Erdverstecke, gepostete Bilder, Datum wann wer wo war und in welchem Umkreis er sich bewegt hat. Es ist berauschend. Nach dem Rausch kommt gemeinhin die Ernüchterung, welche sich in Unbehagen ob der Transparenz der eigenen Existenz niederschlägt.

Winzig wie mathematische Punkte ziehen wir unsere Linien auf dem Globus. Hinterlassen, von einer theoretischen göttlichen Existenz beäugt Spuren.

In den hintersten Winkeln der gestrigen Party unterhielten sich Informatiker über die grundlegende Funktionsweise relationaler Datenbanken. Ein Blitzgewitter ging über die Schar der Feiernden nieder, nicht alleine verursacht durch Journalist F.s nigel nagel neue Kamera. Diverse andere Investigatoren hatten es sich zur Aufgabe gemacht, das Event in Milliarden von Pixeln zu dokumentieren.

„Die Parties der Achtziger Jahre,“ raunte ich dem Journalisten zu, „muten dagegen an wie ein grobes Beisammensein in einer dunklen Höhle.

„Wir hörten Rockmusik von echten Rockgruppen auf pechschwarzem Vinyl,“ sagte der Journalist.

Ich trank mein Bier aus, wir verabschiedeten uns.

Draußen auf der Straße unter dem Vollmond mutmaßte ich: „Das ist keine Party, sondern eine Datenbank mit vielen exzessiven Tabellen, die auf verschiedene Arten miteinander verknüpft sind. Die Bierkisten, welche auf dem Balkon lagern, sind eine Tabelle. In den Spalten sind die verschiedenen Sorten aufgelistet, die Zeilen enthalten nur wenige Parameter wie etwa Alkoholgehalt, Anzahl der Flaschen. Nun kommts: die Partygäste sind in einer anderen Tabelle gespeichert und mit der Biertabelle verknüpft. So kann jedem Gast eindeutig eine Biersorte, sowie Menge etc. zugeordnet werden.“

Der Journalist schwieg. Wir standen unterm Vollmond. Dunst waberte die Realschulstraße hinauf. Die Stadt war friedlich wie Spalten und Zeilen.

Party rum

Schon spät. Die Party ist zu Ende. Zumindest für mich. Habe geschwächelt. Das wird mir Morgen zu Gute kommen. Kein Kater. Keine fremde Frau im Bett … (Kokolores, falls Du das liest, das ist ein Scherz!).

Gute alte Freunde wieder getroffen. Es ist schwierig, mit guten alten Freunden zu erzählen, weil man ruck zuck auf der Schiene „na was machst Du so?“, landet. Zur Zeit kein angenehmes Thema: „Ich hocke zu Hause und schalte morgens den PC ein, abends wieder aus. Dazwischen filze ich die Datenbank des Arbeitsamts, schau mir PHP Turorials an, feile an meinen eigenen Seiten. Manchmal glotze ich einen Bericht über China zum Beispiel: Wanderarbeiter überfluten die Stadt Shanghai. Sie sind voller Hoffnung und arbeiten für fünf Euro am Tag. Sie träumen vom besseren Leben. Alle Menschen träumen vom besseren Leben. Von Sicherheit, Geborgenheit, davon ihren lästigen Chef loszuwerden, ohne ihre Arbeit zu verlieren. Oder besser …“

Die alten Freunde wiederum plagen sich in ihrem Job mit widerspenstigen Kunden herum und es will und will und will nicht so recht laufen. Weil das Leben Geld kostet verschulden sie sich. Schulden sind eine Investition in die Hoffnung.

Ein chinesischer Wanderarbeiter hat versehntlich ein zweites Kind gezeugt. Das könnte ihn teuer zu stehen kommen. Er rechnet mit einer Strafe von 500 Euro, weshalb er sich an seinen Job klammert, wie der Ertrinkende an ein Stück Treibholz. Alleine bleibt er im Molloch Shanghai zurück, während seine Frau mit den Kindern zu den Eltern zurück kehrt.

Ein anderer Wanderarbeiter hat eines Tages seinen fünf-Euro-pro-Tag-Job an den Nagel gehängt und ist mit zwei Plastiktüten voller Habesligkeiten in die Provinz zurück gekehrt. Dort verschuldete er sich, um ein kleines Unternehmen zu gründen, scheiterte. Dann war der Dokumentarfilm zu Ende.

Der Europenner ist ein Mensch, der Kraft seiner Herkunft ein Leben führen kann,  welches anderen, vor allem chinesischen Wanderarbeitern, Afrikanern, Südamerikanern und den jugendlichen in LAs Ghettos die Haare zu Berge stehen lassen würden. Vielleicht ein Illusionist? Der Europenner ist eine Romanfigur.

Zurück zum Gehöft. Ein Uhr nachts. Ich stinke nach Rauch. Friede herrscht. Das war ein guter Tag.

Karfreitagsbotschaft

Drüben von der Weißen Triesch herunter drückt Nieselregen, was auf dem riesigen Scheunendach romantisch klingt. Ein Hauch Darthmoore oder so ähnlich. In diesen Tagen, in denen ich an dem Buch Straße nach Gibraltar (2000) arbeite kommt mir die Reise von damals beinahe surreal vor. So als hätte sie niemals stattgefunden. Wie sehr ich mich verändert habe. Nicht von ungefähr dürfte das an der modernen Technik liegen, hatte ich doch bis 2000 noch nie einen PC besessen und somit auch keine Ahnung, wieviel Zeit man mit solch einer Maschine verbringen kann.

Die letzten Tage in PHP eingefühlt. Es erinnert ein bisschen ans Reisen. Man begibt sich in unbekannte Gefielde. Die neue Welt wird von Mal zu Mal übersichtlicher und man verteht sie immer besser. Eine Kombination verschiedener Punkte, aus denen man sein ganz eigenes Malen-nach-Zahlen Bild zeichnet.

So konnte ich den Shop endlich fertig einrichten – und das Blog, wie man sieht, hat ein neues Design. Ich betrachte das als PHP-Übung.

Über allem gaukelt der Begriff Reise. Reise wie das Leben. Das Leben ist die Reise. Das graue Band, das niemals endet schlängelt sich mit aller Tücke vom unwiederbringlichen Beginn zum unumgänglichen Ende. Es ist ein Jammer. Die einzige Möglichkeit der Sache ein Positives abzugewinnen, ist, den Moment als nie endende Einheit zu erleben, sei er auch noch so kurz.

Ich schweife ab. Tippe diese Zeilen. Nachher gehts auf ein Fest. Die Karfreitagsparty in der Kreuzberg-WG hat Kultstatus. Aus allen Teilen der Republik reisen illustre Gäste an, die einmal hier in der Stadt studiert haben oder hier geboren wurden und die Stadt, aus welchen Gründen auch immer, verlassen mussten.

Journalist F. hat sich auch angesagt. Mit seiner Investigatorenkamera wird er knallhart enthüllungsberichten. Man darf gespannt sein. (Allererste Sahne, finde ich, sind übrigens des Journalisten neueste Einträge, in denen er über das klösterliche Leben berichtet).

Frohe Ostern.

Straße nach Gibraltar 018

In diesen Minuten, in denen ich die Worte schreibe, ist es beinahe sechs Jahre her, dass ich in der Flüsterecke des Tempels der tausend Buddhas meditierte. Die Zeit rennt, tickitick, tickitick, tickitickt tick-tick. Und niemals steht sie still.  Ich erinnere mich, ich döste, hatte die beine übereinander geschlagen, lehnte in der Parabolkuppel. Mit der Hand schmeichelte ich mein Kinn, wie ich es seither wohl tausendmal getan habe, und ich blinzelte in die Sonne, wie ich es jeden Frühling zu tun pflege. Ich streckte die Füße und reckte die Arme, fast so, als läge ich im Bett. Das ist eine ganz normale, morgendliche Verrichtung. Ich gähnte. Dann erhob ich mich und lief auf der Ostseite um den Tempel herum zurück zu der Stelle, an der mein Fahrrad lehnte. Der spielende Junge saß auf einem Sandhaufen und fummelte an seinem ferngesteuerten Auto. Vor seinen Füßen lagen geborstene Kunststoffstücke. Die Fernsteuerung lag neben meinem Fahrrad. Ich lächelte ihm hilflos zu. Zwei Mädchen trugen einen Bottich zum Seiteneingang des Tempels. Schon war ich versucht meine Sachen zu packen und abzureisen, da besann ich mich, denn der Bottich schien sehr schwer. Ich lief ihnen hinterher. In der Tat schleppten sie etwa 100 Liter Wasser. Das ist für jede 50 kg. Ich packte mit an. Das Wasser schwappte. Wir gelangten durch einen Sourvenirsshop in das Innere des Tempels. Wir schütteten den Bottich in eine gusseiserne Badewanne. Es dampfte und die Wärme schlug uns ins Gesicht. Die geschwungenen mächtigen Füße der Wanne waren beeindruckend. Wer wohl darin baden würde? Buddha?

Die Mädchen lächelten, aber sie schwiegen. Vielleicht, so fragte ich mich, haben die hier ein Schweigegelübde abgelegt? Ich sollte eines Besseren belehrt werden.

Wieder hinaus in den Souvenirsshop. An Ständern hingen bunte Tücher. Auf der Verkaufstheke gab es kitschige Postkarten mit Kühen vorm Tempel und solche mit exorbitantem Himmel, in welchem durch ein Wolkenloch goldene Strahlen fielen auf den heiligen Ort. Die Mädchen waren mir gefolgt und standen nun am Verkaufstresen. Ein bisschen kam ich mir vor wie ein Schurke. Das Bewusstsein, von den Shopinhabern beäugt zu werden, machte ein Gefühl wachsen, welches ich nur selten habe. Wenn man sich beobachtet fühlt, kommt man sich manchmal vor, als hätte man etwas ausgefressen. Vorsichtig stöberte ich in bunten indischen Tüchern, die an meterhohen Ständern aufgehängt waren, hinüber zu einem Regal mit kleinen Plastikkugeln, in denen Tiere auf Wiesen standen, allesamt aus Plastik, und das Wasser in den Kugeln beinhaltete kleine bunte Stückchen, die aussahen wie Blütenblätter. Ich drehte eine Kugel um und es regnete Blüten.

Dann drangen Stimmen aus dem Raum, in den wir das Wasser getragen hatten. Die Mädchen waren verschwunden. Ich war mutterseelenallein in diesem Laden voller Kitsch. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich den Shop ungestört plündern können. Weiß nicht, was mich geritten hat, zur Badezimmertüre zu gehen, sie einen Spalt weit aufzustoßen, hineinzuschauen. Wie an einer Höhlenwand zeichnete sich die Badewanne als Schatten. Bis auf wenige Grad war mir der Blick in den Raum verborgen. Etwas blockierte die Tür, so dass ich durch den Spalt nur zweidimensionale, dunkle Umrisse auf der gelben Wand sehen konnte. Die Mädchen sangen spanische Lieder. Soviel konnte ich von der fremden Sprache verstehen. Offensichtlich hatten sie sich nicht getraut, mich anzusprechen, weil sie vermuteten, dass ich ein Deutscher bin, auf gar keinen Fall spanisch sprechen würde? Die Szene war mystisch. Ein Paravent war als schwarze Fläche zu erkennen, über welche die Köpfe herauslugten. Kleider flogen in hohem Bogen durchs Bild auf der Wand. Man hörte sie fallen. Die Mädchen kamen hinter dem Paravent hervor und stiegen in die Wanne. Ihre nackten Silhouetten wirkten wie griechische Statuen. Sie redeten und lachten, planschten und lehnten sich schließlich jede auf eine Seite der Wanne, so dass die Figur an der Wand aussah wie die Mondscheibe, kurz nach Neumond.

Ich weiß nicht, wieviele Minuten ich in voyeuristischer Weise das seltsame grau-gelbe Bild beobachtete. Ich war vollkommen ruhig und hatte keinerlei Scheu es zu tun. Für einen Moment überlegte ich, die Türe aufzudrücken und hinein zu gehen und zu fragen, ob ich mit in diese Badewanne steigen dürfte, aber das Bild an der Wand war so innig und wollte nicht gestört werden. Aus meiner Tasche kramte ich 10 Franc, legte sie auf den Tresen und nahm im Vorbeigehen eine Kunststoffkugel aus dem Regal. Hinaus in den Park hinüber zum Jungen, welcher weinend über seinem Auto saß. Auf zum Fahrrad. Mit wenigen Handgriffen war es startklar.

Hinaus in die reale Welt auf die D 994.