Auf dem Donau-Wald-Radweg ins Dreiländereck | #UmsLand Bayern

Murmelnder kleiner Bach hinterm Zelt. Man habe Flusskrebse darin angesiedelt, sagt mein Host für diese Nacht. Der Bach speise seine Fischteiche, die direkt unterm Wald an der österreichischen Grenze liegen. Ein bisschen weiter, dort unten, die Kapelle, die ist schon in Österreich. Brauchst noch irgendwas?, fragt der Mann. Mit dem Firmentranstporter parkt er auf der Wiese, dort wo mein Fahrrad steht, dort wo ich das Zelt aufbauen darf. Er war neugierig und kam noch einmal zurück, um meine Geschichte zu hören. Zuvor hatte ich ihn angesprochen, als er noch mit dem Traktor die weitläufige, mehrere Hektar große, frisch gemähte Wiese beackerte. Obs denn ein Platz fürs Zelt gäbe. Ja freili! Um Zeltmöglichkeiten muss man sich hier im Dreiländereck nordöstlich von Passau wahrlich keine Sorgen machen. Wiesen so weit das Auge reicht zwischen Wäldern, meist Nadelgehölz, so weit das Auge reicht. Dazwischen wie mit impressionistischem Pinsel dahin getupft einzelne Gehöfte. Kaum befahrene Sträßchen.

Viele Stunden zuvor erreiche ich Passau auf dem Innradweg, der ab Neuburg über einen holprigen, verwurzelten Waldweg führt, vorbei an riesigen, glazialen Felsgebilden. Hie und da sind Kletterstrecken eingerichtet. Spuren von Haken sichern die Routen, die teils an der glatten Wand hinauf führen. Unten fließt ruhig der Inn, stürzt sich kurz vor Passau über ein finales, vielleicht sechs bis zehn Meter hohes Wehr mit Getöse auf Donauniveau.

Passaus Altstadt liegt auf der Spitze zwischen dem Zusammenfluss. Auf der anderen Donauseite mündet noch die Ilz. Welch faszinierender Dreiklang von Flüssen, denen allen noch deutlich das Hochwasser der letzten Tage anzusehen ist.

Einen Stadtspaziergang lasse ich mir nicht entgehen, durch teils nur meterbreite Gässchen. Von der hoch frequentierten Straße gehts schiebend Richtung Dom. Da, ein goldenes Dacherl. Ist das echt, frage ich die Bedientochter des Restaurants, das sich im Gebäude der ehemaligen ‚Goldenen Waage‘ eingerichtet hat. Ja freili. Blattgold. Wie in Innsbruck. Das kleine, runde Vordächlein hängt hoch genug, dass niemand es mitnehmen kann.

Eine Stadtführung. Knappes Dutzend Menschen in Motorradkluft, die aufmerksam der Touristenführerin zuhören, die die Geschichte der Wiegestation erzählt.

Auf dem Marktplatz hinterm Dom wird das ganze Ausmaß des Touismusführungsrudellaufs offenbar. Noch mindestens drei weitere geführte Gruppen tummeln sich. Wenn ich nur geschickt zwischen den einzelnen Führungen hin und her lausche, und den meist weiblichen Führerinnen – teils auf Deutsch, teils auf Englisch – gut zuhöre, kann ich mir die Geschichte Passaus in Windeseile draufschaffen, mein Tourismusführer-Diplom machen und für immer hier bleiben.

Schon schlägt mein clowneskes Hirn Kapriolen und denkt sich, ich könnte auch die Führung mit dem Passau-Wissen in Zweibrücken machen. Die Idee einer Fake-Touristentour mit völlig frei erfundenen Geschichten – natürlich öffentlich bekannt, ohne Verarsche – schwebt mir schon länger vor. Tourismusführung im Postillon-Stil.

Die englische Gruppe nähert sich. Die Führerin spricht mich an, Sie mit ihrem schweren Radl, was machen Sie? Where are you heading today, what’s your mission usw. Sehr gut. Baue spontan Dinge und Menschen in dein Programm ein, die normalerweise nicht in der Stadt vorkommen, die nicht zum Programm gehören. Das würzt die ganze Chose perfekt ab.

Zum Glück trage ich mein UmsLand/Bayern-T-Shirt mit Tourplan und Umriss meines Vorhabens. So skizziere ich kurzerhand mein Vorhaben, zeige aufs T-Shirt, look, here we are now. Last year I did this, fom Rossenbüarg ob the Tauber, you know, to Lake Constance. One week ago I started here, passed the alps – ihre Augen folgen meinem Finger auf dem T-Shirt – and now, Pässau. Am writing a book about Bavaria, füge ich noch nonchalant hinzu.

Woher sie denn kommen? America. California, präzisiert eine Frau.

Und schwupp weiter im Gemahle zwischen Touristenführungen und Caféterrassenalltag zu Füßen des gerade in Renovierung befindlichen Doms. Man baut den Dom barrierefrei, erzählt mir später ein Radler, der sein Sportdreirad mit Handkurbeln bedient. Kilometerweit folgt er meinem Windschatten am nicht sehr schönen Donauradweg bis fast nach Obernzell, barrierefrei macht man den Passauer Dom. Für Hörgeschädigte, Rollstuhlfahrer und Blinde.

Die engen Gassen unter dem Dom sind ein akustischer Genuss, zumindest dort, wo keine Autos fahren dürfen. Es herrscht vermutlich eine Akustik ähnlich wie die Gerüche auf einem orientalischen Markt (bzw. so, wie ich mir die Gerüche auf einem orientalischen Markt vorstelle: üppig, unendlich reich und vielfältig).

Ab Obernzell biege ich auf den Donau-Wald-Radweg ein, der das steile Donautal nordwärts verlässt. Am Grießenbach führt eine konstant steile unbefestigte Trasse bergauf. Erster Gang. Verflixt. Das ist keine normale Bahnstrecke, diagnostiziere ich, das sind mindestens sechs Prozent Steigung. Nicht enden wollend. Über zahlreiche Treppen im Abstand von wenigen Metern stürzt der Bach und rauscht und stürzt.

Ein altes Muttchen spaziert vor mir her. Ich kann sie nicht einholen. Zu oft muss ich das Radel stoppen, verschnaufen, und was solls, ist ja schön hier. Schäfchenweiden, Jungvieh. So niedlich. Hie und da schwätze ich mit Passantinnen und Passanten. Liebkose mich dementsprechend den Berg hinauf und stehe in Untergrießbach doch tatsächlich vor einem großen Edeka-Markt. Mit Café. Mit Kaffee. Mit Erdbeerkuchen. Mit Sitzgelegenheit.

Ich hatte im Dreiländereck eigentlich nichts erwartet außer ein Gasthaus hie und da, vielleicht einmal ein Dorfladen, der von vier bis sechs auf hat, aber keine großen Lebensmittelversorger.

Auch in Wegscheid, Kilometer später, sehr hoch gelegen auf über 700 Metern, gibt es alles, was die Radlerbübcheninfrastrukturphantasien sich erträumen. Einkaufen bis acht, Kuchen essen usw.

Aber hart erschwitzt. Der Donau-Wald-Radweg führt auf und ab und die Steigungen sind fast grundsätzlich kaum fahrbare Erster-Gang-Steigungen. Nach der ehemaligen Bahnlinie folgen kleine Sträßchen. Nur ein, zwei winzige Stücke von ein paarhundert Metern auf stärker befahrenen Straßen.

Die österreichische Grenze ist nah. Manchmal gibt es Beschilderungskonflikte mit der ähnlich verlaufenden Zwei-Länder-Radroute. Gut, dass ich den GPS-Track auf dem Smartphone habe.

Nun sitze ich im Zelt am Waldrand neben dem Bächlein, in das man Krebse ausgesetzt hatte und das den Fischteich meines Hosts speist, schreibe diese Zeilen, koche Kaffee und lausche dem Surren der Heuwender, die sich des weitläufigen Wiesengeländes annehmen.

Jandelsbrunn, mein gestriges Tagesziel ist noch etwa 12 Kilometer entfernt. zum Mittelpunkt Bayerns – ich kann es nur immer wieder gebetsmühlenhaft erwähnen, irgendwo zwischen Ingolstadt und Nürnberg – beträgt die Distanz 179,4 Kilometer Luftlinie.

Wie Tennis aus Sicht des Balls | #UmsLand Bayern

Augen zumachen und sich voll und ganz auf das Konzert der Natur konzentrieren. Dabei schön die gerade Linie halten, ruhig pedalieren und das Knacken der Reifen auf dem Kiesweg als Hintergrundmusik hinnehmen. Das wärs. Nicht!

Der Weg ist schmal und rechts und links geht es steil die Dammkrone hinab. Rechts würde man mitsamt Radel und Gepäck direkt im Inn landen, links käme man mit etwas Glück unversehrt nach etwa zwanzig Metern auf einem anderen Kiesweg zum Stehen. Über viele Kilometer stört kein unnatürliches Geräusch auf dem Inndamm. So etwas findet man selten. Der Radweg führt durch Auenwälder, meist Weiden, Schilf und Tümpel. Vogelstimmen, Froschgequake. Leise murmelt der Fluss, der noch immer Hochwasser hat. Manchmal stört ein Flugzeug das Konzert.

Die gestrige Etappe führte bis auf wenige Orte – Simbach ist einer davon – abseits der Zivilisation. Normalerweise können mich solche ebenmäßig geplanten Dammradwege ziemlich anöden, aber dieser hier ist anders. Ist es sein Friede, den er ausstrahlt oder liegt es daran, dass die letzten Tage in den Bergen so heftig waren, dass ich dieses friedvoll dahin treibende Stück Radweg einfach nur genieße? Wie nach langer abenteuerlicher Tour wieder mal einen Tag auf dem heimischen Sofa sitzen?

Wie auch immer.

Die österreichische Grenze ist nah. Gegenüber Simbach liegt Braunau. Der markante Kirchturm ragt hoch hinter den Weiden am Fluss. Baustelle. Bagger. Zwischenlärm.

Wem es zu langweilig wird auf dem Damm, der kann auf andere Radwege ausweichen, die auf kaum befahrenen Sträßchen durch die Dörfchen führen. Es lohnt sich. Kirchen, Cafés, winzige Dorfläden. 

So lasse ich mich gestern fast achtzig Kilometer Richtung Passau treiben und die Entscheidung, ob ich den ‚Rücksturz zur Erde‘ mache und mich ab Passau auf dem Donauradweg zurück Richtung Schweiz oder der heimischen Pfalz mache, oder ob ich weiter radele wie geplant, scheint nachmittags sonnenklar: natürlich weiterradeln!

Heute Morgen, nachdem ich im Garten privat bei Gerhard, dem Theatermacher, untergekommen war, ist die Frage wieder ganz offen. Ein Teil von mir sagt, radele unbedingt weiter, du weißt, wie schwer es ist, nach einer Pause in eine schon begonnene Reise wieder einzusteigen.

Ein anderer Teil aber sagt, machs wie der Berliner (siehe in den Blogartikeln zuvor), lass dich treiben. Wirds zu steil oder irgendwas sonst passt nicht, passe deinen Kurs an.

In Neuburg sitze ich in der Bushaltestelle im Schatten, schreibe diese Zeilen. Jemand mäht Gras. Autos brummen vorbei. Gummi auf Kopfsteinen. Ein Bus. Der Fahrer beäugt mich, ob ich ein Gast bin, der mitfahren will, bemerkt das Radel, rollt langsam vorbei. Die Blicke der wenigen Gäste kleben an mir. Fast wie beim Tennis bewegen sich die Hälse. Nur, dass es nicht der hin und her flitzende Ball ist, dem die Blicke folgen, sondern der da sitzende – ja was macht der Typ denn da? – Radler und das Publikum ist es, das sich bewegt und weshalb die Hälse … für mich ist das wie Tennis aus der Perspektive des Balls.

Der Lärm nervt. Wenn man einmal den Nichtlärm gehört hat. Noch etwa zehn Kilometer bis Passau (wo es übrigens entgegen aller Antworten aller Passantinnen und Passanten, die ich fragte, doch einen Campingplatz gibt. Es ist ein Kanuklub-Camping an der Ilz, den kaum jemand kennt, verriet mir Gerhard. Irgendwie erinnert mich das an die Paddler von Ulm bei denen ich im ersten Tourabschnitt, letzten Sommer zeltete).

In einer halben Stunde weiß ich, welche Wendung meine Tour nimmt.

Bis zum Mittelpunkt Bayerns bei Kipfenberg sind es heute 157,8 Kilometer.

Sinnierend, konzentrisch kurbelnd auf dem Mühleneselspfad | #UmsLand Bayern

Ich darf Euch ein Geheimnis verraten. Meine Route rund um Bayern habe ich einem Webportal zu verdanken namens ‚Bayernnetz für Radler‘. Dort sind alle relevanten Radwege des Freistaats gelistet und man kann sich im Detail anschauen, von wo nach wo sie verlaufen und wie das Höhenprofil ist, was es am Rande der Route zu sehen gibt, wo man unterkommt. Ich habe die grenznächsten Radwege herausgepickt und die fehlenden Stücke händisch ergänzt, so dass ein Umriss zustande kam, der dem Umriss der bayerischen Landesgrenzen täuschend ähnlich sieht. Den Rest ließ ich offen. Kein Höhenprofil (das jagt einem nur Angst ein), keine Unterkünfte (wie sollte ich auch wissen, wann ich wo bin, wenn ich kein Höhenprofil kenne und nicht weiß, ob ich an dem Tag fünfzig oder hundert Kilometer schaffe), Sehenswürdigkeiten habe ich mir ein paar notiert, aber auch hier verlasse ich mich eher auf den Moment, der mir das, was gerade ansteht, vor Ort ins Netz meiner Geschichte rund um Bayern radelnd spült. Und mal im Ernst, Sehenswürdigkeiten sind ja höchst überbewertet, wenn es ums ’richtige’ Reisen geht. Entweder man klappert Sehenswürdikeiten ab im Leben und macht jeweils ein Häkchen in seinem Buch der tausendundeins Dinge, die man gesehen haben muss, oder man reist treibend wie ein frisch entwurzelter Baum auf dem überquellenden Inn und sieht dabei wie von Zauberhand tausendundeins andere Dinge, von denen in keinem Reiseführer geschrieben steht. Und vielleicht noch viel mehr.

Oft ist es ja eine Kombination verschiedener Unscheinbarkeiten, die sich geradezu homöpathisch im Reisealltag potenzieren zu einer wirksamen Mischung an Erlebtem.

Wenn ich Euch jetzt mit dem Glanzlicht meines gestrigen Reisetags komme, werdet Ihr sicher ein bisschen enttäuscht sein, denn es handelt sich nur um einen kleinen Land-Edeka Markt im winzigen Weiler Soyen, der sich verteilt auf verschiedene Hügel, in winzige Örtchen gliedert, von denen ein jedes sein eigenes kleines Kapellchen hat. Hie und da gibt es auch Landmaschinenhandel.

Gebeutelt von Wasserburgs Frühmorgenstristesse erreiche ich den Markt. Bänkchen vor der Tür. Kaffee zum Mitnehmen. Stille. Landluft. Kein Mensch, kein Geschrei. Fast wäre ich vorbei geradelt.

In Wasserburg gabs in der ’trockenen’ aber schönen Pension kein Frühstück, kein Kaffee, und die Stadt war mir mit ihrem Geschäftsauslagen-nach-vorne-Räumen zu morgendlich-hektisch, als dass ich mich hätte in einem Café niederlassen wollen. Zudem war ich mit Kettenölsuche beschäftigt. Besser gesagt, ich suchte nach einem Radladen, der mir eine Ölung schenkt, indem man mir das Werkstatt-Ölkännchen in die Hand drückt und sagt ’da, nimm reichlich’. Aber Fehlanzeige. In dem kleinen Laden, in dem ich zuerst frage steht ein Mann mit ölverschmiertem Kittel vor mir und gibt mir zu verstehen, dass ich das Öl kaufem nüsse. Es wäre ohnehin besser, denn der Inn, seien wir mal ehrlich, da musste täglich die Kette ölen usw. 4,90 sagt er und hält mir ein winziges Fläschchen hin. 1,90, frage ich? Nein, 4,90. Und das sind, bei geschätzt fünfzig Milliliter doch fast 100 Euro pro Liter. Das rechnet man sich normalerweise nicht aus, sondern man bezahlt und sagt sich selbst das, was einem die Händler auch sagen: ist Spezialöl. Pah. Ich sage nein. Lieber hole ich die weiche Banane aus dem Lebensmittelsack und schmiere damit die Kette.

Ein paar Häuser weiter der nächste Fahrradladen. Dort drückt man mir bereitwillig das Werkstattkettenspray in die Hand, ’nimm reichlich, fremder Wanderer’.

Soweit so gut. Mit einem zwiespältigen Gefühl verlasse ich die Stadt, sinne über den Griesgram im kleinen Laden versus den scheinbar Großzügigen im großen Laden und dass der Griesgram über kurz oder lang wohl schließen wird, geschluckt vom übermächtigen Konzern, der sein Öl sicher groß und billig einkauft … hätte ich dem alten Mann doch bloß das Öl abgekauft. Und warum gönne ich ihm den Teuerverkauf nicht, lasse ich ihn nicht so leben? Warum diktiert der Preis alles, warum nicht das Herz?

Die Geschichte ist groß genug und das Problem auch, dass ich es an anderer Stelle in diesem Buch fortsetzen werde. Es betrifft einen ja auch selbst. Irgendwo steckt(e) doch in jedem von uns so ein Typ mit ölverschmiertem Kittel, der seinen Lebensunterhalt auf Basis der vorliegenden wirtschaftlichen Mechanismen bestreitet, aber dann kommt von außen eine größere Macht, eine Kette von Fahrradläden, Lebensmittelläden, Kunstmaufakturen Wasauchimmerläden und überflutet die Stadt und diktiert und verbilligt die Preise und uns bleibt nichts übrig, als dabei zuzusehen, wie wir selbst vertrocknen, wie die KundInnen uns weglaufen, wie wir nach und nach alle mit dem schönen, freien, selbständigen Miteinander aufhören und uns in die Obhut der Kette begeben als halbwegs gut bezahlte Angestellte. Wenn denn ein Plätzchen frei ist in der Kette. Denn alle, die einst stolz und selbständig ihren Mensch standen, werden in der neu strukturierten Gesellschaft nicht gebraucht.

Deshalb kaufe ich gerne in kleinen Dorfläden ein (wobei Nah und Gut ja auch schon wieder eine Art Franchising ist).

Kaffee.

Kaffee und Kettenöl.

Kaffee und Kettenöl und ein Fetzen Isolierband, der das Ladekabel des iPhones wieder stabilisiert.

All das erhalte ich in dem kleinen Laden. Das Öl kostet dort 1,99 Euro. Immer noch stattlich.

Der Kaufmann mit weißem Kittel erzählt ein bisschen von seinen Radtouren. Am Inn entlang. Einst begnete ihm ein Berliner Radler, der fragte, wo bitteschön gehts denn hier nach München. Er erklärte dem Mann den Weg, dalang, und der Mann verschwand, nicht um ihm kurze Zeit später erneut zu begegnen. Der Weg nach ‚Minge‘ sei viel zu steil und er habe ja sowieso kein Ziel.

In meiner Phantasie wuchs ein radreisender Kerl, der im Zickzack nach Gutdünken das Land durchquert und sich von Impuls zu Impuls hangelt und dadurch sein Radreiseleben auf höchst chaotische, schicksalhafte Weise gestaltete. Wer weiß, vielleicht geistert er noch immer hier durch die Gegend: zu steil, Gegenwind, hektische Landstraße, igitt, Dauerregen, mjammie, Schweinshaxe, da lang, nein dort usw.

Die Impulse können so profan wie filigran sein, sie bestimmen sein Leben.

Und ich Eselcchen der feinen Künste mit meiner doch recht starren, sturen Tourkonzeption rund um Bayern hänge fest in meiner eigenen Tretmühle, die mich dazu verdammt das Nächste nach dem Jetzigen zu tun, weil es der Tourplan so vorgibt.

Manchmal sehne ich mich danach, einfach auszubrechen aus Bayern, aus meiner Runde, etwa der Via Claudiavon vor ein paar Tagen zu folgen und bis nach Venedig durchzurauschen, oder beim Rennsteig, wenn man es schon einmal geschafft hat bis zur Höhe des Gebirgs, Abtrunn zu werden und ab gehts ans Nordkap. Hach. Oder – wie hieß es früher in Raumschiff Orion – den Rücksturz zur Erde einzuleiten und bis zum Mittelpunkt Bayerns vorzudringen. Der ist übrigens heute etwa 129 Kilometer von meinem Mühleneselspfad entfernt.

DrumsLand – invented by SoSo, executed by Irgendlink | #UmsLand Bayern

Wie so ein Esel komme ich mir vor, der angepflockt an ein Mühlrad immerzu im Kreis dreht, sage ich zur Frau SoSo. Gerade erkläre ich ihr den Mittelpunkt Bayerns. Dass er bei Ingolstadt liegt, etwas nördlich bei einem Dorf namens Kipfenberg. Wissenschaftler haben das berechnet.Und ich immer außen rum. Wie auch um Rheinland-Pfalz und wie ums Saarland und wie ums künstliche Tourismuskonstrukt Paminaland.

Nuja, sagt Frau SoSo, jetzt ja nicht mehr. Jetzt gehts doch eher DrumsLand.

Ich stehe auf einer Innbrücke in Wasserburg, wo das Mobilfunknetz schnell genug ist für akustische Sprachübermittlung. Der Fluss ist mächtig. Fast schon schwappen die Wellen übers höchste Grün, zartkeimende Weiden und Stäucher vor den hunderte Meter langen Mauern der mittelaterlichen Stadt. Das Brückentor ist eine winzige Öffnung darin, durch das sich von hie nach da und von da nach hie Autos quetschen. Unheimlich laute Atmosphäre. Ich komme mir komisch vor, habe ich doch noch meinen ruhigen, radelnden, wankenden Tritt im Blut und nun schiebe ich mich durch den Lärm und der Lärm sich durch mich und ein bisschen Hektik des Feierabends bleibt kleben. In sich ruhende Kugel, durchdrungen vom Feierabenddodekaeder. Derweil der Inn allerlei Geäst, ganze Bäume, Alpenschmutz mitführt und die Poller vor den Brückenpfeilern jede Menge zu tun bekommen, um den Unrat von der Brücke fernzuhalten.

Ich hab Bayern verstümmelt! Kastriert hab ich das Land. Ihm den Schniedel abgeschnitten. Nein, nicht Bayern, meine UmsLand-Tour habe ich verstümmelt. Morgens auf dem Campingplatz in Bad Feilnbach stand es noch fifty-fifty, dass ich noch einen weiteren Tag bleibe. Immer noch Regen. Dazu Starkwind, vielleicht sogar Sturm. Aber dann ließ der Regen kurz nach und ich streckte den Finger in die Luft, könnte klappen, der Wind weht in meine Richtung, also Radel satteln, Regenklamotten an, Handschuhe, Mütze, volles Programm und tatsächlich, die schnellsten zehn Kilometer dieser Tour absolviere ich mit dem leichten Rückensturm von Bad Feilnbach bis rüber zum Inn. Die Gegend unterm Wendelstein ist ohnehin fast schon Flachland und schwupp stehe ich vor dem Abzweig zum Innradweg. Besser gesagt vor den beiden Abzweigen, denn es gibt auf jedem der Hochwasserdämme einen Radweg. Einen Ost- und einen West-Innradweg. Die Entscheidung fällt schnell, denn just am Knotenpunkt der Wege führt der Bodensee-Königssee-Radweg auf einer stärker befahrenen Straße und natürlich aufwärts. Adieu, hassgeliebter Freund, mit solchen Sperenzien nervtest du ja schon öfter.

Flachetappe bis Rosenheim immer dicht am Innufer. Ein paar Staustufen, viel Flussland, Weidenwälder mit olivgrünen Blättern und dunkelbraunen, vom Regen getönten Stämmen.

Rosenheim, was auffällt: Viele Asia-Imbissläden. Ein seltsames Autohaus fast mitten in der Stadt. Der Mangfall, ein Flüsschen, an dem auch ein wunderbarer Radweg verläuft (ich hatte ihn 2013 auf meiner Reise ins Memory of Mankind befahren). Und plötzlich kein Regen mehr. Oder täusche ich mich? Die Bewölkung ist jedenfalls noch da.

Weiter gehts nach Wasserburg. Bei Attel die erste und einzige Steigung am Innradweg. Fast schon eine Quotensteigung. Kurz vor Wasserburg führt der Radweg durch ein Klinikgelände mit stacheldrahtumwehrtem Trakt. Polizeiauto, Eingangsschleusen. Unheimlich. In Wasserburg habe ich mich schließlich in ein Zimmer einquartiert. Die Vernunft siegte, nicht weiter raus aufs Land zu fahren und dort womöglich mit leeren Händen dazustehen. Nieselregen der fiesen Sorte und Frösteln.

Heute gehts weiter auf dem Innradweg. Noch 160 Flusskilometer bis Passau. Und noch 110 Kilometer Luftlinie bis zum Mittelpunkt Bayerns.

Grenzen und ein Besuch im iBIERc – #UmsLand/Bayern

Jo do schau her, der oide Zausl, sog amoi, seid wiefuin Jahrn rennd der jetz scho da nauf zum Prechtl, trinkt sein Kaffee und starrt ausm Fenster?21. Mai 2029. Heute vor zehn Jahren fing es an mit der Wendelstein-Singualarität. Ein außergewöhnliches Wetterphänomen. Die Einheimischen nennen es den ‚Ewigen Regen‘. Die Jüngeren unter den Einwohnern kennen gar nichts anders als Regen. Sie haben die Sonne nie gesehen. Was zunächst wie ein außergewöhnliches Wetterphänomen wirkte, das vorübergeht, etablierte sich nach Wochen, Monaten und Jahren und nun glaubt eigentlich niemand mehr, dass der Regen je wieder aufhört.

Ein Tief namens Axel hatte sich über den Alpen festgesetzt. Der penetrante Axl, damischer Hund.

Die Situation war kritisch. Der Fremdenverkehr, der für die Region so wichtig war, kam völlig zum Erliegen. Die Touristen blieben aus. Bis, naja, bis der frisch gewählte Bürgermeister, der Jodler-Sepp von den Grünen, auf eine grandiose Idee kam. Du schau amal, mir ham da doch den Dauergast aufm Zeltplatz, den Blogger, den Dingsda, weißt, der mitm Radl rund um Bayern radelt und seit Monaten net mehr vom Fleck kommt wegen dem Wetter. Der is doch bekannt wie a bunti Kuh im Internet. Was meints, wenn ma dem a Zaunerl um sei Zelt bauen würd und dann Eintritt verlangen, dann kimmat die Touristn doch weltweit, oda?

So kam es, dass die kleine Gemeinde Bad Feilnbach unterm Wendelsteinmassiv einer der wenigen Touristenorte in Bayern geblieben ist, während der Rest des Landes im ewigen Regen unterging.

Unermüdlich bloggt der Künstler über seine Radtour um Bayern, die in dem kleinen Dorf wegen der widrigen Umstände ins Stocken kam. Jeden Tag schleppt sich der mittlerweile in die Jahre gekommene Mann die zwei Kilometer zum Ortszentrum lässt sich an seinem Stammplatz am Fenster des Cafés nieder im nach ihm umbenannten ehemaligen Prechtl-Kaufmannsladen, dem International Bavarian Irgendlink Eternity Rain Center (iBIERc). Dort nimmt er eine Schale Kaffee und ein großes Stück Himbeerkuchen zu sich, ganz wie am ersten Tag, an dem er in das Dorf kam.

Mittlerweile folgt ein Millionenpublikum dem als ältester Blogger der Welt im Buch der Rekorde verzeichneten Mann. Eine Webcam ist auf sein Zelt gerichtet. Die Besucherinnen und Besucher werfen manchmal Zettelchen mit Kommentaren über den Zaun.

All das begann auf den Tag genau vor zehn Jahren. Es ist an der Zeit zurückzublicken zu den Anfängen und hier lassen wir den Langzeitblogger doch persönlich zu Wort kommen mit einem seiner ersten Blogbeiträge, die er auf dem Campingplatz in Bad Feilnbach schrieb.
21. Mai 2019

Grenzen! Um sie geht es in diesem Buch. Rein geografische Grenzen, Verwaltungsgrenzen, zeitliche Grenzen (Grenzen des guten Geschmacks – man verzeihe mir diesen gedanklichen Ausrutscher), die Welt ist voller Barrieren und Schranken, Gesetze und Regeln. Nicht alle sind sinnvoll.

Gleich hinterm Zelt hinter dem Hochwasserdamm schießt der Jenbach vorbei. Ziemlich begradigtes Etwas. Als ich vorgestern Abend über den Radweg auf den Campingplatz zuradelte, empfand ich das Gewässer als natürliche Grenze. Musste erst Bach aufwärts radeln für einen knappen Kilometer, einen Steg überqueren und auf der anderen Seite, sinnigerweise heißt sie so, die Bachstraße zurück bis zur Rezeption des Campings.

Nun sitze ich hier im Schneidersitzbüro im Zelt. Kaffee vom Trangia. Seit zwei Tagen regnet es ununterbrochen. Solch eine Wettersituation habe ich glaube ich noch nie erlebt. Vielleicht während der fünf Monate um die Nordsee radelnd? In Nordengland und Schottland? Ich erinnere mich nicht. Die Erinnnerung schönt auch die Ereignisse.

Wer weiß, wie ich in zehn Jahren über diese Wettersituation, das gemeine Tief Axel, denken werde? Jo, da hab ich auf dem Campingplatz den Regen abgewartet und es mir gut gehen lassen im Zelt und im Aufenthaltsraum des Campingplatzes, der wie ein gemütlich eingerichteter Bunker wirkt, weil die Wände des Kellergeschosses aus unbehandeltem Beton sind und die Fenster wie Schlitze nach außen starren.

Gestern bin ich im strömenden Regen in die Stadt spaziert, um etwas zu tun. Denn nur im Zelt hocken oder im Bunker (hey, das passt auch zu Burroughs, die Sache mit dem Bunker, jeder große Schriftsteller sollte einen Bunker haben), also zu Fuß die knapp zwei Kilometer ins Ortszentrum entlang des Jenbachs.

Dort gibt es nicht viel. Rathaus, Einkaufzentrum, Café. Ein paar Erlebnispfade, die im Prospekt ‚Streifzüge durch Bad Feilnach‘ verzeichnet sind: Auf den Spuren von Jeni, der Wassernixe – für Kinder ab drei, Die Wasserdetektive sind unterwegs – für Kinder ab sechs, Auf Gottes Spuren, Wasserreich und Wasserarm – schon sehe ich mich als alten, graubärtigen Zausel wie ein Geist durchs Dorf irren im ewigen Regen, hängengeblieben, in seine Grenzen verwiesen, Dorfblogger for ever … halt halt halt.

Abends bereite ich mir im Aufenthaltsraum, indem es auch Kühlschrank und Herdplatten gibt ein köstliches Mal. Salat und Leberknödel. Leider vergessen, Pfeffersoße zu kaufen. Und Sauerkraut. Und Kartoffelbrei. Also Leberknödel pur bis zum Abwinken.

In der benachbarten Waschküche müht sich ein junges Paar, die Waschanleitung mit dem Google-Übersetzer zu übersetzen. Ich helfe ihnen, diese Sprachgrenze zu überwinden, übersetze ins Englische.

Die beiden kommen aus Israel, sind in Slowenien gestartet mit einem geliehenen Wohnmobil, über Österreich hierher und wollen weiter nach Köln und in die Niederlande mit einem finalen Abstecher nach Venedig, nachdem sie das Wohnmobil in Slowenien zurückgegeben haben.

In einem Europa mit Grenzen wäre das bestimmt eine Tortur, aus solch einem fremden Land kommend. Zig verschiedene Einreisebestimmungen.

Die beiden erzählen mir von Israel und ich könne doch mal rund um Isreal radeln. 36 Grad hätten sie da heuer. Sie wohnen in der Stadt Cäsaria, eine uralte Stadt, zudem eine der kriegsfernsten Städte Israels. Weder die Raketen aus Syrien, noch aus dem Gazastreifen reichen da hin, wenn ich es recht verstehe. Noch so eine Grenze. Grenzen allüberall. Die Grenze der tödlichen Gefahr.

Die beiden erzählen mir, dass sie es schwer haben, aus Israel in die Nachbarländer zu reisen. Ich als Europäer dürfe wohl einfach so die Grenzen überqueren, aber sie als Israelis können allenfalls nach Jordanien und auf den Sinai.

Wie widernatürlich doch das ist, was der Mensch Grenze nennt, wie willkürlich, kleingeistig, rückschrittlich und dem, was die Menschheit sein könnte, eine große, gute Weltgemeinschaft, zuwider laufend, denke ich auf dem Weg zum Zelt.

22 Uhr. Nachruhe. Grenze rein zeitlich. Über mir der nicht enden wollende Regen. Wenigstens der kennt keine Grenzen. Das Geprassel lullt mich in den Schlaf.

Was, wenn der Regen für immer anhält?