Das Bild (nicht das angehängte, sondern das geschriebene Bild) zeigt den Künstler auf dem Preikestolen, dem Priesterstuhl. Ein paarhundert Meter hoher Felsen in Norwegen. Steht er da, der Künstler, in der Sonne unter blauem Himmel, stützt die Arme in die Hüfte. Rücken zum Abgrund, zehn Meter von der Tiefe entfernt. Am Horizont Fjordnorwegen. Die Vermutung von Abenteuer und Wildheit liegt in der Luft. Wenige Minuten vor der Aufnahme hat der Künstler auf der gut Fußballfeld großen Steinplatte gesessen und ein Brot verzehrt. Das Treiben beobachtet. Zig Menschen auf dem Aussichtspunkt, den man über einen abenteuerlichen Wanderpfad erreicht, der an zwei Stellen beunruhigend nah am Abgrund vorbei führt. Besonders gerne beobachtete er den Klassiker unter den Preikestolenszenen: wie der Mensch, Mann, Frau, Kind, welcher Nation auch immer, bis zur äußersten Spitze läuft, sich postiert, posiert, Faxen machen, gut aussieht. Manche gehen nah zum Abgrund. Die meisten bleiben in gebührendem Abstand. Die Felswand fällt paarhundert Meter senkrecht in den Fjord. An anderer Stelle kriechen die Fotofreaks auf allen Vieren bis zur Kante, legen sich auf den Bauch, recken die Arme nach vorne und knipsen, ohne zu sehen, was da hinter der Kante ist, ein Bild senkrecht nach unten. Im Fotoarchiv der Nordseeumrundungsreise gibt es auch so ein Senkrecht-nach-unten Bild.
Nach dem Kunstzwergfestival vorletztes Wochenende kehrt der Alltag zurück ins Künstlermorgenblütenleben. Ähm. Vielmehr das Loch, an dem sich der Alltag einmal befunden hat. Bevor ich die Reise gemacht habe. Als habe man einen Preikestolen rund um die Gewohnheiten gebaut, die man einst pflegte. Ein Besuch in der Loungemöbelwerkstatt, in der ich einst arbeitete, hinterließ ein diffuses Bild. Kaum einen Mitarbeiter, eine Mitarbeiterin, die ich noch kenne. Als habe man über Nacht das gesamte Personal ausgetauscht durch neue Gesichter. Kollegin A. ist weg, Kollege P. ebenso. Zwei Neue im Büro, die vor einem riesigen Monitor mit einem CAD-Programm die Lounge der Zukunft gestalten. Vor der Eingangstür beunruhigt ein böser schwarzer Van mit abgetönten Scheiben. Jener Typ Van, wie sie gemeinhin von Massenmördern gesteuert werden. Auf der Frontscheibe prangt der Schriftzug „Audioslave“. Der Owner ist in Urlaub. Ob ich in der Firma wieder Arbeit finde?
Da die Nordseerunde ein Drittel teuerer war, als geplant, muss ich mich ein bisschen beeilen mit dem Job finden.
Fühler ausstrecken.
Den Film für LA will ich noch fertig kriegen. Muss ich fertig kriegen. Die Kuratorin der Mobile Art Schau hat eine extra Wand für mich reserviert. Die selbstgelegte Messlatte liegt hoch. Mit dem Material, das ich im vorigen Artikel als Skizze zeige, kann ich natürlich nicht kommen. Da muss mehr. Gestern nacht habe ich die Methode entwickelt für die Rapid Fire Slide Show. Und einen ersten 50 MB großen Clip gebastelt. Nun gehts ans Umsetzen. Wegen der Hitze habe ich den Arbeitsplatz ins Atelier verlegt. Der alte Kuhstall eignet sich vorzüglich zum Nachdenken. Immer wieder stehe ich vom Rechner auf, laufe im Kreis. Zum Nachdenken. Wie Dagobert Duck. An der Wand im Rücken hängt die Nordsee Radweg Karte. Links das Poster, das SoSo kreiert und hat ausbelichten lassen. Phantastisch. Haltet mir ein Jahr den Rücken frei und ich kann Großartiges schaffen, so rein künstlerisch. Nach der Reise und dem Datensammeln fängt die eigentliche Kunstarbeit erst an. Dass ich die Dinge aber auch stets als Anfang sehe, denn als Ende. Schon merkwürdig. So kann man den Künstler sehen, wie er denkend im Kreis läuft, wie er auf dem alten Viehtrog herum turnt, ein Betonteil, das in einer wuchtigen Höhe von 25 cm über dem Rest des Raums thront. Mit gelb-schwarzen Streifen ist es markiert, damit auch ja niemand runter stürzt. Der Artestolen. Der Priesterstuhl des kleinen Mannes. Direkt an der Kante stolziert der Kerl, als gähne darunter keine Leere. Gewagt gewagt. Niemand, der ihn dabei beobachtet, niemand, der ihn fotografiert. Kein blauer Himmel, kein unergründlicher Fjord. Nur ein kleines Atelier irgendwo in der Saarpfalz mit einem fünfundzwanzig Zentimeter hohen Bordstein, an dem ein Kerl herum balanciert und sich sagt: Hei Mann, am Preikestolen würdste so arglos ganz bestimmt nicht rumlaufen – schon merkwürdig, dabei ist es doch fast die selbe Situation, nur dass es an der anderen Kante sechshundert Meter tief runter geht.
Oh yes, 406 meters on three sides above Lyse Fjorden and the best thing of all… the packed lunch from Brian. Sky, art and food a most wonderful combination.
was für ein starkes bild – das geschriebene meine ich.
der lunch von brian und lill passt da genial dazu, sprich: da ist irgendwo ein schicksal, dass es gut mit dir meint. brotjob …
hach … ja, der alltag. das loch.
good luck, my dear!
Kommt es denn wirklich darauf an, wieviele Meter es an eine Kante hinuntergeht? Freier Fall ist freier Fall – auch von Teppichkanten Stürzende können sich das Genick brechen. Und ein Base-Jumper würde an den 25 cm scheitern, nicht aber an den etwa 400 m … Also hängt die gefühlte Höhe bzw. das Bedrohungspotential der Tiefe hinter einer Kante auch vom Menschen ab, der sich ihr nähert.
Das übertrage ich jetzt ganz frech auf Entfernungen: manchmal trennen 5 m strenger als 76xx km, ein andermal sind die 76xx km eine unvorstellbar goße Kluft. Jedoch: Das Kunstbübchen nimmt die Kluft, knetet und kritzelt und schnippelt und klebt und werkelt daran herum, an der 76xx-km-Kluft, und macht aus dem Trennenden etwas ganz anderes. Ich weiß noch nicht, ob es etwas verbindendes ist, aber es ist jedenfalls schon nicht mehr trennend.
(Das war nur eine erste kurze Bemerkung zum Text.)
Beste Grüße
vor der Reise ist schon auf der Reise und nach der Reise ist noch immer auf der Reise ;)
gutes Gelingen bei allem was du tust, aber bitte ohne gebrochenem Genick…
liebgrüßt dich Frau Blau
Also ist man immer reisend ;-)
„Das Herz des Reisenden“
so wie ihrs sagt, denke ich gerade JA, wir sind Reisende, immer…
Singt das nicht schon Iggy? Und der hats auch aus einem Film, soviel ich weiß. Oder von Jim? Ja, wir sind alle Reisende.
I am a passenger
And I ride and I ride
lalalalalalalala…
…heute in Mainz- besonders am Papierstiftgeschäft- werde ich an Dich denken, an die Begegnung mit Euch und Eurer Kunst, an die alten Baumeister und Druckerfinder, und im Kino, in dem Franzosenfamilientrefffilm, an alle bewusst Reisenden dieser Welt…Gruß von Sonja
P.S. Besuch an alten „Wirkungsstätten“ meist ernüchternd, so ganz ANDERS….