Zu viele Konten (und Haare)

Nun wieder alleine hier auf dem einsamen Gehöft. Fast jedenfalls. QQlka hat es sich nicht nehmen lassen, nach der gestrigen Mainz-Exkursion noch einmal mit zu kommen. Er wohnt im Zelt, versucht gerade ein Feuerchen einzuschüren.

Wir werden Würste grillen.

Über Mainz gäbe es viel zu berichten. Männer führten Selbstgespräche auf der Straße, das machte mich traurig. Ich sehe es als ein Votum gegen die Einsamkeit. Triste Trinker versuchten mit Höflichkeiten viel zu junge Frauen in Kneipen zum Sex zu überreden.

Sowie eine latente Erinnerung an die Zeit vor zehn Jahren, als ich in der Stadt lebte.

Kurze Szenen der letzten Tage zucken willkürlich, zum Beispiel: QQlka zieht seinen Schuh an, spürt etwas weiches, drückt den Fuß tiefer hinein, merkt, dass er keinen Halt findet in diesem Schuh, zieht ihn wieder aus und entfernt den toten Siebenschläfer, welcher den Zehen den Weg versperrte. Das geschah vorgestern hier auf dem Gehöft. In der Landeshauptstadt kniete gestern der Maler Schalenberg vor einem fünf Quadratmeterbild und bemalte in 50 cm Höhe den unteren Rand. Sein Atelierkollege Jakob fortzelte: „Erwartest du so kleine Gäste, dass du dort unten malst?“ Schalenberg ist perfekt. Wir lachten herzlich.
Ich bin ein bisschen überfüllt. Die Woche war oppulent. Deshalb gehe ich auch nicht ans Telefon. Ich kann mit niemandem reden.

Vorhin das Konto gecheckt, weil ich ein zweites 20 qm großesFenster in den alten Kuhstall einbauen will. Geld gut, grünes Licht! Mehr noch: ich habe plötzlich zwei Konten. Verzweifelt mit meiner Schwester telefoniert: „Du, könnte es sein, dass unser gemeinsames Konto irgendwie in meinen Account gerutscht ist?“ Zettelrascheln, Kontonummer durchgeben, Fehlanzeige. Die Nummer meines neuen Kontos, auf dem sich immerhin fast 1000 Euro befinden stimmt nicht mit dem Gemeinschaftskonto überein. Mit dem Gedanken im Hinterkopf, hast ja noch 1000 Euro auf dem mysteriösen Konto flugs zum Baumarkt gefahren und Unsummen für das zweite Fenster verprasst.

Frag mich, woher das Konto kommt. Habe ich einen geheimen Gönner? Bin ich Opfer der Afrika-Connection und sie legen nur ein Lockkonto an, das sie dann unter meinem Namen gnadenlos überziehen? Oder leide ich unter Schizophrenie und ein zweites Ich geht einer geregelten Arbeit nach?

QQlka bestätigte, dass er gesehen hat, wie ich die letzten fünf Tage malend, fotografierend, schreibend an der Col-Aktion hier auf dem Gehöft Teil genommen habe. Kein Doppelleben. Dann zückte er einen Rasierapparat und behauptete, ich hätte geschworen, mir eine Glatze schneiden zu wollen.

Was wird mit den Haaren.

Was mit den 936 Euro auf dem mysteriösen Konto?

Das schnelle Leben

Vom schnellen Leben wäre zu berichten. Entgegen sonstiger Vorlieben ist mein Künstlerdasein zur Zeit ein Hochgeschwindigkeitsdasein. Die Col-Aktion ist in vollem Gang. Marc, der diese Kunstart 1968 initiert hat, ist ein Hansdampf in allen Gassen. Permanent erklärt er den Kunstwilligen, wie diese gemeinsame Art, Bilder zu malen funktioniert. Es handelt sich um Regiekunst. Das heißt vor allem, man funkt sich nicht gegenseitig ins Werk, wie dies vor einigen Jahren einmal in der Stadt passiert ist. Zur Völkerverständigung hatte man eine sechseckige Säule auf den Alexanderplatz gestellt, woran die Gäste aus der Partnerstadt Boulogne Sur Mer zusammen mit Zweibrücker Künstlern malen durften. Eine Zweibrückerin umkreiste mit breitem Pinsel und viel blauer Farbe die Säule. Auf der einen Seite waren die Boulogner damit beschäftigt, ein feines Bild zu malen. Mit jeder Runde, die die Blaustricherin zog, durchkreuzte sie deren Werk. Hatte nichts mit demokratischer Gemeinsamkeit zu tun. Es herrschte Kunstkrieg.

(Diese Geschichte wurde mir so erzählt. Vielleicht ist sie so nicht richtig. Deshalb sind Zeitzeugen gefragt, die gemeinsame Kunstkriegaktion auf dem Alexanderplatz in den Kommentaren zu dementieren oder zu bestätigen.)

Zurück zu den Haaren. Gestern Abend nach 24 Uhr nur um haaresbreite :-) der Glatzköpfigkeit entronnen. Das Leben mit Haaren wird zunehmend unbequem. Ich weiß nicht, wie ich dieser Zwickmühle entrinnen kann.

Was noch? In all dem Trubel geht meine Introvertiertheit ein bisschen unter. Ich komme kaum noch zum Schreiben. Manchmal rette ich ein gutes Wort in den Zettelkasten. Hin und wieder spinne ich Geschichten von Liebe und Leidenschaft. Sie bleiben im Kopf.

Morgen schneiden wir uns Glatzen

Spätabends brach QQlka das Schweigen, während wir vollen Haupthaars am Tresen vor der Galerie saßen und unser Feierabendbier schlürften: „Da war doch was,“ sagte er zögerlich. „Ich dachte wir reden nicht mehr darüber,“erwiderte ich. „Oh doch,“ fuhr er sich zögerlich durchs Haar.

Mir fiel eine Geschichte von Charles Bukowski ein, die etwa so geht: der Held Hank Chinaski landet abends stockbesoffen mit einer Frau im Bett, versucht des Nächtens mit ihr zu schlafen und erwacht am nächsten Morgen verkatert neben einem Kerl. Wie echte Kerle nunmal sind, reden sie nicht über den Vorfall, Genau wie QQlka und ich nicht über unsere Glatzenphantasie.

Um viertel nach Zwölf sagte QQlka: „Morgen schneiden wir uns Glatzen.“

„Puuh, da ham wir ja noch fast 24 Stunden Zeit.“

Die Uhr tickt. Es ist 13 Uhr 29. Ich verstecke Klingen, Rasierapparate, Scheren.

Heute sitzen bei strahlendem Sonnenschein einige Leute im Garten und malen an den Col-Bildern.

Der ehemalige Kuhstall mit dem halb fertigen Fenster ist zur Galerie umfunktioniert. Wände voller Bilder. Das älteste ist 38 Jahre alt. An ihm hat ein irakischer General mit gemalt, der vor Jahrzehnten – mutmaßlich von Saddam-Schergen – in Brüssel oder Amsterdam ermordet wurde. So genau weiß Marc, der Initiator von Col es nicht. Die meisten Mitgestalter an dem Bild sind tot.

Die Luft vibriert von spannenden Geschichten. Es gibt unvorstellbare Biografien.

Last but not least: wer meinen Vater kennt, wird mir nicht glauben, wenn ich sage, er hat in den letzten drei Tagen mindestens sechs Stunden malend im Garten verbracht. Er will gar nicht mehr aufhören.

Das Damokles Schwert der Kahlhäuptigkeit

Die Col-Aktion ist in vollem Gange. Unterwegs in den Ateliers der Stadt, viele Künstlerinnen und Künstler kontaktiert und gemeinsam an Bildern gemalt, was ziemlich inspirierend ist. Zum Malen bin ich zu schnell. Wir arbeiten jedoch spartenübergreifend. Gestern die Stadt in neun Stationen durchquert und die abstrusesten Punkte künstlerisch beackert.

Zum Beispiel die Silotürme gegenüber des Raiffeisenshops. Vor dem Shop war gut sitzen. Sie bieten neben Gift und motorisierten Rasenmähern auch Gartenmöbel feil. Also setzten wir uns. Einer fotografierte, ein anderer schrieb und einer zeichnete. So habe ich die Stadt noch nie gesehen. Ein Kind spielte auf den Rasenmähern. Die Sonne stach durch Wolken. Im Laden kaufte man Dünger, Äxte, Gummiestiefel Gift und Mützen mit wollenen, herunterklappbaren Ohren.

Wir redetetn über das Wetter mit den Passanten: „Kaum zu glauben, wir haben doch Hochsommer, dann das,“ sagte jemand und machte dabei eine ausschweifende Handbewegung. „Wird schon wieder,“ sagte ein Anderer.

Abend diskutierten QQlka und ich die Vor- und Nachteile einer Glatze. In Bierlaune beschlossen wir, uns am nächsten Tag Glatzen zu rasieren. QQlka fuhr sich durchs Haar. „Jaja, fühl nochmal wie es ist mit Haaren,“ provozierte ich. Wir stießen an mit den Worten: „Morgen machen wir das. Dann kaufen wir uns Fellmützen mit Ohrenklappen bei Raiffeisen.“

Den ganzen Tag über herrschte Stillschweigen. Weder sprach ich QQlka auf die Schnapsidee an, noch er mich. Trotzdem baumelt nun dieses Damokles Schwert der Kahlhäuptigkeit über unseren Köpfen.

Die Angst

Sagen wir mal, das 20 qm große Loch im Kuhstall klafft nun schon seit 20 Jahren. Davor war es kreuz und quer mit Brettern verschlagen und mit alten Düngemitteltüten vertackert. Die Kühe im Stall scherten sich nicht um diese unkonventionelle Art des Fensterbaus.

Als ich vor sechs Jahren aufs einsame Gehöft gezogen bin, stellte ich mir vor, wie das Loch wohl aussieht mit echtem Glas. Wie der Kuhstall, welcher zweckmäßig einen schrägen Boden hat, damit die Kuhscheiße abfließt, mit geradem Boden und schönen weißen Wänden aussieht. Vor ein paar Jahren habe ich auf einer Baustelle Glas gefunden, bunkerte es, dachte permanent darüber nach, daraus Fenster zu bauen für den alten Kuhstall. Eine Fläche von vier mal fünf Metern zu verglasen, obendrein nur mit Müll, schien mir gewagt. Ich hatte Angst vor der Glasfront. Glastrophobie nennt das der Psychoanalytiker. Wie dick müssen die Balken sein, schließlich drückt eisig der Westwind? Wie verankere ich die Balken? Und vor allem: wie schaffe ich das möglichst billig?

Heute wars dann so weit. Sechser Balken müssen genügen. Die sind billig. Dazu Dachlatten, Schrauben und das Glas, welches vollkommen verstaubt in einer Abstellkammer fristete. Kreuz und quer die Balken aus fünf Metern Höhe auf einer Leiter balancierend verschraubt. Waghalsiges Unterfangen. Dann die ersten Scheiben ins Fachwerk gefummelt. Ein Traum. Noch ist es nicht fertig. Aber man sieht endlich, was ich seit sechs Jahren sehe.

Eines jener Phänomene, die den Künstler ausmachen. Er hat eine ungeheure Vorstellungskraft. In seinem Kopf existiert das Unsichtbare. Sein Geist ahnt Wege.

Auch wenn es sich in dieser Parabel nur um ein simples Fenster dreht, so ist dieses Fenster und die Sorge darum doch Beispiel für die Angst vorm unbeschrittenen Weg, die wohl jeder kennt. Das Ungewisse, was in Gedanken schon längst existiert wahr zu machen, kostet Kraft.

Was noch? Liege im Zeitplan einen Tag vor. Heute mit dem Cleansweep im Atelier begonnen und eine gute Methode entwickelt, den Vogelmist, der sich im Laufe der Zeit angesammelt hat zu entfernen.

Alltägliches eben.

Natürlich klar, dass man bei all dem Bau- und Putztrubel nicht mehr zum Schreiben kommt. Die Straße nach Gibraltar läuft mir ja nicht weg. Der andere Roman lässt mich nicht los. Beim Bauen und Putzen ist viel Zeit, sich Geschichten auszudenken. Ich skizziere derzeit nur. Somit liegen etliche unveröffentlichte Rohtexte auf dem Server. Hoffe, dass ich die beiden Schriftwerke dieses Jahr beenden kann.

Noch so eine Angst.