Ein Sekundenbild, flüchtig an einem Hoftor vorbeiradelnd | #UmsLand Bayern

Man muss durch die Menschen hindurchradeln, hunderte Kilometer weit, um zu verstehn, wie anders sie ticken, wie sehr sie sich verändern, Meter um Meter von Dorf zu Dorf, von Gegend zu Gegend. Alles andere als eine homogene Masse. Es sind die feinen Nuancen, die sich ändern etwa im Grußgebaren. Mehr hat man ja oft nicht mit den Menschen zu tun als Reisender. Ein flüchtiger Gruß im Vorbeiradeln, die Aufgabe einer Bestellung am Tresen oder an der Ladentheke. Es gibt sie nicht,’die Bayern’. Es gibt die Franken, die Ober-, die Unter- und die Mittelfranken und es gibt die Schwaben, vielleicht auch die Allgäuer und selbst das ist zu verallgemeinert. Jeder Mensch ist anders. Blitzlichter am Weg, bei denen es nicht zum Kontakt kommt, reichern das Bild an. Jener alte Mann zum Beispiel, der für eine gute Sekunde an mir vorbeizieht, besser gesagt, ich an ihm und an der Hofeinfahrt zu seinem hoffnungslos überwucherten Hof. Wie er auf seine Hack gestützt ruht, völlig erschöpft von der Arbeit gegen das Kraut. Ein Mensch am Rande des Todes, diagnostiziere ich im Bruchteil dieser Sekunde. Irgendwo nahe Rothenburg ob der Tauber. Wie lange wird er noch leben? Der Mann ist uralt und trägt eine blaue Arbeiterhose, dazu ein Hemd. Mehr kann ich in der Winzigkeit der Zeit nicht erkennen. Fast bin ich versucht, zurückzufahren und ein Foto zu machen, aber das wäre zu intim und darüber schreiben reicht ja auch. Die Sonne schien und damoklesk gaukelte der Herbst über der Szene.

Oder jener etwas angetrunkene Kerl beim Bruckwirt vorgestern, der zur Musikergesellschaft gehörte und der zwischen Tür und Angel der Toilette ein Gespräch anzettelte, weil er dachte, er kenne mich. Kann eigentlich nicht sein, sagte ich, ich bin fremd hier, hast Du Wurzeln in der Pfalz, fragte ich. Nein. Wir können uns also nicht kennen. Es hätte in lustiger, alkoholschwangerer Abend werden können, aber ich war müde.

Den Illerradwg, dem ich über hundert Flusskilometer von Ulm bis Kempten folgte, kann ich nur bedingt empfehlen. Die ersten etwa fünfzig Kilometer sind recht langweilig, meist direkt am Fluss, ohne viel kulturellen Input. Meist radele ich allein. Erst ab Aitrach verzeichnet der Radwg deutliche Ausschläge auf der nach oben hin offenen Skala Liebliches Taubertal, an der ich seit dem Beginn der Reise alles messe. Ganz groß ist die sehr hügelige Gegend um den Iller-Durchbruch bei Kalden. Ein bisschen erinnert das steile Gelände aus Schutt und Gröll, in dem sich Bäume und Gestrüpp zu halten versuchen, bis der nächste Hangabrutsch erfolgt, an die Rheinschlucht, aber in Miniatur. Burg Kalden liegt direkt beim Panorama- Aussichtspunkt. Unbedingt den hundert Meter Abstecher vom Radweg machen. Und wer noch nicht genug hat, kann sich entlang der Wiese oben auf dem Abbruch weiter- und über einen Waldpfad hinunterschaffen, bis zu Bayerns erster Hängebrücke, die nach 2001 erbaut wurde. Ich war erstaunt, dass es offenbar vor der Jahrtausendwende keine einzieg Hängebrücke in Bayern gab.

Gegen Kempten nimmt die Lieblichkeit des Illerradwegs wieder ab und in Kempten biege ich auf den Allgäu-Radweg Richtung Südwesten ein, verlasse das Illertal. Die Navigation hinaus aus Kempten ist mühsam. Ein Stümper muss die wirklich reichhaltige Radwege-Beschilderung angebracht haben oder ein Spaßvogel, der das Radwegmarkieren mit Ostereiersuchen verwechslt hat. Anders lässt sich nicht erklären, dass die Schilder an den unsinnigsten und uneinsehbarsten Stellen angebracht sind. Ja, wo versteck’ ich denn das nächste Schildchen für die Radweg-Eier-suchenden Radlerchen?

Jenseits von Kempten via Ahegg führt ein beispiellos gut erhaltener Bahntrassenradweg in Schlangenlinien hinauf in die hügligen Berge des Allgäu. Traumhaft erhaltene alte Brücken, nur selten muss man die Straße überqueren. Mein Nachtplatz an einem Weiher mit Strandbad ist obendrein gut gefunden. Frisch gemähte Wiese, Stille. Ich könnte sogar im See baden und zur Plattform hinüberschwimmen, wenn ich den Mumm hätte. Aber am Abend kühlt es schnell aus und ich schaffe es gerade mal, die klebrigen Radlerhände im lauwarmen Wasser zu waschen.

Nun bin ich schon wieder einige Kilometer bahnradwegaufwärts geradelt, habe bei Josts Dorfladen in Ermengerst einen Kaffee getrunken und ein Sandwich gegessen. Sitze auf einer Bank und es beginnt zu nieseln. Noch etwa fünfzig Kilometer Luftlinie sind es bis Lindau. Vielleicht erreiche ich heute das Ziel dieses ersten Abschnitts meiner Bayernrunde.

Nachtrag: wegen Tastaturversagens musste ich sämtliche E des Artikels mit dem Touchscreen hinzufügen. Eine halbstündige Frickelei. Es könnte zu erhöhtem Tippfehlervorkommen kommen.

(2. Nachtrag aus der Homebase: Die Homebase hat ein wenig mit dem E-Streuer nachgewürzt.)

Von schlafenden Cowboys, Wetterbaronen und einem Hund namens Flocke | #UmsLand Bayern

Es ist verrückt, dass das Wetter unter uns Radreisenden solch ein elementares Thema ist, obwohl wir es doch nicht im geringsten beeinflussen können. Die Wettervorhersage ist eine meiner Lieblingsapps. Ich benutze grundätzlich diejenige, die im Telefon eingebaut ist und lade mir die Orte darauf, die ich in Kürze passieren werde. So kann ich stundenweise sehen, ob es regnen wird oder nicht. Denke ich zumindest. Die Wahrheit schaut natürlich viel komplizierter aus. Meine Standard-Wetterapp liefert mir quasi Wetter von der Stange. Nichts besonderes, stinknormale Prognosen, die meist nicht eintreffen. Dennoch ist mir mein Wetter lieb und teuer. Am vorgestrigen Abend sitze ich in der Küche der Ulmer Paddler und schaue Karte und Wetter und sehe, es wird regnen ab frühmorgens bis spätnachmittags. Überall. In Ulm, um Ulm und um Ulm herum. Ich brauche also gar nicht erst aufstehen und ich werde wohl einen Ulm-Spaziergang machen. Und erst nachmittags den Iller-Radweg aufwärts radeln, dachte ich mir.

Doch dann: nach einem nächtlichen Schutt aufs Zelt herrscht um acht Uhr früh Stille. Kein Plätschern. Zelt auf, rausgucken. Trüber Himmel. Die Spitze des Münsters ragt in den Dunst. Wetterapp auf. Tatsächlich. Regen ist abgesagt.

Ich habe nun zwei Wettermöglichkeiten. Die von gestern Nacht und die aktuelle Version. Woran will ich glauben?

Erst einmal einen kleinen Stadtspaziergang machen. Die Keramikerin aus Neustadt an der Eich, die mit Wohnmobil bei den Paddlern im Hof übernachtete, hatte mir vom Fischerviertel erzählt. Viel Fachwerk. Das ganz alte Ulm. Und vom Schiefen Hotel. Das schiefste Haus der Stadt steht sogar im Buch der Rekorde. Die Stadtmauer, habe ich tags zuvor gesehen, ist auch begehbar und scheint spannend. Und natürlich das Münster. Der 191 Meter hohe Turm.

In der Tat gibt es mehrere schiefe Häuser an dem Flüsschen Blau, der in Ulm in die Donau mündet. So als hätte der unglückliche Architekt aus Asterix und Kleopatra sie gebaut. Es gibt ein schmales Hotel, bei dem vermutlich keine Doppelbetten zwischen die Wände passen würden und eben das schiefe aus dem 15. Jahrhundert.

Die Pforte zum Turm des Münsters öffnet um zehn Uhr, so habe ich noch eine Weile Zeit, das Stadttreiben zu beobachten. Hundegassigänger und torkelnde Nachtschwärmer machen Schichtwechsel und in der Kirche findet ein Gottesdienst statt. Vor allen Pforten sitzen Bettler. Ab und zu kommen mir Menschen mit Brötchen entgegen und ich stelle mir ihre Spur als mathematischen Vektor vor und wenn ich die Vektoren kombiniere, kann ich berechnen, wo die Bäckereien sind. Fast wie Wetterberechnen. Vielleicht ein bisschen exakter.

Immer noch kein Regen. Ich steige auf zum Turm über schmale Wendeltreppen. Zähle anfangs die Stufen. In den dunklen Steigen mit den winzigen Gucklöchern gibt es nicht viel zu tun. Verhaspele mich. Immer wieder unterbrechen Plattformen den Aufstieg, wechselt die Drehrichtung der Treppe. Auf halber Höhe befindet sich eine Art Galerie mitten unterm Turm, in der Bilder von anderen Gotteshäusern mit Türmen weltweit zu sehen sind. Für fünf Euro Eintritt kriegt man also dreißig Kirchtürme weltweit. Ein Schnäppchen. Am Münzprägeautomat, der drei Motive bereit hält und am Ende der Galerie steht, präge ich mir das Ulmer Münster. Dann weiter aufwärts in luftige Höhen. Die letzten über hundert Stufen steigt man mitten unter der Turmspitze, die ein von Streben durchwirktes Etwas ist. Insgesamt seien es über 700 Stufen, sagt mir eine Frühsportlerin, die den Turm aus Fitnesszwecken besteigt. Manchmal kämen einem auf diesem letzten Stück, auf dem sich sowohl Auf-, als auch Abstieg befinden auch Leute mit Rucksäcken entgegen. Dann wirds eng. Weiter unten führen Auf- und Abstieg auf getrennten Wendeltreppen.

Nun bin ich mitten im Wetter. Sei dein eigener Kachelmann. Ich sehe: Dunst. Es könnte Regen geben, prognostiziere ich. Blick Richtung Iller. Dort scheint das Grau ein bisschen heller. Hoffnung.

Die Wetterprognosenindustrie ist ein Riesengeschäft. Es geht um jede Menge Geld, wenn man einen Wetterdienst betreibt, so zumindest verstehe ich die sporadischen Tweets, die der Kachelmanndienst ab und zu postet, und in denen er als eine Art Abtrünniger unter den Wetterzauberern ein paar Einblicke gibt in die Machenschaften. Wetter wird aus Daten von Wetterstationen berechnet und dann anhand von Algorithmen verschiedenster Natur als eine Prognose dargestellt. Zwei Porgnosen, zwei verschiedene Wetter. Da die Daten von den Stationen Geld kosten, kauft natürlich niemand alle Daten, die zur Verfügung stehen. Stattdessen werden Regionen, in denen man sich den Datenkauf spart einfach interpoliert. Wenn man ganz sparsam ist, kauft man sich zum Beispiel New York und Berlin und zieht dann eine gerade Linie zwischen der Hitzewelle in New York zum Unwetter in Berlin und voilà gibt man überall dazwischen ein angepasstes Symbol aus. Das Beispiel ist natürlich überzogen.

Vom Ulmer Münster melde ich: Regen vielleicht und eine Temperatur zwischen zehn und zwanzig Grad. Ich bin der Wetterbaron des Ulmer Münsters.

Torkelnd vom Drehwurm der Wendeltreppen komme ich unten wieder auf den Markt und frage mich, ob die vermeintlichen Nachtschwärmer, die ich zuvor gesehen habe, nicht vielleicht doch nur oben auf dem Turm waren.

Gegen Mittag schwinge ich mich auf den Iller-Radweg. Meist auf dem Damm am Fluss geht es auf Kieswegen durch Wald flussaufwärts. Es könnte eine langweilige Angelegenheit werden, so wie am Tag zuvor an der Donau. Nur, dass ich meist direkt am Fluss bin und der bietet Abwechslung in Form von zig Wehren, über die die Wassermassen des vielleicht fünfzig Meter breiten Kanals hinabstürzen. Alle paarhundert Meter solch ein Wehr und daneben auch eine Parkbank, um es zu betrachten. Die Iller fließt in Terrassen. Man hat viel Zeit zum Nachdenken über sich, die Tour, die Umgebung, den ganzen Rest. Ist der eigene Lebensstrom nicht auch so eine Art Terrassenfluss? Von Mal zu Mal schwingt man sich eine Stufe höher, erlangt mehr Weisheit, gewinnt Erkenntnisse. Der Vergleich ist ausbaufähig, aber die Kälte von etwa zehn bis zwanzig Grad setzt mir zu und ich mische mich mit der Tristesse des Himmels und sehne mich nach mehr Abwechslung. Aber das ist auch kein Problem. Man muss den Flussweg nur verlassen und findet sich auf Bypass-Radwegen auf ruhigen Straßen wieder auf dem Weg durch die Dörfer und Städte. In Illertissen entere ich eine riesige Backhaus-Halle, ein moderner verglaster Bau mit sechs oder zehn Meter hohem Gastraum. Voller Sonntagskaffeeschlürfvolk. An einem einsamen Tisch sitzt ein Cowboy, ein Typ mit echtem Cowboyhut und Stiefeln, zusammengesunken, schlafend. Vor ihm auf dem Tisch steht ein Bier. Ich gönne mir ein Stück Himbeertorte und Kaffee und setze mich an den Tisch nebenan; und schlafe prompt auch ein. Was bin ich elend müde und das Gemurmel des Kaffeevolks hat so eine beruhigende, beinahe hypnotische Wirkung.

Erst als jemand in der offenen Schiebetür Scheiße ruft, hinausgeht, sich auf sein klappriges Rad setzt und in den Regen radelt, werde ich wieder wach. Regen also. Dann doch. Kachelmann und ich und die Wetterindustrie hatten also recht. Ein guter Fahrregen. Die Autoscheibenwischer stehen auf langsamem Intervall. Regenjacke ist zwar angezeigt, aber nicht zwingend nötig.

Nahe Memmingen begegne ich einem Mann, dessen weißer Pudel Flocke heißt, und er verstrickt mich in ein höchst interessantes Gespräch zur Landesgrenze. Wir laufen auf der Baden-Württemberger Seite ein Stück nebeneinander. Denke ich. Aber nein nein, sagt er, die Grenze verläuft hier völlig chaotisch, wir sind in Bayern und er macht eine Zick-Zack-Handbewegung. Drüben ist auch Baden-Württemberg und hüben ist auch Bayern. Die Grenze verläuft da, wo der Fluss früher war.

Ein Pandominium der besonderen Art, von Menschen entpandominisiert, sozusagen, aber das ist nur meine saloppe Einschätzung.

Ab Buxheim, also in der Memminger Gegend, nimmt das Illertal endlich eine liebliche Form an. Bei Aitrach quartiere ich mich auf dem Campingplatz ein. Einziger Gast auf der Zeltplatzwiese. Zum Essen gehts zum Steirer Brukwirt im nächsten Dorf. Ein kulinarischer Spießrutenlauf, denn jeden ersten Sonntag im Monat ist hier Musikantenstadel angesagt. Quetschkommode und Gesang, hie und da ein Blechbläser. Das Lied Aber dennoch hat sich Bolle wird angestimmt und zum Glück muss ich nicht im proppenvollen Hauptraum essen, sondern komme nebenan bei den Keglern unter. Ein kühles Bier und ein Gericht von der Steirer-Karte (es gibt auch eine schwäbische Karte und die Schnipo-Klassiker) und ein Blick aus dem Fenster in die Dämmerung: es könnte Regen geben.

Bei den Paddlern von Ulm | #Umsland Bayern

Wie fühlt sich eigentlich der Weg an? Mehrere Tage radelnd, eine Woche oder gar mehrere Wochen am Stück vom Ausgangspunkt bis zum Ziel. Hinterher wird es immer ein wunderbares Abenteuer gewesen sein. Ich glaube, unser Erinnerungsvermögen tickt so. Es blendet die weniger schönen Etappen einfach aus und was bleibt und im eigenen Tourgeschichtsbuch steht, sind die Blitzlichter der Reise. Ihr hättet dabei sein sollen, als ich am gestrigen Samstag auf dem Donauradweg von Dillingen nach Ulm radelte. Etwa vierzig Kilometer. Der Donauradweg ist ja ein touristischer Mythos. Vielfach prämiert. Und er ist tatsächlich ein Zuckerstückchen. Fast autofrei. Perfekte Infrastruktur. Von den Übernachtungsmöglichkeiten, Restaurants bis hin zu Infotafeln an den Ortsrändern, die den Radlerinnen und Radlern alles verraten, was für sie nötig ist. Reparaturstellen, Fahrradläden, Bed & Bike-Unterkünfte, Sehenswertes.

Aber Infrastruktur und guter Ruf sind schnell verspielt, wenn man endlose Kilometer auf einem Schotterweg durch dichten Auwald radelt. Der tristgraue Himmel dimmt die Stimung zusätzlich. Kurzum, das gefühlt über zehn Kilometer lange Stück durch den Wald um Günzburg geriet gestern zu einer elenden Schinderei. Eine Weile noch erfreute ich mich an den Erinnerungen ans quirlige Lauingen. Den ziemlich schief wirkenden, über fünfzig Meter hohen bunt bemalten Schimmelturm, das Albert Magnus-Denkmal und die mannshohe Polyester-Eistüte auf dem Marktplatz, garniert von Käse- und Wurststand-Markttreiben.

Ein quadratischer Turm mit rundem Dach neben einer Durchfahrtstraße, die von Häusern gesäumt ist.
Der Schimmelturm in Lauingen

Doch dann? Ringsum nur noch dichter Wald, einzig gelindert von ab und zuen Passagen auf dem Donaudamm. Alle zweihundert Meter ein halbmeter breites Blechschild mit den Flusskilometern bis zum Schwarzen Meer. Wir befinden uns bei Zweitausendfünfhundert-nochwas. Wenn man die alle nebeneinander legt, hat man eine Fläche von 0,5 mal 0,2 Meter mal fünf mal Zweitausendfünfhundertnochwas mit Stahl bedeckt. Wenn die Schilder denn durchgehend in einer Frequenz wie in dieser Gegend aufgestellt sind. Aber vielleicht stehen sie ja nur hier, um dem tristen Flussreisenden, moi-même, eine Rechenaufgabe zu geben, während er knirschenden Reifens durchs Dickicht radelt? In meiner Not stoppe ich bei jedem Hochsitz und fotografiere ihn und fluche, warum stehen hier nicht alle paar Kilometer Skulpturen im Wald. Ein Opel Manta mit Teufelsrochenschwingen zum Beispiel, ein Ufo, barocke Putten, Einhörner oder Hundefänger’sche Kreise. Warum nicht? Waruuum, schallt es imaginär. Ich werd‘ noch irre. Erst bei den beiden Elchingens, Ober- und Unter-, kommt man wieder aus dem Wald. Gleich ein Baggersee. Ich erwäge ein Bad. Da habe ich längst mein Inputs-Hungertuch bis zur Gänze ausgenagt. Die skurrile Baustellentür an einer Gerüstbaustelle nahe Lauingen zum Beispiel, das Bild ist im Artikel zuvor zu finden, oder die Ruine eines Römertempels in einem Wohngebiet. Ich weiß nicht, ob ich ohne die Erinnerung an diese Abwechslungen den Wald um Günzburg überstanden hätte.

Ich übertreibe natürlich. Die triste Vorregenstimmung macht mich unleidig. Aber das ist genau das Thema des Langstreckenreisens über mehrere Tage oder gar Wochen. Der Weg bietet harte, unbarmherzige Abschnitte, die von Rosinen durchsetzt sind. Manchmal sind diese Rosinen irgendwelche von Menschen für Menschen gemachte Dinge, Museen, Orte, Schönheiten, manchmal naturgeschaffene Wunder, Baumruinen, Wasserfälle, Hexenfelsen, manchmal auch Menschen selbst, wie etwa Franzisco aus Brasilien. Vor einer in die Stadtmauer eingelassenen Phalanx aus Bronzetafeln steht er mit seinem klapprigen Sperrmüllrad und schaut sich die vielleicht zwanzig Tafeln an. Besonders fasziniert ihn die, auf der Brasilien abgebildet ist. Dort kommt er her. Aus São Paulo. Direkt unter der Stelle, an der São Paulo liegt, ist auf der bronzenen Landkarte der Ort Entre Ríos eingezeichnet. Das Ensemble an Tafeln zeigt die Oyssée der Donau-Schwaben in alle Welt, die getrieben von Not und durch Vertreibung ihre Heimat verlassen mussten und sich an fernen Orten im Banat, in Australien, in Ulm/USA und sonstwo eine neue Existenz aufbauen mussten.

Es ist zum Heulen, dieser Tage Naziaufmärsche en gros erleben zu müssen und an dieser Stelle ein Monument der Vertreibung und Flucht der eigenen Landsleute ebendieser Nazis zu sehen.

Franzisco ist seit einigen Monaten im Land. Er kam in der Hitze und wunderte sich, dass das Klima ziemlich ähnlich ist, wie bei ihm in São Paulo. Er hatte Schnee erwartet. Er hat noch nie Schnee gesehen. Das wirst Du, sage ich. Der Winter ist nah in Kaltland, wirf einen Schneeball für mich.

Gegen Abend habe ich also das Dickicht um Günzburg gemeistert und konnte die Tristesse aus meinem Innern vertreiben. Am Abzweig zum Iller-Radweg steht eine Infotafel. Rüber über die Radlerbrücke, den Fluss entlang. Die Iller kommt dann schon. Problem: der Iller-Radweg ist gesperrt. Rot-weißes Band, niedergetrampelt. Ein Radler kommt aus der Sperrung. Der Sturm vor drei Tagen habe den Wald zerfetzt, man komme vielleicht durch. Also riskiere ich es. Übersät mit Zweigen und Laub ist die Schotterpiste. Einmal muss ich das Rad tragen. Ab Iller-Kilometer 1,6 wird es besser. Zeltplatzsuche. Frage einen entgegenjoggenden Jungen, ob es weiter oben gute Zeltmöglichkeiten gibt und er sagt, komm mit. Zwei Kilometer bei den Paddlern von Ulm. Und so kam es, dass ich zurück fuhr zur Donau und mich im hießigen Kanuverein einmietete – neben zwei anderen Radlerzelten – und in der ziemlich unaufgeräumten Küche des Vereinsheims, an der Steckdose hängend, diesen Artikel schreibe. Der Kühlschrank surrt und vorhin schwätzte ich mit einer Keramikerin, die morgen einen Marktstand betreibt und an ihr und am Kühkschranksurren werde ich mich festklammern, wenn ich mal wieder kilometerweit durch dichten Wald radeln muss.

Hey, hey, hey, hier kommt das Goldene Rössle | #UmsLand Bayern

Ist nicht jedes Gesetz eine Grenze? Nicht jeder Richtwert eine mehr oder weniger willkürlich von Menschen gesetzte Grenze. Die Bewertung, was sich diesseits und jenseits der Grenze befindet, hängt ab von Zeit und Raum und einer guten Portion wie wir Menschen in unserer Zeit ticken.Der Wachturm des Limes ist nur achthundert Meter abseits meiner Radelroute im Ort Mönchsrot. Braunes Sehenswürdigkeiten-Schild. Da musste doch hin, Irgendlink, hast doch noch nie einen Limes-Wachturm gesehen. Die Spannung steigt von Meter zu Meter, bis ich endlich am Waldrand ein steinernes, etwa vier Meter hohes Ruinending zu sehen bekomme, sorgfältig restauriert. Man sieht das Turmfundament. Hinauf führt eine hölzerne Treppe und ein paar Meter Mauer deuten ungefähr den Verlauf der Grenze an, Mann, Mann, Mann, das ist schon bald zweitausend Jahre her, was ist geblieben? Der Klotz und ein paar Infotafeln.
Was wird wohl von Bayerns Grenze in zweitausend Jahren zu sehen sein? Wird man auf den Servern dieser Welt meine Reise als Text- und Bildwerk finden und sich sagen, aha, da war mal ein Freistaat?
Bloß nicht überheblich werden, Herr Irgendlink.
Von der Bayerischen Grenze nehme ich so gut wie nichts wahr. Es gibt nicht die erwarteten Grenzsteinmonumente (was hab ich mir bloß gedacht, dass es anders ist als in anderen Bundesländern, wohl liegt es an dem vorurteilhaften Bild, das man sich immer und überall von allem und jedem macht), es gibt nicht das Meer blau-weiß-rautiger Fahnen und es gibt nicht das in FC-Bayern-Fabern bemalte Haus als Ausdruck der tiefen Gläubigkeit des Bayerischen Fußballmännleins. Zumindest gibt es nicht übermäßig viele deutlich als Bayernfanbehausungen erkennbare Domizile und nicht übermäßig viele Blau-Weiß-Flaggen in den Vorgärten.
Aber ich bin ja noch nicht rund ums Land. Und die Franken hier in der Region gelten ohnehin ein bisschen als Abtrünnige. Das weiß ich von meinem Freund Leb, dem Franken.
Es ist ziemlich trist, bei Nieselregen ins Nördlinger Ries hineinzuradeln. Zudem die Jahreszeit mit den vielen abgeernteten Feldern geradezu auf Tristesse gebürstet ist, weshalb ich im Kopf auf den Hexenfelsen, hinter Nördlingen auf einem Hügel, zuradele, Tritt um Tritt darauf hin fiebere. Wie ich mich neben den etwa zwölf mal zwölf Meter großen Klotz setzen werde und pausieren, stele ich mir vor, während traurig gerupfte Maisfeldruinen an mir vorbei ziehen und der Nieselregen mich zernagt. In Nördlingen selbst gäbe es auch sehr viel zu sehen, aber mir hat es nunmal dieser eigentlich unscheinbare, buckelige Klotz angetan. Da es ohnehin regnet und ich unlaunig bin, radele ich schnurstracks durch die Stadt, ganz vergessen, einzukaufen und da ich nicht mehr zurück will, nehme ich das Risiko in kauf, auf den etwa vierzig Kilometern bis nach Dillingen an der Donau gar nichts mehr einkaufen zu können. Ein paar Reste sind ohnehin noch in der Packtasche.
Rechnung ohne den Regen gemacht. In Christgarten erwischt mich ein ziemlich starker Guss, der nie nie nie zu enden scheint. Obendrein im massiven Funkloch. Hier könnte ich liegen bleiben und verrotten und keiner würds merken. Volle Regenmontur. Kleine Straße aufwärts. Kolonne Luxuskarossen kommt mir entgegen, wovon einer den Motor aufjaulen lässt, als er an mir vorbei fährt und ich die ganze Gruppe verdamme, sie kilometerweit über einen Kamm schere, sie als Luxuskarossendeppen betituliere, bis mir im Rund mantrischen Kurbelns klar wird, wie schnell man ein Vorurteil züchtet. Mann, das war nur ein Idiot in einer homogenen, gleichwirkenden Masse und jetzt züchtest Du hier ein Bild, das, wenn Du es so publizierst, ruck-zuck ein gigantisches Vorurteil freisetzt, das unsichtbar wie schleichendes Gift in die Köpfe derjenigen sickert, die leichten Gemütes genug sind, dies zu glauben. Und selbst an den Widerstandsfähigsten mit den vernünftigsten Köpfen wird es nicht vorbei gehen.
So kurbele ich, ein allgemeines menschliches Prinzip erforschend, dem des über einen Kamm scherens, bergauf Richtung Bayerische Grenze. In Aufhausen, mutmaße ich selbstscherzend, gibt es bestimmt einen Dorfladen, der AUF ist. Oder kommt der Name Aufhausen eher daher, dass es auf dem Berg liegt? Flockig weiche Gedanken nach all dem politisch-gesellschaftlichen Verzweifelnszeug. Nichts ist auf in Aufhausen. Obwohl: das Herz der Frau mit Hund ist auf, als sie mich fragt, ob sie helfen könne. Laden sag ich. Da lang, Radweg links, zehn Minuten Amerdingen, sagt sie, Blick auf die Uhr, was für ein Tag heute? Freitag. Freitag ist gut hat auf von 16 bis 18 Uhr.
Derart gerettet schwelge ich durch die Regale des winzigen Dorfladens in Amerdingen, ein kleiner Umweg von der geplanten Route und schaffe mich über einen Feldweg durch dichten Wald wieder zurück Richtung Katzenstein.Eine mittelalterliche Burg, sandfabern auf Felsen mit gut erhaltenem Turm und Wohngebäude.
Bombastische Burg. Sehr sehenswert. Aber ich habe Bayern verlassen, erfahre ich später, als ich mich in Dischingen im Goldenen Rössle einmiete. Nur 25 Euro kostet die Übernachtung mit Frühstück. Das Hotel ist aber auch recht spartanisch eingerichtet. Einbaudusche auf dem Zimmer, WC auf dem Flur. Aber so herzlich. Abendessen gibts auch. Und ich lulle ein mit der Melodie Hey hey hey, hier kommt das Goldene Rössle, frei nach, schießmichtot, wie hieß er noch gleich, dem, der später das Album Bayreuth gemacht hat.

Von ‚aben‘ Beinen und vergessenen Sehenswürdigkeiten | #UmsLand Bayern

Punktlandung gestern. Das Zelt steht auf Bayerischem Boden. Die Grenze ist ganz nah, sagte Frau SoSo am Telefon, ich habs auf der Karte gesehen. In der Hintergrundkarte auf dem Handy sind die Grenzen nicht eingezeichnet und der erwartete Grenzstein, ich stellte mir ein großes Monument mit gemeißelten Lettern vor ‚Freistaat Bayern‘, blieb aus am Radweg Liebliches Taubertal, oder es war so winzig, dass ich es übersehen habe.

Jaja, da hinten läuft die Grenze, versichert mir der Kläranlagentechniker der Tauberrettersheimer Kläranlage, er gestikuliert eine Zick-Zack-Bewegung. Wir sitzen im Technikraum. Er hat Kaffee gekocht, mich eingeladen, nachdem er mich beim Wildzelten neben der Anlage ‚erwischt‘ hatte. Was heißt erwischt. Er heißt mich herzlich willkommen. Kein Problem. Als Motorradler oft unterwegs weiß er wie das ist, da draußen auf den Touren, suchend, irgendwo übernachten wollend. Wir schwätzen über dies und das, schlürfen Kaffee. Die Anlage surrt. Etwas ganz besonderes, denn die Klärbecken der kaum tausend Seelen-Gemeinde sind alle in dem Gebäude untergebracht, das aussieht wie eine mittelgroße Feldscheune. Einzigartig, mutmaßt er.

Was es in Tauberrettersheim zu sehen gibt, frage ich. Da gerät er ein bisschen ins Stocken. Das Judengässchen? Ist nur ein schmales Gässchen. Tja und die Weinkooperative. Ringsum sind Weinberge. Ich lasse mich überraschen und als ich den knappen Kilometer ins Dörfchen absolviert habe, stehe ich vor einer alten Steinbrücke. Gibts öfter hier im Taubertal. Meist stehen auch Heiligenfiguren auf Sockeln davor oder darauf. Neben dieser steht eine kleine Tafel. Es handelt sich um die einzige erhaltene Steinbrücke erbaut von Balthasar Neumann. Es klingelt, der war doch einst auf dem alten Fünfzig Mark-Schein, oder? Und auch sonst ist Tauberrettersheim schön anzusehen. Sei es nur eine Kochfigur am Straßenrand, wie man sie öfter vor Restaurants sieht. Nur ist neben dieser Kochfigur gar kein Restaurant. Ein Haus mit einem Garten voller Krempel ist auch sehenswert. Ein Privatgelände, in dem viele Regale stehen voller Porzellan und Steingut, massenweise Zeugs und Schildern an der Hauswand und Kitsch. Doch doch, durchaus sehenswert und in der Bäckerei Schmitt versorge ich mich erst einmal mit Backwaren. Die Bäckerin gibt mir eine verbale Führung durch die verschiedenen Angebote, fast wie im Museum. Ein Fest.

Weiter auf dem Radweg Liebliches Taubertal. Ein Traumradweg. Rückenwind, in Terrassenstufen aufwärts via Creglingen Richtung Rothenburg ob der Tauber.

Das Mittelalterstädtchen platzt von Touristen. Amerikaner, Chinesen, Italiener, Reisegruppen von überall. Entsprechend sehen die Schaufenster der Läden aus. Tand und Kitsch und Postkarten gut abgemischt mit Kleinkram und Trachten. Kuckucksuhren wie etwa am Titisee findet man keine. Aber Konditoreien mit Tennisball großen Pralinen, die im Schaufenster zu Pyramiden aufgeschichtet sind.

Einem Reiseradeler mit sehr knappem Gepäck begegne ich wieder nach dem sehr steilen Anstieg in die Stadt. Er sah aus wie ein Transcontinental-Fahrer und ich hatte geglaubt, den sehe ich nie wieder, so schnell wie er mit seinem Rennrad an mir vorbei gezischt war. Bei der Stadtmauer wechseln wir ein paar Worte, dann ergießen wir uns ins Touristenmeer. Die Stadtmauer ist wohl rund um begehbar, etwa zwei Kilometer Wehrgänge. Ein wuchtiges Bauwerk, das seinen guten Zustand wohl nur vielen Spenden verdankt, mutmaße ich, als ich oben in den Mauern eingelassene Tafeln finde mit vielen Namen von Menschen weltweit. Alle paar Meter solch eine Tafel.

Ab Rothenburg ist Schluss mit Lieblichkeit. Das Taubertal weitet sich zu einer Art hügeliger Hochebene. Auf dem Radweg Romantische Straße, der teils auf der alten Bahnlinie nach Dombühl verläuft, gehts Richtung Schillingsfürst. Steil berghoch das letzte Stück per Landstraße. Gar nicht romantisch, die romantische Straße und ich beschließe den Radweg Romantische Straße, der mich theoretisch bis ins Allgäu führen wird, mit Vorsicht zu genießen. Vielleicht läuft er in einigen Teilen auf der Romantischen Straße für Autofahrer?

In Schillingsfürst laufe ich der Touristeninformantin in offene Arme. Sie hat neben Kartenmaterial auch allerlei Anekdoten im Gepäck: dass zum Beispiel manche Menschen aus den USA sie fragen, wo sie denn den Eintritt für den Landschaftspark Frankenhöhe entrichten können, wohl weil sie es von ihren Nationalparks zu Hause so gewöhnt sind. Da die Frankenhöhe aber überall ist und man sie frei mit dem Auto oder Rad befahren kann, erübrigt sich ein Eintritt.

Vor der Touristeninformation unter dem Vordach befindet sich auch eine Tauschbibliothek. Übervolle Regale, sowie eine E-Bike-Ladestation.

Auf zur Wörnitzquelle. Ein als Brunnen gefasstes Denkmal aus Stein mit zwei sich kreuzenden Fischen. In der Nähe der Quelle palavern zwei alte Leutchen auf elektrischen Rollstühlen in der Abendsonne und wir kommen ins Gespräch ums Woher und Wohin mit Anknüpfungen in die jeweils eigenen Leben. Sie empfehlen mir die Strecke über die Landstraße nach Feuchtwangen. Ist kürzer.

Ausflug ins Leben des einbeinigen Mannes. Von der verpfuschten Meniskus-Operation, wegen der er nun das Gericht konsultiert hat, reisen wir nach Nürnberg und wieder nach Schillingsfürst und machen einen Abstecher nach Südafrika, wo er eine Existenz aufgebaut hatte und, nunja, er zeigt auf den Stumpf, wegen der Gesundheit zurückgekehrt war, um sich operieren zu lassen, dann Sepsis, Bein ab, Prozess, Altersheim. Ich bin erschüttert. Die milde Abendsonne scheint uns zu streicheln, ohne zu ahnen, was an Elend sich alles ereignet hat in unseren Leben und dem Leben eigentlich aller, oder sich noch ereignen wird, denke ich. Lebe im Jetzt. So koste ich ein wenig Wasser aus der Wörnitzquelle, obwohl ein Schild daneben hängt, ‚Kein Trinkwasser‘ und dann ab ins Tal. Der Radweg verläuft fast nur auf Landstraßen und Feldwegen. Die Straßen sind jedoch kaum befahren. Durchaus Radwegqualität. Von steil abwärts kann jedoch keine Rede sein. Die Wörnitz ist hier oben ein fast stehendes Gewässer. Ein etwa ein Meter breites Etwas, gesäumt von Schilf, das sich in weiten Schlaufen durch flache Wiesen windet. Kaum zu glauben, dass das hier im Schwarzen Meer mündet, dass es eine durchgängige Falllinie gibt, auf der das Wasser die mehrere tausend Kilometer bis hinter den Balkan zurücklegt.

Feierabendlicher Getränkemarkt in Wörnitz-Stadt. Ich suche Rat beim Getränkehändler, da ich ein Bier der Region kaufen möchte. Er führt mich durch die Reihen an Biervielfalt und sagt, Reindler, Tucher, Landwehr usw. Und dann machen wir einen Ausflug durch die Brauereienszene Tauber abwärts und Wörnitz abwärts mit einem Abstecher ins Tucherland, jenem Konzern, der ganz viele kleine alte Biermarken aufgekauft hat. Er scheint Tucher nicht zu mögen, dieser feine Frankenrebell. Das Ende der Geschichte ist, dass ich mit drei Bieren das Haus verlasse. Geht ja abwärts, bringt Schwung. Wirste schon los.

Durch das flachhügelige Hochland weiter Richtung Dinkelsbühl, vorbei an Feuchtwangen. Bis ein paar Fischteiche locken. Vielleicht kann ich darin baden? Erst einmal ein Bier trinken und mit den letzten Sonnenstrahlen per Solarzelle Handy laden … und zack ist die Sonne weg und das Bier auch und schlagartig wirds kalt und mit Baden wäre ohnehin schwierig geworden, weil der Teich von Schilf umrankt.

Wildzelten hier? Sehr einsehbar von der Straße aus. Dennoch, ich mache das jetzt. Es ist ohnehin unsinnig nicht wild zu zelten. An diesem Abend wird mit klar, dass es nicht darum geht, dass das Wildzelten verboten ist und dass es dafür eine Geldbuße geben kann, sondern es geht mir um mein Gefühl. Die Sorge erwischt zu werden. Die Sorge, wenn sich Schritte dem Zelt nähern, wenn ein Auto anfährt, eine Tür schlägt. In zig Jahren Wildzelten bin ich vielleicht zwei Mal angeeckt, wurde aber hundertfach freundlich begrüßt. Das ist es, was ich mir klar machen muss. Dass das Gesetz, so unsinnig es ist, zwar da ist und in einem geringen Prozentsatz der Fälle auch tatsächlich sinnvoll ist, dass es aber eine abschreckende Wirkung hat auf uns Menschen, die uns Sorge in die Knochen und Hirnwindungen jagt, so dass wir schön konform, wider unsere eigene Vernunft, den vorgeschriebenen Weg gehen, weil sich das weniger kompliziert anfühlt. Konfrontation, denke ich heute Morgen, da hilft nur die Konfrontation: absichtlich wild zelten an Stellen, an denen man exponiert ist, sich nicht verstecken, die Gelbuße bewusst riskieren. Und das ist der Preis, den man eventuell zahlen muss, um sein gutes Gefühl zurück zu erlangen.