Die 50 Meter lange Scheune ist imposant. Die Silhouette New Yorks des kleinen Mannes, weshalb ich die Scheune gerne betrachte. Heute hatten sich weiße Tauben auf dem Dach nieder gelassen. Das geschieht manchmal. Sie verirren sich, ruhen sich aus, warten ab, fliegen weiter. Meist ist es nur eine einzige Brieftaube, die dort oben sitzt. Heute waren es viele. Ich zählte 23 und wunderte mich über die Illuminaten. 23 ist bekanntlich die Zahl der Illuminaten. Alle bekannten Menschen des Planeten wurden an einem 23ten ermordet, geboren, heirateten. Die Maschinen des elften September schlugen im 23ten Stockwerk ein, Osama Bin Ladens Schwanz ist 23 cm lang und noch so Einiges. Trotz mysteriöser 23 Tauben kümmerte mich nicht mehr um das Dach (es ist 11,5 Meter hoch). Ein paar Stunden später goss ich 23 Pflanzen und zählte die Tauben. Es waren nur noch 19. Ich zuckte mit den Schultern, sagte mir, manche werden wohl weiter geflogen sein. Ein paar Stunden später waren nur noch wenige Tauben auf dem Dach. Gut so, dachte ich, dann ist diese elende Hitchkock-Atmosphäre endlich vom Tisch. Die Viecher sind nämlich unheimlich. Sie machen Geräusche. Wenn man im Atelier sitzt, klingt das mitunter wie Morsezeichen. Sie picken auf den Ziegeln. Für einen Moment war ich versucht, den Code zu dekodieren. Wer weiß, was die Illuminaten einem Künstler auf einsamen Gehöft mitzuteilen haben? Stellte mir vor, die Tiere hacken an den Holzwänden, genau wie in Die Vögel. Dann begab ich mich in den Garten und pflückte Salbei für den Winter. Schaute nach oben. Nur noch drei Tauben auf dem First. Sie kommen langsam in die Gänge, die Mistviecher. Blatt um Blatt pflückte ich vom Salbeibusch, bis Gezeter mich erschreckte, ich nach oben schaute und einen Greifvogel sah, eine ums Leben kämpfende Taube in den Klauen. Dahin also gehen die 23 Tauben, dachte ich. Dann widmete ich mich wieder dem Salbeistrauch und dachte drüber nach, ob der Nichtexistierende oben im Himmel sich womöglich wundert, dass am Salbeistrauch die Blätter immer weniger werden?
Geld
Das Rätsel des mysteriösen 1000-Euro-Kontos in meinem Online-Bank-Account ist endlich geklärt. Wie ein Büßer stand ich am Bankschalter und fragte: „Listen sie zufällig ein Konto, auf dem 1000 Euro sind unter meinem Namen?“ Die Bankerin tippte ein paar Tasten im Computer, dann sagte sie: „Ja.“
„Das Geld gehört mir nicht.“
„Hier steht aber, es gehört ihnen, vielleicht haben sie ihr Sparkonto vergessen? Wir hatten kürzlich eine Änderung in der Software, nun werden alle Konten eines Onlinebankers in einem Account gelistet.“
Tatsache ist, dass da mal etwas war, und es war nicht sehr viel. Ich bin ein Opfer – nein, ein Begünstigter der Zinseszinsfalle, was unweigerlich Fragen hinsichtlich des Jesuspfennigs weckt: Hätte man zu Lebzeiten Jesu auch nur einen Pfennig mit normalem Zinssatz angelegt, mein Gott, das ist gerade mal 2000 Jahre her, dann könnte man heute von den Erlösen aus Zins, Zinseszins, Zinseszinseszins etc. das gesamte Universum bis etwa 30 Trillionen Lichtjahre Entfernung kaufen.
Geld hat als Flussmittel für den Handel eindeutig versagt, wie man in diesem (sehr ausführlichen) Artikel lesen kann. Der ursprüngliche Link funktioniert nicht mehr und wurde entfernt. Eine Version liegt aber noch in der Waybackmachine. Der Artikel ist von Volker Freystedt. Er erschien in Connection 7/1998. Wenige besitzen alles und arbeiten damit, viele besitzen kaum etwas und arbeiten für die Wenigen.
Was mich betrifft, so freue ich mich natürlich über den Geldsegen. Weiß gar nicht wohin damit. :-)
Am Ehesten könnte man mich als Nichtverbraucher bezeichnen. Ich will die wenigsten Dinge haben, die produziert werden, wenn ich das so plump sagen darf.
Vielleicht setze ich unbewusst das Geld dafür ein, wofür es gedacht ist, lasse es für meinen Sinn fließen. Man möge mir das Versehen mit dem vergessenen Konto verzeihen.
Muss man Geld horten? Gibt es einem Sicherheit? Sicherheit entsteht doch aus Methode, nicht daraus, zurückzuhalten, zu bunkern und zu bremsen. Die Methoden, die ich kenne, nutzen mir weitmehr, als alles Geld auf allen Konten. Mit den Methoden kann ich mich in den Fluss der Materialien und Dienstleistungen einbringen. Mit Geld, kann ich sie nur benutzen (das ist langweilig, man will doch mitspielen).
Die Zukunft macht vielen Angst. Wer weiß was Morgen ist, vielleicht sollte ich ein Polster anlegen, kann ja nicht immer auf dem Zahnfleisch gehn?
Die Zukunft ist jedoch mit Vorsicht zu genießen, vor allem dann, wenn man eine Vorstellung davon hat und sie somit eigentlich gar keine Zukunft ist, sondern nur eine Zurechtdenkung vieler, nicht kalibrierter Einzelheiten. Wenn von diesen Einzelheiten nur eine einzige anders ausfällt, als man sich vorgestellt hat, ist es aus mit der Zukunft, die man sich ausgemalt hat.
Wer weiß schon, welche Taste ich als Nächstes auf dieser Tastur betätige?
$
Ah, das Dollarzeichen!
Während Ihr das lest, ist die gesamte Tastenhackerei schon längst geschehen. Ich werde Lieder von 2Raumwohnung gehört haben; die Tür zur Wohnung wird sperrangelweit offen gestanden haben; ich werde diesen Text grob auf Tippfehler sondiert haben und schließlich die finale Veröffentlichungstaste gedrückt haben.
Die Relativität der Angst
Heute Holztag. Zusammen mit meinem Vater auf dem uralten Porsche-Traktor hinunter in den Wald gefahren. Der Waldweg ist sehr schmal. An manchen Stellen bröckelt er metertief in die Schlucht. Ich halte es stets für ein Wagnis, den Traktor dort hinunter zu steuern; vollbeladen mit Holz wieder hinauf ist noch kritischer. Meinen Vater kümmert das nicht im Geringsten. Er beherrscht das Gerät im Schlaf. So kann er den Traktor, wenn er sich an einer besonders steilen Stelle aufstellt und die Vorderräder in der Luft hängen, trotzdem noch lenken, indem er die einzeln zu betätigenden Bremsen der Hinterräder benutzt (willst du z. B. nach rechts, dann bremse nur rechts).
Es gibt eine Wurzel mitten auf dem Weg, die ich als die kritischste aller Stellen betrachte. Man muss mit dem Hinterrad press an der Wurzel vorbei navigieren (die Vorderräder spielen an dieser Stelle keine Rolle, weil sie sowieso in der Luft hängen). Links droht die Schlucht. Ein Fahrfehler und man ist tot.
Ich habe mir oft Gedanken gemacht, warum mein Vater diesen Engpass so ohne Weiteres hinnimmt. Heute habe ich eine Schaufel und eine Spitzhacke mitgenommen, die Wurzel frei gegraben und mit einer Bürste Sand vom Stamm gekratzt, damit man mit der Kettensäge hindurchfahren kann. Mein Vater konnte nicht verstehen, warum ich das tue. Ich sagte, ich habe Angst! Man könnte sterben hier.
Mir zu Liebe zerteilte er die Wurzel, so dass der Weg nun frei ist und man ohne Gefahr passieren kann.
Später wurde mir die Relativität der Angst bewusst. Im Einen wohnt die Angst, im Anderen nicht. Das ist von Situation zu Situation verschieden. Für meinen Vater war es ganz natürlich, an der Wurzel vorbei zu navigieren. Ich hingegen sah nur den Abgrund. Genauso ist es in vielen verschiedenen Menschenleben und in den unterschiedlichsten Situationen. Wo es dem Einen die Haare zu Berge stehen lässt, zuckt der Andere nur mit der Schulter. Ich kann mir vorstellen, dass mein Vater bezüglich meines waghalsigen Künstlerlebenswandels ähnliche Gefühle hegt, wie ich bezüglich seiner Traktor-Eskapaden.
Alleinesein vs. Einsamkeit
Gestern herrschte erstmals seit Wochen wieder Stille auf dem einsamen Gehöft.Raum genug, um in ein tiefes Loch zu starren – im Sessel auf der Südterrasse sitzend, ein Bier in den Händen – und am Rand der Verzweiflung zu balancieren. Ich dramatisiere ein wenig. In meinem Kopf ging es nüchtern zu. Ich breitete meine Situation aus, versuchte sie zu analysieren: âDu bist ein 40-jähriger Künstler, der keinen Pfennig Geld auf dem Konto hatt, im hintersten Winkel der Pfalz auf einem einsamen Gehöft sitzt und über das Leben nachdenkt.â? Daran gibt es nichts zu kritteln und es ist auch nichts Böses. Das Ende der Beziehung mit Kokolores setzt mir viel härter zu, als ich mir zugeben will. Noch vor einigen Wochen habe ich gesagt, ich würde es jederzeit wieder tun. Mich verlieben, mich binden, den Weg gemeinsam gehen. Das bisschen Schmerz, dann, wenn der Weg sich gabelt und beide wieder ihren eigenen Weg gehen, tilgt sich von allein. Gelächelt habe ich bei dem Gedanken.
Gestern im Sessel sitzend war ich mir da nicht mehr so sicher. Mit jedem Mal wird es unerträglicher, sich zu trennen. Sehnsucht ist ein groÃer Gegner, der sich an den Gemeinsamkeiten, die man einst hatte nährt. âLösche die Erinnerung und du bist wieder zukunftsfähig,â? murmelte ich und legte die FüÃe hoch. Die Autobahn wummerte, das Gebälk knarzte, Tiere hüpften auf dem Dach. Die Luft roch nach Herbst. Alles war wie immer. Bloà lag es ein bisschen mehr blank. Wie freigelegte Nerven pochte ein stetiger Schmerz. Das Wummern wurde zum Ziehen, das Knarzen manifestierte sich als Brechen, das Pochen der Viecher auf dem Dach schlug sich als permanente Pein nieder. Die AuÃenwelt drang unweigerlich in die Innenwelt und vermischte sich mit ihr. Ein abgrundtiefes Loch tat sich vor mir auf, wie ich es zuletzt vor zehn Jahren erlebt habe.
Dort lauerte die Einsamkeit, welche ich ganz gerne, rein rational dem Alleinesein gegenüberstelle. Alleinesein ist ein natürlicher Zustand bar jeglichen Gefühls. Man kann die Auswirkungen des Alleineseins in Form von Ruhe und Zufriedenheit spüren. Eine Art Selbstfindung einfach so nebenbei. Die Einsamkeit, böse Stiefmutter des Alleineseins ist ein Zustand des Ausgeliefertseins. Hier hat man keinen Handlungsspielraum. Man kann rein körperlich nichts tun. Es ist ein Kopfproblem.
Gegen Alleinesein kann man etwas tun, weil es von AuÃen kommt. Gegen Einsamkeit hilft nur warten, denken, versuchen den eigenen, verletzten inneren Schweinhund zu überlisten.
Ich schlürfte an meinem Bier, betrachtete den Garten. In der Dämmerung verwässerte Grün zu Grau. Das Thermometer zeigte 19 Grad. Ein brillianter Abend da drauÃen.
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Sonntags, spät, nicht geruht
War eigentlich Ruhetag geplant heute. Trotzdem bis eben geschuftet und den Bau voran getrieben. Wo nichts war stehen jetzt Wände, Wo Wände waren sind jetzt Fenster. Verzeiht mir, wenn ich vom Bauen rede, aber ich tue derzeit nichts Anderes. Fürchte fast, die Kunst kommt ein wenig zu kurz. Trotzdem gibts fürs Bliestallabyrinth noch ein dickes Polster von vier Wochen.
Hätte da nicht mein alter Freund Luc angerufen und zum Paddeln auf der Havel eingeladen. Ich hab gesagt, ich fliege nach Berlin und trampe dann rüber bis zur Einsatzstelle, wenn, ja wenn ich es schaffe, die Bliestallabyrinth-Ausstellung bis übernächstes Wochenende fertig zu stellen.
So träume ich nach diesem überaus harten Tag von Lagerfeuern am Rande des Flusses mit Menschen, die ich teilweise seit zehn Jahren nicht gesehen habe..